Literatur Schöne Lyrik

Sirona
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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Abschied

Je duftiger die Rose, je schärfer sie auch sticht;
es fehlt im Schönheits-Eden die böse Natter nicht;
die goldigste der Wolken wird schauerschwer und grau;
der Wonnetraum, erwacht man, zerrinnt in Tränentau.

Das wusst' ich längst, nun fühl' ich's zu meinem eignen Leid:
betört hat mich dein Lächeln, du schöne, falsche Maid!
Ich geh' von dir und scheide mit tiefbetrübtem Sinn,
durch Schaden klug, doch zahl' ich zu teuer den Gewinn.

Nicht baut geborstner Himmel so schnell sich wieder auf;
wir beide lassen fürder dem Willen freien Lauf.
Dein Weg führt dich zu Menge, der meine ist für mich;
wir treffen uns nie wieder; die Pfade trennten sich.

Nicht schadenfroh, nein, traurig, seh' ich, was dir bestimmt,
welch' End' dein eitles Treiben im Weltentaumel nimmt.
Dein Gold wird Asche werden, dein Glück zu Staub verwehn,
dein Leichtsinn weinen, Unheil ein jeder Eidbruch sä'n.

Ich kann dich zwar nicht hassen, die ich geliebt so heiss;
doch wünscht' ich oft, wir hätten uns nie gesehen, Gott weiss!
Ich kann dich nimmer lieben, zu treulos war dein Tun;
doch immer wird dein Schatten auf meiner Seele ruhn.


Steingrimur Thorsteinsson - (1831-1913)
Ein isländischer Dichter und Kulturbringer

(Übersetzung von Josef Calasanz Poestion 1853-1922)
Sirona
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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
@Clematis, Milan

"Bunt sind schon die Wälder" erinnert mich an meine längst vergangene Schulzeit, das immer zu Herbstanfang und zum Erntedankfest gesungen wurde. Vertont hat die Verse Johann Friedrich Reichardts, Lied und Text sind seit 1799 bis heute populär geblieben. Ob dieses Lied auch heute noch in Kinder- und Schulliederbüchern zu finden ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
Bei meinen Recherchen war ich erstaunt, dass auch Franz Schubert mehr als 20 Salis-Texte vertont hat, z.B. Abschied von der Harfe, Das Grab oder Zum Rundtanz. Demnach muss Salis-Seewis zu seiner Zeit bekannt gewesen sein.

Abschied von der Harfe – Franz Schubert


Noch einmal tön', o Harfe,
die nur Gefühle tönt!
Verhalle zart und leise
noch jene Schwanenweise,
die auf der Flut des Lebens
uns mit der Not versöhnt.

Im Morgenschein des Lebens
erklangst du rein und hell!
Wer kann den Klang verwahren?
Durch Forschen und Erfahren
verhallet und versieget
des Liedes reiner Quell.

Das Schneegedicht, das Milan eingesetzt hat, soll sicher an den ersten zaghaften Versuch des Winters vor einigen Tagen erinnern.

LG Sirona
Sirona
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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona


Der Kranich – Nikolaus Lenau (1802 - 1850)

Stoppelfeld, die Wälder leer,
und es irrt der Wind verlassen,
weil kein Laub zu finden mehr,
rauschend seinen Gruß zu fassen.

Kranich scheidet von der Flur,
von der kühlen, lebensmüden,
freudig ruft ers, daß die Spur
er gefunden nach dem Süden.

Mitten durch den Herbstesfrost
schickt der Lenz aus fernen Landen
dem Zugvogel seinen Trost,
heimlich mit ihm einverstanden.

O wie mag dem Vogel sein,
wenn ihm durch das Nebeldüster
zückt ins Herz der warme Schein
und das ferne Waldgeflüster!

Hoch im Fluge übers Meer
stärket ihn der Duft der Auen;
o wie süß empfindet er
Ahndung, Sehnsucht und Vertrauen!

Nebel auf die Stoppeln taut;
dürr der Wald; – ich duld es gerne,
seit gegeben seinen Laut
Kranich, wandernd in die Ferne.

Hab ich gleich, als ich so sacht
durch die Stoppeln hingeschritten,
aller Sensen auch gedacht,
die ins Leben mir geschnitten;

Hab ich gleich am dürren Strauch
andres Welk bedauern müssen,
als das Laub, vom Windeshauch
aufgewirbelt mir zu Füßen:

Aber ohne Gram und Groll
blick ich nach den Freudengrüften,
denn das Herz im Busen scholl,
wie der Vogel in den Lüften.

Ja, das Herz in meiner Brust
ist dem Kranich gleich geartet,
und ihm ist das Land bewußt,
wo mein Frühling mich erwartet.

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Sirona
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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
An die Muse - Caroline Rudolphi (1753 - 1811)

O Freundinn, die mein pochend Herz
zur Ruhe stets bekehret,
du hast mir Lust und frohen Scherz,
so oft ich bat, gewähret,
laß doch der Sorgen bösen Schwarm,
o laß ihn von mir fliehen!
O laß den bangen finstern Harm
die Seele nicht umziehen.

Von vielem, das man Glück genannt,
dies, Freundinn, kannst du wissen,
ward mir nie etwas zuerkannt,
doch weiß ich es zu missen.
Daß ich dies weiß, daß du mich liebst,
und oft im tieffsten Leide
noch Sonnenschein der Seele giebst,
dies ist mir Glück und Freude.

Von allem, was nur Glück genannt,
von seinen schönsten Gaben,
von reichem Guth und hohem Stand
könnt' ich die Fülle haben;
und doch nicht weisen, frohen Muth,
nicht Sonnenschein der Seele -
o Muse, laß mir dieses Guth,
weil ich noch Tage zähle.

Und sterb' ich in der Blüthezeit
des Lebens, - - nim die Leyer
und trag sie, die ich nie entweiht,
bey jeder Frühlingsfeier
in meinen kleinen Birkenhain,
wo ich mich dein gefreuet,
wo du bey stillem Mondenschein
zur Freundinn mich geweihet.

Und hänge, wo mein Staub zerfiel,
denn hier, wie ichs mich freue,
hier ruh' ich einst mein Saitenspiel
an eine kleine Maye,
und lisple, wenn im süßen Traum
ein Wanderer sich wieget,
dem armen Mann von diesem Baum:
daß hier ein Mädchen lieget,

Die so wie er des Lebens Pfad
oft öd' und rauh gefunden;
doch deren Muth kein Sturmwind hat,
kein Wetter überwunden;
die sich in Wüsten Blumen schuf,
in öden Winterfluren,
und hörte gern der Freude Ruf,
und folgte ihren Spuren.

Die, nahte sich ihr Feind, der Gram,
ihn eilend zu verscheuchen,
nur die bekränzte Leyer nahm,
und bald ihn sah entweichen,
die ruhig lächelte dem Tod,
und mit gelaßner Seele
ihm folgt', als er die Hand ihr bot,
zur unbekannten Höhle.

Doch, Freundinn, die mein klagend Herz
so zärtlich oft gestillet,
mit süßer Freud' und süßem Schmerz
so wunderbar erfüllet,
laß mir noch, eh du mich beweinst,
manch kleines Liedchen glücken,
das weiche Schwesterseelen einst
an ihren Busen drücken.
(1776)

Durch Zufall stieß ich auf diese Lyrikerin und bin sehr beeindruckt von der tiefen Aussagekraft ihrer Dichtung.

Sirona
Milan
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Heute mal ein Gedicht in Mundart
geschrieben von Milan
Mei Grußmütterle

Derham in Stübel eng on klaa,
do wuhnt Zefriedenheit.
Do sitzt mei alt's Grußmütterle,
erzöhlt aus alter Zeit.
Grußmütterle, Grußmütterle,
o laab fei noch racht lang!
Erzöhl noch viel aus alter Zeit,
Grußmütterle waar net krank!

On wenn 's erzöhlt ben Klippelstock,
do krieg ich net genug,
dos klingt su seltsam, 's kömmt mer vür,
als laas ich aus enn Buch.
Grußmütterle, Grußmütterle,
o laab fei noch racht lang!
Erzöhl noch viel aus alter Zeit,
Grußmütterle waar net krank!

On kömmt de liebe Weihnachtszeit,
brennt 's Lichtel of 'n Baam,
erzöhlt 's gar viel ve Fried on Freid,
on alles lauscht dernaabn.
Grußmütterle, Grußmütterle,
o laab fei noch racht lang!
Erzöhl noch viel aus alter Zeit,
Grußmütterle waar net krank!

Nu halt ich mei Grußmütterle
sulang 's när laabt in Ehrn.
Mer hot 's när aamol of der Walt,
's tut nimmer wiederkehrn.
Grußmütterle, Grußmütterle,
o laab fei noch racht lang!
Erzöhl noch viel aus alter Zeit,
Grußmütterle waar net krank!

Doch 's kömmt e Mol die Zeit mit ra,
nort deckt's der Rosen zu,
drüm bitt ich onnern Herrgott racht,
aar söll 's noch lang net tu.
Grußmütterle, Grußmütterle,
o laab fei noch rächt lang!
Erzöhl noch viel aus alter Zeit,
Grußmütterle waar net krank!

Anton Günther
Sirona
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Re: Heute mal ein Gedicht in Mundart
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Milan vom 26.10.2015, 13:08:55
Milan, das Gedicht ist ja wunderbar, es vermittelt eine so heimelige Atmosphäre, eine so friedliche und längst vergangenen Zeit. Wohl dem der eine solche gute Großmutter hatte!

LG Sirona

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Sirona
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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Gesehn, gehofft, gefunden - R.M. Rilke

Gesehn, gehofft, gefunden, 

gestanden und geliebt -

drauf eine Zahl von Stunden 

durch keinen Schmerz getrübt.



Gequält, getrennt, geschieden 

durch feindliches Bemühn -

dahin der Seele Frieden, 

die süße Ruh dahin ....



Sich liebend treu geblieben, 

geklagt, gesehnt, geweint 

und dann, im bessern Drüben

auf ewig doch vereint.


Immer wieder begegnet mir bei Gedichten der Gedanke der Unsterblichkeit, von der die Poeten fest überzeugt waren. Eine schöne Vision oder gesicherte Zukunft?

LG Sirona
Sirona
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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Beust du dem Geiste seine Nahrung,
so laß nicht darben dein Gemüt,
des Lebens höchste Offenbarung,
doch immer aus dem Herzen blüht.

Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,
ja mehr noch, eines Kindes Lall'n
kann leuchtender in deine Seele
wie Weisheit aller Weisen fall'n.

Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen
erkennst du ganz, was Leben heißt;
o lerne denken mit dem Herzen,
und lerne fühlen mit dem Geist!

Th. Fontane (1819 - 1898)
Sirona
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Re: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Ich soll den hier aktiven Lyrikfreunden herzliche Grüße von yoli übermitteln. Sie befindet sich momentan in Spanien, wird uns aber bei ihrer Rückkehr wieder mit schönen Gedichten erfreuen. Gerne würde ich hier täglich ein gutes Gedicht lesen - aber nicht nur die von mir eingestellten.

LG Sirona
Milan
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Lessing ein vergessener Dichterfürst
geschrieben von Milan
als Antwort auf Sirona vom 06.11.2015, 11:38:29
Die eheliche Liebe

Klorinde starb; sechs Wochen drauf
Gab auch ihr Mann das Leben auf,
Und seine Seele nahm aus diesem Weltgetümmel
Den pfeilgeraden Weg zum Himmel.
»Herr Petrus«, rief er, »aufgemacht!«
»Wer da?« – »Ein wackrer Christ.« –
»Was für ein wackrer Christ?« –
»Der manche Nacht,
Seitdem die Schwindsucht ihn aufs Krankenbette brachte,
In Furcht, Gebet und Zittern wachte.
Macht bald!« – – Das Tor wird aufgetan.
»Ha! ha! Klorindens Mann!
Mein Freund«, spricht Petrus, »nur herein;
Noch wird bei Eurer Frau ein Plätzchen ledig sein.«
»Was? meine Frau im Himmel? wie?
Klorinden habt Ihr eingenommen?
Lebt wohl! habt Dank für Eure Müh!
Ich will schon sonst wo unterkommen.«

Gotthold Ephraim Lessing

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