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Literatur Vergessene Dichter und Gedichte

longtime
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 05.05.2009, 09:12:52
Vergessen ist dieser "Dichter" nicht; er war auch kein Dichter, im "Erstberuf"; obowhl ein genialer Sprachkünstler - aber in der Musik eben viel ausdrucksstärker (wenn zu Lebzeiten auch wenig erfolgreich):


Du wirst im Ehstand viel erfahren
was dir ein halbes Rätsel war;
bald wirst du aus Erfahrung wissen,
wie Eva einst hat handeln müssen,
dass sie hernach den Kain gebar.
doch Schwester, diese Ehstands Pflichten
wirst du vom Herzen gern verrichten,
denn glaube mir, sie sind nicht schwer;
doch jede Sache hat zwo Seiten;
der Ehstand bringt zwar viele Freuden,
allein auch Kummer bringet er.

Drum wenn dein Mann dir finstre Minen,
die du nicht glaubest zu verdienen,
in seiner üblen Laune macht:
So denke, das ist Männergrille,
und sag: Herr, es gescheh dein wille
bei Tag -- und mein's auch bei der Nacht.

Dein aufrichtiger Bruder

W:A:Mozart


*

Und die Schwester... war:
Maria Anna Walburga Ignatia (natürlich „Nannerl“ genannt)!

--
longtime
welling
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von welling
als Antwort auf longtime vom 11.05.2009, 05:01:02
Heute wäre Rose Ausländer 108 Jahre alt geworden. Ihr zu Ehren ihr Gedicht "Noch bist du da"

Noch bist du da
Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Rose Ausländer


welling
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von welling
als Antwort auf welling vom 11.05.2009, 20:28:08
Heute sei an Nelly Sachs erinnert. Sie erhielt 1966 den Literaturnobelpreis, am 12. Mai 1970 starb sie in Stockholm.

Immer

Immer
dort wo Kinder sterben
werden die leisesten Dinge heimatlos.
Der Schmerzensmantel der Abendröte
darin die dunkle Seele der Amsel
die Nacht heranklagt -
kleine Winde über zitternde Gräser hinwehend
die Trümmer des Lichtes verlöschend
und Sterben säend -

Immer
dort wo Kinder sterben
verbrennen die Feuergesichter
der Nacht, einsam in ihrem Geheimnis -
Und wer weiß von den Wegweisern
die der Tod ausschickt:
Geruch des Lebensbaumes,
Hahnenschrei der den Tag verkürzt
Zauberuhr vom Grauen des Herbstes
in die Kinderstuben hinein verwunschen -
Spülen der Wasser an die Ufer des Dunkels
rauschender, ziehender Schlaf der Zeit -

Immer
dort wo Kinder sterben
verhängen sich die Spiegel der Puppenhäuser
mit einem Hauch,
sehen nicht mehr den Tanz der Fingerliliputaner
in Kinderblutatlas gekleidet;
Tanz der stille steht
wie eine im Fernglas
mondentrückte Welt.

Immer
dort wo Kinder sterben
werden Stein und Stern
und so viele Träume heimatlos.

(Nelly Sachs)


welling

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longtime
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf welling vom 12.05.2009, 09:07:00
Emil Merker:
Buch deines Lebens


Wenn in der Dämmrung die Scheiben erblinden,
erblüht das Feuer im Herd.
In seinem Schein magst du wiederfinden,
was einst dich beglückt und versehrt.

Wunden, sie sind nicht das Schlimmste gewesen.
Dein Leben, dies schwere Buch,
erst wenn du es grübelnd noch oftmals gelesen,
verstehst du, was Segen, was Fluch.

Verwunden ist schlimmer, als Wunden erleiden!
Schreibst du dein Buch nun zu Ende:
zur Sühne nütze die letzten Seiten,
achtsam die Blätter wende!
*
(Aus: Emil Merker: Das brennende Staunen. Gedichte. Düsseldorf 1958.S.4)

Ja, Emil Merker ist ein total vergessener Dichter.
Von ihm findet man fast nichts im Internet:
E.M.: *7.4.1888 in Mohr (bei Podersam in Böhmen) +23.6.1972 in Ebratshofen (Allgäu)
Er gilt als „sudetendeutscher Schriftsteller“.

Merker wurde im Saazer Land geboren; er studierte um 1910 an der Prager Universität Naturwissenschaften. 20 Jahre lang war er tätig als Lehrer an der höheren Forstlehranstalt in Reichstadt (Böhmen).
Eine Erblindung zwang ihn zur Aufgabe seiner Lehrtätigkeit. Er war dann, weil seine Frau alle seine Ideen und Texte notierte, als freier Schriftsteller tätig.
Er lebte in Nestomitz bei Aussig an der Elbe; nach dem Zweiten Weltkrieg in Moosbach im Allgäu.
1945 Opfer der kollektiven Ausweisung aus der Tschechoslowakei.
Ein melancholisches Werk in eigenwilliger Sprache, mit dem Hauptthema des Zusammenlebens der Menschen, die durch Leid geprüft und getröstet werden.
Hintergrund der Werke ist die sudetendeutsche Landschaft.

Die wichtigen Werke:
„Der junge Lehrer Erwin Moser“ (1931) (Eine wichtige, realistische, psychologisch orientierte Lehrergeschichte im böhmischen Bereich, als die Deutschen dort noch mit den tschechischen Landsleuten friedlich zusammen lebten. Das Buch ist leider nie mehr nachgedruckt worden. )

"Der Weg der Anna Illing" (Roman, 1938),
Stifter-Biographie. Stuttgart: Cotta, 1944.
"Die große Trunkenheit" (Lyrik, 1950),
"Unterwegs" (Autobiografie, 1951) – Das wichtigste Buch von E.M.

--
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 12.05.2009, 13:10:52
Emil Merker:
Letzte Stunde


Bleibt von den Wäldern, die ich durchwandert, ein einziger Baum;
nimmt mich auf, erkennt mich als Bruder, bietet mir Raum
zu gutem Schlaf.

Bleibt von den rauschenden Wassern nur noch versickerndes Raunen;
reicht, zu kühlen all das brennende Staunen,
das Leben war.

Will von den Freunden mir nur noch ein einziger taugen:
dunkel das Antlitz, doch mit lächelnden Augen,
mit einem Mund, der schweigt.

Vergessen werde ich trinken wie einen schweren Wein,
süß und versöhnend wird es wie Heimkommen sein
nach langer Irrsal.
*
(Aus: Emil Merker: Das brennende Staunen. Gedichte. Düsseldorf 1958. S. 5)

--
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 12.05.2009, 14:14:15
Emil Merker:
Heimkehr im Herbst


Verwaschenes Grau, verwischte Konturen;
im Straßenkot silberne Räderspuren,
knarrende Wagen von müden Pferden
zu einsamen Höfen gerackert werden,
verloren im Ried.

Die Wälder schon schwarz und in Nacht gemummt,
über den Feldern die Krähen verstummt;
Nebel wie Leichenlaken sich spreiten,
Verwesung duften die Ackerbreiten.
Gott sei uns Sündern gnädig!

Den Wandernden drückt seine Bürde schwer,
Heimkehr und schlafen! sonst weiß er nichts mehr.
Halb dösend schon setzt er Schritt vor Schritt,
da geht ihm zur Seite ein anderer mit,
ein schwarzer Schutzengel.

Und alles, was eben noch Trübsal war,
wird Feierlichkeit und wunderbar,
wie wenn in der engen Sterbekammer
gespendet ward nach des Lebens Jammer
die heilige Ölung.
*
(Aus: E.M.: Das brennende Staunen)


--
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 12.05.2009, 20:46:39
Heute Morgen kein Merker-Gedicht - sondern was zum Abend-Trost:

Louise Hensel (1798 bis 1876):
Abendlied

Müde bin ich, geh' zur Ruh',
Schließe beide Äuglein zu;
Vater, laß die Augen dein
Über meinem Bette sein.

Hab' ich Unrecht heut getan,
Sieh' es, lieber Gott, nicht an;
Deine Gnad' und Jesu Blut
Macht ja allen Schaden gut.

Alle, die mir sind verwandt,
Herr, laß ruhn in deiner Hand;
Alle Menschen, groß und klein,
Sollen dir befohlen sein.

Kranken Herzen sende Ruh',
Nasse Augen schließe zu;
Laß den Mond am Himmel stehn
Und die stille Welt besehn!

++


Hensel, Luise:
religiöse Dichterin, Schwester des Malers Wilhelm H., geb. 30. März 1798 zu Linum in Brandenburg, siedelte nach dem Tode des Vaters mit ihrer Mutter 1809 nach Berlin über, wo sie 1818 zur katholischen Kirche übertrat. Klemens Brentano, der in heftiger Leidenschaft für sie erglühte, reichte sie ihre Hand nicht, trug aber wesentlich zu der innern Wandlung des romantischen Dichters bei. 1819 ward sie Gesellschafterin bei einer Fürstin Salm, 1821 Lehrerin bei der Witwe Graf Friedrich Leopolds von Stolberg; von 1833 bis 1837 lebte sie wieder in Berlin, danach bis 1840 zu Stift Neuburg im Haus der Gattin Fritz Schlossers, später in Köln, in Wiedenbrück bei Paderborn und zuletzt in Paderborn selbst, wo sie 18. Dez. 1876 starb. Ihre "Gedichte", zuerst mit Gedichten ihrer Schwester Wilhelmine vereinigt (hrsg. von Kletke, Berl. 1858), zeichneten sich hauptsächlich durch den Geist milder, inniger und sehnsüchtiger Frömmigkeit aus.
Ihr Abendlied "Müde bin ich, geh' zur Ruh'" zählt zu den Perlen der deutschen religiösen Lyrik.
Einer vollständigen Sammlung der "Lieder" (hrsg. von Schlüter, Paderb. 1869; 6. Aufl. 1886) folgten: "Briefe der Dichterin Luise H." (das. 1878). Vgl. Reinkens, Luise H. und ihre Lieder (Bonn 1877, auf einer Selbstbiographie der Dichterin beruhend); Bartscher, Der innere Lebensgang der Dichterin Luise H. (Paderb. 1882); Binder, Luise H., ein Lebensbild (Freiburg 1885). - Luises jüngere Schwester, Wilhelmine H., geb. 11. Sept. 1802, von 1851 bis 1876 Vorsteherin des Elisabethstifts zu Pankow bei Berlin, seitdem in Charlottenburg wohnhaft, trat gleichfalls als Dichterin hervor, zuerst in der oben erwähnten von Kletke herausgegebenen Sammlung, neuerlich mit "Gedichten" (hrsg. von Schlüter, Paderb. 1882).
Aus: Meyers Konversationslexikon. Bd. 8. Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892.

*

In der FAZ vom 11.04.09 wurde dieses Gedicht mit einer oberflächlichen Interpretation von Dirk von Petersdorff in der "Frankfurter Anthologie" geboten: „Gegen die Verwirrungen der Zeit“; mit dem Fazit des Schreibers: „Noch heut gibt es kühle Intellektuelle, das ist verbürgt, die abends mit ihren Kindern solche Gebete sprechen und sich davon wider alle Vernunft getröstet fühlen“.

– Den Trost mag man ihnen, den Vätern und Kindern, gönnen.
Das eigene Wohlgefühl garantiert es dann aber auch, dass dieser Kinderreligion entsprechend den Menschen und Völkern, die nicht so feudal, ecclesiogen und wellness-versorgt sind, Elend, und soziale und wirtschaftliche Ausbeutung unter religiösen Vorgaben vorbehalten bleiben.

Dieser Billig-Trost als Religionsersatz zum eigenen Ruhevergnügen bedingt die globale, meist polit-toxische Schutzlosigkeit.


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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 13.05.2009, 08:51:41
Wilhelm Busch ist zwar wahrhaftig nicht vergessen; aber als Ergänzung zu Luise Hensels Abendgebets-Tröstung zitiere ich hier dieses Gedicht von ihm:

Wilhelm Busch
Tröstlich

Die Lehre von der Wiederkehr
Ist zweifelhaften Sinns.
Es fragt sich sehr, ob man nachher
Noch sagen kann: Ich bin's.

Allein was tut's, wenn mit der Zeit
Sich ändert die Gestalt?
Die Fähigkeit zu Lust und Leid
Vergeht wohl nicht so bald.

*
(Aus Buschs nachgelassenen Band "Schein und Sein". 1909)

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chris
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von chris
als Antwort auf longtime vom 14.05.2009, 06:12:35
SEHNSUCHT

Kennst du der Sehnsucht Schmerzen
Tief im Herzen?
Ein glühend Verlangen,
Ein ewiges Bangen,
Ein ewiges Streben!
Wie Qual und Lust
So still in der Brust
Mit tiefem Beben
Sich innig verweben!
Weit in der Ferne,
Himmelwärts,
In den Kreis der Sterne
Sehnt sich das Herz.
Ein schöner Morgen
Bricht glühend heran;
Doch der Liebe Sorgen
Zerstören den Wahn.
Ach, das doch bliebe,
Dies Paradies!
Der Wahn der Liebe
Ist gar so süß.
Es ist der Gottheit lebendiger Strahl,
Und das Leben entflieht mit dem Ideal

Theodor Körner

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chris
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf chris vom 14.05.2009, 12:49:19
Ich werde noch weitere vergessene Gedichte von Emil Merker eisntellen.

Emil Merker:
Aus großer Verlorenheit


Oh namenlose Einsamkeit,
da alles mich verließ!
die Jugend liegt so weit;
einst bitter, dünkt sie jetzt nur süß.

Die ich geliebt, die mich geliebt,
zurück ruft sie keim Mund.
Oh Herz, im Scheiden so geübt,
bleibst dennoch wund.

Selbst du, mein Werk, nicht zu mir stehst,
du Blut aus meinem Blut.
Daß kalt und fremd du von mir gehst,
wie weh das tut!

Was bleibt? O mein Gott, sag, was bleibt?
Und der Gerufene meldet sich;
auf grauen Eisgangschollen treibt
die Antwort zu mix: ICH.
*
(Aus: Emil Merker: Das brennende Staunen. Gedichte. 1958)

--
longtime

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