Literatur Schöne Lyrik

Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Die blaue Blume


Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.

Ich wandre mit meiner Harfe
Durch Länder, Städt und Au'n,
Ob nirgends in der Runde
Die blaue Blume zu schaun.

Ich wandre schon seit lange,
Hab lang gehofft, vertraut,
Doch ach, noch nirgends hab ich
Die blaue Blum geschaut.


Joseph Freiherr von Eichendorff

der heute vor 235 Jahren geboren wurde
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Bei diesem nun schon so lange anhaltenden Schmuddelwetter, bei Regen, Wind und Kälte, da man vermeidet, aus dem Haus zu gehen, gleichzeitig aber jeden Tag dösiger wird vom in der Bude herumhocken und sich nur noch sehnlich wünscht, es möge endlich wieder einmal die Sonne scheinen und ein bißchen warm sein, damit man raus kann – bei diesem schäbigen Wetter fiel mir heute Hugo von Hofmannsthals Gedicht „Des alten Mannes Sehnsucht nach dem Sommer“ ein. Hier ist es:


    Des alten Mannes Sehnsucht nach dem Sommer

    Wenn endlich Juli würde anstatt März,

    Nichts hielte mich, ich nähme einen Rand,
    Zu Pferd, zu Wagen oder mit der Bahn
    Käm ich hinaus ins schöne Hügelland.

    Da stünden Gruppen großer Bäume nah,
    Platanen, Rüster, Ahorn oder Eiche:
    Wie lang ists, daß ich keine solchen sah!

    Da stiege ich vom Pferde oder riefe
    Dem Kutscher: Halt! und ginge ohne Ziel
    Nach vorwärts in des Sommerlandes Tiefe.

    Und unter solchen Bäumen ruht ich aus;
    In deren Wipfel wäre Tag und Nacht
    Zugleich, und nicht so wie in diesem Haus,

    Wo Tage manchmal öd sind wie die Nacht
    Und Nächte fahl und lauernd wie der Tag.
    Dort wäre alles Leben, Glanz und Pracht.

    Und aus dem Schatten in des Abendlichts
    Beglückung tret ich, und ein Hauch weht hin,
    Doch nirgend flüsterts: »Alles dies ist nichts.«

    Das Tal wird dunkel, und wo Häuser sind,
    Sind Lichter, und das Dunkel weht mich an,
    Doch nicht vom Sterben spricht der nächtige Wind.

    Ich gehe übern Friedhof hin und sehe
    Nur Blumen sich im letzten Scheine wiegen,
    Von gar nichts anderm fühl ich eine Nähe.

    Und zwischen Haselsträuchern, die schon düstern,
    Fließt Wasser hin, und wie ein Kind, so lausch ich
    Und höre kein »Dies ist vergeblich« flüstern!

    Da ziehe ich mich hurtig aus und springe
    Hinein, und wie ich dann den Kopf erhebe,
    Ist Mond, indes ich mit dem Bächlein ringe.

    Halb heb ich mich aus der eiskalten Welle,
    Und einen glatten Kieselstein ins Land
    Weit schleudernd, steh ich in der Mondeshelle.

    Und auf das mondbeglänzte Sommerland
    Fällt weit ein Schatten: dieser, der so traurig
    Hier nickt, hier hinterm Kissen an der Wand?

    So trüb und traurig, der halb aufrecht kauert
    Vor Tag und böse in das Frühlicht starrt
    Und weiß, daß auf uns beide etwas lauert?

    Er, den der böse Wind in diesem März
    So quält, daß er die Nächte nie sich legt,
    Gekrampft die schwarzen Hände auf sein Herz?

    Ach, wo ist Juli und das Sommerland!


Anmerkung: „einen Rand nehmen“ bedeutet hier wohl: einen Spaziergang machen, sich Bewegung verschaffen. Vgl. Grimms Wörterbuch:  rand, m. lauf, bewegung.


 

LisaK
LisaK
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

Frühling
Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh.
»Er kam, er kam ja immer noch«,
die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuss auf Schuss;
im Garten der alte Apfelbaum
er sträubt sich, aber er muss.
Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei,
es bangt und sorgt: »Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.«
O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh',
es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag `s auch du!

Theodor Fontane (*1819 -† 1898),deutscher Schriftsteller, Journalist und Kritiker.
clipart359106.pngLg Lisa🌞

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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Mein gestriges Gejammer über das schäbige Wetter hat offenbar geholfen. Heute ist es sonnig (nachdem am Morgen noch Schnee lag). Auch dazu fiel mir ein Gedicht ein:


    BLUMEN

    In märzentagen streuten wir die samen
    Wann unser herz noch einmal heftig litt
    An wehen die vom toten jahre kamen
    Am lezten kampf den eis und sonne stritt.

    An schlanken stäbchen wollten wir sie ziehen ·
    Wir suchten ihnen reinen wasserquell ·
    Wir wussten dass sie unterm licht gediehen
    Und unter blicken liebevoll und hell.

    Mit frohem fleisse wurden sie begossen ·
    Wir schauten zu den wolken forschend bang
    Zusammen auf und harrten unverdrossen
    Ob sich ein blatt entrollt ein trieb entsprang.

    Wir haben in dem garten sie gepflückt
    Und an den nachbarlichen weingeländen ·
    Wir wandelten vom glanz der nacht entzückt
    Und trugen sie in unsren kinderhänden.

(Aus: Stefan George, Das Jahr der Seele)

Mit dem Samenstreuen wird das hier in der Gegend allerdings vor Ende April nichts...



 

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Die Nacht

Wie schön, hier zu verträumen
Die Nacht im stillen Wald,
Wenn in den dunklen Bäumen
Das alte Märchen hallt.

Die Berg im Mondesschimmer
Wie in Gedanken stehn,
Und durch verworrne Trümmer
Die Quellen klagend gehn.

Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.

Das ist das irre Klagen
In stiller Waldespracht,
Die Nachtigallen schlagen
Von ihr die ganze Nacht.

Die Stern gehn auf und nieder -
Wann kommst du, Morgenwind,
Und hebst die Schatten wieder
Von dem verträumten Kind?

Schon rührt sich's in den Bäumen,
Die Lerche weckt sie bald -
So will ich treu verträumen
Die Nacht im stillen Wald.



Joseph Freiherr von Eichendorff
 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Passend zur Jahreszeit und zum Wetter ein Gedicht von Konrad Weiß:


Frühling im Regen
 
Frühling, laß den Regen fallen!
Mach den Raum mir zu dem Fenster,
das ich nie mit Kräften, allen,
trocken wische! Laßt mich lallen,
Ohnmacht und ihr Gramgespenster!
 
Wenn der Tau ein Blatt beglänzte,
sahen es die andren Augen,
sprachen von dem Lichte; taugen
kann nichts, da es wieder lenzte,
dem, der sich mit Gram bekränzte.
 
Laßt mir Worte, die ich sagen
will mit dieses Regens Spuren!
Und wie Tropfen blitzend fuhren
an mein Fenster, Himmelsfluren
will ich sehen nicht, nur sagen.
 
(23.4.1937)


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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Das folgende Gedicht über das Alter von Carolyn Clive (1801-1873) fand ich vor vielen Jahren auf einer Internetseite, die sich Daily Poetry Break nannte. Obwohl ich damals selber noch keineswegs alt war, sprach es mich an. Die Übersetzung stammt von mir.


Old Age

THOU hast been wrong'd, I think, old age;
Thy sovereign reign comes not in wrath,
Thou call'st us home from pilgrimage,
Spreadest the seat and clear'st the hearth.

The hopes and fears that shook our youth,
By thee are turn'd to a certainty;
I see my boy become a man,
I hold my girl's girl on my knee.

Whate'er of good has been, dost thou
In the departed past make sure;
Whate'er has changed from weal to woe,
Thy comrade Death stands nigh to cure.

And once or twice in age there shines
Brief gladness, as when winter weaves
In frosty days o'er naked trees,
A sudden splendour of white leaves.

The past revives, and thoughts return,
Which kindled once the youthful breast;
They light us, though no more they burn,
They turn to grey and are at rest.



    Das Alter

    man tut dir unrecht, greisenzeit,
    dein königreich kommt nicht im zorn;
    du lenkst uns heim von langer fahrt,
    breitest den sitz und schürst den herd.

    was jugendunrast hofft und bangt,
    gewißheit wird daraus durch dich;
    ich sehe meinen sohn als mann,
    ich kose meines kindes kind.

    was gutes uns zuteil ward, du
    verwahrst es in der alten zeit,
    was wechselte von wohl zu weh,
    das heilt gevatter Tod nun bald.

    und manchmal lacht ein flüchtiges glück
    dem alter, wie wenn winter webt
    um kahle zweige, wenn es friert,
    plötzlich ein glänzen weißen laubs.

    vergangenes lebt wieder auf,
    das einst das junge herz entflammt;
    es leuchtet, aber brennt nicht mehr,
    verblaßt, erlischt, und dann ist ruh.
     
    Roxanna
    Roxanna
    Mitglied

    RE: Schöne Lyrik
    geschrieben von Roxanna
    DSC02915.JPG


    Wie wenn das Leben wär nichts andres

    Wie wenn das Leben wär nichts andres
    Als das Verbrennen eines Lichts!
    Verloren geht kein einzig Teilchen,
    Jedoch wir selber gehn ins Nichts!
    Denn was wir Leib und Seele nennen,
    So fest in eins gestaltet kaum,
    Es löst sich auf in Tausendteilchen
    Und wimmelt durch den öden Raum.
    Es waltet stets dasselbe Leben,
    Natur geht ihren ew'gen Lauf;
    In tausend neuerschaffnen Wesen
    Stehn diese tausend Teilchen auf.
    Das Wesen aber ist verloren,
    Das nur durch ihren Bund bestand,
    Wenn nicht der Zufall die verstäubten
    Aufs neu zu einem Sein verband.

    Theodor Storm

     
    RE: Schöne Lyrik
    geschrieben von ehemaliges Mitglied
    als Antwort auf Roxanna vom 26.03.2023, 11:26:09

    Hier noch ein Gedicht von Theodor Storm, resignativ-wehmütig im Ton, das ich immer besonders gern hatte. Besonders das dritte Ritornell, wo es vom Garten heißt, er sei "weltfern". So fühl ich mich an guten Tagen auch in meinem Garten: entrückt und allem Alltäglichen enthoben. Jetzt müßten bloß noch die Hyazinthen blühen und endlich besseres Wetter kommen...


    FRAUENRITORNELLE

    Blühende Myrte —
    Ich hoffte süße Frucht von dir zu pflücken;
    Die Blüte fiel; nun seh ich, daß ich irrte.
     
    Schnell welkende Winden —
    Die Spur von meinen Kinderfüßen sucht ich
    An eurem Zaun, doch konnt ich sie nicht finden.
     
    Muskathyazinthen —
    Ihr blühtet einst in Urgroßmutters Garten;
    Das war ein Platz, weltfern, weit, weit dahinten.

    Roxanna
    Roxanna
    Mitglied

    RE: Schöne Lyrik
    geschrieben von Roxanna
    DSC01244.JPG


    Die Amseln haben Sonne getrunken
     
    Die Amseln haben Sonne getrunken,
    Aus allen Gärten strahlen die Lieder,
    In allen Herzen nisten die Amseln,
    Und alle Herzen werden zu Gärten
    Und blühen wieder.

    Nun wachsen der Erde die großen Flügel
    Und allen Träumen neues Gefieder,
    Alle Menschen werden wie Vögel
    Und bauen Nester im Blauen.

    Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge
    Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
    In allen Seelen badet die Sonne,
    Alle Wasser stehen in Flammen,
    Frühling bringt Wasser und Feuer
    Liebend zusammen.



    Max Dauthendey

     

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