Literatur Schöne Lyrik

Maxi41
Maxi41
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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Maxi41
Nachlassgedicht

von Heinrich Heine

Die Liebe begann im Monat März,
Wo mir erkrankte Sinn und Herz.
Doch als der Mai, der grüne, kam,
Ein Ende all mein Trauern nahm.

Es war am Nachmittag um Drei
Wohl auf der Moosbank der Einsiedelei,
Die hinter der Linde liegt versteckt,
Da hab ich ihr mein Herz entdeckt.

Die Blumen dufteten. Im Baum
Die Nachtigall sang, doch hörten wir kaum
Ein einziges Wort von ihrem Gesinge,
Wir hatten zu reden viel wichtige Dinge.

Wir schwuren uns Treue bis in den Tod.
Die Stunden schwanden, das Abendrot
Erlosch. Doch saßen wir lange Zeit
und weinten in der Dunkelheit.
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Dem unbekannten Gott
Fr. Nietzsche (1844 – 1900)

Noch einmal, eh ich weiterziehe
und meine Blicke vorwärts sende,
heb ich vereinsamt meine Hände
zu Dir empor, zu dem ich fliehe,
dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
dass allezeit
mich deine Stimme wieder riefe.

Darauf erglüht tief eingeschrieben
das Wort: Dem unbekannten Gotte.
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
auch bis zur Stunde bin geblieben:
sein bin ich - und ich fühl die Schlingen,
die mich im Kampf darniederziehn.
Und, mag ich fliehn,
mich doch zu seinem Dienste zwingen.

Ich will Dich kennen, Unbekannter,
du tief in meine Seele Greifender,
mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender,
du Unfassbarer, mir Verwandter!
Ich will Dich kennen, selbst Dir dienen.
Re: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 05.03.2016, 10:35:05
Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?
Ich bin dein Krug (wenn ich zerscherbe?)
Ich bin dein Trank (wenn ich verderbe?)
Bin dein Gewand und dein Gewerbe,
mit mir verlierst du deinen Sinn.

Nach mir hast du kein Haus, darin
dich Worte, nah und warm, begrüßen.
Es fällt von deinen müden Füßen
die Samtsandale, die ich bin.

Dein großer Mantel läßt dich los.
Dein Blick, den ich mit meiner Wange
warm, wie mit einem Pfühl, empfange,
wird kommen, wird mich suchen, lange -
und legt beim Sonnenuntergange
sich fremden Steinen in den Schooß.

Was wirst du tun Gott? ich bin bange.

Rainer Maria Rilke

Ich verstehe, wenn Rilke ein harter Brocken ist, um ihn zu mögen.
Dabei genügt, sein Gemüt in eine religiöse Stimmung zu versetzen. Religio heißt: Anbindung an ein Wesen, das unserem Inneren entspricht. Grundsätzlich völlig frei von kirchlichem Klerus!

DIESER Gott, den Rilke "erkannt" hat, ist von unseren Werken, Gedanken, unserer Liebe und unserem Verständnis abhängig, d.h.
eigentlich in unserem Menschsein erst existent.

Clematis

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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.03.2016, 20:38:50
Künstler-Gedenken(Clematis)




Das Photo entstand bei einer Provence-Reise.

Es ist die Mühle, in der Alphonce Daudet (13. 5. 1840-16. 12. 1897) gelebt hat und das entzückende Büchle "Briefe aus meiner Mühle" ent-
standen ist.

Es beginnt:
EINZUG

Wie haben sich die Kaninchen gewundert! ...Seit so langer Zeit daran gewöhnt, die Tür der Mühle verschlossen, die Mauern und die Plattform von Unkraut überwuchert zu sehen, hatten sie schließlich geglaubt, das Geschlecht der Müller sei ausgestorben, und da sie den Ort gut fanden, hatten sie aus ihm eine Art Hauptquartier, einen Mittelpunkt für ihre strategischen Operationen gemacht: eine Mühle von Jemappes für die Kaninchen...

In der Nacht meiner Ankunft saßen wohl, ohne dass ich löge, ihrer zwanzig in der Runde auf der Plattform und wärmten sich die Pfoten an einem Mondstrahl...Aber kaum versuchte ich ein Fenster zu öffnen, als das ganze Biwak Reißaus nahm und alle die kleinen weißen Hinterteile mit erhobener Blume im Dickicht verschwanden. ich hoffe, sie werden wiederkommen.

Alphonse Daudet

Sodele, für alle Literaturliebenden hier nun gleich zwei zur Verfügung gestellt von

Clematis

Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 14.03.2016, 09:07:24
Clematis, wunderbare Gedanken vermittelt uns Wilhelm Busch.

Auch unter uns Zeitgenossen gibt es immer wieder einige die sich einbilden unentbehrlich zu sein und stellen sich somit auf eine höhere Stufe als ihre Mitmenschen.
Der Gedanke bzw. die Einsicht dass wir alle ein Teil der Schöpfung sind und uns aufgrund unserer verschiedenen Eigenschaften und Talente ergänzen sollen um eine Einheit zu bilden scheint leider der Menschheit verloren gegangen zu sein.

Paulus drückte es so aus:
So fordere ich ... euch auf, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt, sondern auf eine besonnene Selbsteinschätzung bedacht zu sein nach dem Maß des Glaubens, das Gott einem jeden zugeteilt hat.“ Röm.12,3

Und ob der gute Daudet „seine“ Kaninchen wiedergesehen hat? Es wäre ihm zu gönnen gewesen, es sind ja allerliebste Tierchen, deren Verwandte uns angeblich die bunten Ostereier bringen.

LG Sirona
Re: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 14.03.2016, 10:10:58
Sirona, das ist nun keine Lyrik, aber ich muss nochmal zu Daudet, es geht nämlich entzückend weiter:

Ein anderer, der sich bei meinem Anblick sehr wunderte, war der Mietsmann, der die Mühle seit mehr als zwanzig Jahren bewohnt. Ich fand ihn im oberen Raum, unbeweglich und aufrecht, mitten unter herabgefallenem Gips und zerbrochenen Ziegeln auf dem Wellbaum sitzend. Er sah mich mit seinen runden Augen an, und fing dann ganz erschreckt darüber, dass er mich nicht kannte, an "Hu, hu!" zu schreien und mit seinen staubgrauen Flügeln zu schlagen, was ihm nur mit Mühe gelang. Diese Teufelskerle von Philosophen! Das bürstet sich niemals aus! - Doch das tut nichts! So wie er ist, mit seinen blinzelnden Augen und seinem sauren Gesicht, gefällt mir dieser schweigsame Mieter noch immer besser als irgendein andrer, und ich habe mich beeilt, seinen Mietvertrag zu erneuern. Er behält wie in der Vergangenheit den ganzen oberen Stock der Mühle mit einem Eingang durchs Dach; ich behalte für mich den unteren Raum, ein kleines niedriges Gemach mit weißen Wänden, gewölbt wie das Refektorium eines Klosters.

Alphonse Daudet
"Briefe aus meiner Mühle"

Vielleicht schaut einer mal wieder in dieses herzige Büchle!
Clematis

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Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 14.03.2016, 10:45:44
Liebe Clematis, das Büchlein kannte ich noch nicht. So habe ich bei Amazon nachgeschaut und es tatsächlich entdeckt. Ich konnte es sogar kostenlos auf mein Kindle-Gerät laden. Bestimmt wird es mir einige unterhaltsame Lesestunden bereiten.
Danke für den Hinweis.

LG Sirona
Neptun
Neptun
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Neptun
Die Brille

Korf liest gerne schnell und viel;
darum widert ihn das Spiel
all des zwölfmal unerbetnen
Ausgewalzten, Breitgetretnen.

Meistens ist in sechs bis acht
Wörtern völlig abgemacht,
und in ebensoviel Sätzen
läßt sich Bandwurmweisheit schwätzen.

Es erfindet drum sein Geist
etwas, was ihn dem entreißt:
Brillen, deren Energieen
ihm den Text - zusammenziehen!

Beispielsweise dies Gedicht
läse, so bebrillt, man - nicht!
Dreiunddreißig seinesgleichen
gäben erst - Ein - - Fragezeichen!!


Morgenstern Christian

Geboren: 6. Mai 1871, München
Gestorben: 31. März 1914, Meran, Italien
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona


Im Frühling
Eduard Mörike, 1804-1875

Hier lieg ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag` mir alleinzige Liebe,
wo du bleibst, dass ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
sehnend,
sich dehnend
in Liebe und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?

Die Wolke seh' ich wandeln und den Fluss,
es dringt der Sonne goldner Kuss
mir tief bis ins Geblüt hinein;
die Augen, wunderbar berauschet,
tun, als schliefen sie ein.
Nur noch das Ohr der Biene lauschet.

Ich denke dies und denke das,
ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
mein Herz, o sage,
was webst du für Erinnerung
in golden grüner Zweige Dämmerung?
Alte unnennbare Tage!

Milan
Milan
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Die Bürgschaft auf Sächsisch
geschrieben von Milan
als Antwort auf Sirona vom 16.03.2016, 10:26:07
De Bergschaft (uf sächsisch)

Es wor e ma a ganz gemeener Tirann,
der schnauzte blos ejal de Untertan an.
Die mussten sich schinden bei spärlichen Happen,
un mussten dazu noch recht viel Steiern berappen.
Da meente Herr Damon, e Demokrat:
Jetzt Brieder passt uff, ich dreh ene Tat!
Un schon werchte nein in de Aktenmappe
5 Handgranaten, die worn nich von Pappe.
Druf schlich er sich hin bein beesen Tirann
Un brannte dabei ne Zigarre sich an.
Das durft er nich machen, die hat`n verroten.
Er wor noch a Neiling in Attentatstaten.
Nu worde Herr Damon mit großem Gebrüll
vorn Herrscher geschleppt, der fruch, wasser will.
Ich wollte dich ejentlich greilich ermorden,
doch wie du nun siehst, is nischt draus geworden.
Da feikste ganz dreckig der beese Tirann:
Du wolltest mich teten, nun gucke mo an.
Da rief er de Knechte, zwee rohe Kanaljen.
Kommt her jetzt un leiert den Kerl nuf an Galjen!
Nu, muß es denn glei sinn, das jet nich so schnell,
sprach Damon, der Handgranatenrebell.
Ich muß erscht ma runter nach Wurzen, mei Bester,
da heiratet Klara, von mir enne Schwester.
Ihr Kleener heßt Karle, von dem se e Sohn hat .
Jetzt isse schon widder im siebenten Monat.
Ich stelle awwer a Berchen, den Paule aus Borne,
den kannste statt meiner erwerchen im Zorne.
Nu scheen sprach Dionys, gondle nur zu,
mir is es Wurscht, bammelt Paule odder du.
Un dass der Damon kam widder zurück
Das globte der Herrscher nich en Ochenblick.
Kaum hatte in Wurzen de Klara irn Mann,
lief heme dor Damon so schnell als er kann.
Doch kurz vor dem Ziel, da fings an zu gießen,
als wollte die Erde in Suppe zerfließen.
Herje, rief der Arme, soll ich’s denn verderm,
das is ja abscheilich, do nitzt o keen Scherm!
Un weil nun en Unglick kommt selten allene,
rutscht o noch de Bricke fort, das wor gemeene.
Ke Kohn wor zu sehn. Da schrie er: Verdammich,
ich bin zwor wasserschei, aber jetzt schwimm ich.
Un kimmt o glicklich uf de drimschde Seite,
do huppt uffen eene greßliche Meite
von Reibern und Mördern mit Spießen un Stangen,
die wollten Herrn Damon zum Abendbrot fangen.
Der aber nich faul, kloppt se alle vorn Kopp
un rennt denn weiter im gestreckten Galopp.
Kaum isser zwanzch Minuten gerannt,
do kimmt enne Puppe, totschick, elegant,
die schmeißten a Blick zu, der geten durchs Mark.
Jetzt Damon sei tapfer, jetzt Damon sei stark.
Mir kenn uns doch, Kleener, meent zärtlich die Siße
Schon zittern Herrn Damon de Knie und de Fieße.
Da denkt er an Paulchen un schreit:
Heite nich! Die hibsche Kokette zieht weiter ihr`n Strich.
Un weiter gets in rennen un jachen,
von weitem siehte de Kirchtirme ragen.
Da fiehlt er's , jetzt wird er ergriffen mei Paul,
un rennt nach`n Ziel, wie a wahnsinniger Gaul.
Er verliert de Latschen, in Scherm un de Brille,
das issen egol, keen Moment stehter stille,
flieht übern Werschtchenmann, sterzt durch de Scheibe
und landet vorm Galgen .
Ha, schreit er zum Henker, das kennt der so passen.
Gleich läßte mein Paulchen los, mich musste fassen.
Nanu, denkt bedeppert der beese Tirann,
da kimmt ooch weß Kneppchen der Esel noch an.
Un weil alle Leite so jodeln un schrein,
do läd er die beden zum Dauer-Skat ein
un flistert dem Scharfrichter: Bis ohne Sorchen,
mer häng se in aller Gemitlichkeet morchen.

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