Literatur Schöne Lyrik

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Die Kapelle

 
Droben stehet die Kapelle,
Schauet still ins Tal hinab.
Drunten singt bei Wies′ und Quelle
Froh und hell der Hirtenknab′ .

Traurig tönt das Glöcklein nieder,
Schauerlich der Leichenchor,
Stille sind die frohen Lieder,
Und der Knabe lauscht empor.

Droben bringt man sie zu Grabe,
Die sich freuten in dem Tal.
Hirtenknabe, Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.



Ludwig Uhland,
der heute vor 236 Jahren geboren wurde
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Aus gegebenem Anlaß: Ein Mailied – aber mal nicht von Goethe.


        Mailied

        Der Apfelbaum prangt grün und weiß
        Auf zartbegras'ter Weide;
        Der Wonneruf des schönen Mais
        Weckt uns zu sanfter Freude.
        Doch, wird des Frühlings Wiederkehr
        Uns alle hier vereinen?
        Ach! wessen Stätte trau'rt dann leer?
        Und wen muß man beweinen?

        Uns atmen Blumen Wohlgeruch,
        Die Kelch und Tafel schmücken;
        Noch süßer, die am Busentuch
        Des holden Mädchens nicken.
        Ach! Blumen, die, auf welchem Land?
        Aus weichem Kraute sprießen,
        Wird einst getreuer Freundschaft Hand
        Auf unsre Hügel gießen!

        Die Rose bleicht, die Mädchen krönt,
        Es bleicht der Mädchen Locke;
        In froher Hirten Flöte tönt
        Des Dorfes Totenglocke;
        Die Jugend tanzt, im Abendlicht,
        Froh um des Platzes Maie;
        Doch ihren Reigen unterbricht
        Der Grabgeleiter Reihe.

        Der stille Vollmond schien so klar
        Durch blühende Syringen,
        Wo jüngst Verlobte, Paar und Paar,
        In lauer Dämm'rung gingen;
        Seitdem erscholl vom Turm herab
        Das traurige Geläute;
        Der Mond bescheint das frische Grab
        Der früh gestorb'nen Bräute.

        Gefährten, ach! die Stunde naht,
        Wo wir auch müssen scheiden!
        Bestreut indes den kurzen Pfad
        Mit Blüten reiner Freuden.
        Seid gut! Der Unschuld strahlt das Ziel,
        Von Abendrot umgeben,
        Und jedes edlere Gefühl
        Folgt uns zum bessern Leben.

       Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834)
 

CharlotteSusanne
CharlotteSusanne
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von CharlotteSusanne

Auch aus gegebenem Anlaß   😁 :


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LG   Charlie

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Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Michiko

Auch aus gegebenem Anlass ein Gedicht von Wilhelm Busch mit Gruß von Michiko!
 

Sei mir gegrüßt, du lieber Mai,
mit Laub und Blüten mancherlei!
Seid mir gegrüßt, ihr lieben Bienen,
vom Morgensonnenstrahl beschienen!

Wie fliegt ihr munter ein und aus
In Imker Dralles Bienenhaus
Und seid zu dieser Morgenzeit
So früh schon voller Tätigkeit.

Für Diebe ist hier nichts zu machen,
denn vor dem Tore steh'n die Wachen.
Und all‘ die wacker’n Handwerksleute
Die hauen, messen stillvergnügt,
bis dass die Seite sich zur Seite
schön sechsgeeckt zusammenfügt.

Schau! Bienenlieschen in der Frühe
Bringt Staub und Kehricht vor die Tür;
Ja! Reinlichkeit macht viele Mühe,
doch später macht sie auch Pläsier.

 

pixabay
Jole
Jole
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Jole
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

ALS ER LUISEN EIN VEILCHEN BOT

Ich schwöre nicht nach Dichtersitte,
Daß dieses Veilchen schöner blüht,
Wenn es in deines Busens Mitte
Vom Anhauch deines Lebens glüht.
Nah ist des armen Blümchens Ende!
Es welkt dahin im Abendrot,
Und ach! — und findet da den Tod,
Wo ich das Leben fände.

Johann Christoph Friedrich Haug (1761-1829)


[Das waren noch Zeiten...]


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Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Flüchtigste.jpg
Vergänglichkeit - Charlotte von Ahlefeld

Vergänglich ist das festeste im Leben –
was trauerst Du, dass Liebe auch vergeht?
Lass sie dahin in's Reich der Zeiten schweben,
leicht, wie des Lenzes Blütenhauch verweht.

Doch halte fest ihr Schattenbild im Herzen,
und segne dennoch freudig Dein Geschick,
schliesst auch sich eine Reihe bittrer Schmerzen
an Deines Glückes kurzen Augenblick.

Du hast gelebt, denn Liebe nur ist Leben!
Sie nur allein webt um den dunklen Traum,
dem wir den Namen unsers Daseins geben,
der höchsten Wonne glanzerfüllten Saum.

So zürne nicht des Schicksals finstern Mächten,
wenn sie des Lebens Sonne Dir entzieh’n.
Nicht ewig lässt sie sich in unsre Bahn verflechten,
ach, sei zufrieden, dass sie einst Dir schien.


 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Blumenampel3.JPGEigenes Foto

Im Frühling
Eduard Mörike.

Hier lieg′ ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag′ mir, alleinzige Liebe,
wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
sehnend, sich dehnend
in Lieben und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd′ ich gestillt?

Die Wolke seh′ ich wandeln und den Fluß,
es dringt der Sonne goldner Kuß
mir tief bis ins Geblüt hinein;
die Augen, wunderbar berauschet,
tun, als schliefen sie ein,
nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Ich denke dies und denke das,
ich sehne mich und weiß nicht recht, nach was:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
mein Herz, o sage,
was webst du für Erinnerung
in golden grüner Zweige Dämmerung! -
Alte unnennbare Tage!



 
LisaK
LisaK
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
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Der goldene Mai
Giesse Deine Blütenschale,
Frühling, über Berg und Tal,
Lade uns zum Göttermahle!
Endlos war die Winterqual:
Da, mit flammendem Pokale
Tritt der Holde in den Saal.

Wie ein junger Zaubrer steht er
Aufgeschürzt und angetan:
Ihm zu Haupte klarer Äther,
Ihm zu Füssen Wiesenplan,
Und auf Blumensohlen geht er
Lächelnd seine goldne Bahn.

Winkend mit dem Rosenfinger
Schwebt er hin am Himmelszelt,
Überall wird er Bezwinger,
Und die Freudenträne fällt;
Denn er wird der Wiederbringer
Der ersehnten Blütenwelt.

Löst den Westen ihren Zügel -
Über Hütten, Meer und Land
Schwärmen sie mit seid´nem Flügel
Weiter bis zum fernsten Strand,
Und umweben alle Hügel
Neu mit Gras und Blumenrand.

Wilde Buben werden innig
Und es wogt in ihrer Brust,
Holde Mädchen werden sinnig,
Seufzer quellen unbewusst,
Die Natur ist reizend minnig,
Alt und Jung voll Glück und Lust!
(Julius Bercht, 1811-1887, deutscher Dichter)
 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Gestern stürmt's noch

Gestern stürmt's noch, und am Morgen
Blühet schon das ganze Land -
Will auch nicht für morgen sorgen,
Alles steht in Gottes Hand.

Putz dich nur in Gold und Seiden:
In dem Felde über Nacht
Engel Gotts die Lilien kleiden,
Schöner als du's je gedacht.

Sonn dich auf des Lebens Gipfeln:
Über deinem stolzen Haus
Singt der Vogel in den Wipfeln,
Schwingt sich über dich hinaus!

Vögel nicht, noch Blumen sorgen,
Hat doch jedes sein Gewand
Wie so fröhlich rauscht der Morgen!
Alles steht in Gottes Hand.


Joseph Freiher von Eichendorff

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