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Literatur Vergessene Dichter und Gedichte

welling
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von welling
als Antwort auf senhora vom 10.04.2009, 08:28:50
222 (zweihundertzweiundzwanzig) Jahre alt wäre er heute geworden, wurde also am 26. April 1787 geboren:

Ludwig Uhland

Frühlingsglaube

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.


Der gute Kamerad

Ich hatt' einen Kameraden,
Einen bessern find'st du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt.

Eine Kugel kam geflogen,
Gilt's mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wär's ein Stück von mir.

Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad'.
Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib' du im ew'gen Leben,
Mein guter Kamerad!

Des Knaben Berglied

Ich bin vom Berg der Hirtenknab',
Seh' auf die Schlösser all' herab,
Die Sonne strahlt am ersten hier,
Am längsten weilet sie bei mir.
Ich bin der Knab' vom Berge!

Hier ist des Stromes Mutterhaus,
Ich trink ihn frisch vom Stein heraus;
Er braust vom Fels im wilden Lauf,
Ich fang' ihn mit den Armen auf.
Ich bin der Knab' vom Berge!

Der Berg, der ist mein Eigentum,
Da ziehn die Stürme rings herum,
Und heulen sie von Nord und Süd,
So überschallt sie doch mein Lied:
Ich bin der Knab' vom Berge!

Sind Blitz und Donner unter mir,
So steh' ich doch im Blauen hier;
Ich kenne sie und rufe zu:
Laßt meines Vaters Haus in Ruh'!
Ich bin der Knab' vom Berge!

Und wenn die Sturmglock einst erschallt,
Manch Feuer auf den Bergen wallt,
Dann steig' ich nieder, tret' in's Glied
Und schwing' mein Schwert und sing' mein Lied:
Ich bin der Knab' vom Berge!


Gruß
welling
agleh
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von agleh
als Antwort auf welling vom 26.04.2009, 09:47:56
Hallo zusammen,
im Nachlass meines Vaters, fand ich einige Gedichte ohne Autorenangabe.Meine Suche bei Google, hat nichts ergebracht. Vielleicht kennt sie hier jemand. Mein Vater verstarb 97 jährig, letzten November.
Hier nun eines der Gedichte!

Das Wärterhaus

Ich stand so oft als Knabe
am kleinen Wärterhaus-
Lugte nach den Dampfeswolken
der Lokomotive aus.
Und wenn dann heulend-zischend,
gebraust kam der Koloß,
von weitem langsam-
sausend vorüberschoß,
dann starrte ich wohl lange
dem letzten Wagen nach,
bis leer vor mir und einsam,
der Strang der Schienen lag.

Wer auch so könnte fahren
hinaus ins weite Land
mir hat im kleinen Herzen
die Sehnsucht heiß gebrannt.

So bin ich hinausgefahren
im sausenden brausenden Zug.
Ein Jüngling voller Sehnsucht-
das Herz mir bebend schlug.
Und- möchte doch wiederkehren
zum kleinen Wärterhaus
und wieder als Knabe lugen
den Schienenstrang hinaus.

Lieben Gruß
agleh
agleh
agleh
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von agleh
als Antwort auf agleh vom 29.04.2009, 07:39:15
Sorry, Herr Welling. Ich habe da wohl etwas falsch gemacht. Aber ich wusste es leider nicht besser.
Lieben Gruß
agleh

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welling
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von welling
als Antwort auf agleh vom 29.04.2009, 07:45:33
Hallo agleh,

den Autor des Textes kenne ich nicht.

Als ich das Gedicht las, dachte ich spontan an Eichendorffs "Sehnsucht". Dieses Gedicht gilt als programmatisch für die deutsche Romantik, weil es wesentliche Motive dieser Zeit (Ende 18. Jahrhundert bis etwa Mitte 19. Jahrhundert) enthält, also etwa Sehnsucht, Fernweh. Es heißt da u.a. "ach wer da mitreisen könnte" oder "das Herz mir im Leibe entbrennte". Mit Vorliebe reisten die Romantiker zu Fuß oder in der Kutsche, mit der Dampflok eher weniger -:)). Aber irgendwann anfangs des 19. Jahrhunderts wurde die dann ja wohl erfunden. Sicherlich ist "dein" Gedicht nahe bei der Romantik, aus der Zeit oder später von jemandem nachempfunden.

Und nun kommt mir noch ein ganz anderer Gedanke: War dein Herr Vater vielleicht ein begabter Hobbydichter, der dieses wunderschöne Steckenpferd heimlich ritt?

Gruß

welling
agleh
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von agleh
als Antwort auf welling vom 29.04.2009, 09:40:33
Hallo Herr Welling,

diesen Gedanken, dass er der Verfasser sein könnte hatte ich auch schon.
Wenn er heimlich Gedichte geschrieben hat, hat er es nicht einmal seine Familie
wissen lassen.
-Mein Vater ist in Bayern aufgewachsen-

Hier ein weiters Kurzgedicht:

Das Marterl I

Hier ruhen unter Schnee und Eis
ein toter Bayer und a Preiß.
Oh Wandrers bet für den Bayersmann
der Preiß geht dich ja en Scheißdreck an.
Doch wenn du betest, bete leis,
sonst könnt lebendig wern der Preiß.

Lieben Gruß
agleh
welling
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von welling
als Antwort auf agleh vom 29.04.2009, 13:16:59
Ich hatte am 25. März schon an Novalis erinnert, das war sein Todestag. Heute ist sein Geburtstag (geboren 02.Mai 1772)

Zum Beschluß

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die ewgen Weltgeschichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.


welling

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welling
welling
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von welling
als Antwort auf welling vom 02.05.2009, 21:11:10
Auch sei an Gottfried Benn erinnert. Er wurde am 02. Mai 1886 geboren.

Immer schweigender

Du in die letzten Reiche,
du in das letzte Licht,
ist es kein Licht ins bleiche
starrende Angesicht,
da sind die Tränen deine,
da bist du dir entblößt,
da ist der Gott, der eine,
der alle Qualen löst.

Aus unnennbaren Zeiten
eine hat dich zerstört,
Rufe, Lieder begleiten
dich, am Wasser gehört,
Trümmer tropischer Bäume,
Wälder vom Grunde des Meer,
grauendurchrauschte Räume
treiben sie her.

Uralt war dein Verlangen,
uralt Sonne und Nacht,
alles: Träume und Bangen
in die Irre gedacht,
immer endender, reiner
du in Fernen gestuft,
immer schweigender, keiner
wartet und keiner ruft.
--
welling
Medea
Medea
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Medea
als Antwort auf welling vom 02.05.2009, 21:22:47
Liebesfeier

An ihren bunten Liedern klettert
die Lerche selig in die Luft;
ein Jubelchor von Sängern schmettert
im Walde, voller Blüt und Duft.

Da sind, soweit die Blicke gleiten,
Altäre festlich aufgebaut,
und all die tausend Herzen läuten
zur Liebesfeier dringend laut.

Der Lenz hat Rosen angezündet
an Leuchtern von Smaragd im Dom;
und jede Seele schwillt und mündet
hinüber in den Opferstrom.

- Nikolaus Lenau -

M.
yankee
yankee
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von yankee
als Antwort auf Medea vom 03.05.2009, 15:43:45
Vor kurzem fand ich eine Homepage der deutschen Liebes-Lyrik mit einer Sparte die da heisst: "Vergessene Dichterund Dichterinnen des 19. Jahrhunderts".
Für diejenigen, welche die Seite noch nicht kennen setze ich den link mit ein.
Das erste Gedicht daraus ist ein Mai-Gedicht und passt gerade so schön.

Maiklänge

Die Blätterspitzen im dunkeln Hain
Zerbrechen der Knospe Gefängnis,
Bei der Frühlingssonne zitterndem Schein
Wird ihnen zu bang in der Engnis.
Die schützenden Decken, sie sprengen sie los,
Erschließen den zarten innersten Schoß
Den Stimmen des Lenzes, der Liebe!

Die Schwalben kommen vom südlichen Meer,
Die frohen, willkommenen Gäste,
Der Storch stolziert auf den Dächern einher
Und sucht sich ein Plätzchen zum Neste,
Die Finken locken und schlagen vor Lust,
Als sollte zerspringen die schmetternde Brust
Bei den Stimmen des Lenzes, der Liebe!

Das Leben drängt sich hervor und quillt
In tausendfarbigen Blüten -
Was willst Du die Sehnsucht, die nimmer sich stillt,
Im Busen verschlossen noch hüten?
Hervor, was im Herzen Dir schlummert so bang,
Dann wird auch die Klage zum Jubelgesang
In den Stimmen des Lenzes, der Liebe!

Theodor Apel
(1811-1867)

--
yankee
longtime
longtime
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von longtime
als Antwort auf yankee vom 04.05.2009, 09:39:28
Wellings Erinnerung an Gottfried Benn, der zwar nicht vergessen ist, aber bei dem man auch immer noch fast Unbekanntes finden kann, brachte mir dieses Gedicht wieder zu Bewusstsein:

Gottfried Benn:
Hör zu

Hör zu, so wird der letzte Abend sein,
wo du noch ausgehn kannst: du rauchst die "Juno",
"Würzburger Hofbräu" drei, und liest die Uno,
wie sie der "Spiegel" sieht, du sitzt allein

an kleinem Tisch, an abgeschlossenem Rund
dicht an der Heizung, denn du liebst das Warme.
Um dich das Menschentum und sein Gebarme,
das Ehepaar und der verhaßte Hund.

Mehr bist du nicht, kein Haus, kein Hügel dein,
zu träumen in ein sonniges Gelände,
dich schlossen immer ziemlich enge Wände
von der Geburt bis diesen Abend ein.

Mehr warst du nicht, doch Zeus und alle Macht,
das All, die großen Geister, alle Sonnen
sind auch für dich geschehn, durch dich geronnen,
mehr warst du nicht, beendet wie begonnen -
der letzte Abend - gute Nacht.

*

G. B.: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe. In Verb. mit Ilse Benn hrsg. von G. Schuster und Holger Hof Band I. Gedichte 1. Klett-Cotta. Stuttgart 1986
*

Ein sehr einfaches, fast un-bennsches Gedicht!

--
longtime

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