Literatur Schöne Lyrik

Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Roxanna vom 10.10.2016, 22:56:26
Liebe Roxanna,

als ich diese herrliche Rosenaufnahme betrachtete fiel mir dieses Gedicht ein, das ich ergänzend zu Deinem Beitrag eingeben möchte:

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
sie war, als ob sie bluten könnte, rot;
da sprach ich schauernd im Vorübergehn:
so weit im Leben ist zu nah am Tod!

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
nur leise strich ein weißer Schmetterling,
doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
bewegte, sie empfand es und verging.

Christian Friedrich Hebbel
(1813 - 1863)



Neue Liebe

Herz, mein Herz, warum so fröhlich,
So voll Unruh und zerstreut,
Als käm über Berge selig
Schon die schöne Frühlingszeit?

Weil ein liebes Mädchen wieder
Herzlich an dein Herz sich drückt,
Schaust du fröhlich auf und nieder,
Erd und Himmel dich erquickt.

Und ich hab die Fenster offen,
Neu zieh in die Welt hinein
Altes Bangen, altes Hoffen!
Frühling, Frühling soll es sein!

Still kann ich hier nicht mehr bleiben,
Durch die Brust ein Singen irrt,
Doch zu licht ist's mir zum Schreiben,
Und ich bin so froh verwirrt.

Also schlendr' ich durch die Gassen,
Menschen gehen her und hin,
Weiß nicht, was ich tu und lasse,
Nur, daß ich so glücklich bin.

Joseph Freiherr von Eichendorff
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona



Heinrich Heine

Sie saßen und tranken am Teetisch
und sprachen von Liebe viel.
Die Herren, die waren ästhetisch,
die Damen von zartem Gefühl.

„Die Liebe muß sein platonisch“, 

der dürre Hofrat sprach. 

Die Hofrätin lächelt ironisch. 

Und dennoch seufzet sie: „Ach!“

Der Domherr öffnet den Mund weit: 

„Die Liebe sei nicht zu roh, 

sie schadet sonst der Gesundheit.“ 

Das Fräulein lispelt: „Wieso?“

Die Gräfin spricht wehmütig: 

„Die Liebe ist eine Passion!“ 

Und präsentieret gütig 

die Tasse dem Herren Baron.

Am Tische war noch ein Plätzchen; 

mein Liebchen, da hast du gefehlt. 

Du hättest so hübsch, mein Schätzchen, 

von deiner Liebe erzählt.
Roxanna
Roxanna
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf Sirona vom 17.10.2016, 09:40:29
Liebe Sirona,

ein erheiterndes hübsches Gedicht und dazu dieses witzige Geschirr. Mit einem Lächeln habe ich es gelesen und mich darüber gefreut. Danke !

Liebe Grüße
Roxanna

Anzeige

Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Impressionen Rothenburg o.T.(Sirona)



Ich geh‘ durch die alten Gassen
und wandre von Haus zu Haus,
ich kann mich noch immer nicht fassen,
sieht alles so trübe aus.

Da gehen viel Männer und Frauen
die alle so lustig sehn,
die fahren und lachen und bauen,
daß mir die Sinne vergehn.

Oft wenn ich bläuliche Streifen
seh‘ über die Dächer fliehn,
Sonnenschein draußen schweifen,
wo Wolken am Himmel ziehn.

Da treten mitten im Scherze
die Tränen ins‘ Auge mir,
denn die mich liebt von Herzen
ist so weit fort von mir.

(J. v. Eichendorff)
Roxanna
Roxanna
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna



O glücklich, wer ein Herz gefunden,
Das nur in Liebe denkt und sinnt
Und mit der Liebe treu verbunden
Sein schönres Leben erst beginnt!
Wo liebend sich zwei Herzen einen,
Nur eins zu sein in Freud und Leid,
Da muss des Himmels Sonne scheinen
Und heiter lächeln jede Zeit.
Die Liebe, nur die Lieb ist Leben:
Kannst du dein Herz der Liebe weihn,
So hat dir Gott genug gegeben,
Heil dir! Die ganze Welt ist dein!

Hoffmann von Fallersleben
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona


Charitas - Der Engel der Barmherzigkeit

Als Gott die Menschen, die der Stolz betört,
aus Eden stieß, das ihre Schuld geschändet,
hat sich die ganze Schöpfung zornempört
von den Empörern feindlich abgewendet.
Die Engel selber, deren lichte Schar
des jungen Herrscherpaars Gefolge war,
verließen mit entsetzter Angstgebärde
in scheuer Hast die fluchbelad'ne Erde.

Ein einziger - ein zartes Engelsbild,
holdselig, wie es noch kein Künstler malte,
aus dessen Augen, tief und wundermild,
ein ganzer Himmel reinster Liebe strahlte,
nur der blieb zu des Schöpfers Füßen knien
und flehte: "Laß mich mit den Menschen zieh'n,
mein Nam' ist Charitas, mein Amt Erbarmen -
laß mich als Schutzgeist wandern mit den Armen.

Ich will sie bauen lehr'n ein schirmend Zelt,
wenn heimatlos im Wettersturm sie zagen.
Wenn Durst im Wüstensonnenbrand sie quält,
will Labung ich aus dürren Felsen schlagen.
Macht sie des Fiebers Glut vor Angst vergeh'n,
will ich als Arzt an ihrem Lager steh’n,
und gilt's, den letzten dunklen Pfad zu schreiten,
soll meine Hand sie liebend heimbegleiten.

Die Kinder, deiner Schöpfung schönste Zier,
will ich mit Muttersorge um mich sammeln.
Erzählen will ich ihnen, Herr, von dir
und will sie lehren deinen Namen stammeln.
In tiefste Nächte, die kein Stern bescheint,
in trübste Augen, die sich wund geweint,
selbst in die finstern Herzen, die dich hassen,
will einen Sonnenstrahl ich fallen lassen.

Der Engel rief's. Der Schöpfer sprach voll Huld:
"Was du erbeten hast, es soll dir werden!
Doch wappne dich mit himmlischer Geduld,
denn Undank wird die Losung sein auf Erden!
Zieh' hin! Erprobe deinen Opfermut!
Nie darfst du ruh'n, weil auch - das Leid nie ruht.
Erst wenn das letzte schloss die müden Lider -
am Jüngsten Tage sehn wir uns wieder!"

Seit jener Stunde wandelt durch die Welt
der holde Geist um jedes Leid bekümmert.
Wo schrill der Notruf der Verzweiflung gellt,
wo das verschämte Elend leise wimmert,
in Bettlerhütten und im Fürstensaal,
im Spittel, auf dem Schlachtfeld - überall,
wo's gilt, der Liebe Botschaft zu verkünden,
da ist der Engel Charitas zu finden.

Ottokar Kernstock (1848 – 1928)
Österreichischer Dichter, Priester und Augustiner-Chorherr

Anzeige

Roxanna
Roxanna
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna


Träume, die in deinen Tiefen wallen


Träume, die in deinen Tiefen wallen,
aus dem Dunkel lass sie alle los.
Wie Fontänen sind sie, und sie fallen
lichter und in Liederintervallen
ihren Schalen wieder in den Schoß.

Und ich weiß jetzt: wie die Kinder werde.
Alle Angst ist nur ein Anbeginn;
aber ohne Ende ist die Erde,
und das Bangen ist nur die Gebärde,
und die Sehnsucht ist ihr Sinn -

Rainer Maria Rilke
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona


Deutschland ein Wintermärchen
Heinrich Heine

Im traurigen Monat November war's,
die Tage wurden trüber,
der Wind riß von den Bäumen das Laub,
da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
in meiner Brust, ich glaube sogar
die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
da ward mir seltsam zumute;
ich meinte nicht anders, als ob das Herz
recht angenehm verblute.

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
und falscher Stimme, doch ward ich sehr
gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
dort oben, in jener besseren Welt,
wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal,
von Freuden, die bald zerronnen,
vom jenseits, wo die Seele schwelgt
verklärt in ew'gen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
das Eiapopeia vom Himmel,
womit man einlullt, wenn es greint,
das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
ich kenn auch die Herren Verfasser;
ich weiß, sie tranken heimlich Wein
und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
und wollen nicht mehr darben;
verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
für alle Menschenkinder,
auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann
sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
den Engeln und den Spatzen.

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
so wollen wir euch besuchen
dort oben, und wir, wir essen mit euch
die seligsten Torten und Kuchen.

Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
die Sterbeglocken schweigen.

Die Jungfer Europa ist verlobt
mit dem schönen Geniusse
der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
sie schwelgen im ersten Kusse.

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
die Ehe wird gültig nicht minder –
es lebe Bräutigam und Braut,
und ihre zukünftigen Kinder!

Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,
das bessere, das neue!
In meiner Seele gehen auf
die Sterne der höchsten Weihe.

Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
zerfließen in Flammenbächen,
ich fühle mich wunderbar erstarkt,
ich könnte Eichen zerbrechen!

Seit ich auf deutsche Erde trat,
durchströmen mich Zaubersäfte,
der Riese hat wieder die Mutter berührt,
und es wuchsen ihm neu die Kräfte.
Roxanna
Roxanna
Mitglied

Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
Ich bin der Welt abhanden gekommen

Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!

Friedrich Rückert
Sirona
Sirona
Mitglied

Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona



November
Reinhold Fuchs (1858 - 1938)

Hörst du, wie die Winde klagen
in dem Dornbusch kahl und grau?
Keiner ahnt, daß er getragen
rote Rosen einst zur Schau.

In den Feldern, in den Hainen
stumm ein jeder frohe Klang;
wie ein schmerzlich-leises Weinen
schleicht es deinen Pfad entlang.

Halbverschollne Trauerkunden
hallen aus der Ferne her;
längst verrauschte Scheidestunden
machen neu das Herz dir schwer.

Blätter fallen, Wolken schweben;
Nebel schwankt um Busch und Baum;
Träume werden dir zum Leben,
und das Leben wird zum Traum.


Anzeige