Literatur Schöne Lyrik
Victor Blüthgen
(1844 - 1920)
Ach wer das doch könnte
Gemäht sind die Felder,
Der Stoppelwind weht.
Hoch droben in Lüften
Mein Drache nun steht,
Die Rippen von Holze,
Der Leib von Papier,
Zwei Ohren, ein Schwänzlein
Sind all seine Zier.
Und ich denk: so drauf liegen
Im sonnigen Strahl,
Ach, wer das doch könnte
Nur ein einziges Mal!
Da guckt ich dem Storch
In das Sommernest dort:
Guten Morgen, Frau Störchin,
Geht die Reise bald fort?
Ich blickt in die Häuser
Zum Schornstein hinein:
O Vater und Mutter,
Wie seid ihr so klein.
Tief unter mir säh ich
Fluss, Hügel und Tal,
Ach, wer das doch könnte,
Nur ein einziges Mal!
Und droben, gehoben
Auf schwindelnder Bahn,
Da fasst ich die Wolken,
Die segelnden an;
Ich ließ mich besuchen
Von Schwalben und Krähn
Und könnte die Lerchen,
Die singenden sehn;
Die Englein belauscht ich
Im himmlischen Saal;
Ach, wer das doch könnte,
Nur ein einziges Mal!
Für mich enes der schönsten Herbstgedichte:
Christian Friedrich Hebbel
(1813–1863)
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was von dem milden Strahl der Sonne fällt.
(1813–1863)
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was von dem milden Strahl der Sonne fällt.
Ein schönes Foto und Gedicht liebe @Sirona
Im Breisgau haben wir jetzt noch nicht Herbst, wir haben Spätsommer und der zeigt sich in voller Pracht mit Obst und Sommerblüten und die ersten Herbstblumen. Mich würde freuen, es hielt noch eine Weile so an.
Morgen sollens 30 Grad werden, das find ich dann wieder übertrieben. Mal abwarten. Dieses Jahr ist ja doch alles anders als gewohnt.
Danke für das schöne Plätzchen. Mit Tisch gibt es das nicht so oft 😊
Es grüßt Lorena
Abendspaziergang
Lorena
Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehen, sich ihrer entladen;
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich presst,
Und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt.
Johann Wolfgang von Goethe
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Foto: Pixabay
An eine Champagner-Flasche
Die du in dem engen Raume
so viel Geist und Feuer trägst,
und mit Deinem Perlenschaume,
Helden aus den Gecken prägst;
Die du Witz in manchen hohlen,
faden Stutzerschädel bringst,
und mit manchem jungen Fohlen
dich durch alle Himmel schwingst;
Aber ist dein Geist verflogen,
fallen auch die Federn aus,
die sie andern ausgezogen,
und sie schleichen sich nach Haus.
Hast schon manchem Dichterlinge
seine Flügelchen gelöst,
dass zu Sternen er sich schwinge,
wo er sich den Kopf zerstößt.
Manchen hörst du zu dir flehen:
„Allgewalt'ge Zauberin,
hilf mir aus den Kindeswehen,
worin ich befangen bin."
Und hat er das Kind geboren,
fasst er sich vor Wonne kaum,
freilich ging dein Geist verloren,
und es bleibt ihm nichts als — Schaum.
August Schnezler
1809 - 1853
Clematis
An eine Champagner-Flasche
Die du in dem engen Raume
so viel Geist und Feuer trägst,
und mit Deinem Perlenschaume,
Helden aus den Gecken prägst;
Die du Witz in manchen hohlen,
faden Stutzerschädel bringst,
und mit manchem jungen Fohlen
dich durch alle Himmel schwingst;
Aber ist dein Geist verflogen,
fallen auch die Federn aus,
die sie andern ausgezogen,
und sie schleichen sich nach Haus.
Hast schon manchem Dichterlinge
seine Flügelchen gelöst,
dass zu Sternen er sich schwinge,
wo er sich den Kopf zerstößt.
Manchen hörst du zu dir flehen:
„Allgewalt'ge Zauberin,
hilf mir aus den Kindeswehen,
worin ich befangen bin."
Und hat er das Kind geboren,
fasst er sich vor Wonne kaum,
freilich ging dein Geist verloren,
und es bleibt ihm nichts als — Schaum.
August Schnezler
1809 - 1853
Clematis
Kranichzug - Zingst/Ostsee (eigenes Foto)
Der Kranich
Nikolaus Lenau (1802 – 1850)
Stoppelfeld, die Wälder leer,
und es irrt der Wind verlassen,
weil kein Laub zu finden mehr,
rauschend seinen Gruß zu fassen.
Kranich scheidet von der Flur,
von der kühlen, lebensmüden,
freudig ruft ers, daß die Spur
er gefunden nach dem Süden.
Mitten durch den Herbstesfrost
schickt der Lenz aus fernen Landen
dem Zugvogel seinen Trost,
heimlich mit ihm einverstanden.
O wie mag dem Vogel sein,
wenn ihm durch das Nebeldüster
zückt ins Herz der warme Schein
und das ferne Waldgeflüster!
Hoch im Fluge übers Meer
stärket ihn der Duft der Auen;
o wie süß empfindet er
Ahndung, Sehnsucht und Vertrauen!
Nebel auf die Stoppeln taut;
dürr der Wald; – ich duld es gerne,
seit gegeben seinen Laut
Kranich, wandernd in die Ferne.
Hab ich gleich, als ich so sacht
durch die Stoppeln hingeschritten,
aller Sensen auch gedacht,
die ins Leben mir geschnitten;
Hab ich gleich am dürren Strauch
andres Welk bedauern müssen,
als das Laub, vom Windeshauch
aufgewirbelt mir zu Füßen:
Aber ohne Gram und Groll
blick ich nach den Freudengrüften,
denn das Herz im Busen scholl,
wie der Vogel in den Lüften.
Ja, das Herz in meiner Brust
ist dem Kranich gleich geartet,
und ihm ist das Land bewußt,
wo mein Frühling mich erwartet.
Der Kranich
Nikolaus Lenau (1802 – 1850)
Stoppelfeld, die Wälder leer,
und es irrt der Wind verlassen,
weil kein Laub zu finden mehr,
rauschend seinen Gruß zu fassen.
Kranich scheidet von der Flur,
von der kühlen, lebensmüden,
freudig ruft ers, daß die Spur
er gefunden nach dem Süden.
Mitten durch den Herbstesfrost
schickt der Lenz aus fernen Landen
dem Zugvogel seinen Trost,
heimlich mit ihm einverstanden.
O wie mag dem Vogel sein,
wenn ihm durch das Nebeldüster
zückt ins Herz der warme Schein
und das ferne Waldgeflüster!
Hoch im Fluge übers Meer
stärket ihn der Duft der Auen;
o wie süß empfindet er
Ahndung, Sehnsucht und Vertrauen!
Nebel auf die Stoppeln taut;
dürr der Wald; – ich duld es gerne,
seit gegeben seinen Laut
Kranich, wandernd in die Ferne.
Hab ich gleich, als ich so sacht
durch die Stoppeln hingeschritten,
aller Sensen auch gedacht,
die ins Leben mir geschnitten;
Hab ich gleich am dürren Strauch
andres Welk bedauern müssen,
als das Laub, vom Windeshauch
aufgewirbelt mir zu Füßen:
Aber ohne Gram und Groll
blick ich nach den Freudengrüften,
denn das Herz im Busen scholl,
wie der Vogel in den Lüften.
Ja, das Herz in meiner Brust
ist dem Kranich gleich geartet,
und ihm ist das Land bewußt,
wo mein Frühling mich erwartet.
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Liebe Lyrikerinnen und Lyriker, 😊
vor kurzem bekam ich die Nachricht, dass ich den Zuschlag für eine neue Wohnung erhalten habe. 🌞 Deshalb werde ich mich bis mindestens Dezember im Forum sehr rar machen, aber weiterhin gerne und dankbar hier lesen, das sind dann immer kleine Auszeiten für mich. 😊
***
Wilhelm Busch
(1832-1908)
Tröstlich
Die Lehre von der Wiederkehr
Ist zweifelhaften Sinns.
Es fragt sich sehr, ob man nachher
Noch sagen kann: Ich bin's.
Allein was tut's, wenn mit der Zeit
Sich ändert die Gestalt?
Die Fähigkeit zu Lust und Leid
Vergeht wohl nicht so bald.
***
Habe um Löschung meines Beitrags gebeten, da Fritz Grasshoff erst 1997 verstorben ist,
und ich demzufolge seine Texte nicht einstellen darf.
Allegra
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Die Nachtigall
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Sie war doch sonst ein wildes Blut
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Theodor Storm
(1817 - 1888)
Clematis
Welch' wunderschönes Bild einer "letzten Rose"! Bevor sie vergeht zeigt sie sich noch einmal in voller Entfaltung.
Danke auch für das dazu passende Gedicht von Storm.
LG Sirona