Literatur Schöne Lyrik

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

GOTTFRIED BENN

Eure Etüden

Eure Etüden,
Arpeggios, Dankchoral
sind zum Ermüden
und bleiben rein lokal.
Das Krächzen der Raben
ist auch ein Stück −
dumm sein und Arbeit haben:
das ist das Glück.
Das Sakramentale −
schön, wer es hört und sieht,
doch Hunde, Schakale
die haben auch ihr Lied.
Ach, eine Fanfare,
doch nicht an Fleisches Mund,
daß ich erfahre,
wo aller Töne Grund.
 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 16.11.2018, 12:35:34
Trost

Tröste dich, die Stunden eilen,
und was all dich drücken mag:
auch das Schlimmste kann nicht weilen,
und es kommt ein andrer Tag.

In dem ew'gen Kommen, Schwinden,
wie der Schmerz liegt auch das Glück,
und auch heitre Bilder finden
ihren Weg zu dir zurück.

Harre, hoffe. Nicht vergebens
zählest du der Stunden Schlag;
Wechsel ist das Los des Lebens,
und es kommt ein andrer Tag.


Theodor Fontane
(1819 - 1898)

Kruzifix700.JPG
Zum Volkstrauertag

Clematis


 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Weiser Mann.jpg

Der Weise
(
Wilh. Busch)

Der Weise, welcher sitzt und denkt
und tief sich in sich selbst versenkt,
um in der Seele Dämmerschein
sich an der Wahrheit zu erfreun,
der leert bedenklich sein Flasche,
nimmt seine Dose aus der Tasche,
nimmt eine Prise, macht hapschie!
Und spricht: "Mein Sohn, die Sache ist die!“

Eh' man auf diese Welt gekommen
und noch so still vorlieb genommen,
da hat man noch bei nichts was bei;
man schwebt herum, ist schuldenfrei,
hat keine Uhr und keine Eile
und äußerst selten Langeweile.
Allein man nimmt sich nicht in acht,
und schlupp! ist man zur Welt gebracht.

Zuerst hast Du es gut, mein Sohn,
doch pass mal auf, man kommt Dir schon.
Du wächst heran, Du suchst das Weite,
jedoch die Welt ist voller Leute,
die Dich ganz schrecklich überlisten
und die, anstatt Dir was zu schenken,
wie Du wohl möchtest, nicht dran denken.
Und wieder scheint Dir unabweislich
der Schmerzensruf: „Das ist ja scheußlich!“

Doch siehe da, im trauten Kreis
sitzt Jüngling, Mann und Jubelgreis,
und jeder hebt an seinen Mund
ein Hohlgefäß, was meistens rund,
um draus in ziemlich kurzer Zeit
die drin enthaltne Flüssigkeit
mit Lust und freudigem Bemühen
zu saugen und heraus zu ziehen.

Weil jeder dies mit Eifer tut,
so sieht man wohl, es tut ihm gut.
Mein lieber Sohn, du tust mir leid,
dir mangelt die Enthaltsamkeit.
Enthaltsamkeit ist das Vergnügen
an Sachen, welche wir nicht kriegen.
Drum lebe mäßig, denke klug.
Wer nichts gebraucht, der hat genug! 

So spricht der Weise, grau von Haar,
ernst, würdig, sachgemäß und klar,
wie sich's gebührt in solchen Dingen;
lässt sich ein Dutzend Austern bringen,
isst sie, entleert die zweite Flasche,
hebt seine Dose aus der Tasche,
nimmt eine Prise, macht hapschie!
Schmückt sich mit Hut und Paraplü,
bewegt sich mit Bedacht nach Haus
und ruht von seinem Denken aus.
 

Jaja, so ist es oft. Wasser predigen und Wein saufen. Enttäuscht
 
 

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Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC02019.JPG

Es wandelt...


Es wandelt, was wir schauen,
Tag sinkt ins Abendrot,
Die Lust hat eignes Grauen,
Und alles hat den Tod.

Ins Leben schleicht das Leiden
Sich heimlich wie ein Dieb,
Wir alle müssen scheiden
Von allem, was uns lieb.

Was gäb’ es doch auf Erden,
Wer hielt’ den Jammer aus,
Wer möcht’ geboren werden,
Hielt’st Du nicht droben Haus!

Du bist’s, der, was wir bauen,
Mild über uns zerbricht,
Daß wir den Himmel schauen -
Darum so klag’ ich nicht.


Joseph Freiherr von Eichendorff
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 18.11.2018, 08:18:10

IAdvent1.jpg

Im Tale sind die Blumen nun verblüht
und auf den Bergen liegt der erste Schnee.
Des Sommers Licht und Wärme sind verglüht,
in Eis verwandelt ist der blaue See.
 
Wie würde mir mein Herz in Einsamkeit
und in des Winters Kälte angstvoll gehen,
könnt ich in aller tiefen Dunkelheit
nicht doch ein Licht in diesen Tagen sehn.
 
Es leuchtet fern und sanft aus einem Land,
das einstens voll von solchen Lichtern war,
da ging ich fröhlich an der Mutter Hand
Und trug in Zöpfen noch mein braunes Haar.
 
Verändert hat die Welt sich hundertmal
in Auf und Ab - doch sieh, mein Lichtlein brennt!
Durch aller Jahre Mühen, Freud und Qual
leuchtet es hell und schön: Es ist Advent!
 
(Hilde Fürstenberg)
  

Bote Asgards
Bote Asgards
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Bote Asgards

Der Abend kommt und die Herbstluft weht,
Reifkälte spinnt um die Tannen,
O Kreuz und Buch und Mönchsgebet -
Wir müssen Alle von dannen.

Die Heimath wird dämmernd und dunkel und alt,
Trüb rinnen die heiligen Quellen:
Du götterumschwebter, du grünender Wald,
Schon blitzt die Axt, dich zu fällen!

Und wir ziehen stumm, ein geschlagen Heer,
Erloschen sind unsere Sterne -
O Island, du eisiger Fels im Meer,
Steig auf aus mächtiger Ferne.

Steig auf und empfang unser reisig Geschlecht -
Auf geschnäbelten Schiffen kommen
Die alten Götter, das alte Recht,
Die alten Nordmänner geschwommen.

Wo der Feuerberg loht, Glutasche fällt,
Sturmwogen die Ufer umschäumen,
Auf dir, du trotziges Ende der Welt,
Die Winternacht woll'n wir verträumen!

Joseph Victor von Scheffel (1826-1886)

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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Bote Asgards vom 05.12.2018, 21:27:29

Altes Kaminstück


Draußen ziehen weiße Flocken
durch die Nacht, der Sturm ist laut;
hier im Stübchen ist es trocken,
warm und einsam, stillvertraut.

Sinnend sitz ich auf dem Sessel,
an dem knisternden Kamin,
kochend summt der Wasserkessel
längst verklungne Melodien.

Und ein Kätzchen sitzt daneben,
wärmt die Pfötchen an der Glut;
und die Flammen schweben, weben,
wundersam wird mir zu Mut.


Heinrich Heine
13. 12. 1797 - 17. 2. 1856

7002.jpg
Clematis
 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 06.12.2018, 08:34:38
Sonnenaufgang3.jpgSonnenaufgang - Foto Jacare - Vielen Dank für Deine Genehmigung!!

Das Fräulein stand am Meere...

Das Fräulein stand am Meere
und seufzte  lang und bang,
er rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
das ist ein altes Stück;
hier vorne geht sie unter
und kehrt von hinten zurück.

Hinrich Heine
13. 12. 1797 - 17. 2. 1856

Clematis

 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.12.2018, 09:25:48
Schneema700.jpg

Der Schneemann auf der Straße
trägt einen weißen Rock,
hat eine rote Nase
und einen dicken Stock.

Er rührt sich nicht vom Flecke
auch wenn es stürmt und schneit.
Stumm steht er an der Ecke
zur kalten Winterszeit.

Doch tropft es von den Dächern
im ersten Sonnenschein,
da fängt er an zu laufen
und niemand holt ihn ein.



Robert Reinick
22. 2. 1805 - 7. 2. 1852


Clematis
 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 09.12.2018, 08:56:50
Bethlehem2.jpg

Friede auf Erden

Da die Hirten ihre Herde
ließen und des Engels Worte
trugen durch die niedre Pforte
zu der Mutter und dem Kind,
fuhr das himmlische Gesind
fort im Sternenraum zu singen,
fuhr der Himmel fort zu klingen:
"Friede! Friede! auf der Erde!"

Seit die Engel so geraten,
o wie viele blut'ge Taten
hat der Streit auf wildem Pferde,
der geharnischte, vollbracht!
In wie mancher heil'gen Nacht
sang der Chor der Geister zagend,
dringlich flehend, leis' verklagend:
"Friede, Friede...auf der Erde!"

Doch es ist ein ew'ger Glaube,
dass der Schwache nicht zum Raube
jeder frechen Mordgebärde
werde fallen allezeit:
Etwas wie Gerechtigkeit
webt und wirkt in Mord und Grauen,
und ein Reich will sich erbauen,
das den Frieden sucht der Erde.

Mählich wird es sich gestalten,
seines heil'gen Amtes walten
Waffen schmieden ohne Fährde
Flammenschwerter für das Recht,
und ein königlich Geschlecht
wird erblühn mit starken Söhnen,
dessen helle Tuben dröhnen:
"Friede, Friede auf der Erde!"

Conrad Ferdinand Meyer
11. 10. 1825 - 28. 11. 1898

Clematis




 

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