Literatur Schöne Lyrik
Sehr aktuell! Wie viele Tränen muss der Tod in diesen Tagen "mitten in uns" weinen. 😪
Meine Lieben haben kurz vor meiner Anreise mit den Kindern eine Bergtour (Hüttenwanderung) unternommen. Wahrscheinlich hat sich meine Tochter in irgendeiner Hütte den Corona-Virus eingefangen. Es ist ja bekannt wie lebendig es oft in diesen meistens sehr engen Hütten zugeht. Aber der Verlauf war mild, doch um einer Ansteckungsgefahr in meinem Alter zu entgehen, bin ich lieber daheim geblieben.
LG Sirona
LG Sirona
SCHAU ICH IN DIE TIEFSTE FERNE
Friedrich Hebbel
Schau ich in die tiefste Ferne
meiner Kinderzeit hinab,
steigt mit Vater und mit Mutter
auch ein Hund aus seinem Grab.
Fröhlich kommt er hergesprungen,
frischen Muts, den Staub der Gruft
wie so oft den Staub der Straße,
von sich schüttelnd in der Luft.
Mit den treuen, braunen Augen
blickt er wieder auf zu mir,
und er scheint, wie einst, zu mahnen:
Geh doch nur, ich folge dir!
Denn in unserm Hause fehlte
es an Dienern ganz und gar,
doch die Mutter ließ mich laufen,
wenn er mir zur Seite war.
Besser gab auch keine Amme
je auf ihren Schützling acht,
und er hatte scharfe Waffen
und Gebrauchte sie mit Macht.
Seine eignen Kameraden
hielt er mit den Zähnen fern,
und des Nachbars Katze ehrte
ihn von selbst als ihren Herrn.
Doch wenn ich dem alten Brunnen
spielend nahte hinterm Haus,
bellte er mit heller Stimme
meine Mutter gleich heraus.
Er erhielt von jedem Bissen
seinen Teil, den ich bekam,
und er war mir so ergeben,
daß er selbst die Kirschen nahm.
Wie die beiden Dioskuren
brachten wir die Tage hin,
einer durch den andern glücklich,
jede Stunde ein Gewinn.
Aber allzu bald nur trübte
uns der heitre Himmel sich;
denn er hatte einen Fehler:
diesen, dass er wuchs wie ich.
Und an ihm erschien als Sünde,
was an mir als Tugend galt,
da man mich ums Wachsen lobte,
aber ihn ums Wachsen schalt.
Immer größer ward der Hunger,
immer kleiner ward das Brot,
und der eine konnte essen,
was die Mutter beiden bot.
Als ich eines Morgens fragte,
sagte man, er wäre fort,
und entlaufen wie mein Hase;
doch es war ein falsches Wort.
Noch denselben Abend kehrte
er zu seinem Freund zurück,
den zerbiss’nen Strick am Halse;
doch das war ein kurzes Glück.
Denn obgleich er mit ins Bette
durfte – ach, ich bat so sehr –
war er morgens doch verschwunden,
und ich sah ihn niemals mehr.
Man sollte sich vorher gut überlegen ob man einen heranwachsenden Hund auch ernähren bzw. versorgen kann. Dieses Gedicht erinnert an die Unbesonnenheit vieler Eltern, die den Bitten ihrer Kinder nicht widerstehen können und Wünsche erfüllen, die sich später als Desaster herausstellen. Auch während des Lockdowns haben sich viele Menschen Hunde und Tiere angeschafft, die später dann im Tierheim landeten.
Das ist ein reicher Segen
In Gärten und an Wegen!
Die Bäume brechen fast.
Wie voll doch alles hanget!
Wie lieblich schwebt und pranget
Der Äpfel goldne Last!
Jetzt auf den Baum gestiegen!
Laßt uns die Zweige biegen,
Daß jedes pflücken kann!
Wie hoch die Äpfel hangen,
Wir holen sie mit Stangen
Und Haken all´ heran.
Und ist das Werk vollendet,
So wird auch uns gespendet
Ein Lohn für unsern Fleiß.
Dann ziehn wir fort und bringen
Die Äpfel heim und singen
Dem Herbste Lob und Preis
Hoffmann von Fallersleben (1859)
Eigenes Foto - Bei einer Wanderung in Kärnten
Der Wegweiser
Wilhelm Müller (1794 – 1827)
Was vermeid ich denn die Wege,
wo die andren Wandrer gehn,
suche mir versteckte Stege
durch verschneite Felsenhöhn?
Habe ja doch nichts begangen,
daß ich Menschen sollte scheun –
welch ein törichtes Verlangen
treibt mich in die Wüstenein?
Weiser stehen auf den Straßen,
weisen auf die Städte zu,
und ich wandre sonder Maßen,
ohne Ruh, und suche Ruh.
Einen Weiser seh ich stehen
unverrückt vor meinem Blick;
eine Straße muß ich gehen,
die noch keiner ging zurück.
(vertont Franz Schubert)
https://www.youtube.com/watch?v=T2pFui3QRnI
Der Wegweiser
Wilhelm Müller (1794 – 1827)
Was vermeid ich denn die Wege,
wo die andren Wandrer gehn,
suche mir versteckte Stege
durch verschneite Felsenhöhn?
Habe ja doch nichts begangen,
daß ich Menschen sollte scheun –
welch ein törichtes Verlangen
treibt mich in die Wüstenein?
Weiser stehen auf den Straßen,
weisen auf die Städte zu,
und ich wandre sonder Maßen,
ohne Ruh, und suche Ruh.
Einen Weiser seh ich stehen
unverrückt vor meinem Blick;
eine Straße muß ich gehen,
die noch keiner ging zurück.
(vertont Franz Schubert)
https://www.youtube.com/watch?v=T2pFui3QRnI
Erich Kästner: "Ich bin die Zeit"
Zum Einschlafen zu sagen
Ich möchte jemanden einsingen,
bei jemandem sitzen und sein.
Ich möchte dich wiegen und kleinsingen
und begleiten schlafaus und schlafein.
Ich möchte der Einzige sein im Haus,
der wüßte: die Nacht war kalt.
Und möchte horchen herein und hinaus
in dich, in die Welt, in den Wald.
Die Uhren rufen sich schlagend an,
und man sieht der Zeit auf den Grund.
Und unten geht noch ein fremder Mann
und stört einen fremden Hund.
Dahinter wird Stille. Ich habe groß
die Augen auf dich gelegt;
und sie halten dich sanft und lassen dich los,
wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt.
Rainer Maria Rilke
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Mit deinen Augen seh ich süßes Licht
Mit deinen Augen seh ich süßes Licht,
das ich mit meinen blinden nicht mehr schaue,
und, das ich, lahm, zu tragen mich getraue,.
mit deinen Füßen trag ich dies Gewicht.
Dem Federlosen gibt dein Flügel Halt,
dein Geist weiß mich zum Himmel zu entfachen,
du hast die Macht, mich rot und blaß zu machen,
im Froste heiß und in der Sonne kalt.
In deinem Willen ist mein Wille drin,
mein Denken wird in deiner Brust bereitet,
in meine Worte weht dein Atem ein.
Es scheint, daß ich dem Monde ähnlich bin,
den unser Auge oben nur begleitet,
soweit die Sonne ihn versieht mit Schein.
Michelangelo Buonarroti
Glaube an die Welt
Laß ab von diesem Zweifeln, Klauben,
vor dem das Beste selbst zerfällt,
und wahre dir den vollen Glauben
an diese Welt trotz dieser Welt.
Schau hin auf eines Weibes Züge,
das lächelnd auf den Säugling blickt,
und fühl’s: es ist nicht alles Lüge,
was uns das Leben bringt und schickt.
Und, Herze, willst du ganz genesen,
sei selber wahr, sei selber rein!
Was wir in Welt und Menschen lesen,
ist nur der eigene Widerschein.
Beutst du dem Geiste seine Nahrung,
so laß nicht darben sein Gemüt,
des Lebens höchste Offenbarung
doch immer aus dem Herzen blüht.
Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,
ja mehr noch eines Kindes Lall’n
kann leuchtender in deine Seele
wie Weisheit aller Weisen fall’n.
Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen
erkennst du ganz, was Leben heißt;
o lerne denken mit dem Herzen,
und lerne fühlen mit dem Geist.
vor dem das Beste selbst zerfällt,
und wahre dir den vollen Glauben
an diese Welt trotz dieser Welt.
Schau hin auf eines Weibes Züge,
das lächelnd auf den Säugling blickt,
und fühl’s: es ist nicht alles Lüge,
was uns das Leben bringt und schickt.
Und, Herze, willst du ganz genesen,
sei selber wahr, sei selber rein!
Was wir in Welt und Menschen lesen,
ist nur der eigene Widerschein.
Beutst du dem Geiste seine Nahrung,
so laß nicht darben sein Gemüt,
des Lebens höchste Offenbarung
doch immer aus dem Herzen blüht.
Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,
ja mehr noch eines Kindes Lall’n
kann leuchtender in deine Seele
wie Weisheit aller Weisen fall’n.
Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen
erkennst du ganz, was Leben heißt;
o lerne denken mit dem Herzen,
und lerne fühlen mit dem Geist.
Theodor Fontane
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Wie süß das Mondlicht auf dem Hügel schläft:
Hier woll’n wir sitzen und den süßen Schall
Zum Ohre lassen schlüpfen. Sanfte Stille
Und Nacht wird Taste süßer Harmonie.
Sitz, Jessika, sieh, wie die Himmelsflur
Ist eingelegt mit Stücken reichen Goldes!
Da ist kein kleiner Kreis, den du da siehst,
der nicht in seinem Lauf wie’n Engel singt,
Stimmt ein ins Chor der jungen Cherubim.
Die Harmonie ist in den ew’gen Tönen;
Nur wir, so lang dies Nothleid Sterblichkeit
Uns grob einhüllet, können sie nicht hören.
(nach Shakespeare, übersetzt von J.G. Herder um 1785)