Literatur Schöne Lyrik
Ein Herz, das in Liebe zu Deinem Herzen hält
Ein Stückchen sinkender Mond schaut über den Ackerrand,
Als vergräbt den Mond eine unsichtbare Hand.
Weit ins Land hängt Stern bei Stern in der Luft,
Und sie alle sinken bald wie der Mond in die Ackergruft.
Wo am Tag die Wege, Berge und Brücken winken,
Hocken Laternen im Dunkel, die wie kleine Spiegel blinken.
Sie alle verlöschen und brennen nur ihre Zeit.
Dunkelheit aber steht hinter den Dingen und läßt nichts erkennen,
Als ein dunkles Kommen, Vorüberrennen und Dinge benennen.
Und kein Tag, und kein Licht kann frommen;
Nie wird die Dunkelheit der Welt ganz fortgenommen.
Nur ein Herz, das in Liebe zu Deinem Herzen hält,
Nimmt von Dir die Dunkelheit der ganzen Welt.
Max Dauthendey
Weihnachtabend
Theodor Storm (1817-1888)
Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war's; durch alle Gassen scholl
der Kinderjubel und des Markts Gebraus.
Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,
drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:
"Kauft, lieber Herr!" Ein magres Händchen hielt
feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.
Ich schrak empor, und beim Laternenschein
sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
wes Alters und Geschlechts es mochte sein,
erkannt ich im Vorübertreiben nicht.
Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,
noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:
"Kauft, lieber Herr!" den Ruf ohn Unterlass;
doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.
Und ich? - War's Ungeschick, war es die Scham,
am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh meine Hand zu meiner Börse kam,
verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.
Doch als ich endlich war mit mir allein,
erfasste mich die Angst im Herzen so,
als säß mein eigen Kind auf jenem Stein
und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.
Die Philister, die Beschränkten,
diese geistig Eingeengten
darfst Du nie und nimmer necken.
Aber weite, kluge Herzen
wissen stets in unsren Scherzen
Lieb und Freundschaft zu entdecken.
Heinrich Heine
13. 12.1797 - 17. 2. 1856
Clematis
Heines Rhetorik ist umwerfend, seine unnachahmliche Satire und sein politisches Arrangement bemerkenswert.
Wer denkt bei Heine nicht an den "Weberaufstand" oder "Deutschland - ein Wintermärchen". Aus Liebe zu einem freien Vaterland, nach dem er sich ein Leben lang sehnte, klagte er die fürstliche Tyrannenherrschaft in Deutschland an und geißelte zugleich die Schlappheit und Feigheit des deutschen Bürgertums.
Was würde er wohl zu der heutigen Entwicklung sagen?
LG Bärbel
Danke, liebe Clematis, für die Erinnerung an Heinrich Heine`s heutigen Geburtstag.Wenn ich in den Foren täglich erlebe, wie Querschläger immer wieder in Posts reinhauen und wenn man sich wehrt, wird nur der sich Wehrende angeklagt, dann denke ich, hat Heinrich Heine dies lebenslang in grösserem Maßstab erlebt. Dauernd.
Heines Rhetorik ist umwerfend, seine unnachahmliche Satire und sein politisches Arrangement bemerkenswert.
Wer denkt bei Heine nicht an den "Weberaufstand" oder "Deutschland - ein Wintermärchen". Aus Liebe zu einem freien Vaterland, nach dem er sich ein Leben lang sehnte, klagte er die fürstliche Tyrannenherrschaft in Deutschland an und geißelte zugleich die Schlappheit und Feigheit des deutschen Bürgertums.
Was würde er wohl zu der heutigen Entwicklung sagen?
LG Bärbel
Und er hat sich immer "im Rahmen" gehalten. Ludwig Börne wollte - und hat - viel schärfer reagiert, wollte Heine mitziehen, und Heine hat sich letztlich von ihm getrennt, weil er mit Börnes Schärfe nicht einverstanden war.
DAS rechne ich Heinrich Heine hoch an und er sagt mir: bei Ungerechtigkeiten zieh Dich zurück. damit du heiter und gelassen bleiben kannst.
Clematis
Heute vor 140 Jahren erblickte Hans Carossa das Licht der Welt. Es war ein Glück für die Freunde der Lyrik und prosa und für die deutsche Sprache, dass er seinen Beruf als Arzt aufgab, denn seine heute leider nicht mehr sehr bekannten Gedichte sind genau das, was hier gesammelt wird: Schöne Lyrik. Und noch viel mehr. IM 1. Weltkrieg war er als Bataillonsarzt an der Oastfront, dort entstand sein "Rumänisches Tagebuch" - wird heute kaum noch gelesen, aber ich kann es nur jedem empfehlen.
Ich habe da einen alten Zeitungsartikel der Welt herausgesucht, der im Jahr 2006 anlässlich seines 50. Todestags erschien. Dort heisst es:
Schönheit auf den Gebirgen des Unrats: Vor 50 Jahren starb der Dichter-Arzt Hans Carossa, der wichtigste Vertreter der "Inneren Emigration" während der NS-Zeit.
Was bedeutet uns Hans Carossa heute? Eine Handvoll geradezu unwirklich schöner Gedichte; das "Rumänische Tagebuch" (1924), das alle diejenigen schätzen, die den Ersten Weltkrieg nicht nur als härtendes "Stahlgewitter", sondern als seelische Bewährung erfahren hatten. Carossa schrieb als Anwalt dessen, was wir heute "Erinnerungskultur" nennen. Erinnerung bedeutete für Carossa Zeugnis ablegen, sich zur Rechenschaft ziehen, ohne deswegen die poetische Sprache aufzugeben.
In "Ungleiche Welten", seinem Lebensbericht aus dem Jahr 1951, ist ihm das wie kaum einem in seiner Zeit Verstrickten gelungen. Gäbe es nur dieses eine Buch von Carossa, es genügte, um ihm auf immer einen Logenplatz in der deutschsprachigen Literatur zu sichern.
Hier eines seiner Gedichte
Der alte Brunnen
Lösch aus dein Licht und schlaf! Das immer wache
Gesplätscher nur vom alten Brunnen tönt.
Wer aber Gast war unter meinem Dache,
Hat sich stets bald an diesen Ton gewöhnt.
Zwar kann es einmal sein, wenn du schon mitten
Im Traume bist, daß Unruh geht ums Haus,
Der Kies beim Brunnen knirscht von harten Tritten,
Das helle Plätschern setzt auf einmal aus,
Und du erwachst, — dann mußt du nicht erschrecken!
Die Sterne stehn vollzählig überm Land,
Und nur ein Wandrer trat ans Marmorbecken,
Der schöpft vom Brunnen mit der hohlen Hand.
Er geht gleich weiter. Und es rauscht wie immer.
O freue dich, du bleibst nicht einsam hier.
Viel Wandrer gehen fern im Sternenschimmer,
Und mancher noch ist auf dem Weg zu dir.
Vielen Dank, WoSchi
Als ich Mitte der Siebziger eine unerquickliche Beziehung beenden musste,
sagte mir meine Freundin die letzten beiden Zeilen als Trost.
Seitdem kann ich dieses zarte Gedicht auswendig und oft schon war
es aktuell und hoffnungsvoll.
Grüsse in Deinen Tag
Clematis
Bös und Gut der Welt
das ist die alte Frage.
So ist sie, wie dir′s ist zu Mut
an gut und bösem Tage.
Drum, wenn sie dir gut erscheint,
o mache sie nicht schlimmer;
und meine, wenn sie′s böse meint,
nur gut mit ihr es immer.
Sie ist nicht bös und ist nicht gut,
ist gut zugleich und böse.
Vertrau auf den, der Wunder tut,
dass er den Zwiespalt löse!
An George Fontane
Mein lieber George! und kann ich dir auch
am heutigen Tage nichts schenken,
so will ich doch nach alten Brauch
in Versen deiner gedenken;
in Versen, worin dein Dichter-Papa
sich immerdar ergossen,
wenn ihm, was just nicht selten geschah,
die Pfennige spärlich flossen.
Ich wünsche dir tüchtig Fleisch und Speck
und immer dickere Waden,
und wächst dein Herz am rechten Fleck,
so kann das auch nicht schaden.
Dein Vater ist nicht schlecht, nicht gut,
nur grade kein Menschenfresser;
drum sage nicht: "Es liegt im Blut" -
sondern werde ein bissel besser.
Die Schulen leisten jetzt so viel,
so klug wird unsre Jugend,
so komm denn auch, du höchstes Ziel
der eingetrichterten Tugend.
Ach, wenn du dann in Prima sitzt
und unter Sextaknaben
gewahrest, wie dein Vater schwitzt -
so wolle Mitleid haben.
Blick auf den Ulx - der dein Papa -
mit nachsichtsvollen Augen,
denn "ehren sollst du die Eltern ja",
auch wenn sie gar nichts taugen.
Theodor Fontane
30. 12. 1819 - 20. 9. 1898
Clematis