Literatur Schöne Lyrik

Jole
Jole
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Jole
 
g.7482107.250590.2380390854.jpg   
Die Fliege
   Gönnt doch dem kleinen Wintergast
Im warmen Zimmer Ruh und Rast.
Da draußen ist gar schlimme Zeit,
Es stürmt und regnet, friert und schneit.

Ach, mein Begehren ist nur klein,
Ich nehme wenig Raum nur ein!
Im Blumenbusch am Fenster hier,
Da such' ich mir ein Nachtquartier.

Und wird es mir darin zu kalt,
So ist mein liebster Aufenthalt
Beim alten Fritzen auf dem Hut,
Da sitz' ich sicher, warm und gut.

Drum laß die arme Flieg' in Ruh,
Sie hat ein Recht zu sein wie du.
Nun, liebes Kind, nun freue dich
Und sei noch lustiger als ich!

Hoffmann von Fallersleben (1798 - 1874)
LisaK
LisaK
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
Ein wunderschöner sonniger Herbsttag…
Ich sitze „mucksmäuschenstill“ im Garten,
 um das Lachen der letzten Schmetterlinge nicht zu überhören.


Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken,
der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, die Nacht entdecken.
Der wird zur Pflanze wenn er will, zum Stier, zum Narr, zum Weisen
und kann in einer Stunde durchs ganze Weltall reisen.

Der weiß, dass er nichts weiß, wie alle anderen auch nichts wissen,
nur weiß er, was die andern und auch er selbst noch lernen müssen.
 
Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken,
der wird im Mondschein ungestört von Furcht, die Nacht entdecken.
Wer mit sich selbst in Frieden lebt, der wird genauso sterben
und ist selbst dann lebendiger, als alle seine Erben.
 
                                                        Lg. Lisa 🌞      animaatjes-vlinders-24019.gif        
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC02068.JPG

Noch ist die blühende goldene Zeit

Noch ist die blühende goldene Zeit,
O du schöne Welt, wie bist du so weit!
Und so weit ist mein Herz, und so froh wie der Tag,
Wie die Lüfte, durchjubelt von Lerchenschlag!
Ihr Fröhlichen, singt weil das Leben noch mait:
Noch ist die schöne die blühende Zeit,
Noch sind die Tage der Rosen!

Frei ist das Herz, und frei ist das Lied,
Und frei ist der Bursch, der die Welt durchzieht,
Und ein rosiger Kuss ist nicht minder frei,
So spröd und verschämt auch die Lippe sei.
Wo ein Lied erklingt, wo ein Kuss sich beut,
Da heißt's: Noch ist blühende goldene Zeit,
Noch sind die Tage der Rosen!

Ja im Herzen tief innen ist alles daheim
der Freude Saaten, der Schmerzen Keim.
Drum frisch sei das Herz und lebendig der Sinn
dann brauset, ihr Stürme, daher und dahin!
Wir aber sind allzeit zu singen bereit:
Noch ist die blühende goldene Zeit,
noch sind die Tage der Rosen!

Otto Roquette

 

Anzeige

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Fliedertee.jpg Bild gemeinfrei


Der Wundermann 
Hermann Löns

In Völksen wohnt ein Wundermann,
der jede Krankheit heilen kann:
Zahnweh und Friesel und den Mumps,
die Schwindsucht und den Fuß des Klumps.

Er hat nicht Medizin studiert,
hat nicht zum Doktor promoviert,
mit einer Tasse Fliedertee
kuriert er jedes Ach und Weh.

Kolik und Infaulentia,
die Wassersucht, das Podagra,
für Gallenstein, für Hüfteweh,
für alles hilft der Fliedertee.

Das heißt, dem Wundermann hilft er,
bisher war seine Börse leer,
jetzt ist stets voll sein Portemonnaie,
so sehr hilft dieser Fliedertee.

Für kalten Brand und dickes Blut
ist Fliedertee vorzüglich gut,
für Krätze, Krebs und auch für Gicht,
bloß gegen Dummheit hilft er nicht.



Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
waldsee-7a13dba8-e9a0-4fc3-a364-67f1ceec9816.jpgBild gemeinfrei

Waldandacht
Regine Merkle

Das Lieblichste, was ich auf Erden sah,
das ist im grünen Wald ein See!
Das ist mein Ideal in der Natur,
dahin zieht mich mein Herze nur.

Wenn ich am Sonntagmorgen steh
an meinem lieben, schönen See,
die Glocken läuten aus der Fern,
zu rufen in das Haus des Herrn.

Und hier im grünen Gottestempel,
all die Vöglein loben Gott mit Schall,
die Lüfte säuseln leis dazu
und ringsum tiefe, sel’ge Ruh.

Dann wird mein Herz so friedlich still
hier in dem schönen Waldidyll,
und mit der Vöglein frohem Chor
schick ich dem Schöpfer Dank empor.



 
CharlotteSusanne
CharlotteSusanne
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von CharlotteSusanne
als Antwort auf Sirona vom 31.10.2022, 09:02:02
Liebe Sirona, Dein "Wundermann"-Gedicht hat heute etwas
sehr Schönes bewirkt : nämlich, daß es Clematis gelesen und
mir in einer PN erklärt hat, was ich Dir nicht vorenthalten möchte ......

Ich schreibe es Dir in einer PN, damit Du selbst dazu Stellung nehmen kannst.

Dir und Clematis und allen, die hier lesen und beitragen, wünsche ich ein
schönes Wochenende
und grüße herzlich !

Charlie


collage (12).png

 

Anzeige

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Sirona vom 31.10.2022, 09:02:02
Fliedertee.jpg Bild gemeinfrei

❗️❗️Eine liebe Userin, die sich leider abgemeldet hat, wies darauf hin, dass mit "Flieder" der Holunder gemeint ist. Es sollte demnach niemand den Gartenflieder als Tee verwenden. 😍

Der Wundermann 
Hermann Löns

In Völksen wohnt ein Wundermann,
der jede Krankheit heilen kann:
Zahnweh und Friesel und den Mumps,
die Schwindsucht und den Fuß des Klumps.

Er hat nicht Medizin studiert,
hat nicht zum Doktor promoviert,
mit einer Tasse Fliedertee
kuriert er jedes Ach und Weh.

Kolik und Infaulentia,
die Wassersucht, das Podagra,
für Gallenstein, für Hüfteweh,
für alles hilft der Fliedertee.

Das heißt, dem Wundermann hilft er,
bisher war seine Börse leer,
jetzt ist stets voll sein Portemonnaie,
so sehr hilft dieser Fliedertee.

Für kalten Brand und dickes Blut
ist Fliedertee vorzüglich gut,
für Krätze, Krebs und auch für Gicht,
bloß gegen Dummheit hilft er nicht.


 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
sterbender schwan.jpg
Bildquelle:
https://www.thesun.co.uk/news/1479160/psycho-swan-smashes-up-eight-model-boats-worth-up-to-120k-on-popular-lake/

Ich möchte sterben wie der Schwan,
der, langsam rudernd mit den Schwingen
auf seiner blauen Wasserbahn
die Seele löst in leisem Singen.

Und starb er, wenn der Abend schied
mit goldnem Kusse von den Gipfeln,
nachhallend säuselt noch das Lied
die ganze Nacht in Busch und Wipfeln.


O würde mir ein solch Geschick!
Dürft' unter Liedern ich erblassen!
Könnt' ich ein Echo voll Musik
dem Volk der Deutschen hinterlassen!


Doch Größern nur ward solch ein Klang,
nur Auserwählten unter vielen,

mir wird im Tode kein Gesang
verklärend um die Lippen spielen.


Tonlos werd' ich hinüber gehn,
man wird mich stumm zur Grube tragen,
und wenn die Feier ist geschehn,
wird niemand weiter nach mir fragen.


Die letzte Zeile des Dichters klingt fast wie eine Vorausschau. Denn wer kennt heute noch die Lyrik von E. Geibel?


 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Pudel-Droste Hülshoff.jpgBildquelle:
https://fera24.de/pudel-poodle-eigenschaften-pflege-gesundheit-hunde-enzyklopadie.html


Instinkt - Annette Droste von Hülshoff
 
Bin ich allein, verhallt des Tages Rauschen
im frischen Wald, im braunen Heideland,
um mein Gesicht die Gräser nickend bauschen,
ein Vogel flattert an des Nestes Rand,
und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund,
gleich Feuerwürmern seine Augen glimmen,
dann kommen mir Gedanken, ob gesund,
ob krank, das mag ich selber nicht bestimmen.
 
Ergründen möcht' ich, ob das Blut, das grüne,
kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt,
ob Dionaea*) um die kühne Biene
bewußtlos ihre rauhen Netze schlägt,
was in dem weißen Sterne zuckt und greift,
wenn er, die Fäden streckend, leise schauert,
und ob, vom Duft der Menschenhand gestreift,
gefühllos ganz die Sensitive trauert?
 
Und wieder muß ich auf den Vogel sehen,
der dort so zürnend seine Federn sträubt,
mit kriegerischem Schrei mich aus den Nähen
der nackten Brut, nach allen Kräften treibt.
Was ist Instinkt? - tiefsten Gefühles Herd;
Instinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde
als jene Fürstin, von der Glut verzehrt,
als Heil'ge ward posaunt in alle Winde.
 
Und du, mein zott'ger Tremm, der schlafestrunken
noch ob der Herrin wacht und durch das Grün
läßt blinzelnd streifen seiner Blicke Funken,
sag' an, was deine klugen Augen glühn?
Ich bin es nicht, die deine Schale füllt,
nicht gab der Nahrung Trieb dich mir zu eigen,
und mit der Sklavenpeitsche kann mein Bild
noch minder dir im dumpfen Hirne steigen.
 
Wer kann mir sagen, ob des Hundes Seele
hinaufwärts, oder ob nach unten steigt?
Und müde, müde drück' ich in die Schmehle*)
mein Haupt, wo siedend der Gedanke steigt.
Was ist es, das ein hungermattes Tier,
mit dem gestohl’nen Brote für das bleiche
blutrünst'ge Antlitz, in das Waldrevier
läßt flüchten und verschmachten bei der Leiche?
 
Das sind Gedanken, die uns könnten töten,
den Geist betäuben, rauben jedes Glück,
mit tausendfachem Mord die Hände röten,
und leise schaudernd wend' ich meinen Blick.
O schlimme Zeit, die solche Gäste rief
in meines Sinnens harmlos lichte Bläue!
O schlechte Welt, die mich so lang' und tief
ließ grübeln über eines Pudels Treue!
 
*) Dionaea - fleischfressende Pflanze
*) Schmehle bedeutet nachdenklich den Kopf mit der Hand stützen




 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Grabstätte Rilkes.jpgBild: gemeinfrei - Rilkes Grabstätte 



Todes-Erfahrung 
R. M. Rilke

Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das 

nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,
 
Bewunderung und Liebe oder Hass
 
dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund 



tragischer Klage wunderlich entstellt.
 
Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.
 
Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,
 
spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt. 



Doch als du gingst, da brach in diese Bühne
 
ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt 

durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,
 
wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.

 

Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes 

hersagend und Gebärden dann und wann 

aufhebend; aber dein von uns entferntes,
 
aus unserm Stück entrücktes Dasein kann

 

uns manchmal überkommen, wie ein Wissen
 
von jener Wirklichkeit sich niedersenkend,
 
so dass wir eine Weile hingerissen
 
das Leben spielen, nicht an Beifall denkend. 



 

Anzeige