Literatur Schöne Lyrik

LisaK
LisaK
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
 

Gemeinsam
Vergesset nicht
Freunde
wir reisen gemeinsam
 
besteigen Berge
pflücken Himbeeren
lassen uns tragen
von den vier Winden
 
Vergesset nicht
es ist unsre
gemeinsame Welt
die ungeteilte
ach die geteilte
 
die uns aufblühen läßt
die uns vernichtet
diese zerrissene
ungeteilte Erde
auf der wir
gemeinsam reisen

(in: Rose Ausländer, Ich höre das Herz des Oleanders. Gedichte 1977-1979, Frankfurt 1984)
 
Rose Ausländer
 (* 11. Mai 1901 in Czernowitz, Österreich-Ungarn; † 3. Januar 1988 in Düsseldorf)

Eine der vielen bewundernswerten, starken Frauen, die trotz dunkelster Zeiten
den Glauben an das Leben und die Menschen nicht verloren hatte.


 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona

Urheberrecht-in-der-Cloud.jpg
Liebe Mitglieder,

bitte beachtet das Urheberrecht. 
Gedichte sollten eingegeben werden, deren Autoren bereits seit 70 Jahren verstorben sind. 

Dies nur zur Erinnerung!

Liebe Grüße
Sirona



 
Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Michiko
Zum heutigen Geburtstag von Erich Mühsam, der 1934 im Alter von 56 Jahren im KZ ermordet wurde, habe ich den Revoluzzer ausgesucht. LG an alle hier in der lyrischen Runde😄
 
War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit

Und er schrie: „Ich revolüzze!“
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonsten unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus

Aber unser Revoluzzer
Schrie: „Ich bin der Lampenputzer
Dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
Denn sonst spiel’ ich nicht mehr mit!“

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich

Dann ist er zuhaus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei doch Lampen putzt

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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf LisaK vom 06.04.2023, 09:32:10

Mich freut sehr, daß das Gedicht Die jüdische Mutter von Gertrud Kolmar, das für mich eigentlich nur ein Zufallsfund war, hier offenbar nicht nur viel Anklang findet, sondern auch Resonanz; und Reaktionen zeitigt wie das Gedicht von Rose Ausländer oder die Erinnerung an Erich Mühsam. Herzlichen Dank dafür.

Nachdem ich die neuen Beiträge gelesen hatte, kam mir der Gedanke, daß die Nazis damals nicht nur Juden und Kommunisten verfolgt und ermordet haben, sondern auch vielen Deutschen, die einfach nur ehrlich bleiben wollten, das Leben vergiftet haben. Einer von ihnen war Oskar Loerke, der sich in seiner exponierten Stellung als Lektor beim S. Fischer Verlag irgendwie durchlavieren mußte, wenn er überleben wollte, und unter den Repressalien des Regimes entsetzlich gelitten hat, wovon unzählige Tagebucheinträge (und auch viele postum veröffentlichte Gedichte) Zeugnis ablegen. Zum Beispiel:

14. Februar 1933: Viel Entsetzliches hat sich ereignet.
19. Februar 1933: Ich stehe zwischen den Terroristen von rechts und links. Möglicherweise muß ich zugrunde gehen.
11. April 1933: Eine entsetzliche Zeit der Leiden und Demütigungen.

Und so geht das weiter bis kurz vor seinem viel zu frühen Tode im Februar 1941, mit nicht einmal 57 Jahren. Trotzdem und erstaunlicherweise hat Loerke in den Jahren des Unheils noch viele großartige, teils sehr schöne, teils bitter sarkastische Gedichte geschrieben, von denen ich eines, das mich immer besonders angesprochen hat, hier wiedergeben möchte. Es stammt aus dem Zyklus Der Steinpfad, und handelt vom kreatürlichen Leben, dem unbewußten, gedankenfreien Leben im Einklang.


Wann läßt du Schön und Häßlich, Feig und Kühn,
Wie diese tun und diese tun: sie blühn.
Sie blühen ohne Tiefsinn, ohne Scham,
Weil ihnen niemals ein Besucher kam.
 
Petunie, Glockenblume, Fingerhut,
Sind so sie selbst, daß dich ihr Name schreckt.
Kein Wesen rings hat seinen Kopf bedeckt,
Und alle Wesen gehen unbeschuht.


(Mit dem "Steinpfad" ist der Plattenweg in Loerkes Garten in Berlin-Frohnau gemeint.)

Den kompletten Zyklus kann man auf meiner Website nachlesen:
https://wilfriedkaeding.de/andereautoren/oskarloerke/steinpfad/Der_Steinpfad.html


 

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
IMG_20221217_151256.jpg

Osterspaziergang


Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen, finsteren Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes-Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straße quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle an's Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit' und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein;
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!


Johann Wolfgang von Goethe
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
marterl-eichenbaum.jpgBildquelle:
http://marterl.com/marterl-feldkreuz-wegkreuz.htm

Aus „Deutschland – Ein Wintermärchen“
Heinrich Heine

Und als der Morgennebel zerrann,
da sah ich am Wege ragen,
im Frührotschein, das Bild des Manns,
der an das Kreuz geschlagen.

Mit Wehmut erfüllt mich jedes Mal
dein Anblick, mein armer Vetter,
der du die Welt erlösen gewollt,
du Narr, du Menschheitsretter!

Sie haben dir übel mitgespielt,
die Herren vom hohen Rate.
Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos
von der Kirche und vom Staate!

Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei
noch nicht in jenen Tagen erfunden; 
du hättest geschrieben ein Buch
über die Himmelsfragen.

Der Zensor hätte gestrichen darin,
was etwa anzüglich auf Erden,
und liebend bewahrte dich die Zensur
vor dem gekreuzigt werden.

Ach! hättest du nur einen andern Text
zu deiner Bergpredigt genommen,
besaßest ja Geist und Talent genug,
und konntest schonen die Frommen!

Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar
mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel -
unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz
als warnendes Exempel!


 

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Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Osterhase.jpg

Ostern - Kurt Tucholsky

Da ist nun unser Osterhase!
Er stellt das Schwänzchen in die Höh
und schnuppert hastig mit der Nase
und tanzt sich einen Pah de döh!

Dann geht er wichtig in die Hecken
und tut, was sonst nur Hennen tun:
Er möchte sein Produkt verstecken,
um sich dann etwas auszuruhn.

Das gute Tier! Ein dicker Lümmel
nahm ihm die ganze Eierei
und trug beim Glockenbammelbimmel
sie zu der Liebsten nahebei.

Da sind sie nun. Bunt angemalen
sagt jedes Ei: “ Ein frohes Fest! ”
Doch unter ihren dünnen Schalen
liegt, was sich so nicht sagen lässt.

Iss du das Ei! Und lass dich küssen
zu Ostern und das ganze Jahr ...
Iss nun das Ei! Und du wirst wissen,
was drinnen in den Eiern war!



Frohe Ostern wünscht Euch
Sirona

 
Jole
Jole
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Jole
08-04-2023-15-58-53.gif
Der erste Ostertag
Fünf Hasen, die saßen beisammen dicht.
Es macht ein jeder, ein traurig Gesicht.
Sie jammern und weinen.
Die Sonn' will nicht scheinen!
Bei so vielem Regen.
Wie kann man da legen den Kindern das Ei?
O weih, o weih!
Da sagte der König:
So schweigt doch ein wenig!
Lasst Weinen und Sorgen.
Wir legen sie morgen!
(Heinrich Hoffmann, 1809-1894) 
 
 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Anemone blanda – Seele – Animula vagula blandula

DP2M0212_v1.jpgFoto von gestern.

Zwei Gedichte sind für mich mit dem Anblick der blauen Anemone assoziiert. Zum einen ein Gedicht von Stefan George aus dem Siebenten Ring, in dem Anemonen mit Seelen verglichen werden:

    Betrübt als führten sie zum totenanger
    Sind alle steige wo wir uns begegnen
    Doch trägt die graue luft im sachten regnen
    Schon einen hauch mit neuen keimen schwanger.
    In dünnen reihen ziehen bis zum schachte
    Erfüllt mit falbem licht die welken hecken
    Wie wenn sich viele starren hände recken
    Und jede eine zu umschlingen trachte ..
    Der seltnen vögel klagendes gefistel
    Verliert sich in den gipfeln kahler eichen ·
    Nur ein geheimnisvoll lebendiges zeichen
    Umfängt den schwarzen stamm: die grüne mistel.
    Dass hier vor tagen wol verlockend schaute
    Ein kurzer strahl aus nässe-kaltem qualme
    Verraten auf dem grund die blassen halme:
    Das erste gras.. und zwischen dürrem kraute
    In trauergruppen dunkle anemonen.
    Sie neigen sich bedeckt mit silberflocken
    Und hüllen noch mit ihren blauen glocken
    Ihr innres licht und ihre goldnen kronen
    Und sind wie seelen die im morgengrauen
    Der halberwachten wünsche und im herben
    Vorfrühjahrwind voll lauerndem verderben
    Sich ganz zu öffnen noch nicht recht getrauen.

Das andere Gedicht, an das Anemonen mich erinnern (wohl wegen des Gleichklangs von Anemone blanda und Animula blandula), ist der Fünfzeiler, den nach Überlieferung der Historia Augusta der sterbende Kaiser Hadrian an seine Seele gerichtet hat:

    Animula vagula blandula
    hospes comesque corporis
    quae nunc abibis in loca
    pallidula rígida nudula
    nec ut soles dabis iocos.

Da das unübersetzbar ist, vor allem wegen der vielen Diminutive, spare ich mir jeden Versuch. Im Internet finden sich deutsch- und englischsprachige Übertragungsversuche, die lediglich beweisen, daß es aussichtslos ist.
 
LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
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Der Veilchenpflücker
Sie sprach: "Ich möcht 'nen Veilchenstrauss,
Gepflückt von deiner Hand!"
Da ritt ich flugs in's Feld hinaus,
Bis dass ich Veilchen fand.
Mein Rösslein band ich an den Baum
Und bückte mich in's Gras,
Doch wie ich dort im Liebestraum
Recht emsig pflückend sass -
Da riß mein Pferd sich plötzlich los
Und nahm mit Hast Reissaus.

Ich fügte still mich in mein Los
Und sprach: 's gilt ihrem Strauss!
Der Lohn ist süss, der meiner harrt,
Sie küsst die Veilchen gar,
Dann droht sie mir nach Schelmenart
Und reicht den Mund mir dar.

Dem Rosse folgt' ich lange Zeit,
Und rief und lockte sehr.
Durch Wald und Wiesen lief ich weit,
Doch sah ich's nimmermehr.
Und finster ward's, ich kam nach Haus
Nach manchem Sprung und Sturz -
Was sagte sie zu meinem Strauss?

"Die Stiele sind zu kurz!"
Anna Löhn-Siegel, 1830-1912, deutsche Schriftstellerin
            violets-gd88d50d12_1280.png
Ein Gedicht, das meinen Mann schmunzeln lässt...
Lg Lisa🌞

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