Literatur Schöne Lyrik
Weihnachtsabend
Theodor Storm (1817-1888)
Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war's; durch alle Gassen scholl
der Kinderjubel und des Markts Gebraus.
Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,
drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:
"Kauft, lieber Herr!" Ein magres Händchen hielt
feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.
Ich schrak empor, und beim Laternenschein
sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
wes Alters und Geschlechts es mochte sein,
erkannt ich im Vorübertreiben nicht.
Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,
noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:
"Kauft, lieber Herr!" den Ruf ohn Unterlass;
doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.
Und ich? - War's Ungeschick, war es die Scham,
am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh meine Hand zu meiner Börse kam,
verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.
Doch als ich endlich war mit mir allein,
erfasste mich die Angst im Herzen so,
als säß mein eigen Kind auf jenem Stein
und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.
Eigenes Foto
Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.
Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
Im grünen Ofen kracht ein Scheit
und stürzt in lichten Lohgewittern,
und draußen wächst im Flockenflittern
der weiße Tag zu Ewigkeit.
Rainer Maria Rilke
Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.
Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
Im grünen Ofen kracht ein Scheit
und stürzt in lichten Lohgewittern,
und draußen wächst im Flockenflittern
der weiße Tag zu Ewigkeit.
Rainer Maria Rilke
Die Nachtblume
Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust und Leid und Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.
Wünsche wie die Wolken sind,
Schiffen durch die stillen Räume,
Wer erkennt im lauen Wind,
Obs Gedanken oder Träume? –
Schließ ich nun auch Herz und Mund,
Die so gern den Sternen klagen:
Leise doch im Herzensgrund
Bleibt das linde Wellenschlagen.
Joseph Freiherr von Eichendorff
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
***
Karl Ernst Knodt
(1856-1917)
Reife
Im hohen, heißen Sommer,
Wenn schwanger alle Luft,
Spürst du ganz einen eignen,
Der Reife schweren Duft.
Es weht ein drängend Leben
Von jedem Halme her.
Auch du, mein Herz, wie trägst du
An deiner Liebe schwer.
***
Welch Geheimnis ist ein Kind!
Gott ist auch ein Kind gewesen.
Weil wir Kinder Gottes sind,
kam ein Kind, uns zu erlösen.
Welch Geheimnis ist ein Kind!
Wer dies einmal je empfunden,
ist den Kindern überall
durch das Jesuskind verbunden.
Clemens Brentano
Eigenes Foto
Vom Christkind
(Anna Ritter 1865 - 19219
Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen!
Es kam aus dem Walde,
das Mützchen voll Schnee,
mit rotgefrorenem Näschen.
Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack, der war gar schwer,
schleppte und polterte hinter ihm her.
Was drin war, möchtet ihr wissen?
Ihre Naseweise,ihr Schelmenpack –
denkt ihr, er wäre offen der Sack?
Zugebunden bis oben hin!
Doch war gewiss etwas Schönes drin!
Es roch so nach Äpfeln und Nüssen!
Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede auf Erden
bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Ich wünsche allen Lyrikfreunden ein gesegnetes und besinnliches Weihnachtsfest!
Möge uns der Weihnachtsfrieden auch durch das ganze Jahr 2022 begleiten.
Liebe Grüße
Sirona
Vom Christkind
(Anna Ritter 1865 - 19219
Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen!
Es kam aus dem Walde,
das Mützchen voll Schnee,
mit rotgefrorenem Näschen.
Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack, der war gar schwer,
schleppte und polterte hinter ihm her.
Was drin war, möchtet ihr wissen?
Ihre Naseweise,ihr Schelmenpack –
denkt ihr, er wäre offen der Sack?
Zugebunden bis oben hin!
Doch war gewiss etwas Schönes drin!
Es roch so nach Äpfeln und Nüssen!
Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede auf Erden
bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Ich wünsche allen Lyrikfreunden ein gesegnetes und besinnliches Weihnachtsfest!
Möge uns der Weihnachtsfrieden auch durch das ganze Jahr 2022 begleiten.
Liebe Grüße
Sirona
Bildquelle: Doris Ritzka - Prignitzer Nachrichten
Es rauschen die Winde
so herbstlich und kalt;
verödet die Fluren
entblättert der Wald.
Ihr blumigen Auen!
Du sonniges Grün!
So welken die Blüten
des Lebens dahin.
Es ziehen die Wolken
so finster und grau;
verschwunden die Sterne
am himmlischen Blau!
Ach wie die Gestirne
am Himmel entflieh’n,
so sinket die Hoffnung
des Lebens dahin!
Ihr Tage des Lenzes
mit Rosen geschmückt,
wo ich die Geliebte
ans Herz gedrückt!
Kalt über den Hügel
rauscht, Winde, dahin!
So sterben die Rosen
der Liebe dahin.
(Ludwig Rellstab)
Eigenes Foto - Burgruine Schloßpark Bochum-Weitmar
Aus zerrißnen Wolkenmassen
steigt ins Blau der goldne Mond,
und beglänzt den Bergesgipfel,
wo die Burgruine thront.
Am bemoosten Turme steh' ich,
himmelwärts das Angesicht,
und ich horche, und ich lausche,
was der Mond herniederspricht.
Von viel tausend Mädchenaugen
ist's ein wunderbares Lied,
von viel tausend roten Küssen,
die er in den Talen sieht.
Und schon will er mir erzählen
von dem fernen blonden Kind –
ach, da kommen dunkle Wolken
und das Lied verweht im Wind.
(Emanuel Geibel)
Aus zerrißnen Wolkenmassen
steigt ins Blau der goldne Mond,
und beglänzt den Bergesgipfel,
wo die Burgruine thront.
Am bemoosten Turme steh' ich,
himmelwärts das Angesicht,
und ich horche, und ich lausche,
was der Mond herniederspricht.
Von viel tausend Mädchenaugen
ist's ein wunderbares Lied,
von viel tausend roten Küssen,
die er in den Talen sieht.
Und schon will er mir erzählen
von dem fernen blonden Kind –
ach, da kommen dunkle Wolken
und das Lied verweht im Wind.
(Emanuel Geibel)
Bildquelle.
https://geneee.org/wolfgang+maximilian/von+goethe?lang=de
Aus der Ferne
Wie schön! wenn aus vergang'nen Zeiten
ein Jugendhauch den Geist bewegt,
und leis' an längst verklung'ne Saiten
des viel bewegten Herzens schlägt!
Ist es ein Traum aus frühen Tagen?
Ist es der Kindheit Sonnenblick?
Ich fühl' es tief und kann's nicht sagen,
ich fühle erster Tage Glück.
Was mir dazwischen hingeflossen,
vergessen ist es wie das Heut;
was mich umgibt, wird übergossen
vom Zauber der Vergangenheit.
Wolfgang Maximilian Goethe
(1820 - 1883) Enkel des Dichters Johann Wolfgang von Goethe
Eigenes Foto - Baldramsdorf Kärnten
Erstarrung
Ich such' im Schnee vergebens
nach ihrer Tritte Spur,
wo sie an meinem Arme
durchstrich die grüne Flur.
Ich will den Boden küssen,
durchdringen Eis und Schnee
mit meinen heißen Tränen,
bis ich die Erde seh’.
Wo find' ich eine Blüte,
wo find' ich grünes Gras?
Die Blumen sind erstorben,
der Rasen sieht so blaß.
Soll denn kein Angedenken
ich nehmen mit von hier?
Wenn meine Schmerzen schweigen,
wer sagt mir dann von ihr?
Mein Herz ist wie erstorben,
kalt starrt ihr Bild darin;
schmilzt je das Herz mir wieder,
fließt auch ihr Bild dahin!
Text: Wilh. Müller
Vertont von Franz Schubert (Winterreise)
Erstarrung
Ich such' im Schnee vergebens
nach ihrer Tritte Spur,
wo sie an meinem Arme
durchstrich die grüne Flur.
Ich will den Boden küssen,
durchdringen Eis und Schnee
mit meinen heißen Tränen,
bis ich die Erde seh’.
Wo find' ich eine Blüte,
wo find' ich grünes Gras?
Die Blumen sind erstorben,
der Rasen sieht so blaß.
Soll denn kein Angedenken
ich nehmen mit von hier?
Wenn meine Schmerzen schweigen,
wer sagt mir dann von ihr?
Mein Herz ist wie erstorben,
kalt starrt ihr Bild darin;
schmilzt je das Herz mir wieder,
fließt auch ihr Bild dahin!
Text: Wilh. Müller
Vertont von Franz Schubert (Winterreise)