Literatur Schöne Lyrik

Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Rote Rosen 
Th. Storm (1817 – 1888)

Storm lernte mit 29 Jahren - 1 Jahr nach der Eheschließung mit Constanze Esmarch, mit der ihn eine Seelenverwandtschaft verband - seine große leidenschaftliche Liebe, Dorothea Jensen, kennen. Im Rausche seiner Gefühle entstand dieses Gedicht, das er zeitlebens unter Verschluss gehalten hat. Es wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht.
Storm selbst sprach von einer „erschütterndsten Leidenschaft“ seines Lebens.

Wir haben nicht das Glück genossen
in indischer Gelassenheit;
in Qualen ist’s emporgeschossen,
wir wussten nichts von Seligkeit.

Verzehrend kam’s in Sturm und Drange;
ein Weh nur war es, keine Lust!
Es bleichte deine zarte Wange
und brach den Atem meiner Brust.

Es schlang uns ein in wilde Fluten,
es riss uns in den jähen Schlund;
zerschmettert fast und im Verbluten
lag endlich trunken Mund auf Mund.

Des Lebens Flamme war gesunken,
des Lebens Feuerquell verrauscht,
bis wir aufs neu den Götterfunken
umfangend, selig eingetauscht.

 
Jole
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Jole
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Ein Frosch im Teiche sprach zum Andern: " – Und ob wir bis zum Pole wandern,
Nein! so melodisch und voll Seele, Wie Du, singt keine Philomele!"

– Lusttrunken rief das Fröschlein aus: "Wem aber dank' ich den Applaus?
Brekex! Nur deinem Unterricht. So klingt die Menschenflöte nicht.
Ich fühl' in meinem – Deinen Werth. Du bist allein schon ein Concert;
Die ganze Teich-Akademie Bewundert deine Melodie."

– Nicht anders loben lächerlich Zwey Thoren in Journalen sich.

Friedrich Haug (1761 - 1829),

 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Eigenes Foto - Heiligenhafen


Unruhe
Annette von Droste-Hülshoff

Ich will hier ein wenig ruhn am Strande.
Sonnenstrahlen spielen auf dem Meere.
Seh’ ich doch der Wimpel weiße Heere.
Viele Schiffe zieh’n zum fernen Lande.

Oh, ich möchte wie ein Vogel fliehen!
Mit den hellen Wimpeln möcht’ ich ziehen!
Weit, o weit, wo noch kein Fußtritt schallte,
keines Menschen Stimme widerhallte,
noch kein Schiff durchschnitt die flüchtige Bahn!

Und noch weiter, endlos, ewig neu
mich durch fremde Schöpfungen, voll Lust,
hinzu schwingen fessellos und frei!
Oh, das pocht, das glüht in meiner Brust!
Rastlos treibt’s mich um im engen Leben.
Freiheit heißt der Seele banges Streben,
und im Busen tönt’s Unendlichkeit!

Fesseln will man mich am eignen Herde!
Meine Sehnsucht nennt man Wahn und Traum.
Und mein Herz, dies kleine Klümpchen Erde,
hat doch für die ganze Schöpfung Raum!

Doch stille, still, mein töricht Herz!
Willst vergebens du dich sehnen?
Aus lauter Vergeblichkeit hadernde Tränen
ewig vergießen in fruchtlosem Schmerz?
Sei ruhig, Herz, und lerne dich bescheiden.

So will ich heim vom feuchten Strande kehren.
Hier zu weilen tut nicht wohl.
Meine Träume drücken schwer mich nieder.
Und die alte Unruh kehret wieder.
Ich muß heim vom feuchten Strande kehren.
Wand’rer auf den Wogen, fahret wohl!

Fesseln will man uns am eignen Herde!
Unsre Sehnsucht nennt man Wahn und Traum.
Und das Herz, dies kleine Klümpchen Erde
hat doch für die ganze Schöpfung Raum!

gedichtet 1816

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LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

Joachim Ringelnatz "Zu dir" 
 

Sie sprangen aus rasender Eisenbahn
Und haben sich gar nicht weh getan.
 
Sie wanderten über Geleise
Und wenn der Zug sie überfuhr,
Dann knirschte nichts. Sie lachten nur.
Und weiter ging die Reise.
 
Sie schritten durch eine steinerne Wand,
Durch Stacheldrähte und Wüstenbrand,
Durch Grenzverbote und Schranken
Und durch ein vorgehaltnes Gewehr,
Durchzogen viele Meilen Meer. –
 
Meine Gedanken. –
 
Ihr Kurs ging durch, ging nie vorbei.
Und als sie dich erreichten,
Da zitterten sie und erbleichten
Und fühlten sich doch unsagbar frei.
Joachim Ringelnatz (1883 - 1934), deutscher Lyriker, Erzähler und Maler
 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Reiselust

O wonnigliche Reiselust,
an dich gedenk ich früh und spat!
Der Sommer naht, der Sommer naht,
Mai, Juni, Juli und August.
Da quillt empor,
da schwillt empor
das Herz in jeder Brust.

Ein Tor wer immer stille steht,
drum Lebewohl und reisen wir!
Ich lobe mir, ich lobe mir
die Liebe, die auf Reisen geht!
Drum säume nicht und träume nicht,
wer meinen Wink versteht. 

Maximilian von Platen-Hallermund, geboren als Graf Karl August Georg 1796 - 1835 - deutscher Dramatiker, Theaterschriftsteller und Lyriker

Ich mache erst einmal eine Sommerpause.
Wünsche Euch alles Gute - und bis demnächst wieder. 

LG Sirona

 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 17.06.2024, 18:37:39

Ich mache erst einmal eine Sommerpause.
Wünsche Euch alles Gute - und bis demnächst wieder. 


 

Dann bin ich mal so frei, Dir im Namen aller Lyrikbegeisterten einen schönen Sommer zu wünschen. 🌞



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"Hoffen und harren, hält manchen zum Narren."

So lautet der alte Spruch, manchmal aber wird hoffen und harren auch belohnt 😊: Ich bestellte im Netz ein Buch von Clemens Brentano mit dem Titel 'Gedichte und Erzählungen' und obwohl ich auch seine Erzählungen gerne lese, hoffte ich doch, dass das Buch mehr Gedichte als Erzählungen enthält und so ist es, von den ca. 500 Seiten sind ca. 400 mit Gedichten gefüllt. 😊

 

***


Clemens Brentano
(1778-1842)


Abendständchen


Hör, es klang die Flöte wieder,
und die kühlen Brunnen rauschen!
Golden weh’n die Töne nieder,
stille, stille, laß uns lauschen!

Holdes Bitten, mild Verlangen,
wie es süß zum Herzen spricht!
Durch die Nacht, die dich umfangen,
blickt zu mir der Töne Licht!



***




 
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LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

Aus den Schmerzen quellen Freuden,
aus der Freude quillt der Schmerz.
Wär' kein Wechsel von den beiden,
folgten nicht auf Freuden Leiden,
würd' nicht warm ein Menschenherz.
 
Nach den Tränen stellt im Leben
sich auch oft das Lachen ein;
Tränen haben auch die Reben,
aber trotz der Tränen geben
sie den lust'gen, goldnen Wein.
Justinus Kerner (1786 - 1862), deutscher Arzt, Dichter der schwäbischen Romantik und Romanautor
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LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
Liebesbrief an ein Pferd
Ich bin, mein lieber Schimmel,
in einer großen Stadt.
Von jenem blauen Himmel,
der uns geleuchtet hat
auf vielen, vielen Ritten,
ist hier kein Fleck zu sehn
und es ist niemals Erde,
worauf die Menschen gehn.
 
Sie gehn auf harten Steinen
und auf glattem Asphalt.
Ich möchte manchmal weinen
nach Wiese, Acker, Wald.
Ich möchte wieder einmal
mit dir im Freien sein
und über die Wiesen traben
bis spät in den Abend hinein.
 
Wie waren wir zusammen!
Gemeinsam Weg und Ziel!
Wir sprangen im Herbst durch Flammen,
wir schwammen Sommers für Spiel,
wir stampften im vorigen Winter
hinauf ins obere Tal,
wir waren am See und im Hochwald,
auf den Almen ein anderes Mal.
 
Wie soll ich dir das alles sagen?
Ich schreibe – es ist dumm!
Niemanden kannst du tragen,
niemand legt das Saumzeug dir um.
Wer weiß, ob ich noch einmal
zum Pferdestall hingeh
und ob ich dann noch alles
wie einst im Lichte seh.
Guido Zernatto · 1903-1943

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LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
Das Auge der Liebe
Ich wandelte einsam durch Wiese und Feld
Und sommerlich glühte und lachte die Welt,
Da schlüpfte zum Herzen der sengende Strahl
Und siehe! es brannte wie Hügel und Thal.

Die Lerche schwirrte dem Auge vorbei,
Sie trillert aus Lüften! ich bleibe dir treu!
Und wie sie zu silbernen Wölkchen entflieht,
Antwortet ihr leise mein dankendes Lied.

Den Käfer, die Biene, den Schmetterling
Belauscht' ich, da schlendernd am Bache ich ging,
Entzückend durchströmt sie, bei neckenden Spiel,
In fröhlichen Wellen das Lebensgefühl,

Die Blume schauet, umsäuselt vom West,
Wie nimmer das Auge der Sonne sie läßt. -
O, Auge der Liebe, du segnendes Licht,
Beglück' uns im Staube und lasse uns nicht!

(Lydia Hecker, geb. Paalzow, 1802-?)
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Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona

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Bildquelle: Stuttgarter zeitung.de


Alle Schmerzen fassen
Clemens Brentano

Alle Schmerzen fassen,
alle Freuden meiden,
alle Hoffnung lassen,
soll ein liebend Herz voll leiden.

Wenn die Sonne weggegangen,
kömmt die Dunkelheit heran,
Abendrot hat goldne Wangen,
und die Nacht hat Trauer an.

Seit die Liebe weggegangen,
bin ich nun ein Mohrenkind,
und die roten, frohen Wangen,
dunkel und verloren sind.

Dunkelheit muß tief verschweigen,
alles Wehe, alle Lust,
aber Mond und Sterne zeigen,
was ihr wohnet in der Brust.

Wenn die Lippen dir verschweigen
meines Herzens stille Glut,
müssen Blick und Tränen zeigen,
wie die Liebe nimmer ruht.



 

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