Literatur Schöne Lyrik
Glück auf
Gar viel habe ich versucht, gekämpft, ertragen;
Das ist der tiefen Sehnsucht Lebenslauf,
Dass brünstig sie an jeden Fels muss schlagen,
Ob sich des Lichtes Gnadentür tät auf,
Wie ein verschütt’ter Bergmann in den Klüften.
Auch ich gelang‘ einst zu dem stillen Gipfel,
Vor dem mich schauert in geheimer Lust,
Tief unten rauschen da des Lebens Wipfel
Noch einmal dunkelrührend an die Brust,
Dann wird es unten still im weiten Grunde
Und oben leuchtet streng des Himmels Runde.
Wie klein wird sein da, was mich hat gehalten,
Wie wenig, was ich Irrender vollbracht,
Doch was den Felsen gläubig hat gespalten:
Die Sehnsucht treu steigt mit mir aus der Nacht.
Und legt mir an die wunderbaren Schwingen
Die durch die Stille mich nach Hause bringen.
Joseph Freiherr von Eichendorff
Roxanna
Das ist ein reicher Segen
In Gärten und an Wegen!
Die Bäume brechen fast.
Wie voll doch alles hanget!
Wie lieblich schwebt und pranget
Der Apfel goldne Last.
Jetzt auf dem Baum gestiegen!
Lasst uns die Zweige biegen,
Dass jedes pflücken kann!
Wie hoch die Äpfel hangen,
Wir holen sie mit Stangen
Und Haken all` heran.
Und ist das Werk vollendet,
So wird auch uns gespendet
Ein Lohn für unsern Fleiß.
Dann zieh´n wir fort und bringen
Die Äpfel heim und singen
Dem Herbst Lob und Preis.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (*1798 †1874)
Ballade von der Unkenntnis des eigenen Ich
Francois Villon (1431 – 1463)
Ich kenn der Fliege Qual im Honigtopf,
den Menschen kenne ich schon am Gewand,
die Sonne kenn ich, weiß wie Regen klopft,
und nach der Frucht bestimme ich das Land.
Jedweden Baum erkenne ich am Saft
wie an der Menge stets nur ein Gesicht.
Ich kenn den Frondienst und der Ruhe Kraft.
Ich kenne alles – nur mich selber nicht.
Den Schnitt der Jacke zeigt der Kragen recht,
an seiner Kutte kenne ich den Abt,
den Herrn erkenne ich an seinem Knecht,
die Nonne – welcher Schleier sie verkappt.
Die Diebessprache kenn ich insgeheim,
weiß um den Narren für ein Naschgericht,
an seinem Fass erkenne ich den Wein.
Ich kenne alles – nur mich selber nicht.
Das Maultier kenne ich und kenn das Pferd,
erkenne ihre Not an ihrer Last,
ich weiß, was Jeanne und Isabell beschwert,
die falschen Würfel kenn ich im Palast.
Ich kenn den Traum der Nacht, des Lichts Vision,
ich kenn der Hussiten Strafgericht
und kenne nicht zuletzt die Macht von Rom.
Ich kenne alles – nur mich selber nicht.
O Herr, was noch? – was ist mir nicht bekannt?
Das Siechtum und des Lebens buntes Band,
den Tod, der alles auflöst – den Verzicht. -
Ich kenne alles – nur mich selber nicht.
Die Begegnung
Gottfried Keller 1819 - 1890
Schon war die letzte Schwalbe fort
und wohl seit manchen Tagen auch
die letzte Rose abgedorrt,
nach altem Erdenbrauch.
Es flimmerte der Buchenhain
wie Rauschgold rot im Abendlicht;
Herbstsonne gibt gar sondern Schein,
der in die Herzen sticht.
Ich traf sie da im Walde an,
nach der allein mein Herz begehrt,
mit Tuch und Hut weiss umgetan,
von güldnem Schein verklärt.
Sie war allein; doch grüsst’ ich sie
verschüchtert kaum im Weitergehn,
weil ich so feierlich sie nie,
so still und schön, gesehn.
Es blickt’ aus ihrem Angesicht
ein vornehm Etwas neu hervor,
und ihrer Augen Veilchenlicht
glomm hinter einem Flor.
Ein fremder Hirt, ein blasser, ging
im Schatten dieser Huldgestalt;
im Gurt ein silbern Sichlein hing,
das klang: ich schneide bald!
Es scheint mir ein Rival erwacht!
Sprach ich und schaut’ ins Abendrot,
bis es erlosch und bis die Nacht
die dunkle Hand mir bot.
Eine Welke
Leicht, wie nach ihrem Tode
trägt sie die Handschuh, das Tuch.
Ein Duft aus ihrer Kommode
verdrängte den lieben Geruch,
an dem sie sich früher erkannte.
Jetzt fragt sie lange nicht, wer
sie sei (: eine ferne Verwandte),
und geht in Gedanken umher
und sorgt für ein ängstliches Zimmer,
das sie ordnet und schont,
weil es vielleicht noch immer
dasselbe Mädchen bewohnt.
Rainer Maria Rilke
Am Meere
Adolf Friedrich Graf von Schack
(1815 – 1894)
Nun nimm mich wieder an deine Brust,
mein altes, geliebtes Meer!
Noch rollst du in Mut und Jugendluft,
wie da ich dich ließ, einher.
Mir tönt′s aus der brandenden Wogen Schwall
entgegen wie Freundeslaut;
als liebe Gespielen begrüß′ ich sie all,
die ich seit lang nicht geschaut.
Ich stürze hinein in die schäumende Flut;
mir jubelt die Seele mit ihr:
Den Knaben, der einst ihr am Busen geruht,
erkennt sie freudig in mir.
Und wie das Nass, gegeißelt vom Nord,
die Brust und die Stirne mir kühlt,
fühl′ ich mir leise vom Herzen fort
den Rost des Lebens gespült.
Die Wangen umkost mir der wirbelnde Schaum,
es lacht ihn hinweg mein Mund;
bald schaukelt die Welle mich hoch auf dem Saum,
bald tauch′ ich hinab in den Schlund.
Hinaus! Ins Allunendliche hin!
Das vermisst′ ich so manches Jahr.
Ja, altes geliebtes Meer, noch bin
ich derselbe, der einst ich war.
Was für ein heimelig-nostalgisches Bild, wunderbar!
Welch wunderbares Gedicht. Wie schöner und lebhafter kann man diese "Vermissen" ausdrücken. Vielleicht nur dieses Lied von Sissel.