Literatur Schöne Lyrik
In meiner Verborgenheit
Wilhelm Busch (1832 - 1908)
Ade, ihr Sommertage
wie seid ihr so schnell enteilt,
gar mancherlei Lust und Plage
habt ihr uns zugeteilt.
Wohl war es ein Entzücken,
zu wandeln im Sonnenschein,
nur die verflixten Mücken
mischten sich immer darein.
Und wenn wir auf den Waldeswegen
dem Sange der Vögel gelauscht,
dann kam natürlich ein Regen
auf uns hernieder gerauscht.
Die lustigen Sänger haben
nach Süden sich aufgemacht,
bei Tage krächzen die Raben,
die Käuze schreien bei Nacht.
Was ist das für ein Gesause!
Es stürmt bereits und schneit.
Da bleiben wir zwei zu Hause
in trauter Verborgenheit.
Kein Wetter kann uns verdrießen.
Mein Liebchen, ich und du,
wir halten uns warm und schließen
hübsch feste die Türen zu.
1. Aufzug
Hirte:
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muß scheiden,
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen May.
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonn’gen Weiden!
Der Senne muß scheiden,
Der Sommer ist hin.
Friedrich von Schiller
Über diesen Zeilen liegt ein Hauch Melancholie und Abschiedsschmerz im Herbst, liebe Allegra.
Auch mich beschleichen oft ähnliche Gefühle wenn sich die Natur allmählich "zum Schlafen" bereit macht.
Nebel, fallende Blätter und Verstummen der Vögel. Nur noch das Krächzen der Raben ist zu hören.
Und bald künden auch die Kranichzüge mit ihren Rufen den bevorstehenden Winter an.
LG Sirona
Ich habe gerade vor ein paar Tagen (in "Titel, Thesen, Temperamente") ein sehr interessantes Zitat von Ai Wei Wei gehört: " Kunst hat nur dann eine Relevanz, wenn sie provoziert, andernfalls verkommt sie zu bloßer Dekoration oder existiert nur, um bestimmte Emotionen zu beschwichtigen."
Kann man hier nachlesen: Why are we creative?
Darüber habe ich mal nachgedacht, denn vieles von den schönen Gedichten gehört auch zur Dekoration. Sie gefallen auch mir, ich will hier gar kein Rebellentum propagieren. Aber ich mag mag ja auch manchmal Dekoration.
Die Provokation halte ich allerdings auch für wichtig, und AI Wei Wei lebt sie ja auch, er hat Gründe dafür. Irgendwann muss das rein Schöngeistige auch mal anderen Elementen Platz machen, die Zeit ist einfach nicht schöngeistig, und zwar schon lange nicht mehr.
und Lebenshilfe sind. Meine Seele fühlt sich bei ihnen wohl.
Wer in unserer Zeit sich künstlerisch betätigt, sofern es Kunst ist, hat alle Berechtigung, "zeitgemässe" Aussagen zu machen. Ich brauch sie nur bedingt.
Doch spreche ich den Heutigen grundsätzlich die Berechtigung ab, sich wichtiger zu nehmen als die Altvorderen.
Clematis
@ elbwolff
...
Warum propagierst Du nicht lieber bescheidene eigene Versuche anstelle des Abdruckens (meist überlanger Werke) gestandener Berufspoeten und gingst mit persönlichem Beispiel voran?
...
so sei weiterhin "verblüfft".
Hierfür gibt es dann den Thread "eigene Gedichte" !
Allegra
...Ich sehe nicht die Notwendigkeit für eine Ablösung des Schöngeistigen Richtung
Irgendwann muss das rein Schöngeistige auch mal anderen Elementen Platz machen, die Zeit ist einfach nicht schöngeistig, und zwar schon lange nicht mehr.
Miserabilismus.
Was verlören wir da!!!
Es gab zu allen Zeit schöngeistige Literatur und Lyrik neben der zeitgenössischen.
Allegra
Ich will sie ja gar nicht abschaffen, das meinte ich gar nicht, kam das nicht zum Ausdruck?
Aber was mir in dem Zusammmenhag eben auch noch eingefallen ist: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, das sagte Theodor W. Adorno, hier nähere Erläuterungen dazu: Nach Auschwitz
Das ist sehr kontrovers diskutiert worden, er hat es auch teilweise zurückgenommen, wie man hier lesen kann. Aber ich meine, man kann mal darüber nachdenken, dass es damals den größten Bruch in unserer Zivilisation gab, der die reine Harmonie und das "Wahre, Schöne, Gute" seitdem sehr brüchig erscheinen lässt. Und dieser Bruch wird auch von vielen modernen Lyrikern durchaus widergespiegelt, weil sie nicht nur schöne Reime schreiben, die rein ästhetischen Anforderungen genügen.
Also bevor jetzt hier alles verstummt (das war nicht meine Absicht), setze ich mal mein Lieblingsgedicht aus der Romantik ein, um meine Worte Lügen zu strafen. Aber ich weiß nicht, wie oft das schon gepostet wurde, habe hier lange vorher nicht gelesen.
Und dann sollte es hier weitergehen, ich wollte euch nicht den Spaß verderben.
Um Mitternacht
Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.
Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtets nicht, sie ist es müd;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flüchtgen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom Heute gewesenen Tage.
(Eduard Mörike)
Ich antworte jetzt mal für Sirona.
Es ist nicht wichtig, wie oft ein Gedicht eingestellt wird,
wichtig ist, DASS es immer wieder geliebt wird.
Jegliches nahrhafte Essen wiederholt sich, weil ja
auch immer wieder viel Kräfte verbraucht werden.
Wir wissen von Soldaten, dass manches Mörike-Bändchen,
Goethe-Gedichte usw. im furchtbaren Krieg Stütze und Hilfe
waren.
Nach Auschwitz müssen Gedichte geschrieben werden.
Wenn Adorno dies im unmittelbaren Schmerz verneint hatte,
ist es verständlich.
Wenn diese Aussage gültig wäre, dürften wir kein hübsches
Kleid mehr anziehen, kein feines Essen zu uns nehmen.
Übrigens: Die konkreten Aussagen in Goethes Faust haben
wir bis heute noch nicht verstanden.
Speziell der zweite Teil, wo es um Kaiser, Soldaten, Geldnot und
Falschgeld in Form von (gedrucktem) Papier geht, ist so was
von aktuell, dass es mich immer wieder verblüfft.
Was an Theater und Bemühungen um Goethe stattfanden,
ist nichts weiter als Klamauk. Und das vom primitivsten.
Eichendorff ist was vom Feinsten, Nachspeise am Abend,
Beine hochlegen, Arme verschränken.
Clematis