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Literatur Vergessene Dichter und Gedichte

yankee
yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf enigma vom 13.03.2009, 07:03:18
Hallo enigma,

Louise Aston war eine ganz schön radikale Kämpferin für die Emanzipation. Das reichte bis zur Verbannung aus Berlin und Aberkennung des Sorgerechts für ihr Kind. Die Frau hat lt. Biografie ein ziemlich bewegtes und aufregendes Leben gelebt. Sie hat sich auch mit Ihrer Religion auseinander gesetzt. In dem Gedicht Kerkerphantasie rechnet sie mit dem christlichen Glauben ab. Sie hat übrigens auch ein Gedicht an Georg Sand geschrieben. Ich füge unten noch einen link zu ihrer Biografie ein.

Kerker-Phantasie

Es liegt vor mir das Wort des Herrn,
Die Bibel, aufgeschlagen;
Daraus gemahnt mich, bleich und fern,
Der Geist von alten Tagen.
Du hast Erlösung prophezeit!
Erlösung bringst du nicht -
Und die verheiß'ne Seligkeit
Ist nur ein Traumgesicht!

Mich starrt es an, das Wort des Herrn,
Das nie mir Trost gewährte.
Mir strahlte nie der gold'ne Stern,
Der Bethlehem verklärte.
Mich mahnt's unheimlich, graunerfüllt,
Und bringt den Tod mir nah',
Das schmerzentstellte Götterbild,
Das Kreuz auf Golgatha!

Der Kreuzestod, die Grabesnacht,
Die finstern Bilder alle;
Die Angst, die bang und betend wacht,
Vor neuem Sündenfalle;
Die Buße, die sich selbst kasteit,
Des Himmels Strafgericht!
O, meines Kerkers Einsamkeit
Begrüßt kein rettend Licht!

Das Kreuz - ich fühle seine Last,
Wie ein dämonisch Walten -
Von seiner Macht bin ich erfaßt,
Unrettbar festgehalten.
Es bindet mich für Ewigkeit
Der Weihe heil'ger Spruch,
Und namenlosem Schmerz geweiht
Hat mich dies Himmelsbuch!

» Er sei Dein Herr !« das Wort besteht,
Wie es von je bestanden!
Weil ich dies Herrenthum geschmäht,
Seufz' ich in schweren Banden.
Doch meine Seele bleibe frei
Trotz Fesseln und Gefängniß,
Und trage in der Sklaverei
Bewußt ein groß' Verhängniß!

Louise Aston


--
yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 13.03.2009, 10:12:22
Noch eine Dichterin, die mich schon aufgrund ihres Alters sehr beeindruckt hat. In Russland gelebt und gestorben mit 17 Jahren. Ein trauriges Schicksal einer jungen hoch gebildeten Frau die schon mit 17 Jahren viele Sprachen beherrschte. Elisabeth Kulmann

Die letzten Blumen starben

Die letzten Blumen starben!
Längst sank die Königin
Der warmen Sommermonde,
Die holde Rose hin!

Du, hehre Georgine,
Erhebst nicht mehr dein Haupt!
Selbst meine hohe Pappel
Sah ich schon halb entlaubt.

Bin ich doch weder Pappel,
Noch Rose, zart und schlank;
Warum soll ich nicht sinken,
Da selbst die Rose sank?

--
yankee
marianne
marianne
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von marianne
als Antwort auf yankee vom 13.03.2009, 10:34:13
Johannes Bobrowski,
1917 - 1965



"Die Sarmatische Ebene

Seele, / voll Dunkel, spät - / der Tag mit geöffneten / Pulsen, Bläue - / die Ebene singt.

Wer, / ihr wogendes Lied, / spricht es nach, an die Küste / gebannt, ihr Lied: / Meer, nach den Stürmen, / ihr Lied - -

Aber / sie hören dich ja, / lauschen hinaus, die Städte, / weiß und von altem Getön / leise, an Ufern. Deine / Lüfte, ein schwerer Geruch, / wie Sand / auf sie zu.

Und / die Dörfer sind dein. / Dir am Grunde grünend, / mit Wegen, / schmal, zerstoßenes Glas / aus Tränen, an die Brandstatt / gelegt deiner Sommer: / die Aschenspur,

da das Vieh geht / weich, vor dem Dunkel, / atmend. Und ein Kind / folgt ihm / pfeifend, es ruft / von den Zäunen / die Greisin ihm nach.

- - -

Ebene, / riesiger Schlaf, / riesig von Träumen, dein Himmel / weit, ein Glockentor, / in der Wölbung die Lerchen, / hoch -

Ströme an deinen Hüften / hin, die feuchten / Schatten der Wälder, unzählig / das helle Gefild,

da die Völker geschritten / auf Straßen der Vögel / im frühen / Jahr ihre endlose Zeit,

die du bewahrst / aus Dunkel. Ich seh dich: / die schwere Schönheit / des ungesichtigen Tonhaupts / - Ischtar oder anderen Namens -, / gefunden im Schlamm."

(27.05.1956)


Unser Lyriker-Freund freute sich vor ein paar Jahren, die Witwe Bobrowskis
anzutreffen..... ob diese heute noch lebt, weiss ich nicht.

Grüße von Marianne

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enigma
enigma
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von enigma
als Antwort auf marianne vom 13.03.2009, 18:00:45
Hallo Marianne,

von Bobrowski gefällt mir vieles, was er geschrieben hat, besonders auch sein Gedicht "Kindheit" hier zu lesen.
Für mich hat er eine wunderbare Sprache.

Gruß
--
enigma
yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf enigma vom 13.03.2009, 19:12:29
Bobrowski kenne ich noch nicht. Muss ich mich mal näher mit befassen.
Ich bin nur etwas vorsichtig mit Dichtern, die noch keine 70 Jahre tot sind. Aber verlinken ist ja erlaubt.

Von Anna Ritter gibt es auch viele Gedichte wovon ich dieses sehr gerne mag. Einen link habe ich angefügt.

Ich will den Sturm!


Ich will den Sturm, der mit den Riesenfäusten
Vom Boden der Alltäglichkeit mich reißt
Und mich hinauf in jene Höhen schleudert,
Wo erst das Leben wahrhaft Leben heißt!

Ich will den Sturm, der mit gewaltgem Athem
Zur lichten Gluth die stillen Funken schürt
Und, alle Kräfte dieser Brust entfesselnd,
Zum Siege oder zur Vernichtung führt!

Laß mich nicht sterben, Gott, eh meine Seele
Ein einzig Mal in Siegeslust gebebt -
Ich kann nicht ruhig in der Erde schlafen,
Eh ich nicht einmal, einmal ganz gelebt!

Anna Ritter
(1865-1921)
--
yankee
welling
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von welling
als Antwort auf yankee vom 14.03.2009, 01:24:59
Heute ist der 329. Todestag des französischen Schriftstellers und philosophischen Aphoristikers La Rochefoucauld (Aphorismus = philosophischer Gedankensplitter, Sinnspruch, Bonmot).

"Alle Fehler, die man hat, sind verzeihlicher als die Mittel, die man anwendet, um sie zu verbergen."

Diesen Aphorismus und viele andere findet ihr im Link.

Gruß

welling

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yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf welling vom 17.03.2009, 15:31:32
Danke für den Hinweis, welling.
Dieses Zitat von François de La Rochefoucauld ist mir besonders aufgefallen. Es würde sich gut als Leitmotto für den ST eignen )

"Die wahre Beredsamkeit besteht darin, das zu sagen, was zur Sache gehört, und eben nur das."
--
yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 17.03.2009, 15:58:21
Habe hier noch einen Dichter gefunden, der mir auch nicht so bekannt war. Sein Gedicht vom Lenz passt aber gerade so schön zu unserer Jahreszeit und Witterung.

Der holde Lenz vergißt uns nicht

Gedicht von Alois Josef Ruckert

Vorm Fenster bebt ein kahler Baum
In brausendem Nordweste,
Da plötzlich singt als wie im Traum
Ein Vöglein im Geäste.
Sein schwacher, müder Flügelschlag
Trug´s nicht zur Heimatgrenze,
Voll Sehnsucht, nun es singen mag
Vom süßen, fernen Lenze.

Verödet liegen Berg und Tal
Vom Winterfrost bezwungen,
Seit Wochen hat sein Sonnenstrahl
Aus Wolken sich gerungen.
Und als sein Lied das Vöglein sang
In hoffendem Vertrauen,
Ein Sonnstrahl warm und golden drang
hervor aus Wolkengrauen.

Will Ränkesucht der Dornen schnöd´,
Auf deine Pfade streuen;
Ist´s dir im Herzen kalt und öd
Und will dich nicht´s erfreuen:
Dann denk nur an das Vögelein,
Das traumverwirrt gelungen -
Daß langverhüllter Sonnenschein
Durch Wolken sich gerungen.

s´ ist seine Trauer tief genug,
Daß sie nicht Trost empfinde;
So groß sein Schmerz, den´s Schicksal schlug,
Daß er nicht Lind´rung finde.
Die Sonn, durch graue Wolken bricht,
Mag auch der Winter wüten;
Der holde Lenz vergißt uns nicht -
Er kommt mit Sang und Blüten.

(1846-1916)
--
yankee
Britt
Britt
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von Britt
als Antwort auf yankee vom 17.03.2009, 16:11:45
Auf der Suche nach einem passenden Gedicht bin ich
bei diesem hängen geblieben. Leider nicht passend,
mir kommt es unbekannt vor.
Es hat mich gerührt,
den Vater Joseph Freiherr von Eichendorff
so gefühlvoll zu lesen.



Zum Abschied meiner Tochter

Der Herbstwind schüttelt die Linde,
wie geht die Zeit so geschwinde!
Halte dein Kindlein warm!
Der Sommer ist hingefahren,
da wir zusammen waren -
ach, die sich lieben, wie arm!

Wie arm, die sich lieben und scheiden!
Das haben erfahren wir beiden,
mir graut vor dem stillen Haus.
Dein Tüchlein noch läßt du wehen,
ich kann's vor Tränen kaum sehen,
schau still in die Gasse hinaus.

Die Gassen schauen noch nächtig,
es rasselt der Wagen bedächtig -
nun plötzlich rascher der Trott,
durchs Tor in die Stille der Felder,
da grüßen so mutig die Wälder;
lieb Töchterlein, fahre mit Gott.

Joseph Freiherr von Eichendorf
(1788 - 1857)

--
britt
yankee
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Re: Nicht vergessen :
geschrieben von yankee
als Antwort auf Britt vom 17.03.2009, 17:44:28
@britt
Das Thema heisst ja auch vergessene Gedichte und nicht nur Dichter. Auch von so grossen und bekannten Dichtern wie Eichendorf, gibt es Gedichte die nur sehr selten gelesen werden. Dasselbe kann man auch von Theodor Storm sagen. Natürlich kennt jeder sein Gedicht Knecht Ruprecht aber er hat soviele wunderschöne Verse geschrieben, die längst nicht alle besonders bekannt sind. Insbesondere nach dem Tod seiner ersten Frau, als er mit sieben Kindern allein blieb, hat er seine Trauer in Gedichten verarbeitet.

Lebwohl!

Lebwohl, lebwohl! Ich ruf es in die Leere;
Nicht zögernd sprech ich’s aus in deinem Arm,
Kein pochend Herz, keine Auge tränenwarm,
Kein bittend Wort, daß ich dir wiederkehre.
Lebwohl, lebwohl! Dem Sturme ruf ich’s zu,
Daß er den Gruß verwehe und verschlinge.
Es fände doch das arme Wort nicht Ruh -
Mir fehlt das Herz, das liebend es empfinge.

Als noch dein Lächeln ging durch meine Stunden,
Da kam’s mir oft: »Wach auf! es ist ein Traum!«
Nicht fassen konnt ich’s - jetzo faß ich’s kaum,
Daß ich erwacht und daß ein Traum verschwunden.
Lebwohl, lebwohl! Es ist ein letztes Wort,
Kein teurer Mund wird mir ein andres geben.
Verweht ist alles, alle Lust ist fort -
»Die kurze Lieb, ach, war das ganze Leben!«

Mög deinen Weg ein milder Gott geleiten!
Fernab von mir ist nah vielleicht dein Glück.
Ins volle Leben du - ich bleib zurück
Und lebe still in den verlaßnen Zeiten.
Doch schlägt mein Herz so laut, so laut für dich,
Und Sehnsucht mißt die Räume der Sekunden -
Lebwohl, lebwohl! An mir erfüllen sich
Die schlimmen Lieder längst vergeßner Stunden.

Theodor Storm

--
yankee

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