Literatur Schöne Lyrik

LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

Die Liebe ein Schmetterling
Die Liebe ist ein Ding
Zart wie ein Schmetterling,
In Blumen auferzogen,
Rasch, wie ein Traum, entflogen.
 
Mir Elfenkost genährt,
Leicht traulich, leicht verstört,
Ein Kind der Sonnenstrahlen,
Ersehnt, gehascht von Allen.
 
Doch rohen Händen nimmer
Besteht so feiner Schimmer,
Und Schmelz und Farbenpracht
Löscht dann in tote Nacht.
 
Weh dir, dass man dich fing,
Du armer Schmetterling,
Du musst, um froh zu leben,
Frei in den Lüften schweben.
 
Und nur zuweilen hin
Am grünen Rasen ziehn,
Von Frühlingshauch gefächelt,
Wenn Erd und Himmel lächelt.
 
Die Liebe ist ein Ding
Zart, wie ein Schmetterling,
In Blumen auferzogen,
Rasch, wie ein Traum, entflogen.

(Lydia Hecker, geb. Paalzow, 1802-?)

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Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
 
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Der Narr


Er war nicht unbegabt. Die Geisteskräfte
Genügten für die laufenden Geschäfte.
Nur hat er die Marotte,
Er sei der Papst. Dies sagt er oft und gern
Für jedermann zum Ärgernis und Spotte,
Bis sie zuletzt ins Narrenhaus ihn sperr'n.

Ein guter Freund, der ihn daselbst besuchte,
Fand ihn höchst aufgeregt. Er fluchte:
Zum Kuckuck, das ist doch zu dumm.
Ich soll ein Narr sein und weiß nicht warum.

Ja, sprach der Freund, so sind die Leute.
Man hat an einem Papst genug.
Du bist der zweite.
Das eben kann man nicht vertragen.
Hör zu, ich will dir mal was sagen:
Wer schweigt, ist klug.

Der Narr verstummt, als ob er überlege.
Der gute Freund ging leise seiner Wege.

Und schau, nach vierzehn Tagen grade
Da traf er ihn schon auf der Promenade.

Ei, rief der Freund, wo kommst du her?
Bist du denn jetzt der Papst nicht mehr?

Freund, sprach der Narr und lächelt schlau,
Du scheinst zur Neugier sehr geneigt.
Das, was wir sind, weiß ich genau.
Wir alle haben unsern Sparren,
Doch sagen tun es nur die Narren.
Der Weise schweigt.


Wilhelm Busch
LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
als Antwort auf Roxanna vom 20.06.2023, 22:20:50
Liebe Roxanna,
ein weiser Narr....
Im Gegensatz dazu gibt es so manchen "Weisen", der sich zum Narren macht.
Wie zutreffend, was W. Busch da schrieb!
Lg Lisa🌞
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Der Einsame
Wer einsam ist, der hat es gut,
Weil keiner da, der ihm was tut.
Ihn stört in seinem Lustrevier
Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
Und niemand gibt ihm weise Lehren,
Die gut gemeint und bös zu hören.
Der Welt entronnen, geht er still
In Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
Bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
Drum raucht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
Kann er sich selbst die Hose flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
Um angenehm die Zeit zu töten,
Und laut und kräftig darf er prusten,
Und ohne Rücksicht darf er husten,
Und allgemach vergisst man seiner.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
Ich dachte längst, er wäre tot.
Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,
Lässt sich das Glück nicht schöner malen.
Worauf denn auch der Satz beruht:
Wer einsam ist, der hat es gut.

Wilhelm Busch (1832-1908)

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Allegra
Allegra
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Allegra

König Sommer
 
Nun fallen leise die Blüten ab,
Und die jungen Früchte schwellen.
Lächelnd steigt der Frühling ins Grab
Und tritt dem Sommer die Herrschaft ab,
Dem starken, braunen Gesellen.
 
König Sommer bereist sein Land
Bis an die fernsten Grenzen,
Die Ähren küssen ihm das Gewand,
Er segnet sie alle mit reicher Hand,
Wie stolz sie nun stehen und glänzen.
 
Es ist eine Pracht unterm neuen Herrn,
Ein sattes Genügen, Genießen,
Und jedes fühlt sich im innersten Kern
So reich und tüchtig. Der Tod ist so fern,
Und des Lebens Quellen fließen.
 
König Sommer auf rotem Ross
Hält auf der Mittagsheide,
Müdigkeit ihn überfloss,
Er träumt von einem weißen Schloss
Und einem König in weißem Kleide.
 
Gustav Falke (1853-1916)


 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Die Sterne
Regine Merkle

Erhaben über dem Erdengetümmel,
da leuchten durch die dunkle Nacht
herab vom hohen, klaren Himmel
die Sterne in der goldnen Pracht,
und ihre Zahl ist ohne Ende.
Wer doch das große Rätsel fände:

Was dort in jenen fernen Reichen
für Schöpfungswunder mögen sein!
Gibt’s Wesen dort, die Menschen gleichen?
Mag gleiches Leben droben sein?
Doch wie der Mensch auch schaut und sinnt und sucht,
sie sind bis heute ein verschlossnes Buch.


 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Abstammung

Wir sind nur Blüten an einem Baum:
Ein jeder träumt seinen Blütentraum
Und weiß nicht viel vom Andern;
Wir brechen hervor aus Zweiglein und Ast,
Wir fühlen der Blätter und Blättchen Getast
Und der Winde und Wolken Wandern.

Der Baum der Menschheit, der uns trägt,
Der Sturmwind Tod, der uns niederfegt,
Sind's, die unser Dasein umründen.
Wir stammen aus Erde und Himmelslicht,
Mehr wissen auch unsere Weisesten nicht:
Den Stamm konnte keiner ergründen.


Ludwig Scharf
 

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Maikäfer
Maikäfer
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikäfer
Tiefes Wissen

Innehalten,
zur Ruhe kommen.
Auf nichts horchen,
nur nach innen.
Loslassen - auch sich.
Leicht werden, schwerelos.
Beim Übergang in die
Traumzeit weiß man,
was man sonst nur ahnte.

Else Pannek


 
LisaK
LisaK
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
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Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Und einmal steht das Herz am Wege still

Häuser und Mauern, welche die Menschen überdauern,
Bäume und Hecken, die sich über viele Menschenalter strecken,
Dunkel und Sternenheer, in unendlich geduldiger Wiederkehr,
Kamen mir auf den Hügelwegen in der Sommernacht entgegen.
Nach der Farbe von meinen Haaren, bin ich noch der wie vor Jahren,
Nach meiner Sprache Klang und an meinem Gang
Kennen mich die Gelände und im Hohlweg die Felsenwände.
Viele Wünsche sind vergangen, die wie Sterne unerreichbar hangen,
Und einmal steht das Herz am Wege still,
Weil es endlich nichts mehr wünschen will.


Max Dauthendey
 
Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Ein Herz, das in Liebe zu Deinem Herzen hält


Ein Stückchen sinkender Mond schaut über den Ackerrand,
Als vergräbt den Mond eine unsichtbare Hand.
Weit ins Land hängt Stern bei Stern in der Luft,
Und sie alle sinken bald wie der Mond in die Ackergruft.
Wo am Tag die Wege, Berge und Brücken winken,
Hocken Laternen im Dunkel, die wie kleine Spiegel blinken.
Sie alle verlöschen und brennen nur ihre Zeit.
Dunkelheit aber steht hinter den Dingen und lässt nichts erkennen,
Als ein dunkles Kommen, Vorüberrennen und Dinge benennen.
Und kein Tag, und kein Licht kann frommen;
Nie wird die Dunkelheit der Welt ganz fortgenommen.
Nur ein Herz, das in Liebe zu Deinem Herzen hält,
Nimmt von Dir die Dunkelheit der ganzen Welt.



Max Dauthendey

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