Literatur Schöne Lyrik

Roxanna
Roxanna
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna



Einsamkeit

Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.

Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:

dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...

Rainer Maria Rilke
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Roxanna vom 30.01.2017, 10:36:51
Danke, liebe Clematis. Ich habe es aufgenommen auf dem Weg von Titisee nach Hinterzarten.



Altes Kaminstück

Draußen ziehen weiße Flocken
Durch die Nacht, der Sturm ist laut;
Hier im Stübchen ist es trocken,
Warm und einsam, stillvertraut.

Sinnend sitz ich auf dem Sessel,
An dem knisternden Kamin,
Kochend summt der Wasserkessel
Längst verklungne Melodien.

Und ein Kätzchen sitzt daneben,
Wärmt die Pfötchen an der Glut;
Und die Flammen schweben, weben,
Wundersam wird mir zu Mut.

Dämmernd kommt heraufgestiegen
Manche längst vergeßne Zeit,
Wie mit bunten Maskenzügen
Und verblichner Herrlichkeit.

Schöne Fraun, mit kluger Miene,
Winken süßgeheimnisvoll,
Und dazwischen Harlekine
Springen, lachen, lustigtoll.

Ferne grüßen Marmorgötter,
Traumhaft neben ihnen stehn
Märchenblumen, deren Blätter
In dem Mondenlichte wehn.

Wackelnd kommt herbeigeschwommen
Manches alte Zauberschloß;
Hintendrein geritten kommen
Blanke Ritter, Knappentroß.

Und das alles zieht vorüber,
Schattenhastig übereilt.
Ach! da kocht der Kessel über,
Und das nasse Kätzchen heult.

Heinrich Heine



Typisch Heine. Anfangs Friede, Freude, Eierkuchen und dann folgt der Paukenschlag – in diesem Gedicht eine heulende Katze, die sich verbrüht hat.
Und gerade deswegen liebe ich Heine, er kann den Leser immer wieder aus den Träumen in die Realität bringen.


Sirona
Neptun
Neptun
Mitglied

Re: Die Raupe A.Glaßbrenner
geschrieben von Neptun
Flora(Neptun)
/storage/pic/sys-userpics/2016/05/b0b33db4f67892c4243e0606c2f2ab47_20160530124611/687360_1_Flora_31.jpg?version=1464605462[/img]


Die blaue Blume

Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.
Ich wandre mit meiner Harfe
Durch Länder, Städt und Au'n,
Ob nirgends in der Runde
Die blaue Blume zu schaun.
Ich wandre schon seit lange,
Hab lang gehofft, vertraut,
Doch ach, noch nirgends hab ich
Die blaue Blum geschaut.

[i]Joseph von Eichendorff

Anzeige

Sirona
Sirona
Mitglied

Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Zingst/Ostseeheilbad


Meeresstrand
Th. Storm (1817 – 1888)

Ans Haff nun fliegt die Möwe
und Dämm’rung bricht herein;
über die feuchten Watten
spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet
neben dem Wasser her;
wie Träume liegen die Inseln
im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
geheimnisvollen Ton,
einsames Vogelrufen – -
So war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
und schweiget dann der Wind;
vernehmlich werden die Stimmen,
die über der Tiefe sind.
Milan
Milan
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Milan
als Antwort auf Sirona vom 09.02.2017, 11:36:29
Auch wenn Du mich zwingst - Nie wieder Zingst
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Milan vom 09.02.2017, 16:07:13
Milan, warum nie wieder Zingst? Hast Du schlechte Erfahrungen gemacht?
Ich war mit meinem jüngsten Sohn und seiner Familie dort, es hat mir gut gefallen.



Strandlust
Hermann Allmers (1821 – 1902)

Gern bin ich allein an des Meeres Strand,
Wenn der Sturmwind heult und die See geht hohl,
Wenn die Wogen mit Macht rollen zu Land,
O wie wird mir so kühn und so wonnig und wohl!

Die segelnde Möwe, sie rufen ihren Gruß
Hoch oben aus jagenden Wolken herab;
Die schäumende Woge, sie leckt meinen Fuß,
Als wüssten sie beide, wie gern ich sie hab’.

Und der Sturm, der lustig das Haar mir zaust,
Und die Möw’ und die Wolke, die droben zieht,
Und das Meer, das da vor mir brandet und braust,
Sie lehren mich alle manch herrliches Lied.

Doch des Lebens erbärmlicher Sorgendrang,
O wie sinkt er zurück, wie vergess’ ich ihn,
Wenn die Wogenmusik und der Sturmgesang
Durch das hoch aufschauernde Herz mir ziehn!

Anzeige

Roxanna
Roxanna
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf Sirona vom 09.02.2017, 17:26:55
Das Gedicht, liebe Sirona, spricht mir aus der Seele. Ich finde das auch herrlich, wenn es stürmt und braust am Meer und man die Natur so richtig spürt. Und wenn man dann nach einem langen Strandgang, bei dem man mit dem Wind gekämpft hat , eine schönen heißen Tee in der warmen Stube trinkt und vielleicht eine schöne Musik dazu hört, da gibt es doch fast nichts Schöneres oder?

Liebe Grüße
Roxanna
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Roxanna vom 09.02.2017, 18:41:28
Liebe Roxanna,

auch ich liebe Strandspaziergänge und könnte stundenlang am Wasser entlang laufen.
Die dabei vernehmbaren Naturgeräusche sind Balsam für meine Seele. Und wenn man dann so richtig vom Seewind durchgepustet worden ist gibt es nichts Schöneres als eine warme Stube und einen Tee mit Rum.

Grüßlis von Sirona
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hör die Lerche wieder singen... Sandor Petöfi
geschrieben von Sirona


Der Halligmatrose
Hermann Ludwig Allmers (1821-1902)

Kaptain, ich bitt' euch, laßt mich fort,
O lasset mich frei, sonst lauf ich von Bord,
ich muß heim, muß heim nach der Hallig!
Schon sind vergangen drei ganze Jahr,
daß ich stets zu Schiff, daß ich dort nicht war,
auf der Hallig, der lieben Hallig.

Nein, Jasper, nein, das sag' ich dir,
noch diese Reise machst du mit mir,
dann darfst du gehn nach der Hallig.
Doch sage mir, Jasper, was willst du dort?
Es ist ein so öder, armseliger Ort,
die kleine, einsame Hallig.

Ach, mein Kapitän, dort ist's wohl gut,
und an keinem Ort wird mir so zumut,
so wohl als auf der Hallig;
und mein Weib hat um mich manch traurige Nacht,
hab' so lang nicht gesehn, wie mein Kind mir gelacht
und Haus und Hof auf der Hallig.

Es ist gekommen ein böser Tag,
ein böser Tag für die Hallig;
eine Sturmflut war wie nie vorher,
und das Meer, das wildaufwogende Meer,
hoch ging es über die Hallig.

Doch sollst du nicht hin, vorbei ist die Not,
dein Weib ist tot, und dein Kind ist tot,
ertrunken beid' auf der Hallig.
Auch die Schafe und Lämmer sind fortgespült,
auch dein Haus ist fort, deine Wurt zerwühlt;
was wolltest du tun auf der Hallig?

Ach Gott, Kapitän, ist das geschehn!
Alles soll ich nicht wiedersehn,
was lieb mir war auf der Hallig?
Und ihr fragt mich noch, was ich dort will tun?
Will sterben und im Grase ruhn
auf der Hallig, der lieben Hallig.
Sirona
Sirona
Mitglied

Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona


An meine Mutter
Heinrich Heine

Ich bins gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen,
mein Sinn ist auch ein bisschen starr und zähe;
wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe,
ich würde nicht die Augen niederschlagen.

Doch, liebe Mutter, offen will ichs sagen:
Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,
in deiner selig süßen, trauten Nähe
ergreift mich oft ein demutvolles Zagen.

Ist es dein Geist, der heimlich mich bezwinget,
dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet,
und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget?

Quält mich Erinnerung dass ich verübet
so manche Tat, die dir das Herz betrübet?
Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?

Anzeige