Literatur Thema "Brot"
Thema "Brot"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
"Brot öffnet jeden Mund.“ (Stanislaw Jerzy Lec)
„Der Geruch des Brotes ist der Duft aller Düfte. Es ist der Urduft unseres irdischen Lebens, der Duft der Harmonie, des Friedens und der Heimat.“ (Jaroslav Seifert, tschech. Schriftsteller)
Wer kennt Geschichten, Lieder, Texte, Märchen - die vom Thema Brot (... Brötchen, Kuchen, Plätzchen... handeln?
--
elfenbein
„Der Geruch des Brotes ist der Duft aller Düfte. Es ist der Urduft unseres irdischen Lebens, der Duft der Harmonie, des Friedens und der Heimat.“ (Jaroslav Seifert, tschech. Schriftsteller)
Wer kennt Geschichten, Lieder, Texte, Märchen - die vom Thema Brot (... Brötchen, Kuchen, Plätzchen... handeln?
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elfenbein
als ich noch klein war, backte meine großmutter selbst brot.
ich sehe noch die geflochtene körbe mit teig, die auf ihren gang zum bäcker warteten.
ja, ein bäcker in stadt, stellte sein backofen 2 mal die woche den bevölkerung zu verfügung.
ich bekam immer ein kleines brot für mich ganz alleine.
auch mein cousin bekam sein kinderbrot, wir rannten bei oma in frühling immer in garten, rupften radieschen raus, und assen unsere butterbrote mit frische,zarte radieschen.
es war kinderglück pur.
so ein gutes brot hab ich seitdem nicht mehr gegessen.
ich weiss, es verklärt sich vieles mit den zeit.............oma lebt nicht mehr, der bäckerei hat platz gemacht für ein hässliches haus.......meine kindheit ist lange vorbei.
jetzt wohne ich in berlin über eine bäckerei, es dugtet nachts um 3, was gemein ist.
diese bäcker hat ein öko-laden, aber sein brot, trotz sauerteig, wird nie so schmecken, wie omas brot, mit den dürftig gewaschene radieschen aus schmutzige kinderhände.
/das sind meine erste gedanken zum brot/
--
eleonore
ich sehe noch die geflochtene körbe mit teig, die auf ihren gang zum bäcker warteten.
ja, ein bäcker in stadt, stellte sein backofen 2 mal die woche den bevölkerung zu verfügung.
ich bekam immer ein kleines brot für mich ganz alleine.
auch mein cousin bekam sein kinderbrot, wir rannten bei oma in frühling immer in garten, rupften radieschen raus, und assen unsere butterbrote mit frische,zarte radieschen.
es war kinderglück pur.
so ein gutes brot hab ich seitdem nicht mehr gegessen.
ich weiss, es verklärt sich vieles mit den zeit.............oma lebt nicht mehr, der bäckerei hat platz gemacht für ein hässliches haus.......meine kindheit ist lange vorbei.
jetzt wohne ich in berlin über eine bäckerei, es dugtet nachts um 3, was gemein ist.
diese bäcker hat ein öko-laden, aber sein brot, trotz sauerteig, wird nie so schmecken, wie omas brot, mit den dürftig gewaschene radieschen aus schmutzige kinderhände.
/das sind meine erste gedanken zum brot/
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eleonore
Sommer 1943 in Niederschlesien.
Wir besuchten die Großeltern und spielten auf der Straße inmitten eines Pulks von Dorfkindern. Dann die Stimme einer Mutter, die ihre Kinder zum Essen rief, und alle rannten wir mit ihren fünf eigenen dorthin. Da stand eine junge, lachende, kräftige Frau vor einem großen Topf mit heißem Schweinefett und buk Berliner, gefüllt mit Erdbeermarmelade und in weißem Zucker gewälzt. Es duftete, diesen wunderbaren Geruch habe ich noch heute in der Nase und welche Kinderhand sich ihr auch entgegenstreckte, es landete ein frischer, warmer Berliner darin. Die Teigschüssel schien unendlich, ähnlich der Ballade vom "getreuen Eckard" in der die gefüllten Bierkrüge nicht versiegen. Sie machte keinen Unterschied zwischen ihrer eigenen Brut und uns anderen und sie lachte und freute sich darüber, mit welchem Heißhunger wir diese Leckerei verschlangen.
Niemals wieder habe solche köstlichen warmen braunen Ballen
bekommen.
Medea.
Wir besuchten die Großeltern und spielten auf der Straße inmitten eines Pulks von Dorfkindern. Dann die Stimme einer Mutter, die ihre Kinder zum Essen rief, und alle rannten wir mit ihren fünf eigenen dorthin. Da stand eine junge, lachende, kräftige Frau vor einem großen Topf mit heißem Schweinefett und buk Berliner, gefüllt mit Erdbeermarmelade und in weißem Zucker gewälzt. Es duftete, diesen wunderbaren Geruch habe ich noch heute in der Nase und welche Kinderhand sich ihr auch entgegenstreckte, es landete ein frischer, warmer Berliner darin. Die Teigschüssel schien unendlich, ähnlich der Ballade vom "getreuen Eckard" in der die gefüllten Bierkrüge nicht versiegen. Sie machte keinen Unterschied zwischen ihrer eigenen Brut und uns anderen und sie lachte und freute sich darüber, mit welchem Heißhunger wir diese Leckerei verschlangen.
Niemals wieder habe solche köstlichen warmen braunen Ballen
bekommen.
Medea.
Ein schönes Thema mit schönen Geschichten, die Ihr eingestellt habt.
Mir fällt eine Geschichte ein, die auch so heißt: "Das Brot"
Sie ist von Borchert.
Nachfolgend der Text:
Wolfgang Borchert:
Das Brot
Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still, und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte: sein Atem fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. Sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts um halb drei. In der Küche.
Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hoch kroch. Und sie sah von dem Teller weg.
«Ich dachte, hier wäre was», sagte er und sah in der Küche umher.
«Ich habe auch was gehört», antwortete sie, und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt.
«Du hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuß auf den kalten Fliesen. Du erkältest dich noch.»
Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren.
«Ich dachte, hier wäre was», sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, «ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wäre was.»
«Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.» Sie stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke.
«Nein, es war wohl nichts», echote er unsicher.
Sie kam ihm zu Hilfe: «Komm man. Das war wohl draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fliesen.»
Er sah zum Fenster hin. «Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier.»
Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen. «Komm man», sagte sie und machte das Licht aus, «das war wohl draußen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer.»
Sie tappten sich beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer. Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden.
«Wind ist ja», meinte er, «Wind war schon die ganze Nacht.»
Als sie im Bett lagen, sagte sie: «Ja. Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.»
«Ja, ich, dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne.» Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre.
Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log. «Es ist kalt», sagte sie und gähnte leise, «ich krieche unter die Decke. Gute Nacht. »
«Nacht», antwortete er und noch: «ja, kalt ist es schon ganz schön.»
Dann war es still. Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und gleichmäßig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief.
Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin. Sonst hatte er immer nur drei essen können.
«Du kannst ruhig vier essen», sagte sie und ging von der Lampe weg. «Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iß du man eine mehr. Ich vertrage es nicht so gut.»
Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte. Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid.
«Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen», sagte er auf seinen Teller.
«Doch. Abends vertrag ich das Brot nicht gut. Iss man. lss man.»
Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.
Quelle: She. Linktipp!
---
Das nenne ich eine Geschichte der Liebe, dass sie ihn schont und ihm die Scham erspart.
--
enigma
Mir fällt eine Geschichte ein, die auch so heißt: "Das Brot"
Sie ist von Borchert.
Nachfolgend der Text:
Wolfgang Borchert:
Das Brot
Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still, und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte: sein Atem fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. Sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts um halb drei. In der Küche.
Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hoch kroch. Und sie sah von dem Teller weg.
«Ich dachte, hier wäre was», sagte er und sah in der Küche umher.
«Ich habe auch was gehört», antwortete sie, und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt.
«Du hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuß auf den kalten Fliesen. Du erkältest dich noch.»
Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren.
«Ich dachte, hier wäre was», sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, «ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wäre was.»
«Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.» Sie stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke.
«Nein, es war wohl nichts», echote er unsicher.
Sie kam ihm zu Hilfe: «Komm man. Das war wohl draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fliesen.»
Er sah zum Fenster hin. «Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier.»
Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen. «Komm man», sagte sie und machte das Licht aus, «das war wohl draußen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer.»
Sie tappten sich beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer. Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden.
«Wind ist ja», meinte er, «Wind war schon die ganze Nacht.»
Als sie im Bett lagen, sagte sie: «Ja. Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.»
«Ja, ich, dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne.» Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre.
Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log. «Es ist kalt», sagte sie und gähnte leise, «ich krieche unter die Decke. Gute Nacht. »
«Nacht», antwortete er und noch: «ja, kalt ist es schon ganz schön.»
Dann war es still. Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und gleichmäßig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief.
Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin. Sonst hatte er immer nur drei essen können.
«Du kannst ruhig vier essen», sagte sie und ging von der Lampe weg. «Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iß du man eine mehr. Ich vertrage es nicht so gut.»
Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte. Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid.
«Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen», sagte er auf seinen Teller.
«Doch. Abends vertrag ich das Brot nicht gut. Iss man. lss man.»
Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.
Quelle: She. Linktipp!
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Das nenne ich eine Geschichte der Liebe, dass sie ihn schont und ihm die Scham erspart.
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enigma
Heinrich Böll:
Der Geschmack des Brotes
Aus dem Keller kam ihm schwüle, säuerliche Luft entgegen; er ging langsam die schleimigen Stufen hinunter und tastete sich in ein gelbliches Dunkel hinein: von irgendwoher tropfte es, das Dach mußte schadhaft oder eine Wasserleitung geplatzt sein; das Wasser vermengte sich mit Staub und Schutt und machte die Stufen glitschig wie den Boden eines Aquariums. Er ging weiter. Aus einer Tür hinten kam Licht, rechts las er im Halbdunkel ein Schild: »Röntgensaal, bitte nicht eintreten«. Er kam dem Licht näher, es war gelb und sanft und er erkannte am Flackern, daß es eine Kerze sein mußte. Im Weitergehen blickte er in dunkle Räume hinein, wo er durcheinandergewirbelte Stühle, Ledersofas und plattgedrückte Schränke erkennen konnte.
Die Tür, aus der das Licht kam, war weit geöffnet. Neben der großen Altarkerze stand eine Nonne in blauem Habit; sie rührte in einer Emaillleschüssel Salat um; die vielen grünen Blättchen waren weißlich gefärbt, und er hörte unten in der Schüssel die Soße leise schwappen. Die breite, rosige Hand der Nonne ließ die Blätter runkreisen, und manchmal fielen kleine Blättchen über den Rand Ihinaus; sie las sie ruhig auf und warf sie wieder hinein. Neben dem Kerzenhalter stand eine große Blechkanne, aus der es flau mach Bouillon roch, nach heißem Wasser, Zwiebeln und irgend einer Würfelmasse.
Er sagte laut: »Guten Abend.«
Die Nonne wandte sich um, ihr breites rosiges Gesicht zeigte Angst, und sie sagte leise: »Mein Gott - was wollen Sie?« Von ihren Händen tropfte die milchige Soße, und an ihren weichen, kindlichen Armen klebten ein paar winzige Salatblättchen. »Mein Gott«, sagte sie, »haben Sie mich erschreckt. Wollen Sie etwas?«
»Ich habe Hunger«, sagte er leise.
Aber er blickte die Nonne schon nicht mehr an: sein Blick war nach rechts; gefallen, in einen offenen Schrank hinein, dessen Tür vom Luftdruck herausgerissen war; der zerfetzte Rest der Sperrholztür hing noch an den Scharnieren, und der Boden war mit abgebröckelten Lackstücken bedeckt. Im Schrank lagen Brote, viele Brote. Sie lagen flüchtig übereinandergestapelt, mehr als ein Dutzend faltig gewordener Brote. Das Wasser schoß ihm ganz schnell in den Mund, er würgte den Schwall hinunter und dachte »Ich werde Brot essen, auf jeden Fall - werde ich Brot essen ...«
Er sah die Nonne an: ihr Kinderblick zeigte Mitleid und Angst. »Hunger?« sagte sie, »Sie haben Hunger?«, blickte fragend auf die Salatschüssel, die Bouillonkanne und den Brotstapel.
»Brot«, sagte er, »bitte Brot.«
Sie ging zum Regal, nahm ein Brot heraus, legte es auf den Tisch und suchte in einer Schublade nach einem Messer.
»Danke«, sagte er leise, »lassen Sie nur, man kann Brot auch brechen ...«
Die Schwester klemmte die Salatschüssel unter den Arm, nahm die Bouillonkanne und ging an ihm vorbei hinaus.
Er brach hastig einen Kanten Brot ab: sein Kinn zitterte, und er spürte, wie die Muskeln seines Mundes und seine Kiefer zuckten. Dann grub er die Zähne in die unebene, weiche Bruchstelle und aß. Er aß Brot. Das Brot war alt, sicher eine Wache alt, trockenes Graubrot mit einer rötlichen Pappemarke von irgendeiner Fabrik. Er grub weiter mit seinen Zähnen, nahm auch die bräunliche lederne Kruste, packte den Laib in seine Hände und brach ein neues Stück ab; mit der Rechten essend, hielt er den Brotlaib mit der linken Hand fest; er aß weiter, setzte sich auf den Rand einer Kiste, und wenn er ein Stück abgebrochen hatte, biß er immer erst im die weiche Bruchstelle, dann spürte er rings um seinen Mund die Berührung des Brotes wie eine trockene Zärtlichkeit, während seine Zähne sich weiter gruben.
*
(Kurzgeschichte. 1955)
*
Hier finde ich alles aus der Nachkriegszeit wieder: ein lädiertes Krankenhaus; die 'Pappmarke' auf dem Brot; der Soldat, die Nonne; den alltäglichen Hunger - und die letzten Zeilen eines so intensiv beschriebenen Kaugenusses, wie ich ihn bei den Schlemmern und Säufern und TV-Köchen unserer denk-satten Medienwelt noch nie wiedergegeben fand. (Dort finde ich nur eitle Parodisten, die am besten Mathias Richling präsentiert.)
"Und gib uns unseren all-täglichen Hunger" wieder - möchte ich als Ergänzung zum 'Vaterunser' fordern (statt der täglich exerzierten Essstörungen).
--
elfenbein
Der Geschmack des Brotes
Aus dem Keller kam ihm schwüle, säuerliche Luft entgegen; er ging langsam die schleimigen Stufen hinunter und tastete sich in ein gelbliches Dunkel hinein: von irgendwoher tropfte es, das Dach mußte schadhaft oder eine Wasserleitung geplatzt sein; das Wasser vermengte sich mit Staub und Schutt und machte die Stufen glitschig wie den Boden eines Aquariums. Er ging weiter. Aus einer Tür hinten kam Licht, rechts las er im Halbdunkel ein Schild: »Röntgensaal, bitte nicht eintreten«. Er kam dem Licht näher, es war gelb und sanft und er erkannte am Flackern, daß es eine Kerze sein mußte. Im Weitergehen blickte er in dunkle Räume hinein, wo er durcheinandergewirbelte Stühle, Ledersofas und plattgedrückte Schränke erkennen konnte.
Die Tür, aus der das Licht kam, war weit geöffnet. Neben der großen Altarkerze stand eine Nonne in blauem Habit; sie rührte in einer Emaillleschüssel Salat um; die vielen grünen Blättchen waren weißlich gefärbt, und er hörte unten in der Schüssel die Soße leise schwappen. Die breite, rosige Hand der Nonne ließ die Blätter runkreisen, und manchmal fielen kleine Blättchen über den Rand Ihinaus; sie las sie ruhig auf und warf sie wieder hinein. Neben dem Kerzenhalter stand eine große Blechkanne, aus der es flau mach Bouillon roch, nach heißem Wasser, Zwiebeln und irgend einer Würfelmasse.
Er sagte laut: »Guten Abend.«
Die Nonne wandte sich um, ihr breites rosiges Gesicht zeigte Angst, und sie sagte leise: »Mein Gott - was wollen Sie?« Von ihren Händen tropfte die milchige Soße, und an ihren weichen, kindlichen Armen klebten ein paar winzige Salatblättchen. »Mein Gott«, sagte sie, »haben Sie mich erschreckt. Wollen Sie etwas?«
»Ich habe Hunger«, sagte er leise.
Aber er blickte die Nonne schon nicht mehr an: sein Blick war nach rechts; gefallen, in einen offenen Schrank hinein, dessen Tür vom Luftdruck herausgerissen war; der zerfetzte Rest der Sperrholztür hing noch an den Scharnieren, und der Boden war mit abgebröckelten Lackstücken bedeckt. Im Schrank lagen Brote, viele Brote. Sie lagen flüchtig übereinandergestapelt, mehr als ein Dutzend faltig gewordener Brote. Das Wasser schoß ihm ganz schnell in den Mund, er würgte den Schwall hinunter und dachte »Ich werde Brot essen, auf jeden Fall - werde ich Brot essen ...«
Er sah die Nonne an: ihr Kinderblick zeigte Mitleid und Angst. »Hunger?« sagte sie, »Sie haben Hunger?«, blickte fragend auf die Salatschüssel, die Bouillonkanne und den Brotstapel.
»Brot«, sagte er, »bitte Brot.«
Sie ging zum Regal, nahm ein Brot heraus, legte es auf den Tisch und suchte in einer Schublade nach einem Messer.
»Danke«, sagte er leise, »lassen Sie nur, man kann Brot auch brechen ...«
Die Schwester klemmte die Salatschüssel unter den Arm, nahm die Bouillonkanne und ging an ihm vorbei hinaus.
Er brach hastig einen Kanten Brot ab: sein Kinn zitterte, und er spürte, wie die Muskeln seines Mundes und seine Kiefer zuckten. Dann grub er die Zähne in die unebene, weiche Bruchstelle und aß. Er aß Brot. Das Brot war alt, sicher eine Wache alt, trockenes Graubrot mit einer rötlichen Pappemarke von irgendeiner Fabrik. Er grub weiter mit seinen Zähnen, nahm auch die bräunliche lederne Kruste, packte den Laib in seine Hände und brach ein neues Stück ab; mit der Rechten essend, hielt er den Brotlaib mit der linken Hand fest; er aß weiter, setzte sich auf den Rand einer Kiste, und wenn er ein Stück abgebrochen hatte, biß er immer erst im die weiche Bruchstelle, dann spürte er rings um seinen Mund die Berührung des Brotes wie eine trockene Zärtlichkeit, während seine Zähne sich weiter gruben.
*
(Kurzgeschichte. 1955)
*
Hier finde ich alles aus der Nachkriegszeit wieder: ein lädiertes Krankenhaus; die 'Pappmarke' auf dem Brot; der Soldat, die Nonne; den alltäglichen Hunger - und die letzten Zeilen eines so intensiv beschriebenen Kaugenusses, wie ich ihn bei den Schlemmern und Säufern und TV-Köchen unserer denk-satten Medienwelt noch nie wiedergegeben fand. (Dort finde ich nur eitle Parodisten, die am besten Mathias Richling präsentiert.)
"Und gib uns unseren all-täglichen Hunger" wieder - möchte ich als Ergänzung zum 'Vaterunser' fordern (statt der täglich exerzierten Essstörungen).
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elfenbein
niemals mein Lebtag, werd ich den Spruch, den Satz, den Wunsch vergessen den mir meine Mutter bis an Ihr Lebensende immer mal wieder vorsagte -immer wenn das Thema mal auf Brot auf Hunger und/oder auf die Nachkriegsjahre kam- und den ich zu Ihr sagte :"gib mir anne Schnitte, ok anne troige,,," und worauf sie leider mit Tränen in den Augen, ablehnen musste, denn wir hatten kein Brot im hause,,,
ps -anne troige- bedeutete eine scheibe Brot (Schnitte, Stulle, Bemme,,)völlig ohne Belag und wenns hochkam, dann konnte eine Stulle kurz auf der heißen Herdplatte angeröstet und mit etwas Salz verfeinert werden.
hugo
ps -anne troige- bedeutete eine scheibe Brot (Schnitte, Stulle, Bemme,,)völlig ohne Belag und wenns hochkam, dann konnte eine Stulle kurz auf der heißen Herdplatte angeröstet und mit etwas Salz verfeinert werden.
hugo
Tolle Geschichten.
Unser täglich Brot
An deinem Brot für fünfzehn Mark und achtzig
hängt, wenn du hinsiehst, allerlei –:
Der Landmann läßt sich neue Ställe bauen,
behängt mit Pelz und Perlen seine Frauen;
er zählt das Geld nicht mehr – er muß es wiegen –
wo soll er nur den Krempel unterkriegen?
Im Flusse treibt ein neues Segelboot –
von deinem Brot.
Die Mühlen mahlen. Unternehmer grinsen.
Die Werke tragen unerhörte Zinsen.
Kein Käufer streikt. Er kann und muß es tragen.
In den Garagen summen neue Wagen,
weil man die besten Dividenden bot
von deinem Brot.
Der Bäcker backt. Die Löhne steigen munter,
doch vom Gewinne geht kein Pfennig runter.
Die Menschen leben vom Gehalte in den Mund.
Der Bäcker backt. Und macht sich sehr gesund.
Er ist der Preisekönig, der Despot –
von deinem Brot.
So geht der Kreis: kein Landbetrieb geniert sich.
Die Industrie hingegen revanchiert sich.
Wer hat, der hat. Nun seht ihr andern zu.
Sie teilen sichs. Wer unten liegt, bist du.
Sie klopfen auf die Waren ihres Baus.
Das ist noch drin. Und das muß noch heraus!
Sie wollen alle leben, fett und reich:
in Villen, Autos, teppichwarm und weich ...
Goldtaschen, Zobel und der Frauen Lippenrot –:
Das, Deutscher, ist dein Brot.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 01.06.1922, Nr. 22, S. 561.
--
enigma
Unser täglich Brot
An deinem Brot für fünfzehn Mark und achtzig
hängt, wenn du hinsiehst, allerlei –:
Der Landmann läßt sich neue Ställe bauen,
behängt mit Pelz und Perlen seine Frauen;
er zählt das Geld nicht mehr – er muß es wiegen –
wo soll er nur den Krempel unterkriegen?
Im Flusse treibt ein neues Segelboot –
von deinem Brot.
Die Mühlen mahlen. Unternehmer grinsen.
Die Werke tragen unerhörte Zinsen.
Kein Käufer streikt. Er kann und muß es tragen.
In den Garagen summen neue Wagen,
weil man die besten Dividenden bot
von deinem Brot.
Der Bäcker backt. Die Löhne steigen munter,
doch vom Gewinne geht kein Pfennig runter.
Die Menschen leben vom Gehalte in den Mund.
Der Bäcker backt. Und macht sich sehr gesund.
Er ist der Preisekönig, der Despot –
von deinem Brot.
So geht der Kreis: kein Landbetrieb geniert sich.
Die Industrie hingegen revanchiert sich.
Wer hat, der hat. Nun seht ihr andern zu.
Sie teilen sichs. Wer unten liegt, bist du.
Sie klopfen auf die Waren ihres Baus.
Das ist noch drin. Und das muß noch heraus!
Sie wollen alle leben, fett und reich:
in Villen, Autos, teppichwarm und weich ...
Goldtaschen, Zobel und der Frauen Lippenrot –:
Das, Deutscher, ist dein Brot.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 01.06.1922, Nr. 22, S. 561.
--
enigma
....Theobald Tiger
war das nicht ein Pseudo von Kurt Tucholsky?
ich habe nur einen "Heine" zu bieten:
Gestern noch fürs liebe Brot
Wälzte sie sich tief im Kot,
Aber heute schon mit vieren
Fährt das stolze Weib spazieren.
In die seidnen Kissen drückt
Sie das Lockenhaupt, und blickt
Vornehm auf den großen Haufen
Derer, die zu Fuße laufen.
Wenn ich dich so fahren seh,
Tut es mir im Herzen weh!
Ach, es wird dich dieser Wagen
Nach dem Hospitale tragen,
Wo der grausenhafte Tod
Endlich endigt deine Not,
Und der Carabin mit schmierig
Plumper Hand und lernbegierig
Deinen schönen Leib zerfetzt,
Anatomisch ihn zersetzt -
Deine Rosse trifft nicht minder
Einst zu Montfaucon der Schinder.
--
war das nicht ein Pseudo von Kurt Tucholsky?
ich habe nur einen "Heine" zu bieten:
Gestern noch fürs liebe Brot
Wälzte sie sich tief im Kot,
Aber heute schon mit vieren
Fährt das stolze Weib spazieren.
In die seidnen Kissen drückt
Sie das Lockenhaupt, und blickt
Vornehm auf den großen Haufen
Derer, die zu Fuße laufen.
Wenn ich dich so fahren seh,
Tut es mir im Herzen weh!
Ach, es wird dich dieser Wagen
Nach dem Hospitale tragen,
Wo der grausenhafte Tod
Endlich endigt deine Not,
Und der Carabin mit schmierig
Plumper Hand und lernbegierig
Deinen schönen Leib zerfetzt,
Anatomisch ihn zersetzt -
Deine Rosse trifft nicht minder
Einst zu Montfaucon der Schinder.
--
Kennt jemand das Chanson von Georges Brassens mit dem Titel: Chanson pour l'Auvergnat ? .. eines der für mich persönlich eindrucksvollsten Lieder vom guten Georges und es hat mich sehr berührt. (Georges Brassens macht tierisch Lust, die französische Sprache zu lernen, hocht mal rein!)
In einer Strophe heisst es:
Elle est à toi, cette chanson,
Toi, l’Hôtesse, qui sans façon
M’as donné quatre bouts de pain
Quand, dans ma vie, il faisait faim,
Toi qui m’ouvris ta huche quand
Les croquantes et les croquants,
Tous les gens bien intentionnés,
S’amusaient à me voir jeûner...
Ce n’était rien qu’un peu de pain,
Mais il m’avait chauffé le corps,
Et dans mon âme il brûle encor’
A la manièr’ d’un grand festin.
Toi l’Hôtesse, quand tu mourras,
Quand le croqu’-mort t’emportera,
Qu’il te conduise, à travers ciel,
Au Père éternel.
...
Übersetzung, die ich gefunden habe bei http://www.jura.uni-rostock.de/winkler/brassens.html ( es gibt auch eine wunderschöne von Danny Marino, allen, denen das Kleinkunsttheater "Danny´s Pan" aus den 60ern etwas sagt, sicher ein Begriff...aber die habe ich nicht zur Hand ...)
Dies kleine Lied, ich sing’ es dir,
Dir, Wirtin, die du wortlos mir
Vier Scheiben Brot gabst in die Hand,
Als hungernd einst draußen ich stand.
Du warst es, die mir zu essen gab,
Die braven Bürger, sie wandten sich ab,
Die Bauerntölpel, sie fanden es schön
Mich hungern und fasten zu sehn.
Ein bisschen Brot nur, ein kleiner Rest,
Aber mir ward’s im Herzen so warm
Und es brennt heut’ noch ohne Harm
Als wär es ein ganz großes Fest.
Wenn dir, o Wirtin, die Stunde schlägt,
Wenn dich der Tod von dannen trägt,
Führ’ er zum Ew’gen Vater empor
Dich durch’s Himmelstor
--
angelottchen
In einer Strophe heisst es:
Elle est à toi, cette chanson,
Toi, l’Hôtesse, qui sans façon
M’as donné quatre bouts de pain
Quand, dans ma vie, il faisait faim,
Toi qui m’ouvris ta huche quand
Les croquantes et les croquants,
Tous les gens bien intentionnés,
S’amusaient à me voir jeûner...
Ce n’était rien qu’un peu de pain,
Mais il m’avait chauffé le corps,
Et dans mon âme il brûle encor’
A la manièr’ d’un grand festin.
Toi l’Hôtesse, quand tu mourras,
Quand le croqu’-mort t’emportera,
Qu’il te conduise, à travers ciel,
Au Père éternel.
...
Übersetzung, die ich gefunden habe bei http://www.jura.uni-rostock.de/winkler/brassens.html ( es gibt auch eine wunderschöne von Danny Marino, allen, denen das Kleinkunsttheater "Danny´s Pan" aus den 60ern etwas sagt, sicher ein Begriff...aber die habe ich nicht zur Hand ...)
Dies kleine Lied, ich sing’ es dir,
Dir, Wirtin, die du wortlos mir
Vier Scheiben Brot gabst in die Hand,
Als hungernd einst draußen ich stand.
Du warst es, die mir zu essen gab,
Die braven Bürger, sie wandten sich ab,
Die Bauerntölpel, sie fanden es schön
Mich hungern und fasten zu sehn.
Ein bisschen Brot nur, ein kleiner Rest,
Aber mir ward’s im Herzen so warm
Und es brennt heut’ noch ohne Harm
Als wär es ein ganz großes Fest.
Wenn dir, o Wirtin, die Stunde schlägt,
Wenn dich der Tod von dannen trägt,
Führ’ er zum Ew’gen Vater empor
Dich durch’s Himmelstor
--
angelottchen
Den Chanson-Text von Brassens kannte ich nicht.
Danke dafür!
---
Aus dem Tagebuch eines Bettlers
Ich klingelte. Ich bettelte um Brot.
Um alte Sachen.
Ich beschrieb anschaulich die Not.
Ich kann so eine jämmerliche Miene machen.
Meine Familie sei teils hungrig, teils tot.
Nur ein kleines, hartes, verschimmeltes Restchen Brot,
Womit ich eigentlich Geld meinte.
Der Herr verneinte.
Ich versuchte diverse Gebärden.
Ich kann so urplötzlich ganz mager werden.
Ich taumelte krank.
Ich — stank.
Da wurde ich gepackt.
Fünf Minuten später war ich nackt.
In einer Wanne im Bad
Bei dreißig Grad.
Ich weinte. — Ich wußte:
Hier half kein Beteuern.
Man fing an, meine Kruste
Herunterzuscheuern.
Dieser Herr war ein Schelm.
Ich wurde auf die Straße gestoßen.
Ich fand mich in schwarzen Hosen,
Lackschuhen, Frack und Tropenhelm.
Ich fand kein Geld. — Mir wurde bang,
Ich fand nur ein Trambahn-Abonnement.
Und ich ging auf die Reise,
Fuhr mit der Sechzehn stundenlang
Immer im Kreise.
Was halfen die noblen Sachen?
Ich bettelte. Probeweise.
Ich kann so eine kummervolle Miene machen.
Aber die Leute begannen zu lachen
Und die Haltestelle zu verpassen.
Ich sann auf einen Schlager.
Ich wurde urplötzlich ganz mager.
Ich wurde gewaltsam aus der Trambahn heruntergelassen.
Da waren die Anlagen und Gassen
Auf einmal ganz traurig und fremd.
Als ich aus dem Pfandhause kam,
Trug ich nur noch Hose, Barfuß und Hemd.
Ich mußte mir einen Anzug leih'n.
Ich ging mit der Gräfin Mabelle, .
Die eigentlich eine Büfettmamsell
Ist und gesucht wird, in ein Hotel.
Wir speisten: Hirschbraten mit Knickebein.
Wir sangen zu zwei'n:
»Wer hat uns getraut — ...«
Und zuletzt, ganz laut:
»Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein...«
Joachim Ringelnatz
enigma
Danke dafür!
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Aus dem Tagebuch eines Bettlers
Ich klingelte. Ich bettelte um Brot.
Um alte Sachen.
Ich beschrieb anschaulich die Not.
Ich kann so eine jämmerliche Miene machen.
Meine Familie sei teils hungrig, teils tot.
Nur ein kleines, hartes, verschimmeltes Restchen Brot,
Womit ich eigentlich Geld meinte.
Der Herr verneinte.
Ich versuchte diverse Gebärden.
Ich kann so urplötzlich ganz mager werden.
Ich taumelte krank.
Ich — stank.
Da wurde ich gepackt.
Fünf Minuten später war ich nackt.
In einer Wanne im Bad
Bei dreißig Grad.
Ich weinte. — Ich wußte:
Hier half kein Beteuern.
Man fing an, meine Kruste
Herunterzuscheuern.
Dieser Herr war ein Schelm.
Ich wurde auf die Straße gestoßen.
Ich fand mich in schwarzen Hosen,
Lackschuhen, Frack und Tropenhelm.
Ich fand kein Geld. — Mir wurde bang,
Ich fand nur ein Trambahn-Abonnement.
Und ich ging auf die Reise,
Fuhr mit der Sechzehn stundenlang
Immer im Kreise.
Was halfen die noblen Sachen?
Ich bettelte. Probeweise.
Ich kann so eine kummervolle Miene machen.
Aber die Leute begannen zu lachen
Und die Haltestelle zu verpassen.
Ich sann auf einen Schlager.
Ich wurde urplötzlich ganz mager.
Ich wurde gewaltsam aus der Trambahn heruntergelassen.
Da waren die Anlagen und Gassen
Auf einmal ganz traurig und fremd.
Als ich aus dem Pfandhause kam,
Trug ich nur noch Hose, Barfuß und Hemd.
Ich mußte mir einen Anzug leih'n.
Ich ging mit der Gräfin Mabelle, .
Die eigentlich eine Büfettmamsell
Ist und gesucht wird, in ein Hotel.
Wir speisten: Hirschbraten mit Knickebein.
Wir sangen zu zwei'n:
»Wer hat uns getraut — ...«
Und zuletzt, ganz laut:
»Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein...«
Joachim Ringelnatz
enigma