Literatur Thema "Brot"

Re: Thema
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Medea vom 05.06.2007, 16:01:36
Danke für die vielen schönen Texte, besonders auch die eigenen Erfahrungen...

*

Hinwiesen möchte ich auf eine selten schöne Geschichte von 'mulde', hier aus dem ST, über "Amerikaner" oder "Ammonplätzchen":

Wegen des Begriffs habe ich nachgekuckt, da ich nur "Amerikaner" kannte:

http://de.wikipedia.org/wiki/Amerikaner_(Gebäck)

Gruß & Dank!
--
elfenbein
enigma
enigma
Mitglied

Re: Thema
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 05.06.2007, 16:21:20
Jung gewohnt, alt getan

Die Schenke dröhnt, und an dem langen Tisch
Ragt Kopf an Kopf verkommener Gesellen;
Man pfeift, man lacht; Geschrei, Fluch und Gezisch
Ertönte an des Trankes trüben Wellen.

In dieser Wüste glänzt' ein weisses Brot,
Sah man es an, so ward dem Herzen besser;
Sie drehten eifrig draus ein schwarzes Schrot
Und wischten dran die blinden Schenkemesser.

Doch einem, der da mit den andern schrie,
Fiel untern Tisch des Brots ein kleiner Bissen;
Schnell fuhr er nieder, wo sich Knie an Knie
Gebogen drängte in den Finsternissen.

Dort sucht' er selbstvergessen nach dem Brot,
Doch da begann's rings um ihn zu rumoren,
Sie brachten mit den Füssen ihn in Not
Und schrien erbost: "Was, Kerl, hast du verloren?"

Errötend taucht' er aus dem dunklen Graus
Und barg es in des Tuches grauen Falten.
Er sann und sah sein ehrlich Vaterhaus
Und einer treuen Mutter häuslich Walten.

Nach Jahren aber sass derselbe Mann
Bei Herrn und Damen an der Tafelrunde,
Wo Sonnenlicht das Silber überspann
Und in gewählten Reden floh die Stunde.

Auch hier lag Brot, weiss wie der Wirtin Hand,
Wohlschmeckend in dem Dufte guter Sitten;
Er selber hielt's nun fest und mit Verstand,
Doch einem Fräulein war ein Stück entglitten.

"O lassen Sie es liegen!" sagt sie schnell;
Zu spät, schon ist er untern Tisch gefahren
Und späht und sucht, der närrische Gesell,
Wo kleine seidne Füsschen stehn zu Paaren.

Die Herren lächeln und die Damen ziehn
Die Sessel scheu zurück vor dem Beginnen;
Er taucht empor und legt das Brötchen hin,
Errötend hin auf das damastne Linnen.

"Zu artig, Herr!" dankt ihm das schöne Kind,
Indem sie spöttisch lächelnd sich verneigte;
Er aber sagte höflich und gelind,
Indem er sich gar sittsam tief verbeugte:

"Wohl einer Frau galt meine Artigkeit,
Doch Ihnen diesmal nicht, verehrte Dame!
Es galt der Mutter, die vor langer Zeit
Entschlafen ist in Leid und bittrem Grame."

Gottfried Keller


--
enigma
Re: Thema
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf enigma vom 06.06.2007, 07:36:11
... Bucheckern sammeln, um daraus irgendetwas Essbares zu machen ...?

Ob dieser junge Pastor zugehört hat, als seine Oma irgendwas von Bucheckern erzählte...?

"Unser täglich Brot"
(Kirche im wdr 3 - 20.06.07, 7.50 Uhr; von Pfarrer Ralph Frieling. Münster)

Text der Ansprache:

Liebe Hörerinnen und Hörer, guten Morgen! Unser tägliches Brot gib uns heute, heißt es im Vater Unser.

Nun ist es ja nicht so, als ob uns das tägliche Brot oder Brötchen fehlen würde. Zu essen haben wir genug. Die Zeiten der Not und des Hungers sind Geschichte. Die älteren und auch meine Großmutter haben sie erlebt.

Ich habe sie noch im Ohr, Omas Erzählungen, wie sie im Krieg Bucheckern sammeln ging, um daraus irgendetwas Essbares zu machen. Ich, das Kind, schaute sie groß an. Bucheckern? Einer, der nie hungern musste, kann es nicht nachvollziehen, wie das ist, beim Kochen mit dem wenigen improvisieren zu müssen, damit alle halbwegs satt werden. Lebensmittel weg zu schmeißen oder im Restaurant nicht auf zu essen - das kam für die Großmutter nicht in die Tüte. Ganz einfach aus dem Grund, weil sie es am eigenen Leib erfahren hatte, wie kostbar Lebensmittel waren, früher.
Solche Hunger-Geschichten von damals kursieren in den meisten Familien, und meistens rollen die Jungen dann irgendwann mit den Augen. "Ist ja gut, Oma!" - Unser täglich Brot gib uns heute: das war für meine Oma eine ernst gemeinte Bitte, damals.
Und heute: Wir leben im Überfluss, haben Brot satt und Kuchen und alles, was das Herz begehrt. Trotzdem ist die Bitte ums tägliche Brot heute so notwendig wie eh und je. Denn wenn ich über diesen so oft nur dahingemurmelten Satz im Vater Unser nachdenke, dann lehrt er mich Achtsamkeit. Das tägliche Essen ist kostbar. Wie gut es schmecken kann, das Brot. Wie wertvoll das Essen ist oder vielmehr sein sollte. Das Problem bei uns ist nicht der Hunger, sondern unser verschwenderischer Umgang mit der Nahrung.

Den Wert des Essens zu entdecken, das ist uns abhanden gekommen, weitgehend. Das Essen wird hinein gestopft, billig soll es sein und billig wird es produziert. Die Tropenwälder werden gerodet, damit dort genug Futterpflanzen wachsen für die die Rinder in Europa. Die Tiere werden wie Industrieprodukte behandelt und verwertet. Die Gülle versickert im Grundwasser.
Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, was wir kaufen, ist nicht nur eine Privatsache. Es geht nicht nur darum, ob ich mit meinen Essgewohnheiten dick werde oder krank. Auch die Umwelt und die Natur werden in Mitleidenschaft gezogen und Angestellte in der Dritten Welt und bei uns, die die Lebensmittel zum Discount-Preis herstellen sollen. Das Essen macht uns nicht nur satt. Es ist auch eine Einstellungssache, wie wir uns ernähren.
Und wie lässt sich die Freude an den Lebensmitteln hoch halten? "Erachte den Reis für so kostbar wie dein Augenlicht und behandle ihn so", sagt der amerikanische Koch und Zenmeister Edward Brown in dem neuen Kinofilm "How to cook your life", "Wie du dein Leben kochst". Gutes, einfaches Essen hat viel mit unserem Leben zu tun.

Unser tägliches Brot gib uns heute: Mit diesem Satz verbinde ich die Bitte: Lass uns achtsam mit dem Essen umgehen. Lass uns den Wert des Essens entdecken und schmecken. Lass uns dir danken, Gott.

*

Ja, ich habe im Herbst 1948 Bucheckern gesammelt, mit Eltern und sechs Geschwistern.

Von einer sonntäglichen Sammelarbeit, von mittags bis zum frühen Einbruch der Dunkelheit, hat Mutter - nachdem sie das Säckchen zur Ölmühle gab - keine volle Flasche Öl erhalten.
Da hat sie uns erklärt, dass wir nie mehr Bucheckern sammeln gehen müssen.

Mit jeder Schnitt Brot gingen wird sorgsam um...

Ich finde diese pastorale Morgenandacht banal - mit viel gutgemeinten Plastik-Wörtern. Die meisten Beispiele stimmen ja; sind aber leere Rhetorik, da keine Praxis, keine Veränderung angedeutet, nichts vermittelt wird.

"Augen" als Lebenslicht und "Reis" einfach gleichzusetzen, vermittelt keine Lebenserfahrung, sondern unsinnige Zenmeister-Rührigkeit.
*
Dieses Manuskript abzulesen, dazu brauchte der Pastor keinen Reis, sondern seine Augen.

--
elfenbein

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enigma
enigma
Mitglied

Re: Thema
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 19.06.2007, 06:41:10
Auch das folgende Gedicht war Eröffnung einer Predigt.
Mir gefällt es, weil es so einfach und reduziert auf das Wesentliche ist; so wirkt es jedenfalls auf mich:

„Fast ein Gebet“

Wir haben ein Dach
und Brot im Fach
und Wasser im Haus,
da hält man’s aus.

Und wir haben es warm
Und haben ein Bett.
O Gott, daß doch jeder
Das alles hätt’!

Reiner Kunze
(aus: Gedichte, Frankfurt/M 2001, 320):


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enigma
Re: Thema
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf enigma vom 19.06.2007, 13:41:24
Schöne Beiträge...! Danke!

Ich habe wieder was Wortgeschichtliches:

"Brot und Spiele":

"Brot und Spiele" -Titel eines Romans von Siegfried Lenz.

"Brot und Spiele" - so heißt auch eine Theatergruppe.
"Brot & Spiele" ist der Name der Römerspiele in Trier.

"Panem et circenses". Genau verdeutscht: «Brot und Wagenrennen.» Aus Juvenals Satiren 10,81.

Der römische Satiriker klagt: über die verlorene Selbstachtung des einst so stolzen Volkes.

Im Vers 78ff. "Nam (ergänze: populus) qui dabat olim / Imperium, fasces, legiones, omnia, nunc se / continet atque duas tantum res anxius optat: / panem et circenses."

Deutsch: «Denn (das Volk), das einst den Oberbefehl die Rutenbündel, die Legionen, (überhaupt) alles zu verleihe« gewohnt war, bescheidet sich nun und wünscht sich ängstlich nur noch diese beiden Dinge: Brot und Wagenrennen».

Die verbilligte oder sogar kostenlose Verteilung von Getreide und die spektakulären Wagenrennen im langgestreckten Circus Maximus waren - wie auch die Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen in den Amphitheatern - seit der späten römischen Republik gebräuchliche Mittel, die Bedürfnisse der großen Masse zu befriedigen und den Beifall der hauptstädtischen Bevölkerung zu gewinnen.

Fronto (Principia historiae 18, S. 199f.) bemerkt später, Kaiser Trajan habe diesen Massenspektakeln der Schauspiele jeweils besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da er wußte, «daß das römische Volk sich vornehmlich von zwei Dingen, dem Getreide und den Schauspielen, im Bann halten lasse» (populum Romanum duabus praecipue rebus, annona et spectaculis, teneri).

Diese wirkungsvolle Wortverbindung von «Getreide» und «Schauspielen» offenbar ursprünglich auf die Verhältnisse in Alexandria gemünzt gewesen; Juvenals Zeitgenosse Dion von Prusa zitiert in seiner „Rede an die Alexandriner“ (im Kap. 31), ohne Nennung eines Autors ein «altes» Verdikt über die Bürger der ägyptischen Metropole:

«Aber was soll einer zu der großen Masse der Alexandriner sagen, denen man einzig und allein viel Brot vorwerfen muß und das Schauspiel von Wagenrennen, da sie ja sonst an nichts Interesse haben.»

Und nu...?

"Brot und Spiele" heißen heute: "Bier und Arbeit" - "Fußball und Knete" - "Fernsehen und HARTZ IV".

Und wer hier für sich schreibend ergänzen darf - für sich...: Reise & Buch.


--
elfenbein

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