Literatur Schöne Lyrik

Songeur
Songeur
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Songeur



Wie wenn das Leben wär nichts andres


Wie wenn das Leben wär nichts andres
Als das Verbrennen eines Lichts!
Verloren geht kein einzig Teilchen,
Jedoch wir selber gehn ins Nichts!

Denn was wir Leib und Seele nennen,
So fest in eins gestaltet kaum,
Es löst sich auf in Tausendteilchen
Und wimmelt durch den öden Raum.

Es waltet stets dasselbe Leben,
Natur geht ihren ew'gen Lauf;
In tausend neuerschaffnen Wesen
Stehn diese tausend Teilchen auf.

Das Wesen aber ist verloren,
Das nur durch ihren Bund bestand,
Wenn nicht der Zufall die verstäubten
Aufs neu zu einem Sein verband.


Theodor Storm
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona

Weihnachtsfreude
Robert Reinick (1805-1852)

Der Winter ist gekommen
und hat hinweg genommen
der Erde grünes Kleid.
Schnee liegt auf Blütenkeimen,
kein Blatt ist an den Bäumen,
erstarrt die Flüsse weit und breit.

Da schallen plötzlich Klänge
und frohe Festgesänge
hell durch die Winternacht.
In Hütten und Palästen
ist rings in grünen Ästen
ein bunter Frühling aufgewacht.

Wie gern doch seh ich glänzen
mit all den reichen Kränzen
den grünen Weihnachtsbaum;
dazu der Kindlein Mienen,
von Licht und Lust beschienen;
wohl schön're Freude gibt es kaum!

 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
Von Rainer Maria Rilke "Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr"


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Songeur
Songeur
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Songeur



Beginn des Ende


Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz,
Nur ein Gefühl, empfunden eben;
Und dennoch spricht es stets darein,
Und dennoch stört es dich zu leben.

Wenn du es andern klagen willst,
So kannst du's nicht in Worte fassen.
Du sagst dir selber:"Es ist nichts!" 
Und dennoch will es dich nicht lassen.

So seltsam fremd wird dir die Welt,
Und leis verlässt dich alles Hoffen,
Bis du es endlich, endlich weißt,
Dass dich des Todes Pfeil getroffen.

Theodor Storm

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Zum Weihnachtsbaum
(Peter Rosegger 1843 - 1918)

Friede war im Wald und jeder Baum beglückt
durch schöne, reife Frucht, womit der Herbst beschmückt
die Äste all, dass jeder Zweig sich bieget
bis hoch hinauf, wo leis' die Krone wieget.
Doch leider, wo's zum Segen will gedeihn,
da findet sich auch gern der Hochmut ein
und selbst der Neid. Und jeder wollt' sich prahlen,
dass seine Frucht die schönste sei von allen,
und jeder hing an seine längsten Äste
als stolzes Aushängeschild der Früchte beste.
Es war ein herrlich Wogen bis zur Spitze,
ein Wetten, wer das beste wohl besitze.

Nur eines litt im Wald viel Weh und Gram
und barg sich ins Gesträuch voll tiefer Scham.
Ein Tannenbäumchen war's gar schmächtig, schlank,
wohl aller Früchte, auch der ärmsten, blank,
und während andre stolz im vollen Prangen
hatt' es an seinem Stamm nur Nadeln hangen,
nur dunkelgrüne Nadeln, scharf und spitz;
sie stachen es, doch schärfer stach der Witz
der andren und ihr Hohn, gar schal und widrig
dem schlichten Bäumchen, weil's so arm und niedrig.

Es flüsterte der Wald sich in die Ohren
vom Taugenichts, der da umsonst geboren,
und warf ihm boshaft gar zum Spott und Schmach
die ersten gelben, dürren Blätter nach.
Das schnitt dem Bäumchen tief ins junge Herz,
es wollte schier vergehen in Leid und Schmerz
und weinte, tief bedrängt vom Weh, dem schweren
das Harz heraus, die bittersten der Zähren.
So duldete das Bäumchen still und fromm.

Da zog hernieder durch den mächtigen Dom
ein Engel aus des Himmels heiligen Hainen,
der sah den armen Dulder schmerzlich weinen.
Er liess sich erdenwärts vom weiten Raum,
zur armen Tanne sprechend: "Liebster Baum!
Du warst bisher verachtet und verflucht,
doch tragen wirst du noch die schönste Frucht,
die je ein Baum getragen hier auf Erden,
du sollst der Baum der höchsten Freude werden."

Wie wurde jetzt der Himmel trüb und grau!
Es blies ein kalter Wind auf Heid' und Au',
er heulte durch den Wald voll wilder Hast
und rüttelte die letzte Frucht vom Ast.
Oh, bald war jeder Baum, der einst geprahlt,
der Frucht und Blätter bar, gar kahl und alt,
es fielen Flocken und es krächzten Raben,
und sieh, der stolze Wald war wie begraben.

Nur jenes Bäumchen steht noch frisch und frei
und grünt und flüstert sanft wie einst im Mai.
Und als die heilige Nacht gekommen war,
da schwebte durch den Wald die Engelschar
zum Bäumchen zart und trug es durch die Nacht
in festlich aufgegangener Strahlenpracht.
 

 
 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona

Zum neuen Jahr
(Eduard Mörike)


Wie heimlicherweise
ein Englein leise
mit rosigen Füßen
die Erde betritt.
So nahte der Morgen.

Jauchzt ihm, ihr Frommen,
ein heilig Willkommen,
ein heilig Willkommen!
Herz, jauchze du mit!

In Ihm sei`s begonnen,
der Monde und Sonnen
an blauen Gezelten
des Himmels bewegt!

Du, Vater, du rate!
Lenke du und wende!
Herr, dir in die Hände
sei Anfang und Ende,
sei alles gelegt! 

Ich möchte allen Lesern und Mitgestaltern dieses Forums ein gutes Jahr 2018 wünschen.
Möge auch Euch ein guter Engel leiten und in schwierigen Situationen, die das Leben nun einmal mit sich bringt, helfen und zur Seite stehen!

Liebe Grüße
Sirona



 

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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 30.12.2017, 09:33:28

Danke für die Wünsche, die ich gern und herzlich erwidere.
Vor allen Dingen aber besten Dank für die vielen schönen und nachhaltigen Beiträge hier.
Liebe Grüße
rehse

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.12.2017, 17:53:12

Danke lieber Rehse für Dein Feedback, worüber ich mich gefreut habe und das mir zeigt, dass die Gedichte unserer großen Lyriker geschätzt werden.

Liebe Grüße
Sirona


 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Du milchjunger Knabe,
wie siehst du mich an?
Was haben deine Augen
für eine Frage getan!

Alle Ratsherrn der Stadt
und alle Weisen der Welt
bleiben stumm auf die Frage
die deine Augen gestellt!

Ein leeres Schneckhäusel,
schau, liegt dort im Gras;
da halte dein Ohr dran,
drin brümmelt dir was!

Gottfried Keller
19. 7. 1819 - 16. 7. 1890

Clematis





 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.01.2018, 09:25:13

Tja, welche Frage haben nun die Augen des Knaben gestellt? War es die Frage nach dem Inhalt des Schneckenhäusels? Ein wunderschönes Schneckenbild.

Sirona

 


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