Literatur Schöne Lyrik
Längst ist der Täuschung holder Traum verschwunden
Längst ist der Täuschung holder Traum verschwunden,
Wo ich das Wesen schätzte nach dem Scheine,
Wo allzuleicht ich wähnte Edelsteine
Im bunten Kehricht dieser Welt gefunden.
Drum will die süße Kost mir nicht mehr munden,
Verdrießlich wend' ich mich von eurem Weine,
Denn überall erblick' ich das Gemeine,
Das ihr mit schnödem Flitterwerk umwunden.
Und doch bin ich zu jung, um nicht zu hoffen,
Es sei ein stiller Raum noch aufzufinden,
Den nicht der Fluch der bösen Zeit getroffen,
Wo ohne Mißgunst Tag' und Jahre schwinden,
Wo wahrer Lieb' die Herzen stehen offen,
Wo keine Fesseln unsre Seele binden.
Karl Hermann Schauenburg
Die weiße Weihnachtsrose
Hermann von Lingg (1820 – 1905)
Wenn über Wege tiefbeschneit
der Schlitten lustig rennt,
im Spätjahr in der Dämmerzeit,
die Wochen im Advent,
wenn aus dem Schnee das junge Reh
sich Kräuter sucht und Moose,
blüht unverdorrt im Frost noch fort
die weiße Weihnachtsrose.
Kein Blümchen sonst auf weiter Flur;
in ihrem Dornenkleid
nur sie, die niedre Distel nur
trotz allem Winterleid;
das macht, sie will erwarten still,
bis sich die Sonne wendet,
damit sie weiß, dass Schnee und Eis
auch diesmal wieder endet.
Doch ist’s geschehn, nimmt fühlbar kaum
der Nächte Dunkel ab,
dann sinkt mit einem Hoffnungstraum
auch sie zurück ins Grab.
Nun schläft sie gern; sie hat von fern
des Frühlings Gruß vernommen,
und o wie bald wird glanzumwallt
er sie zu wecken kommen.
Mal wieder ein sehr bewegender und berührender Rückert.
***
Friedrich Rückert
(1788-1866)
Ich bin der Welt abhanden gekommen
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat solange von mir nichts vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben.
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält.
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgewimmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet.
Ich leb' in mir und meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied.
***
Gustav Mahler hat es vertont, vorgetragen wird es hier von dem großartigen Hermann Prey.
'Ich bin der Welt abhanden gekommen'
von Friedrich Rückert,
vertont von Gustav Mahler.
Bariton: Hermann Prey
Piano: Michael Krist
Aufnahme: Phonogram GmbH München, Oktober 1972
Viele Komponisten wurden durch die Dichtkunst inspiriert und haben sehr oft die sie ansprechenden Texte vertont. Ganz besonders aber hatte sich Franz Schubert der Liedkunst gewidmet, er komponierte über 600 Lieder, was erkennen lässt, dass er sich für unsere großen Dichter interessiert hat und ihre Werke kannte.
Danke für Rückert und Mahler, die beiden ergänzen sich hervorragend.
Gern geschehen 😊. Dass Künstler wie z.B. Komponisten, sich von den Werken anderer Künstler, wie z.B. Dichter, inspiriert fühlten, wundert wohl nicht und unsereins kann sich nun darüber freuen, dass die Komponisten den Werken der Dichter sozusagen einen musikalischen Mantel gaben. Allerdings finde ich den Gesang oft schwer verständlich (rein akustisch) und lese deswegen gerne beim Hören das entsprechende Gedicht dazu. 😊
Mal wieder etwas Melancholisches vom Herrn Rilke. Ich vermute mal, Lenau und Rilke hätten sich gut verstanden. 🌝
***
Der Tag entschlummert leise
Der Tag entschlummert leise, –
ich walle menschenfern …
Wach sind im weiten Kreise
ich – und ein bleicher Stern.
Sein Auge lichtdurchwoben
ruht flimmernt hell auf mir,
er scheint am Himmel droben
so einsam, wie ich hier …
***
Es gibt auch eine Vertonung.
Aufnahme von 2013
Künstlerinnen: Melitta Hajek und Rose Marie Zartner
Komponist: Johannes Bammer (1888-1988)
Abend – Gottfried Keller
In Gold und Purpur tief verhüllt,
willst du mit deiner Leuchte scheiden,
und ich, noch ganz von dir erfüllt,
soll, Sonne, dich nun plötzlich meiden?
Du hast mein Herz mit Lust entzündet:
Du allerschönste Königin;
wenn mir dein Strahlenantlitz schwindet,
ist nicht das Feuer todt und hin?
O reiche mir noch Einen Strahl,
der labend, leuchtend auf mich falle,
dass ich aus diesem Dämmerthal
an deiner Hand hinüber walle!
Ich will dein treuer Page bleiben,
dein Spiegel, wie das blaue Meer,
als Schäfer deine Lämmer treiben,
die Morgenwolken, vor dir her.
Als leichte, leichte Wolke nur
lass mich an deinem Hofe weilen,
als deines Glanzes letzte Spur
von deinem Siegeszuge eilen!
Ich präg' als Lehrer neue Lieder
den Lerchen, deinen Kindern, ein.
Du willst mich nicht? Du tauchest nieder?
Ich bin im Schatten, bin allein!
Verlassen, bang wend' ich mich ab,
die Welt ist eine todte Kohle;
was jüngst nur Klarheit wiedergab,
stäubt, Asche, unter meiner Sohle.
Doch schau: wie ich gen Osten kehre,
taucht mir ein neues Wunder auf:
In rosig mildem Nebelmeere
beginnt der Silbermond den Lauf.
Leis, magisch kommt der Riesenstern
auf grünen Wipfeln hergegangen;
er ist nicht kalt, er ist nicht fern,
nein, warm und nah wie zum Erlangen.
Ist er der Sonne Aehrenleser,
der nach verlornen Strahlen jagt?
Ist er der Sonne Reichsverweser,
bis wieder sie im Osten tagt? --
Es ist auf Erden keine Nacht,
die nicht noch ihren Schimmer hätte,
so groß ist keines Unglücks Macht,
ein Blümlein hängt in seiner Kette!
Ist nur das Herz von rechtem Schlage,
so baut es sich ein Sternenhaus,
und schafft die Nacht zu hellem Tage,
wo sonst nur Asche, Schutt und Graus.
Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Kinder schläfern, heiß vom Hetzen,
dort wo die Alten sich zu Abend setzen,
und Herde glühn und hellen ihren Raum.
Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Abendglocken klar verlangen
und Mädchen, vom Verhallenden befangen,
sich müde stützen auf den Brunnensaum.
Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;
und alle Sommer, welche in ihr schweigen,
rühren sich wieder in den tausend Zweigen
und wachen wieder zwischen Tag und Traum.
Rainer Maria Rilke
Ich wünsche hier Allen einen schönen 2. Advent
mit lieben Grüßen von
Charlie