Literatur Schöne Lyrik

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Sonnenfenster.jpg
Ein Allerweltskerl
Julius Bercht

Kennt Ihr den hochgebornen Junker,
der in die höchsten Fenster schielt?
Den luft'gen leichten Flinkeflunker,
der allen Mädchen Küsse stiehlt?

Er überrascht sie in den Betten
in allerfrühster Morgenstund',
und sucht sich weiche Lagerstätten
und küßt sie auf den Rosenmund.

Er läßt sich fast wie häuslich nieder
an ihrem blütenweißen Bett,
beguckt die abgelösten Mieder
und legt sich quer auf's Blumenbrett.

Sie fühlen's sonder Harm und Kummer,
wenn sie der Flattergeist umstrickt:
selbst wenn er sie im Morgenschlummer
ein wenig in die Augen zwickt.

Erwachend schaun’ sie ohne Beben
auf diesen feinen blanken Mann
und kleiden ohne Widerstreben
in seiner Gegenwart sich an.

Oft schließen lieblich weiße Hände
sogar das dunkle Rouleau
und schlüpfen wonniglich behende
ins warme Bettchen wieder froh.

Er aber legt sich breit in's Fenster,
als wären alle Mädchen sein! ...
Doch glaubt nur ja nicht an Gespenster:
Es ist der Junker Sonnenschein


 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Als ich heute in der Eifel unterwegs war, kam mir plötzlich ein Gedicht von Eichendorff in den Sinn, das mich seit jeher besonders angesprochen hat. Es beginnt mit dem Vers “Kaiserkron und Päonien rot", und da ich am Vortag in Bad Breisig herrliche blühende Pfingstrosen gesehen hatte (während meine gerade erst Knospen gebildet haben), war das vielleicht der Auslöser für diese Remineszenz.

Ich muß bei diesem Gedicht immer an den verlorenen Garten meiner Kindheit denken, der leider schon lange nicht mehr existiert.

            Der alte Garten

            Kaiserkron und Päonien rot,
            Die müssen verzaubert sein,
            Denn Vater und Mutter sind lange tot,
            Was blühn sie hier so allein?

            Der Springbrunn plaudert noch immerfort
            Von der alten schönen Zeit,
            Eine Frau sitzt eingeschlafen dort,
            Ihre Locken bedecken ihr Kleid.

            Sie hat eine Laute in der Hand,
            Als ob sie im Schlafe spricht,
            Mir ist, als hätt ich sie sonst gekannt –
            Still, geh vorbei und weck sie nicht!

            Und wenn es dunkelt das Tal entlang,
            Streift sie die Saiten sacht,
            Da gibts einen wunderbaren Klang
            Durch den Garten die ganze Nacht.

            (Joseph von Eichendorff)

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 21.05.2023, 19:59:23

Was für ein märchenhaftes Gedicht, das ich noch nicht kannte. 
Selbst wenn Geschlechter kommen und gehen, die Natur bleibt ewig und feiert in jedem Frühling "Auferstehung". 
Die Verse stimmen auch etwas wehmütig.

 


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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 22.05.2023, 09:06:51

Ja, es gibt von Eichendorff neben vielen fröhlichen und zuversichtlichen Gedichten auch einige, die wehmütig oder traurig im Ton sind, wie zum Beispiel auch das folgende kleine Gedicht aus dem Zyklus Wanderlieder:

            Der Abend

            Schweigt der Menschen laute Lust:
            Rauscht die Erde wie in Träumen
            Wunderbar mit allen Bäumen,
            Was dem Herzen kaum bewußt,
            Alte Zeiten, linde Trauer,
            Und es schweifen leise Schauer
            Wetterleuchtend durch die Brust.

            (Joseph von Eichendorff)

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
Lubowitz.jpgRuine Schloss Lubowitz


Die Heimat
An meinen Bruder

Denkst du des Schlosses noch auf stiller Höh?
Das Horn lockt nächtlich dort, als obs dich riefe,
Am Abgrund grast das Reh,
Es rauscht der Wald verwirrend aus der Tiefe –
O stille, wecke nicht, es war als schliefe
Da drunten ein unnennbar Weh.

Kennst du den Garten? – Wenn sich Lenz erneut,
Geht dort ein Mädchen auf den kühlen Gängen
Still durch die Einsamkeit,
Und weckt den leisen Strom von Zauberklängen,
Als ob die Blumen und die Bäume sängen
Rings von der alten schönen Zeit.

Ihr Wipfel und ihr Bronnen rauscht nur zu!
Wohin du auch in wilder Lust magst dringen,
Du findest nirgends Ruh,
Erreichen wird dich das geheime Singen, –
Ach, dieses Bannes zauberischen Ringen
Entfliehn wir nimmer, ich und du!



Joseph Freiherr von Eichendorff
 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Roxanna vom 22.05.2023, 18:31:18

Als ob die Blumen und die Bäume sängen
Rings von der alten schönen Zeit.

Die alte schöne Zeit: ein immer wiederkehrender Topos bei Eichendorff... Zum Beispiel auch in dem Gedicht Der alte Garten, das ich gestern hier eingestellt habe.

Übrigens ein tolles Foto, auch wenn sein Gegenstand ein trauriger ist.

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Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 22.05.2023, 18:57:03
2007, @Wilfried_54 bin ich dort gewesen. Schloss Lubowitz liegt nur einen Steinwurf von Ratibor, heute Raciborz entfernt. Von dort stammt meine Familie. In Lubowitz gibt es das Eichendorff-Kultur- und Begegnungszentrum. Vielleicht hatte er ein Leben lang Heimweh nach dem elterlichen Schloss, das er immer wieder in seinen Gedichten zum Ausdruck gebracht hat.

 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Gewissheit

Sei geduldig! Nimm gelassen,
Wie der Tage Kette gleitet:
Anfang, der nicht zu erfassen,
Ende nicht. Und die sich breitet,
Mitte, ziellos, offner, enger,
Laß sie zögern, laß sie schweifen:
Unerbittlich wird ein strenger
Kreis zuletzt Dich einbegreifen.

Maria Luise Weissmann
 
LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK

Pfingstlied
Pfingsten ist heut, und die Sonne scheint,
Und die Kirschen blühn, und die Seele meint,
Sie könne durch allen Rausch und Duft
Aufsteigen in die goldene Luft.

Jedes Herz in Freude steht,
Von neuem Geist frisch angeweht,
Und hoffnungsvoll aus Tür und Tor
Steckt’s einen grünen Zweig hervor.

Es ist im Fernen und im Nah’n
So ein himmlisches Weltbejah’n
In all dem Lieder- und Glockenklang,
Und die Kinder singen den Weg entlang.

Wissen die Kindlein auch zumeist
Noch nicht viel vom heiligen Geist,
Die Hauptsach spüren sie fein und rein:
Heut müssen wir fröhlichen Herzens sein.

Gustav Falke (1853-1916)

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Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Bleder See 12.jpgEigenes Foto - Bledersee Slowenien 

Wer wollte sich mit Grillen plagen,
 
solang uns Lenz und Jugend blühn;
 
wer wollt in seinen Blütentagen
 
die Stirn in düstre Falten ziehn?

 

Die Freude winkt auf allen Wegen,
 
die durch dies Pilgerleben gehn;
 
sie bringt uns selbst den Kranz entgegen, 

wann wir am Scheidewege stehn!

 

Noch rinnt und rauscht die Wiesenquelle,
 
noch ist die Laube kühl und grün,
 
noch scheint der liebe Mond so helle,
 
wie er durch Adams Bäume schien!

 

Noch macht der Saft der Purpurtraube
 
des Menschen krankes Herz gesund,
 
noch schmeckt in der Abendlaube 

der Kuß auf einen roten Mund!

 

Noch tönt der Busch voll Nachtigallen
 
dem Jüngling hohe Wonne zu,
 
noch strömt, wenn ihre Lieder schallen,
 
selbst in zerrißne Seelen Ruh!

 

O wunderschön ist Gottes Erde 

und wert, darauf vergnügt zu sein! 

Drum will ich, bis ich Asche werde,
 
mich dieser schönen Erde freun! 

Ludwig Heinrich Christoph Hölty  
Der 1748 geborene Lyriker und Übersetzer wurde nur 28 Jahre alt. Johann Martin Miller, sein Freund und Bundesbruder, beginnt mit eben diesem Ereignis des vorzeitigen Todes seine Lebensbeschreibung Höltys: 
"Den 1. September 1776 starb zu Hannover Christoph Ludwig Heinrich Hölty [sic!], in seinem 28. Jahr, an der Auszehrung [i. e. Schwindsucht; P. P.]. Ich will die alte Klage, die man schon so oft mit Recht anstimmte, nicht von neuem anstimmen: daß so viele unsrer besten Köpfe in der Blüte ihres Lebens unserm Vaterland entrissen werden, so gerecht auch hier die Klage wäre." 


 

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