Literatur Schöne Lyrik
Das Zöpfchen
von
Tadeusz Różewicz
(9 October 1921 – 24 April 2014)
Es waren schon alle Frauen
dieses Transports geschoren,
da kamen vier Arbeiter, kehrten
mit Besen aus Lindenzweigen
und sammelten auf das Haar.
Unter den reinen Scheiben
liegen die straffen Haare
der im Gas Erstickten.
In den Haaren stecken
noch Nadeln und Kämme.
Sie schimmern nicht mehr im Licht,
sie fliegen nicht mehr im Winde,
es liebkost sie keine Hand
und kein Regen, keine Lippen.
In mächtigen Kisten
verfilzt liegen trockene Haare
Vergaster,
ein blondes Zöpfchen dazwischen,
ein Mauseschwänzchen mit einem
Bändchen,
daran in der Schule
unartige Buben einst zupften.
(Übertragung: Franz Fühmann)
So viele schöne zu Herzen gehende Texte, bei denen auch mir fast die Tränen kommen. Vielen Dank dafür!
LG Ladouce
Frühlings Ankunft
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (ca. 1827)
Grüner Schimmer spielet wieder
drüben über Wies' und Feld.
Frohe Hoffnung senkt sich nieder
auf die stumme trübe Welt.
Ja, nach langen Winterleiden
kehrt der Frühling uns zurück,
will die Welt in Freude kleiden,
will uns bringen neues Glück.
Seht, ein Schmetterling als Bote
zieht einher in Frühlingstracht,
meldet uns, dass alles Tote
nun zum Leben auferwacht.
Nur die Veilchen schüchtern wagen
aufzuschau'n zum Sonnenschein;
ist es doch, als ob sie fragen:
"Sollt' es denn schon Frühling sein?"
Seht, wie sich die Lerchen schwingen
in das blaue Himmelszelt!
Wie sie schwirren, wie sie singen
über uns herab ins Feld!
Alles Leid entflieht auf Erden
vor des Frühlings Freud' und Lust –
nun, so soll's auch Frühling werden,
Frühling auch in unsrer Brust!
Leider sucht man gerade Lerchen in der heutigen Zeit meist vergebens.Seht, wie sich die Lerchen schwingen
in das blaue Himmelszelt!
Wie sie schwirren, wie sie singen
über uns herab ins Feld!
Sirona
In meiner Kindheit und Jugend war der Jubelgesang noch selbstverständlich.
Heute dagegen erscheint es mir fast schon wie ein Wunder, wenn ich tatsächlich mal eine Lerche höre.
Mich macht das einfach traurig.
Gruß Pippa
@ Pippa - Als ich den entsprechenden Vers gelesen bzw. geschrieben habe, habe ich genauso gedacht wie Du. Auch ich vermisse die Lerchen; früher sah man sie über jedem Feld aufsteigen, doch durch die heutige Monokultur ist der Lebensraum dieser jubilierenden Vögel verloren gegangen. Um Lerchen hören zu können muss man schon YouTube in Anspruch nehmen.
LG
C.S.
Überlass es der Zeit
Erscheint dir etwas unerhört,
bist tiefsten Herzens du empört,
bäum dich nicht auf,
versuchs nicht mit Streit,
berühr es nicht, überlass es der Zeit.
Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,
am zweiten lässt du
dein Schweigen schon gelten,
am dritten hast dus überwunden;
alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer
und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und
Friedensstifter.
Theodor Fontane
Wie recht er hat!! Wenn man es nur immer so sehen könnte - aber es gelingt schon viel besser als in früheren Jahren...meint aurora
Am Brunnen vor dem Tore
Da steht ein Lindenbaum.
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich mußt’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab’ ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst Du Deine Ruh’!
Die kalten Winde bliesen
Mir grad’ in’s Angesicht;
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort,
Und immer hör’ ich’s rauschen:
Du fändest Ruhe dort!
Franz Schubert vertonte dieses Gedicht in seiner berühmten Winterreise.
Durch die Bearbeitung durch Silcher wurde der Lindenbaum sogar zum Volkslied.
Ich mag den Lindenbaum sehr.
Pippa
schön liegt im Auge des Betrachters und mir gefällt es
Du Fu (712-770), einer der grössten chinesischen Poeten. Er schrieb mehr als 1.400 Gedichte , die oft sehr politisch und sozialkritisch waren und in denen er sich über Homopfobe lustig machte und die Armut anprangerte.
Trunkenes Lied
Ich will meinen Pelz versaufen,
Herr Wirt.
Ich will mir einen Knaben kaufen,
Der mein lieblicher Diener wird.
Der Pelz hält außen warm;
Der Wein von innen.
Hängt, eine Kette, Euch in meinen Arm!
Das Leben ward noch nie begonnen. Wir wollen's beginnen!
Tschau-tschi war ein guter Dichter und konnte prächtig saufen.
Könnt ich's ihm gleichtun!
Ich will mein Pferd verkaufen,
Und ich will es gleich tun.
Die Philosophie ist eine Gottesgabe.
Es gab Philosophen, die nie einen Tropfen getrunken haben.
Glaubt Ihr, dass sie im Grabe
Weniger gestunken haben?
Ich will meine Schuhe in Zahlung geben;
Ich muss noch manchen Becher durch die Kehle seiben,
Ich kann ja auf allen Vieren nach Hause streben,
Meinetwegen will ich auch ewig hier liegen bleiben.
Am Hexenberg in der herbstlichen Nacht
Leuchtkäfer schwirren.
Durch des Fensters Vorhang sie kommen herein,
durchs Fenster sie irren!
Die Zither gibt einen heimlichen Klang,
und sie erschrecken.
Wie Sterne schwärmen sie wieder hinaus
um Dächer und Ecken.
Sie fliegen am Brunnengeländer umher,
einzeln, am feuchten.
In Blütenkelche verirren sie sich
und machen sie leuchten.
Weißhaariger Alter aus fernem Land
schaut von einem zum andern:
Wird er zu Hause sein heut übers Jahr
oder immer noch wandern?
(aus dem Chinesischen von Richard Wilhelm)
Wolf Biermann:
Zigeunergebet
Gott, und bist du nichts
als ein Loch
dann laß mich
durch, verflucht!
Gott, und bist du nichts
als ein Brot
dann komm in
meinen Bauch
Gott, und bist du nichts
als ein Schluck
dann fließ durch
meinen Hals
Gott, und bist du nichts
als ein Licht
dann mach mich
an, verflucht!
(Aus. W.B.: Alle Lieder. Köln 1991. S. 307)*
.. in Verehrung für den f r ü h e n Biermann, der viele "auswärtigen" Lieder übersetzt hat...