Literatur Schöne Lyrik

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna


Besitz

Großer Garten liegt erschlossen,
Weite schweigende Terrassen:
Müßt mich alle Teile kennen,
Jeden Teil genießen lassen!

Schauen auf vom Blumenboden,
Auf zum Himmel durch Gezweige,
Längs dem Bach ins Fremde schreiten,
Niederwandeln sanfte Neige:

Dann, erst komme ich zum Weiher,
Der in stiller Mitte spiegelt,
Mir des Gartens ganze Freude
Träumerisch vereint entriegelt.

Aber solchen Vollbesitzes
Tiefe Blicke sind so selten!
Zwischen Finden und Verlieren
müssen sie als göttlich gelten.

All in einem, Kern und Schale,
Dieses Glück gehört dem Traum
Tief begreifen und besitzen!
Hat dies wo im Leben Raum?

Hugo von Hofmannsthal,
dessen Geburtstag sich heute zum 144. Mal jährt.
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Vielleicht steht es hier schon irgendwo, aber da macht nichts.
Es ist so schön, dass es auch 3 oder 4 mal hierstehen kann Schneeflocke




Für Einen
(1934)
Die Andern sind das weite Meer.
Du aber bist der Hafen.
... mehr hier

Aus  Mascha Kaléko: Das lyrische Stenogrammheft.
 

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Gesang der Geister über den Wassern

Der Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend,
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!


Johann Wolfgang von Goethe


Clematis

 

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Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Hinweis auf Urheberrecht betr. Gedichte von Mascha Kalèko
 
Der Betreiber dieser Lyrikseite schrieb folgendes (Link bei Google einkopieren):
 
https://www.deutschelyrik.de/index.php/home.html

Es tut mir sehr leid, aber ich wurde vom dtv-Verlag, der die Rechte an Mascha Kalékos Werken besitzt, aufgefordert, alle Texte und Aufnahmen zu entfernen. Ich gehe davon aus, dass mein Engagement den legitimen wirtschaftlichen Verlagsinteressen nicht geschadet hat. Eher im Gegenteil. Aber die Entscheidung ist so gefallen und ich muss mich daran halten. Schade. In 29 Jahren - spätestens - werden sie alle wieder hier sein, dafür werde ich Vorsorge treffen. Versprochen.
 
Mir scheint, der Betreiber hat Humor. Hoffen wir dass wir in 29 Jahren noch fähig sein werden zu lesen und zu schreiben. Wenn jemand M.K. weitergeben möchte, die ich auch sehr schätze, könnte auf YouTube zurückgreifen.
 
https://www.youtube.com/watch?v=LTqQbQAQHe4
 

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 03.02.2018, 11:34:51

schon erstaunlich, zumal ihre Gedichte tausendfach im Netz zu finden sind.

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 03.02.2018, 12:44:36

Liebe Wolkenschieber, 
 

ich finde das nicht nur erstaunlich sondern blödsinnig, zudem - wie Du auch geschrieben hast - im Internet einige Seiten mit Gedichten dieser Lyrikerin einsehbar sind. Vor Jahren hatte ich einmal mit einer Dame, die einen Teil des Nachlasses von M.K. verwaltete, einen unschönen Dialog. Sie hatte entdeckt dass ich in einem Forum ein Gedicht von M.K. veröffentlich hatte und drohte mir mit einer Klage, falls ich dieses nicht wieder entfernen würde. Es gibt Anwälte die dazu beauftragt sind Internetseiten aufzuspüren, auf denen das Urheberrecht verletzt worden ist. Bei Gedichten muss ein Verfasser mindestens 70 Jahre verstorben sein. 
Die von mir vorgestellte Lyrikseite nutze ich gern, da Stevenhagen ein sehr guter Rezitator ist und man ihm mit Vergnügen zuhören kann.
Bei YouTube gibt es einige Gedichte von M.K., die wir aber als Link hier eingeben dürfen. 

Sirona

 

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Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna



Stets wandeln wir am Abgrund dicht


Stets wandeln wir am Abgrund dicht,
Wo Tief und Dunkel schrecken,
Aus dem ein Tod und letzt' Gericht
Die Drachenhälse recken!

Wir wandeln, ahnen nicht Gefahr,
So sorglos wie die Kinder...
Da strauchelst du und gleitest gar
Und gleitest ab geschwinder!

Jetzt gilt's! Ist keine Latsche da,
An der du dich kannst halten?
Umfassen nicht, dem Sturze nah,
Dich rettende Gestalten?...

Humor, so heißt die Latsche schlicht
Gleich Göttern hochgeboren -
Erhaschst du sie im Gleiten nicht,
Dann, Freund, bist du verloren!


Carl Spitzweg, der heute vor 210 Jahren geboren wurde
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Nov17Fertig.JPG
Es wächst viel Brot in der Winternacht,
weil unter dem Schnee frisch grünet die Saat;
erst wenn im Lenze die Sonne lacht,
spürst du, was Gutes der Winter tat.

Und deucht die Welt dir öd und leer,
und sind die Tage dir rauh und schwer,
sei still und habe des Wandels acht:
es wächst viel Brot in der Winternacht.

Friedrich Wilhelm Weber
1813-1894

Hab beim Spaziergang "frisches Brot" entdeckt.
Clematis


 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC00663.JPG

Ein Lied an Gott

Es schneien weiße Rosen auf die Erde,
Warmer Schnee schmückt milde unsere Welt;
Die weiß es, ob ich wieder lieben werde,
Wenn Frühling sonnenseiden niederfällt.

Zwischen Winternächten liegen meine Träume
Aufbewahrt im Mond, der mich betreut –
Und mir gut ist, wenn ich hier versäume
Dieses Leben, das mich nur verstreut.

Ich suchte Gott auf innerlichsten Wegen
Und kräuselte die Lippe nie zum Spott.
In meinem Herzen fällt ein Tränenregen;
Wie soll ich dich erkennen lieber Gott ...

Da ich dein Kind bin, schäme ich mich nicht,
Dir ganz mein Herz vertrauend zu entfalten.
Schenk mir ein Lichtchen von dem ewigen Licht! – – –
Zwei Hände, die mich lieben, sollen es mir halten.

So dunkel ist es fern von deinem Reich
O Gott, wie kann ich weiter hier bestehen.
Ich weiß, du formtest Menschen, hart und weich,
Und weintetest gotteigen, wolltest du wie Menschen sehen.

Mein Angesicht barg ich so oft in deinem Schoß –
Ganz unverhüllt: du möchtest es erkennen.
Ich und die Erde wurden wie zwei Spielgefährten groß!
Und dürfen »du« dich beide, Gott der Welten, nennen.

So trübe aber scheint mir gerade heut die Zeit
Von meines Herzens Warte aus gesehen;
Es trägt die Spuren einer Meereseinsamkeit
Und aller Stürme sterbendes Verwehen.

Else Lasker-Schüler, die gestern, am 11. Februar  vor 149 Jahren geboren wurde

 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
HaVo640.jpg
Alle, die ihre Hände regen
nicht in der Zeit, der armen Stadt,
alle, die sie an Leises legen,
an eine Stelle, fern den Wegen,
die kaum noch einen Namen hat, -
sprechen dich aus, du Alltagssegen,
und sagen sanft auf einem Blatt:

Es gibt im Grunde nur Gebete,
so sind die Hände uns geweiht,
dass sie nichts schufen, was nicht flehte;
ob einer malte oder mähte,
schon aus dem Ringen der Geräte
entfaltete sich Frömmigkeit.

Die Zeit ist eine vielgestalte.
Wir hören manchmal von der Zeit,
und tun das Ewige und Alte;
wir wissen, dass und Gott umwallte
groß wie ein Bart und wie ein Kleid.
Wir sind wie Adern im Basalte
in Gottes harter Herrlichkeit.

Rainer Maria Rilke

Clematis





 

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