Literatur Schöne Lyrik

Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna

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Ein Herz, das in Liebe zu Deinem Herzen hält

Ein Stückchen sinkender Mond schaut über den Ackerrand,
Als vergräbt den Mond eine unsichtbare Hand.
Weit ins Land hängt Stern bei Stern in der Luft,
Und sie alle sinken bald wie der Mond in die Ackergruft.
Wo am Tag die Wege, Berge und Brücken winken,
Hocken Laternen im Dunkel, die wie kleine Spiegel blinken.
Sie alle verlöschen und brennen nur ihre Zeit.
Dunkelheit aber steht hinter den Dingen und lässt nichts erkennen,
Als ein dunkles Kommen, Vorüberrennen und Dinge benennen.
Und kein Tag, und kein Licht kann frommen;
Nie wird die Dunkelheit der Welt ganz fortgenommen.
Nur ein Herz, das in Liebe zu Deinem Herzen hält,
Nimmt von Dir die Dunkelheit der ganzen Welt.


Max Dauthendey
 
Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Tod der Armen.jpgBildquelle: Diesem Märchen entnommen
https://www.maerchenatlas.de/deutsche-maerchen/grimms-marchen/gevatter-tod/

Tod der Armen

Es ist der Tod, der Trost und Leben schenkt;
er ist das Ziel, das einzig Hoffnung macht,
ein Elixier, das uns berauschend tränkt,
und Mut gibt, durchzuhalten bis zur Nacht.

Durch Sturm und Schnee ist er das schwache Licht,
für uns am dunklen Horizont entzündet;
ist jene Bleibe, die das Buch verspricht,
wo man zur Rast ein Mahl und Schlummer findet.

Ein Engel, dessen Finger lockend zeigen
den Schlaf und Träume, die uns übersteigen;
Armen und Nackten er ein Bett bereitet.

Der Götter Ruhm, der Speicher, der nie leer,
der Armen Beutel, Heimat von jeher,
das Tor, das uns zu fremden Himmeln leitet!

Charles Baudelaire




 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Vom künftigen Alter

Der Frost hat mir bereifet des Hauses Dach;
Doch warm ist mir's geblieben im Wohngemach.
Der Winter hat die Scheitel mir weiß gedeckt;
Doch fließt das Blut, das rote, durch's Herzgemach.
Der Jugendflor der Wangen, die Rosen sind
Gegangen, all gegangen einander nach.
Wo sind sie hingegangen? in's Herz hinab:
Da blühn sie nach Verlangen, wie vor so nach.
Sind alle Freudenströme der Welt versiegt?
Noch fließt mir durch den Busen ein stiller Bach.
Sind alle Nachtigallen der Flur verstummt?
Noch ist bei mir im stillen hier eine wach.
Sie singet: Herr des Hauses! verschleuß dein Tor,
Daß nicht die Welt, die kalte, dring' in's Gemach.
Schleuß aus den rauhen Odem der Wirklichkeit,
Und nur dem Duft der Träume gib Dach und Fach.
Ich habe Wein und Rosen in jedem Lied,
Und habe solcher Lieder noch tausendfach.
Vom Abend bis zum Morgen und Nächte durch
Will ich dir singen Jugend und Liebesach.

Friedrich Rückert

 

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Mitglied_3fbaf89
Mitglied_3fbaf89
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Elizabeth Barrett-Browning

Du aber, Überwinder, der du bist,
du kannst dich auch an meine Angst noch wagen
und deinen Purpurmantel um mich schlagen,
so dass mein Herz in deins gedrängt vergisst,

wie es einst bebte, da es einsam schlug.
Warum auch nicht? Ob einer Sieg ertrug,
ob er ihn siegte: jedes kann vollkommen
und adlig sein. Dem, der ihn aufgenommen

vom blutigen Boden, reicht ihm der Soldat
nicht seinen Degen hin, so wie ich jetzt
feststellen will, dass ich mich nicht mehr wehre?

Dein Wort ist mächtig über mich gesetzt.
Was kann ich tun, wenn deine Liebe naht,
als wollen: dass sie wachsend mich vermehre.


Aus dem Englischen von Rainer Maria Rilke:
Elizabeth Barrett-Browning1908
Aus der Sammlung Sonette aus dem Portugiesischen
Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Der Narr

Er war nicht unbegabt. Die Geisteskräfte
Genügten für die laufenden Geschäfte.
Nur hat er die Marotte,
Er sei der Papst. Dies sagt er oft und gern
Für jedermann zum Ärgernis und Spotte,
Bis sie zuletzt ins Narrenhaus ihn sperr'n.

Ein guter Freund, der ihn daselbst besuchte,
Fand ihn höchst aufgeregt. Er fluchte:
Zum Kuckuck, das ist doch zu dumm.
Ich soll ein Narr sein und weiß nicht warum.

Ja, sprach der Freund, so sind die Leute.
Man hat an einem Papst genug.
Du bist der zweite.
Das eben kann man nicht vertragen.
Hör zu, ich will dir mal was sagen:
Wer schweigt, ist klug.

Der Narr verstummt, als ob er überlege.
Der gute Freund ging leise seiner Wege.

Und schau, nach vierzehn Tagen grade
Da traf er ihn schon auf der Promenade.

Ei, rief der Freund, wo kommst du her?
Bist du denn jetzt der Papst nicht mehr?

Freund, sprach der Narr und lächelt schlau,
Du scheinst zur Neugier sehr geneigt.
Das, was wir sind, weiß ich genau.
Wir alle haben unsern Sparren,
Doch sagen tun es nur die Narren.
Der Weise schweigt.

Wilhelm Busch

 
Songeur
Songeur
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Songeur

Das begrabene Herz

Mich denkt es eines alten Traums.
Es war in meiner dumpfen Zeit,
Da junge Wildheit in mir gor.
Bekümmert war die Mutter oft.
Da kam einmal ein schlimmer Brief
- Was er enthielt, erriet ich nie -
Die Mutter fuhr sich mit der Hand
Zum Herzen, fast als stürb es ihr.
Die Nacht darauf hatt ich den Traum :
Die Mutter sah verstohlen ich
Nach unserm Tannenwinkel gehn,
Den Spaten in der zarten Hand,
Sie grub ein Grab und legt’ ein Herz
Hinunter sacht. Sie ebnete
Die Erde dann und schlich davon.


Conrad Ferdinand Meyer

 

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Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Den Freunden

Des Menschen Tage sind verflochten,
die schönsten Güter angefochten,
es trübt sich auch der frei'ste Blick;
du wandelst einsam und verdrossen,
der Tag verschwindet ungenossen
in abgesondertem Geschick.

Wenn Freundesantlitz dir begegnet,
so bist du gleich befreit, gesegnet,
gemeinsam freust du dich der Tat.
Ein Zweiter kommt, sich anzuschließen,
mitwirken will er, mitgenießen;
verdreifacht so sich Kraft und Rat.

Von äußerm Drang unangefochten,
bleibt, Freunde, so in eins verflochten,
dem Tag gönnet heitern Blick!
Das Beste schaffet unverdrossen;
Wohlwollen unsrer Zeitgenossen,
das bleibt zuletzt erprobtes Glück.



Johann Wolfgang von Goethe
 
Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Alte Wege

Wenn man wieder einmal alte Wege geht,
die man einst mit einem lieben Menschen ging,
ist es, wie wenn leise Wehmut durch die Bäume weht
und ein jeder Zweig voll Tränen hing.
Wie vergoldet scheint am Weg ein jeder Stein,
stummen Blicks, wie alte Freunde, grüßt man sie.
Fremde Menschen kommen, und man neigt den Kopf zum Schein.
Ganz von fern klingt eine längst verstummte Melodie.
Eine graue Mauer schaut mit faltigem Gesicht
nachdenklich durch dunkles Efeugrün,
und es ist, als ob sie traumversonnen spricht:
"Alte Wege soll man nie alleine ziehn."

Fred Endrikat

 
Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Hab Sonne im Herzen!


Hab Sonne im Herzen,
ob's stürmt oder schneit.
Ob der Himmel voll Wolken,
die Erde voll Streit!
Hab Sonne im Herzen,
dann komme, was mag,
das leuchtet voll Licht dir
den dunkelsten Tag!

Hab ein Lied auf den Lippen,
mit fröhlichem Klang
und macht auch des Alltags
Gedränge dich bang!
Hab ein Lied auf den Lippen,
dann komme, was mag,
das hilft dir verwinden
den einsamsten Tag!

Hab ein Wort auch für andre
in Sorg und in Pein
und sag, was dich selber
so frohgemut lässt sein:
Hab ein Lied auf den Lippen,
verlier nie den Mut,
hab Sonne im Herzen,
und alles wird gut!

 
Cäsar Flaischlen

 
Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Das Meer
 
So hab ich das Meer gern:
weit offen, wie ein Spiegel, und zum Horizont in hängende Wolken sich verrinnend ...
die Sonne hinter feinen leisen Schleiern und Luft und See in blaßblau-lichtem Schein und Schiller ...
schwermütig ernst und lachend heiter,
zutraulich lieb und unnahbar,
in unbekümmert freier Größe und nie entweihter Ewigkeit ... lautlos ... in unlotbaren Tiefen die Wunder hütend seiner Gotteskraft ...
und Strand entlang mit frohen Wellen spielend
schwermütig ernst und lachend heiter,
den Menschenkindern, die da stehen, das kleine Herz voll großer Sehnsucht, bunte Köstlichkeiten vor die Füße tragend ...
So ... sei! ... So ... schaffe!
 
Cäsar Flaischlen

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