Literatur Schöne Lyrik
Der Kuss im Traum
Es hat ein Kuss mir Leben eingehaucht,
Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten.
Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten,
Dass neue Wonnen meine Lippe saugt.
In Träume war solch Leben eingetaucht,
Drum leb' ich, ewig Träume zu betrachten,
Kann aller andern Freuden Glanz verachten,
Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht
Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen,
Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen
Und mich verzehren seiner Sonne Gluthen.
Drum birg dich Aug' dem Glanze ird'scher Sonnen!
Hüll' dich in Nacht, sie stillet dein Verlangen
Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Flute
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge zieh'n.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang,
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
(Rainer Maria Rilke)
Blätterfall
Der Herbstwald raschelt um mich her...
Ein unabsehbar Blättermeer
entperlt dem Netz der Zweige.
Du aber, dessen, schweres Herz
mitklagen will den großen Schmerz -
sei stark, sei stark und schweige!
Du lerne lächeln, wenn das Laub,
dem leichten Wind ein leichter Raub,
hinabschwankt und verschwindet.
Du weißt, dass just Vergänglichkeit
das Schwert, womit der Geist der Zeit
sich selber überwindet.
Christian Morgenstern
6. 5. 1871n - 31. 3. 1914
Clematis
Herbsthauch (Friedrich Rückert)
Herz, nun so alt und noch immer nicht klug,
hoffst du von Tagen zu Tagen,
was dir der blühende Frühling nicht trug,
werde der Herbst dir noch tragen!
Lässt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
immer zu schmeicheln, zu kosen.
Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch,
abends verstreut er die Rosen.
Lässt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
bis er ihn völlig gelichtet.
Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch,
was wir geliebt und gedichtet.
Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält's nicht aus,
hält's nicht aus mehr bei mir.
Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.
Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.
Christian Morgenstern
Es kann die Ehre dieser Welt
Es kann die Ehre dieser Welt
dir keine Ehre geben,
was dich in Wahrheit hebt und hält,
muss in dir selber leben.
Wenn`s deinem Innersten gebricht
an echten Stolzes Stütze,
ob dann die Welt dir Beifall spricht,
ist all dir wenig nütze.
Das flücht`ge Lob, des Tages Ruhm
magst du dem Eitlen gönnen;
das aber sei dein Heiligtum:
Vor dir bestehen können.
Theodor Fontane
aurora
O, trübe diese Tage nicht,
sie sind der letzte Sonnenschein,
wie lange und es löscht das Licht
und unser Winter bricht herein.
Dies ist die Zeit, wo jeder Tag
viel Tage gilt in seinem Wert,
weil man's nicht mehr erhoffen mag,
dass so die Stunde wiederkehrt.
Theodor Fontane
Im Anfang war das Wort. Und sonst war gar nichts.
Es gab noch nicht einmal das Paradies.
Da gab es nur das Wort und weiter war nichts.
Und was davor war – na, vielleicht wars dies:
Vielleicht war erst mal nichts als nur das Nichts da,
Ganz ohne Sinn, im Wort war noch kein Sein.
Noch war da nichts. Und nur der Unsinn strich da
Schon um das Wort und nahm es für sich ein.
Im Anfang war der Unsinn und sonst gar nichts,
Im Unsinn war das Wort und war der Sinn,
Da gab es nur den Unsinn und sonst war nichts,
Im Unsinn war die ganze Schöpfung drin.
Peter Welk
Ich seh die Welt, du siehst die Welt
du nennst es Prosa, ich Gedicht,
was mir gefällt,
gefällt dir nicht,
und aus dem nämlichen Gesicht
errätst du Freude und ich Trauer,
du nennst es süß, ich nenn es sauer ...
wir fangen nun an, uns drüber zu streiten
und alles uns gründlich zu verleiden.
Ein Dritter kommt dazu und lacht:
Mein Gott, gehabt euch nicht so töricht!
im Winter, Kinder, ist es Winter,
und wenn der Mai kommt, wird es Frühling,
und im Oktober nennt man’s Herbst ...
ich meinerseits freu mich nicht minder
an Winter, als an Mai und Herbst.
Cäsar Flaischlen
Ich bin neu und kenne mich mit den Spielregeln überhaupt noch nicht aus, ich arbeite daran. Im Forum habe ich für mein Gedicht ein Lächeln gekriegt, sogar mehrere, dafür bedanke ich mich wiederum mit einem Gedicht, das vor einer Ewigkeit hier einmal zitiert wurde, ich weiß nicht mehr, wann – gestern habe ich mich daran erinnert, so bin ich hier hineingerutscht.
Ins ungefähre Blaue fort
Don Quichotte entschließt sich, aus Gedankenstücken
Eine blaugemalte Welt zu schaffen,
Blau die Häuser, blaugemalt die Brücken,
Blau, sofern entstehend, die Giraffen.
Ohne Schöpferplan will Don Quichotte beginnen,
Doch ins Blaue zielt er absichtsvoll,
Um dem Graugemalten zu entrinnen,
Das in seiner Welt nicht gelten soll.
Reines Blau ergießt sich wie aus Himmelskannen
Über Don Quichottes gedachte Welt,
Bläue schäumt in allen Badewannen,
Die er sich in seine Häuser stellt,
Veilchenblaugemalt beginnt der Mittwochmorgen,
Pflaumenblau lässt Don Quichotte ihn gehn,
Blaue Mädchen haben blaue Sorgen,
Blaue Witwen können sich im Spiegel drehn.
Don Quichotte – als leite ihn ein Zauberwort –
Nickt zu allem, lächelt, und dann hebt
Er die blaugemalte Welt mit Händen hoch und schwebt
Samt der Welt ins ungefähre Blaue fort.
Peter Welk