Literatur Schöne Lyrik

LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
In Traumes Bann
Sinnverwirrend schön sind deine Rosen,
so betäubend ist ihr süßer Duft.
Flüsternd raunt es wie ein heimlich Kosen
durch die sengend schwüle Sommerluft.
 
Schlummertrunken streck ich meine Glieder,
tief beseligt noch im Traumesbann…
Küsse dir die müden Augenlider –
Was ein Traum heraufbeschwören kann!
 
Und ich fühle dich in meiner Nähe
schattenhaft – und doch so lebenswarm!
Ganz in eins verschmelzend –
ich vergehe
selig, liebestoll in deinem Arm!
Else Galen-Gube (1869 - 1922), deutsche Schriftstellerin
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Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Er ist wie du so lieblich nicht und lind;
Nach kurzer Dauer muß sein Glanz verbleichen,
Und selbst in Maienknospen tobt der Wind.
Oft blickt zu heiß des Himmels Auge nieder,
Oft ist verdunkelt seine goldne Bahn,
Denn alle Schönheit blüht und schwindet wieder,
Ist wechselndem Geschicke untertan.
Dein ew'ger Sommer doch soll nie verrinnen,
Nie fliehn die Schönheit, die dir eigen ist,
Nie kann der Tod Macht über dich gewinnen,
Wenn du in meinem Lied unsterblich bist!
Solange Menschen atmen, Augen sehn,
Lebt mein Gesang und schützt dich vor Vergehn!


William Shakespeare

 
ladybird
ladybird
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ladybird
Herrmann Hesse:
 
Gestutzte Eiche..
 
Wie haben sie Dich, Baum, verschnitten,
wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast Du hundertmal gelitten,
bis nichts in dir als Trotz und Wille war !
Ich bin wie du, mit dem verschnittnem,
gequälten Leben brach ich nicht
und tauche täglich aus durchlittnen,
Rohheiten neu die Stirn ins Licht.
Was in mir weich und zart gewesen,
hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,
doch unzerstörbar ist mein Wesen,
ich bin zufrieden, bin versöhnt.
Geduldig neue Blätter treib ich
Aus Ästen hundertmal zerpellt,
und allem Weh u Trotze, bleib ich
verliebt in die verrückte Welt.
 

 

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Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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In der Stille

 

Wie viel Schönes ist auf Erden
Unscheinbar verstreut;
Möcht ich immer mehr des inne werden;
Wie viel Schönheit, die den Taglärm scheut,
In bescheidnen alt und jungen Herzen!
Ist es auch ein Duft von Blumen nur,
Macht es holder doch der Erde Flur,
wie ein Lächeln unter vielen Schmerzen.

 
Christian Morgenstern

 
LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

Was ist das Glück?

Was ist das Glück?
Ein süßer Traum der Gegenwart,
Den milde Genien aufgespart –
Vergessen der Vergangenheit
Mit ihrem Leid –
Vergessen aller Zukunft auch,
Verhüllt in goldnem Nebelrauch –
Ein reicher Wonnetag allein
Im Blitzesschein –
Des Weltengeistes Anwesenheit,
Das Vollgefühl der Ewigkeit,
Kein Vorwärts mehr und kein Zurück –
Das ist das Glück!
Julius Grosse (1828 - 1902), deutscher Schriftsteller und Theaterkritiker
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Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Die Schwäne 
Steingrimur Thorsteinsson (1831-1913)


Wohin, ihr Schwäne, erhebt ihr
ins helle Blau euch vom Strand?
Ich seh' es aus allem, ihr suchet
ein fernes, unsichtbares Land.

"Wir sind deiner Unschuld Schwäne,
Wir bleiben nicht länger bei dir,
Wir ziehen mit klagenden Tönen
Für immer weit fort von hier!"

Und meine Blicke verfolgten
ins blaue All euch lang';
fort zogt ihr mit blitzenden Schwingen
und bald verklang der Gesang . . .

Es klingt mir von eurem Gesange
seither in die Seele hinein,
als hört' ich aus himmlischer Ferne:
"Wir denken ja immer noch dein!"

Ihr zoget und kehret nie wieder
mit dem ersehnten Gesang . . .
O, könnt' ich euch folgen, nachziehend
dem leise verklingenden Klang!



 

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Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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·         Sommerfrische


·         Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.

Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser.
Weil's wohltut, weil's frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.

Und laß deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiss dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf.


Joachim Ringelnatz

 


Roxanna
LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
Der Name
Du schriebst wohl meinen Namen
In weissen Meeressand;
Doch bald die Wogen kamen -
Und spurlos er verschwand.

Du ritztest auf der Insel
In Schnee und Eis ihn ein;
Da schwand er im Gerinnsel
Beim warmen Sonnenschein.

Und auch in eine Linde
Schnittst du ihn ein im Wald -
Treulosen Sinns; die Rinde
Verwuchs darauf gar bald.

Betrübt und traurig wein' ich;
Du kennst ihn nun nicht mehr;
An zu viel Orten, mein' ich,
Stand wohl geschrieben er.

An jedem bis auf einen:
Nur nicht im Herzen dein!
Ich aber schnitt den deinen
Allein ins Herz mir ein!

Steingrimur Thorsteinsson (1831-1913)
Aus: Isländische Dichter der Neuzeit
Ins Herz geschrieben.png
 
Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Der Baum der Erinnerung
Nikolaus Lenau (1802 – 1850)

Ja, du bist es, blütenreicher
Baum, das ist dein süßer Hauch!
Ich auch bin’s, nur etwas bleicher,
etwas trauriger wohl auch.

Hinter deinen Blütenzweigen
tönte Nachtigallenschlag,
und die Holde war mein eigen,
die an meinem Herzen lag.

Und wir meinten selig beide,
und ich meint es bis zur Stund,
daß so herrlich du vor Freude
blühtest über unsern Bund.

Treulos hat sie mich verlassen;
doch du blühst wie dazumal,
kannst dich freilich nicht befassen
mit der fremden Liebesqual.

All zu lieblich scheint die Sonne,
weht der linde Maienwind,
und das Blühen und die Wonne
all zu bald vorüber sind!

Mahnend säuseln mir die Lehre
deine frohen Blüten zu;
doch ungläubig fließt die Zähre,
und mein Herz verlor die Ruh.




 
Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Lied des Harfners
Johann Wolfgang von Goethe

Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
auf seinem Bette weinend saß,
der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Ihr führt ins Leben uns hinein,
ihr lasst den Armen schuldig werden,
dann überlasst ihr ihn der Pein:
denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

Ihm färbt der Morgensonne Licht
den reinen Horizont mit Flammen,
und über seinem schuldigen Haupte bricht
das schöne Bild der ganzen Welt zusammen.


 

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