Literatur Schöne Lyrik
Herbst
Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.
Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise.
Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.
In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir als hör’ ich Kunde wehen,
dass alles Sterben und Vergehen
Nur heimlich still vergnügtes Tauschen.
Nikolaus Lenau
Mahnung
Genug gemeistert nun die Weltgeschichte!
Die Sterne, die durch alle Zeiten tagen,
Ihr wolltet sie mit frecher Hand zerschlagen
Und jeder leuchten mit dem eignen Lichte.
Doch unaufhaltsam rucken die Gewichte,
Von selbst die Glocken von den Türmen schlagen,
Der alte Zeiger, ohne euch zu fragen,
Weist flammend auf die Stunde der Gerichte.
Oh stille Schauer, wunderbares Schweigen,
Wenn heimlich flüsternd sich die Wälder neigen,
Die Täler alle geisterbleich versanken.
Und in Gewittern von den Bergesspitzen
Der Herr die Weltgeschichte schreibt mit Blitzen –
Denn seine sind nicht euere Gedanken.
Joseph Freiherr von Eichendorff
Der Esel – W. Busch
Es stand vor eines Hauses Tor
ein Esel mit gespitztem Ohr,
der käute sich ein Bündel Heu
gedankenvoll und still entzwei.
Nun kommen da und bleiben stehn
der naseweisen Buben zween,
die auch sogleich, indem sie lachen,
verhaßte Redensarten machen,
womit man denn bezwecken wollte,
daß sich der Esel ärgern sollte.
Doch dieser hoch erfahrne Greis
beschrieb nur einen halben Kreis,
verhielt sich stumm und zeigte itzt
die Seite, wo der Wedel sitzt.
Proömion - J. W. Goethe
Im Namen dessen, der Sich selbst erschuf
von Ewigkeit in schaffendem Beruf;
in Seinem Namen, der den Glauben schafft,
Vertrauen, Liebe, Tätigkeit und Kraft;
in Jenes Namen, der, so oft genannt,
dem Wesen nach blieb immer unbekannt:
So weit das Ohr, so weit das Auge reicht,
du findest nur Bekanntes, das Ihm gleicht,
und deines Geistes höchster Feuerflug
hat schon am Gleichnis, hat am Bild genug;
es zieht dich an, es reißt dich heiter fort,
und wo du wandelst, schmückt sich Weg und Ort;
du zählst nicht mehr, berechnest keine Zeit,
und jeder Schritt ist Unermesslichkeit.
Was wär ein Gott, der nur von außen stieße,
im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen,
so daß, was in Ihm lebt und webt und ist,
nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermisst.
Im Innern ist ein Universum auch;
daher der Völker löblicher Gebrauch,
daß jeglicher das Beste, was er kennt,
er Gott, ja seinen Gott benennt,
Ihm Himmel und Erden übergibt,
Ihn fürchtet und wo möglich liebt.
Und die Moral von der Geschicht:
Reizet mir den Esel nicht.
Sonst verliert ihr seine Gunzt
und er euch auf die Nase brunzt!
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Foto: Ingeborg
Der Tod ist nichts
Der Tod ist nichts, ich bin nur in das Zimmer
nebenan gegangen. Ich bin ich, ihr seid ihr.
Das, was ich für Euch war, bin ich immer noch.
Gebt mir den Namen, den ihr mir immer gegeben habt.
Sprecht mit mir, wie ihr es immer getan habt.
Gebraucht nicht eine andere Redensweise,
seid nicht feierlich oder traurig.
Lacht weiterhin über das, worüber wir gemeinsam
gelacht haben.
Betet, lacht, denkt an mich, betet für mich
damit mein Name im Hause gesprochen wird,
so wie es immer war,
ohne besondere Betonung, ohne die Spur des Schattens.
Das Leben bedeutet das, was es immer war.
Der Faden ist nicht durchschnitten.
Warum soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein,
nur weil ich nicht mehr in eurem Blickfeld bin?
Ich bin nicht weit weg,
nur auf der anderen Seite des Weges.
Charles Peguy
7. 1. 1873 - 5. 9. 1914
Der Tod ist nichts, ich bin nur in das Zimmer
nebenan gegangen. Ich bin ich, ihr seid ihr.
Das, was ich für Euch war, bin ich immer noch.
Gebt mir den Namen, den ihr mir immer gegeben habt.
Sprecht mit mir, wie ihr es immer getan habt.
Gebraucht nicht eine andere Redensweise,
seid nicht feierlich oder traurig.
Lacht weiterhin über das, worüber wir gemeinsam
gelacht haben.
Betet, lacht, denkt an mich, betet für mich
damit mein Name im Hause gesprochen wird,
so wie es immer war,
ohne besondere Betonung, ohne die Spur des Schattens.
Das Leben bedeutet das, was es immer war.
Der Faden ist nicht durchschnitten.
Warum soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein,
nur weil ich nicht mehr in eurem Blickfeld bin?
Ich bin nicht weit weg,
nur auf der anderen Seite des Weges.
Charles Peguy
7. 1. 1873 - 5. 9. 1914
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Foto: Pixabay
Nebel hängt wie Rauch ums Haus,
drängt die Welt nach innen;
ohne Not geht niemand aus;
alles fällt in Sinnen.
Leiser wird die Hand, der Mund,
stiller die Gebärde.
Heimlich, wie auf Meeresgrund,
träumen Mensch und Erde.
Christian Morgenstern
6. 5. 1871 - 31. 3. 1915
Clematis
Nebel hängt wie Rauch ums Haus,
drängt die Welt nach innen;
ohne Not geht niemand aus;
alles fällt in Sinnen.
Leiser wird die Hand, der Mund,
stiller die Gebärde.
Heimlich, wie auf Meeresgrund,
träumen Mensch und Erde.
Christian Morgenstern
6. 5. 1871 - 31. 3. 1915
Clematis
(Pixabay)
Der Tod – Ist er das Nichts?
Er ist das Licht, der Friede, der uns hier gebricht!
Der von uns nimmt all’ Qual und Pein, er soll als Freund willkommen sein;
der Schmerzen stillt und Angst und Not – barmherz’ger Bruder ist der Tod.
Wer stirbt, nicht schattengleich entschwebt, weil er in uns still weiterlebt.
Er ist ja nur am andern Ort, im unsichtbaren sichern Port.
So, wie das Auge wimperndicht im tiefen Schlaf schon ahnt das Licht,
den ersten, hellen Morgenschein, so wird es auch beim Sterben sein.
Ich spreche hier nicht vom herben, dem frühen, jugendlichen Sterben,
dem noch im Wirken unerfüllten, im Lebensziele noch verhüllten –
ich spreche hier wie in Gedanken zu allen Alten, Müden, Kranken,
die werkten, wirkten, liebten, litten und fast den Kreis schon ausgeschritten.
Der Tod das Leben nicht beendet, er ist es, der es erst vollendet!
Er ist die Tür, durch die wir gehen, um frei das Göttliche zu sehen,
die Wahrheit, die uns hier so ferne wie nachts am Himmel fernste Sterne.
Der Mensch in seinem Wissensdrang, er sucht und forscht sein Leben lang
und stößt, so hell auch Geister glänzen, doch überall auf neue Grenzen.
Wie’s viele Wasser gibt und Ströme, so viele Denk- und Lehrsysteme,
und jeder Glaube will der wahre, der Heilsweg sein, der offenbare,
auf Dogmen fußend wie auf Pfählen zur Stützung sein gläub’gen Seele.
Du, liebe Seele, sei gewiß: Der Tod ist nicht die Finsternis!
Er führt dich über Raum und Zeit hinaus, hinauf zu Ewigkeit,
heraus aus Zweifel, Irrtum, Schein, empor als Teil zum wahren Sein.
Der Tod ist Friede, ist das Licht! Darum fürchte den Tod auch nicht.
(Joachim Ehlers)
LG
Roxanna
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
noch zum lesen, liebe Roxy.
Eine gute Woche allen Lyrikfreunden
Clematis