Literatur Vergessene Dichter und Gedichte
Oh, ihr Wanderer...!
Für solche Weltschmerz-Idyllik "im Eigenen" gibt es noch viele Exempel, die keine Naturbeobachtung, keine Erkenntnis, keine soziale Wahrnehmung vermitteln. Sondern feine, reine Tröstung bieten (vielleicht bis der Jammer im Trivial-Religiösen endet...). - Eichendorff hat solche Banalpoesie z.B. nicht verbrochen. - Aber lehrreich und ulkig ist solch Gereime schon; wenn man auch noch mitbedenkt, wie gnadenlos z.B. ein Heinz Erhardt solchen Triefsinn verarbeit - äh: veralbert - hat.
- Also Kopf hoch! - und weiter mit dem Schatzkästlein der Haus-, Heim- und Einsamkeits- und Busen-Trostpoesie!
Johann Gabriel Seidl (1804-1875)
Der Wanderer an den Mond
Auf Erden - ich, am Himmel - du 1]
Wir wandern beide rüstig zu:
Ich ernst und trüb, du hell²] und rein,
Was mag der Unterschied wohl sein?
Ich wandre fremd von Land zu Land,
So heimatlos, so unbekannt;
Berg auf, Berg ab, Wald ein, Wald aus,
Doch bin ich nirgend, ach! zu Haus.
Du aber wanderst auf und ab
Aus Ostens Wieg' in Westens Grab,
Wallst Länder ein und Länder aus,
Und bist doch, wo du bist, zu Haus.
Der Himmel, endlos ausgespannt,
Ist dein geliebtes Heimatland;
O glücklich, wer, wohin er geht,
Doch auf der Heimat Boden steht!
*
Textveränderungen bei Schubert:
1 "Ich auf der Erd', am Himmel du,"
2 "mild"
--
longtime
Für solche Weltschmerz-Idyllik "im Eigenen" gibt es noch viele Exempel, die keine Naturbeobachtung, keine Erkenntnis, keine soziale Wahrnehmung vermitteln. Sondern feine, reine Tröstung bieten (vielleicht bis der Jammer im Trivial-Religiösen endet...). - Eichendorff hat solche Banalpoesie z.B. nicht verbrochen. - Aber lehrreich und ulkig ist solch Gereime schon; wenn man auch noch mitbedenkt, wie gnadenlos z.B. ein Heinz Erhardt solchen Triefsinn verarbeit - äh: veralbert - hat.
- Also Kopf hoch! - und weiter mit dem Schatzkästlein der Haus-, Heim- und Einsamkeits- und Busen-Trostpoesie!
Johann Gabriel Seidl (1804-1875)
Der Wanderer an den Mond
Auf Erden - ich, am Himmel - du 1]
Wir wandern beide rüstig zu:
Ich ernst und trüb, du hell²] und rein,
Was mag der Unterschied wohl sein?
Ich wandre fremd von Land zu Land,
So heimatlos, so unbekannt;
Berg auf, Berg ab, Wald ein, Wald aus,
Doch bin ich nirgend, ach! zu Haus.
Du aber wanderst auf und ab
Aus Ostens Wieg' in Westens Grab,
Wallst Länder ein und Länder aus,
Und bist doch, wo du bist, zu Haus.
Der Himmel, endlos ausgespannt,
Ist dein geliebtes Heimatland;
O glücklich, wer, wohin er geht,
Doch auf der Heimat Boden steht!
*
Textveränderungen bei Schubert:
1 "Ich auf der Erd', am Himmel du,"
2 "mild"
--
longtime
Ein Gegenstück zu solchen Erinnerungen, die ja auch sein müssen, bevor die Demenz alles banalundkurzundkleinundzwanghaft macht.
Denn auch solch ein Rilke ist vergessene Poesie. Wer mag das schon lehren, zum Lernen aufgeben oder sich in sein Poesie-Album schreiben?
Rainer Maria Rilke: [Ohne Titel]
Wandelt sich rasch auch die Welt
wie Wolkengestalten,
alles Vollendete fällt
heim zum Uralten.
Über dem Wandel und Gang,
weiter und freier,
währt noch dein Vor-Gesang,
Gott mit der Leier.
Nicht sind die Leiden erkannt,
nicht ist die Liebe gelernt,
und was im Tod uns entfernt,
ist nicht entschleiert.
Einzig das Lied überm Land
heiligt und feiert.
--
longtime
Denn auch solch ein Rilke ist vergessene Poesie. Wer mag das schon lehren, zum Lernen aufgeben oder sich in sein Poesie-Album schreiben?
Rainer Maria Rilke: [Ohne Titel]
Wandelt sich rasch auch die Welt
wie Wolkengestalten,
alles Vollendete fällt
heim zum Uralten.
Über dem Wandel und Gang,
weiter und freier,
währt noch dein Vor-Gesang,
Gott mit der Leier.
Nicht sind die Leiden erkannt,
nicht ist die Liebe gelernt,
und was im Tod uns entfernt,
ist nicht entschleiert.
Einzig das Lied überm Land
heiligt und feiert.
--
longtime
Oscar Blumenthal kannte ich bisher auch nicht.
Der Mond an gewisse Sänger
Hört auf, ihr Dichter! Stellt es ein,
Dies aberwitz´ge Verse-Lallen!
Denn fahrt ihr fort mit euren Reimerei´n-
Ich schwör es euch bei meinem Schein!-
So werd´ich schließlich aus den Wolken fallen!
Oskar Blumenthal
Oscar Blumenthal
--
enigma
Der Mond an gewisse Sänger
Hört auf, ihr Dichter! Stellt es ein,
Dies aberwitz´ge Verse-Lallen!
Denn fahrt ihr fort mit euren Reimerei´n-
Ich schwör es euch bei meinem Schein!-
So werd´ich schließlich aus den Wolken fallen!
Oskar Blumenthal
Oscar Blumenthal
--
enigma
Re: Vergessene Dichter und Gedichte
Sie haben alles vorweggenommen,
die besten Gedanken, das kühnste Wort.
Rächt euch an denen, die nach euch kommen
und spielt den Enkeln denselben Tort.
- Paul Heyse -
--
M.
die besten Gedanken, das kühnste Wort.
Rächt euch an denen, die nach euch kommen
und spielt den Enkeln denselben Tort.
- Paul Heyse -
--
M.
Re: Vergessene Dichter und Gedichte
Gelöscht, da doppelt -
--
M.
--
M.
Na ja lieber longtime, was du so abfällig als Banalpoesie betitelst, ist sicher auch eine Frage des Blickwinkels. Aus heutiger Zeit mit heutiger Sprache erscheinen uns bestimmte Texte und Wortwahlen als naiv, einfach oder ideenlos. Die Sprache des Volkes in der damaligen Zeit war aber auch eine andere. Und wenn sich jemand an das Volk oder bestimmte Teile des Volkes mit seinen Worten wandte, dann wählte er/sie doch deren Sprache. Zumindest erkläre ich mir diese Unterschiede so.
Selbst im 20.ten Jahrhundert wurde eine Mascha Kaleko lange nicht als begabte Dichterin angesehen weil sie die Dinge einfach und unkompliziert aussprach. Heute wird das wieder ganz anders beurteilt.
Ich finde es jedenfalls toll, daß es auch die "einfachen" Texte und Reime gibt. Gerade die bleiben meist im Kopf und werden weiter gegeben. Ich denke da auch an Wilhelm Busch.
Jedenfalls habe ich auf diesen 3 Seiten schon viele Dichter und Gedichte kennen gelernt, von denen ich noch nie gehört habe. Dafür jetzt schon recht herzlichen Dank an alle. Ich hoffe es kommen noch weitere Beispiele, dann wird dieser Thread eine wertvolle Fundgrube
--
yankee
Selbst im 20.ten Jahrhundert wurde eine Mascha Kaleko lange nicht als begabte Dichterin angesehen weil sie die Dinge einfach und unkompliziert aussprach. Heute wird das wieder ganz anders beurteilt.
Ich finde es jedenfalls toll, daß es auch die "einfachen" Texte und Reime gibt. Gerade die bleiben meist im Kopf und werden weiter gegeben. Ich denke da auch an Wilhelm Busch.
Jedenfalls habe ich auf diesen 3 Seiten schon viele Dichter und Gedichte kennen gelernt, von denen ich noch nie gehört habe. Dafür jetzt schon recht herzlichen Dank an alle. Ich hoffe es kommen noch weitere Beispiele, dann wird dieser Thread eine wertvolle Fundgrube
--
yankee
A little Madness in the Spring
Is wholesome even for the King,
But God be with the Clown --
Who ponders this tremendous scene
This whole Experiment of Green
As if it were his own!
Emily Dickinson
Ein leichter Frühlingswahn tut
Sogar dem König selber gut
Doch Gott gewährt dem Clown,
Die ungeheuren Szenerien,
Das ganze Probespiel im Grün
Als eignes Werk zu schaun!
(Übersetzt von erner Söllner)
Emily Dickinson
--
eleonore
Is wholesome even for the King,
But God be with the Clown --
Who ponders this tremendous scene
This whole Experiment of Green
As if it were his own!
Emily Dickinson
Ein leichter Frühlingswahn tut
Sogar dem König selber gut
Doch Gott gewährt dem Clown,
Die ungeheuren Szenerien,
Das ganze Probespiel im Grün
Als eignes Werk zu schaun!
(Übersetzt von erner Söllner)
Emily Dickinson
--
eleonore
Als der angehende Dichter Itzik Manger in einer Bukarester Kneipe den letzten Überlebenden einer Gruppe fahrender jiddischer Sänger hörte, beschloss er, einer von ihnen zu werden. Aus ihren Volksliedern wob Manger, der vergessene jiddische Troubadour, der 1969 in Israel starb, seine Balladen und Gedichte.
Abendlied
Stiller Abend. Dunkelgold.
Ich sitz beim Gläschen Wein.
Was ist geworden aus meinen Tagen?
Ein Schatten und ein Schein -
ein Augenblick von Dunkelgold
soll in mein Lied hinein.
(Itzig Manger)
--
yankee
Abendlied
Stiller Abend. Dunkelgold.
Ich sitz beim Gläschen Wein.
Was ist geworden aus meinen Tagen?
Ein Schatten und ein Schein -
ein Augenblick von Dunkelgold
soll in mein Lied hinein.
(Itzig Manger)
--
yankee
Einfach schön die alten Gedichte, da werden Erinnerungen aus der Schulzeit wach. Mir fällt ein Gedicht von Rilke ein.
Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.
Perlchen grüßt euch.
--
perlchen74
Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.
Perlchen grüßt euch.
--
perlchen74
Hedwig Lachmann, ist sie heute noch bekannt oder auch vergessen, obwohl in den Neunziger Jahren Biografien über sie erschienen sind?
Ich weiß es nicht, welchen Bekanntheitsgrad sie heute noch hat?
Jedenfalls möchte ich ein Gedicht von ihr einstellen.
"Unterwegs
Ich wandre in der großen Stadt. Ein trüber
Herbstnebelschleier flattert um die Zinnen,
Das Tagwerk schwirrt und braust vor meinen Sinnen,
Und tausend Menschen gehn an mir vorüber.
Ich kenn sie nicht. Wer sind die Vielen? Tragen
Sie in der Brust ein Los wie meins? Und blutet
Ihr Herz vielleicht, von mir so unvermutet,
Als ihnen fremd ist meines Herzens Schlagen?
Der Nebel tropft. Wir alle wandern, wandern.
Von dir zu mir erhellt kein Blitz die Tiefen.
Und wenn wir uns das Wort entgegenriefen-
Es stirbt im Wind und keiner weiß vom andern."
Hedwig Lachmann
Ich finde, dass auch ihre Leistungen als Literatur-Übersetzerin sich sehen lassen können.
Hedwig Lachmann
enigma
Ich weiß es nicht, welchen Bekanntheitsgrad sie heute noch hat?
Jedenfalls möchte ich ein Gedicht von ihr einstellen.
"Unterwegs
Ich wandre in der großen Stadt. Ein trüber
Herbstnebelschleier flattert um die Zinnen,
Das Tagwerk schwirrt und braust vor meinen Sinnen,
Und tausend Menschen gehn an mir vorüber.
Ich kenn sie nicht. Wer sind die Vielen? Tragen
Sie in der Brust ein Los wie meins? Und blutet
Ihr Herz vielleicht, von mir so unvermutet,
Als ihnen fremd ist meines Herzens Schlagen?
Der Nebel tropft. Wir alle wandern, wandern.
Von dir zu mir erhellt kein Blitz die Tiefen.
Und wenn wir uns das Wort entgegenriefen-
Es stirbt im Wind und keiner weiß vom andern."
Hedwig Lachmann
Ich finde, dass auch ihre Leistungen als Literatur-Übersetzerin sich sehen lassen können.
Hedwig Lachmann
enigma