Literatur Schöne Lyrik
Eigenes Foto - Jausenstation Kärnten
Aufmunterung zur Freude
Ludwig Heinrich Christoph Hölty
Wer wollte sich mit Grillen plagen,
solang uns Lenz und Jugend blühn;
wer wollt in seinen Blütentagen
die Stirn in düstre Falten ziehn?
Die Freude winkt auf allen Wegen,
die durch dies Pilgerleben gehn;
sie bringt uns selbst den Kranz entgegen,
wenn wir am Scheidewege stehn!
Noch rinnt und rauscht die Wiesenquelle,
noch ist die Laube kühl und grün,
noch scheint der liebe Mond so helle,
wie er durch Adams Bäume schien!
Noch macht der Saft der Purpurtraube
des Menschen krankes Herz gesund,
noch schmeckt in der Abendlaube
der Kuß auf einen roten Mund!
Noch tönt der Busch voll Nachtigallen
dem Jüngling hohe Wonne zu,
noch strömt, wenn ihre Lieder schallen,
selbst in zerrißne Seelen Ruh!
O wunderschön ist Gottes Erde
und wert, darauf vergnügt zu sein!
Drum will ich, bis ich Asche werde,
mich dieser schönen Erde freun!
Einfach wunderbar!
Aus der Jugendzeit
Friedrich Rückert (1788-1866)
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
klingt ein Lied mir immerdar;
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
was mein einst war!
Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,
die den Herbst und Frühling bringt;
ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang
das jetzt noch klingt?
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
waren Kisten und Kasten schwer;
als ich wieder kam, als ich wieder kam,
war alles leer.
O du Kindermund, o du Kindermund,
unbewusster Weisheit froh,
Vogelsprache kund, Vogelsprache kund
wie Salomo!
O du Heimatflur, o du Heimatflur,
lass zu deinem heil’gen Raum
mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
entfliehn im Traum!
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
war die Welt mir voll so sehr;
als ich wieder kam, als ich wieder kam,
war alles leer.
Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt,
und der leere Kasten schwoll,
ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,
wird’s nie mehr voll.
Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt
dir zurück, wonach du weinst;
doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt
im Dorf wie einst:
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
waren Kisten und Kasten schwer;
als ich wieder kam, als ich wieder kam,
war alles leer.«
Auf dieses Gedicht bzw. Lied nahm Theodor Storm in seiner Novelle „In St. Jürgen“ Bezug. …… doch die Schwalbe singt - als ich wiederkam war alles leer. Eine sehr berührende Novelle von zwei Liebenden, die die Lebensumstände für immer getrennt haben.
"Was denkst du jetzt?
Ach, hinter diese Stirne
zu dringen, - war' es, war' es
mir gegeben!
Ein Bettler steh ich da
vor deinem Leben,
das unaufhörlich
sich in dir verschließt.
Besitz' ich dich,
wenn ewig Unbeseßnes
in deiner Brust
an mir vorüberfließt?
O allzu streng und kärglich Zugemeßnes,
was sich von Aug' und Munde nur
ergießt!
O gib mir Teil
an jenem stummen Weben!
Was denkst du jetzt?
Ach, hinter diese Stirne
zu dringen, - war' es, war' es
mir gegeben!"
Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Die Zeit (Christian Morgenstern)
Es gibt ein sehr probates Mittel,
die Zeit zu halten am Schlawittel:
Man nimmt die Taschenuhr zur Hand
und folgt dem Zeiger unverwandt,
Sie geht so langsam dann, so brav
als wie ein wohlgezogen Schaf,
setzt Fuß vor Fuß so voll Manier
als wie ein Fräulein von Saint-Cyr.
Jedoch verträumst du dich ein Weilchen,
so rückt das züchtigliche Veilchen
mit Beinen wie der Vogel Strauß
und heimlich wie ein Puma aus.
Und wieder siehst du auf sie nieder;
ha, Elende! - Doch was ist das?
Unschuldig lächelnd macht sie wieder
die zierlichsten Sekunden-Pas.