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Literatur Vergessene Dichter und Gedichte

yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf luchs35 vom 23.03.2009, 23:26:53
Ja luchsi,
der thread heisst ja deswegen auch vergessene Dichter und Gedichte. Auch die sog. grossen Dichter haben ja viel mehr geschrieben als allgemein bekannt ist. Da gibt es eine ganze Menge wunderbarer Verse, die kaum im Gedächtnis sind. Auch Erich Mühsam gehört dazu.

Als ich dich fragte ...

Als ich dich fragte: Darf ich Sie beschützen?
Da sagtest du: Mein Herr, Sie sind trivial.
Als ich dich fragte: Kann ich ihnen nützen?
Da sagtest du: Vielleicht ein andres Mal.
Als ich dich bat: Ein Kuß, mein Kind, zum Lohne!
Da sagtest du: Mein Gott, was ist ein Kuß?
Als ich befahl: Komm mit mir, wo ich wohne! -
Da sagtest du: Na, endlich ein Entschluß!

Erich Mühsam
(1878-1934)

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yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 24.03.2009, 09:41:37
Rosenlied

Wir senkten die Wurzeln in Moos und Gestein,
Wir wiegten die Schultern im rosigen Schein,
Wir tranken die Sonne, den Tau und das Licht,
Wir prangten in Schönheit und wußten es nicht.

Der Lenz strich vorüber und küßte uns leis,
Der Tag ward so still und die Nächte so heiß,
Der Wind sprach von Liebe manch flüsterndes Wort,
Ein Schritt kam gegangen .. ein Arm trug uns fort.

Wer hält unser Leben in zitternder Hand?
Es duftet und rieselt ein weißes Gewand ...
Wir sehn eine Brust, die Sehnsucht erregt,
Wir hören ein Herz, das in Leidenschaft schlägt.

Von Liebe gebrochen, zu Liebe gebracht -
Wir grüssen dich, Schwester, in schweigender Nacht.
Der Tag, der zu holderem Blühen dich ruft,
Er schenkt unsre Schönheit verwelkt in die Gruft.

Anna Ritter
(1865-1921)




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yankee
senhora
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von senhora
als Antwort auf yankee vom 24.03.2009, 11:25:59
Richard Dehmel
1863-1920

Im Regen

Es stimmt zu mir, es ist ein sinnreich Wetter;
mein Nacken trieft, denn Baum und Borke triefen.
Die Tropfen klatschen durch die schlaffen Blätter;
die nassen Vögel tun, als ob sie schliefen.

Der Himmel brütet im verwaschnen Laube,
als würde nie mehr Licht nach diesem Regen;
nun kann er endlich, ungestört vom Staube,
das Los der Erde gründlich überlegen.

Die Welt fühlt grämlich ihres Alters Schwere:
kein Fünkchen Freude, keine Spur von Trauer.
Und immer steter schwemmt sie mich ins Leere:
kein Staub, kein Lichtlein mehr – grau – und immer graue


senhora

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luchs35
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von luchs35
als Antwort auf senhora vom 24.03.2009, 11:29:36

Der in Ludwigsburg geborene Theologe,Philosoph und Dichter Friedrich Theodor Vischer erhielt den ersten Lehrstuhl in Tübingen für Ästhetik und deutsche Literatur. Kaum jemnad kennt heute noch ihn und seine Gedichte.

Das graue Lied

Warum wird mir so dumpf und düster doch,
So matt und trüb um die beengte Seele,
Wenn ich an einem grauen Nachmittag
An meinen Büchern mich vergeblich quäle, –

Wenn wie ein aschenfarbiges Gewand
Der Himmel hängt ob den verschlafnen Auen
Und weit und breit von dem geliebten Blau
Nicht eine Spur das Auge kann erschauen?

Ein Geiglein tönt aus einem fernen Haus,
Man hört es kaum, gefühlvoll thät' es gerne,
Gezognem Weinen eines Kindes gleich
Mit dünnem Klang langweilig in die Ferne.

Kein Lüftchen geht, kein Grün bedeckt die Flur,
Der Lenz ist da, doch will's ihm nicht gelingen,
Die alten Streifen winterlichen Schnee's
In Wald und Graben endlich zu bezwingen.

So öd und still! Das schwarze Vöglein nur,
Das frierend sitzt auf jenes Daches Fahnen,
Zieht langgedehnten traur'gen Laut hervor,
Als wollt' es an ein nahes Unglück mahnen.

Ich weiß es wohl, solch grauer Nachmittag
Ist all mein Wesen, all mein Thun und Treiben.
Nicht Wehmuth ist's, nicht Schmerz und auch nicht Lust,
Das Wort spricht's nicht, die Feder kann's nicht schreiben.

Mir ist, als war' ich selber Grau in Grau,
Zu viel der Farbe scheint mir selbst das Klagen,
Ob Leben Nichts, ob Leben Etwas ist,
Wie sehr ich sinne, weiß ich nicht zu sagen.

(Friedrich Theodor Vischer, 1827)

--
luchs35
yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf luchs35 vom 24.03.2009, 11:45:54
Auch eines der Gedichte, welches man nicht vergessen sollte.

Das Leben ist ein Darlehn, keine Gabe...

Das Leben ist ein Darlehn, keine Gabe
Du weißt nicht, wieviel Schritt du gehst zum Grabe,
Drum nütze klug die Zeit: auf jedem Schritt
Nimm das Bewußtsein deiner Pflichten mit.
Gewöhne dich – da stets der Tod dir dräut
Dankbar zu nehmen, was das Leben beut;
Die Wünsche nicht nach Äußerm zu gestalten,
Sondern den Kern im Innern zu entfalten;
Nicht fremder Meinung untertan zu sein,
Die Dinge nicht zu schätzen nach dem Schein;
Nicht zu verlangen, daß sie sollen gehn,
Wie wir es wünschen – sondern sie verstehn,
Daß wir uns bei Erfüllung unsrer Pflichten
(Da sie's nach uns nicht tun) nach ihnen richten.

Friedrich Martin Bodenstedt
(1819-1892)
--
yankee
enigma
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von enigma
als Antwort auf yankee vom 24.03.2009, 15:20:31
Ich vergesse es nicht, Yankee....


Über allen Zauber Liebe

Sie hüpfte mit mir auf grünem Plan,
Und sah die falbenden Linden an
Mit trauernden Kindesaugen;
Die stillen Lauben sind entlaubt,
Die Blumen hat der Herbst geraubt,
Der Herbst will gar nichts taugen.
Ach, du bist ein schönes Ding,
Frühling!
Über allen Zauber Frühling.

Das zierliche Kind, wie's vor mir schwebt!
Aus Lilien und Rosen zart gewebt,
Mit Augen gleich den Sternen; -
Blüht mir dein holdes Angesicht,
Dann mag, fürwahr ich zage nicht,
Der Mayen sich entfernen.
Färbet nur des Lebens Trübe
Liebe:
Über allen Zauber Liebe.

Johann Baptist Mayrhofer

--
enigma

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eleonore
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von eleonore
als Antwort auf enigma vom 24.03.2009, 15:30:35
Francesco Petrarca

Sonett an Madonna Laura

Quel Sol, che mi mostrava il cammin destro
Di gire al Ciel con gloriosi passi;
Tornando al sommo Sole, in pochi sassi
Chiuse ‘l mio lume, e’l suo carcer terrestro:

Ond’ io son fatto un animal silvestro,
Che co’ piè vaghi, solitarj, e lassi
Porto ‘l cor grave, e gli occhi umidi e bassi
Al mondo, ch’è per me un deserto alpestro.

Così vo ricercando ogni contrada
Ov’ io la vidi; e sol tu, che m’affligi,
Amor, vien meco, e mostrimi, ond’ io vada.

Lei non trov’ io; ma suoi santi vestigi,
Tutti rivolti alla superna strada,
Veggio lunge da’ laghi Averni e Stigi.
**************************

Zum Lichte allen Lichtes heimgegangen
Ist meine Sonne, die den Pfad mir wies,
Den glorreich steilen Pfad zum Paradies:
Und dunkle Nacht hält nun die Welt umfangen.

Müd treibt mich Einsamen ein scheues Bangen
– Schwer ist mein Sinn! –, nach ihr, die mich verließ,
Betränten Auges zu durchstreifen dies
Verwaiste Tal in schmerzlichem Verlangen.

Wo einst sie lebte, dahin drängt das Herz.
Dort irr ich, von der Liebe umgetrieben,
Ein todeswundes Tier in öder Wüste.

Vergebens! – Nichts, nichts ist zurückgeblieben,
Was meines Suchens blinde Qual versüßte:
Denn jede Spur weist heilig himmelwärts.

Nachdichtung von Leo Graf Lanckoronski. Stuttgart 1956


--
eleonore
welling
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von welling
als Antwort auf eleonore vom 25.03.2009, 07:58:34
Heute ist der 208. Todestag des Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg, den Literaturfreunden besser bekannt unter dem Namen Novalis. Er ist ein Dichter der Frühromantik.

"Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr schlug ihren einförmigen Takt, vor den klappernden Fenstern sauste der Wind; abwechselnd wurde die Stube hell von dem Schimmer des Mondes. Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen. "Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben", sagte er zu sich selbst, "fern ab liegt mir alle Habsucht: aber die blaue Blume sehn ich mich zu erblicken. Sie liegt mir umaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anderes dichten und denken....."

So beginnt sein Roman "Heinrich von Ofterdingen" und in ihm verwendet er zum ersten Mal das zentrale Symbol der Romantik, die blaue Blume, sie steht für Sehnsucht und Liebe, vergleichbar vielleicht mit Goethes "Urpflanze", die er in Italien suchte.

welling
yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf welling vom 25.03.2009, 11:31:16
Dem kann ich noch ein Gedicht hinzufügen und eine Information zum Pseudonym "Novalis".

Für die Veröffentlichung der Fragmentsammlung „Blüthenstaub“ im Athenäum wählte er das Pseudonym Novalis, „welcher Name ein alter Geschlechtsname von mir ist“. (an A. W. Schlegel, Freiberg, 24.2.1798). Seine Vorfahren hatten sich erst nach einem Gut Großenrode oder ‘magna Novalis’ bei Nörten „Von Rode“ oder „de Novali“ genannt. Später gab sich die Familie dann den Namen „von Hardenberg“ nach der Burg nahe Nörten.


Alle Menschen seh ich leben...

Alle Menschen seh ich leben
Viele leicht vorüberschweben
Wenig mühsam vorwärtsstreben
Doch nur Einem ists gegeben
Leichtes Streben, schwebend leben.

Wahrlich der Genuß ziemt Toren
In der Zeit sind sie verloren,
Gleichen ganz den Ephemeren.
In dem Streit mit Sturm und Wogen
Wird der Weise fortgezogen
Kämpft um niemals aufzuhören
Und so wird die Zeit betrogen
Endlich unters Joch gebogen
Muß des Weisen Macht vermehren.

Ruh ist Göttern nur gegeben
Ihnen ziemt der Überfluß
Doch für uns ist Handeln Leben
Macht zu üben nur Genuß.

Novalis
(1772-1801)
--
yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 25.03.2009, 11:53:12
Maximilian Bern ist hat zwar nicht viele Gedichte veröffentlicht aber eines gefällt mir so gut, daß ich es hier einstellen möchte.

Kritik der Weltschöpfung

Wenn ich der liebe Herrgott wär´,
dann würde ich mich schämen
und diese Welt verbessert neu
zu schaffen mich bequemen.

Denn wahrlich, recht mißlungen scheint
sie mir in manchen Teile,
was mich durchaus nicht wundernimmt,
denk´ich der großen Eile,

in der Gott dies, sein Erstlingswerk,
vollbracht in nur sechs Tagen,
anstatt mit seiner Schöpfung sich
noch manches Jahr zu plagen. -

Das Weiterschaffen ist wohl schwer!
Drum, wenn ich´s recht betrachte,
muss ich gesteh´n, dass einzelnes
Gott nicht so übel machte.

Zu früh nur fand er alles gut
mit selbstgefäll´ger Miene.
Nicht leugnen lässt sich sein Talent,
ihm fehlte bloß Routine.

Maximilian Bern
(1849-1923)

--
yankee

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