Literatur Schöne Lyrik
Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
und alle Menschen gehen ihre Wege.
Und süße Früchte werden aus den herben
und fallen nachts wie tote Vögel nieder
und liegen wenig Tage und verderben.
Und immer weht der Wind, und immer wieder
vernehmen wir und reden viele Worte
und spüren Kunst und Müdigkeit der Glieder.
Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen,
und drohende, und totenhaft verdorrte . . .
Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen
einander nie? und sind unzählig viele?
Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?
Was frommt das alles uns und diese Spiele,
die wir doch groß und ewig einsam sind
und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?
Was frommt´s, dergleichen viel gesehen zu haben?
und dennoch sagt der viel, der "Abend" sagt,
ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt
wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.
(Hugo von Hofmannsthal)
Entschuldigung, dass ich mich nochmal gemeldet habe, aber jetzt konnte ich nicht widerstehen.
Einen schönen Restabend und eine gute Nacht wünscht auch
Marina
Und hör auf, Dich zu entschuldigen, bitte.
Jetzt bin ich aber gespannt, ob ich die Beiden verwechselt hab oder ob sie ähnlich geschrieben haben.
***
Dich wundert nicht des Sturmes Wucht,
du hast ihn wachsen sehn;
die Bäume flüchten. Ihre Flucht
schafft schreitende Alleen.
Da weisst du, der vor dem sie fliehn
ist der, zu dem du gehst,
und deine Sinne singen ihn
wenn du am Fenster stehst.
Des Sommers Wochen standen still,
es stieg der Bäume Blut;
jetzt fühlst du, dass es fallen will,
in den der Alles tut.
Du glaubtest schon erkannt die Kraft,
als du die Frucht erfasst,
jetzt wird es wieder rätselhaft,
und du bist wieder Gast.
Der Sommer war so wie dein Haus,
drin weisst du alles stehn. -
Jetzt musst du in dein Herz hinaus
wie in die Ebene gehn.
Die grosse Einsamkeit beginnt,
die Tage werden taub,
aus deinen Sinnen nimmt der Wind
die Welt wie welkes Laub.
Durch ihre leeren Zweige sieht
der Himmel, den du hast;
sei Erde jetzt und Abendlied
und Land, darauf er passt.
Demütig sei jetzt wie ein Ding,
zu Wirklichkeit gereift, -
dass Der, von dem die Kunde ging,
die fühlt, wenn er dich greift.
Rainer Maria Rilke
aus: Das Stundenbuch
"Das Buch von der Pilgerschaft"
Clematis
Liebe Clematis, die beiden hatten sicher Ähnlichkeiten in Sprache und Ausdruck, sie lebten ja auch in der gleichen Zeit, deshalb ist es kein Wunder, dass du mal was verwechselt hast. Ich fand es schon toll, dass du die Zeile fast wörtlich richtig im Kopf hattest. Und denk bloß nicht, ich hätte das ohne Googeln rausgefunden. Ich kenne mich in der Lyrik gar nicht so gut aus.
Aber ist der Hofmannsthal nicht wunderbar? Und das von dir eingestellte Rilke-Gedicht, zusammen mit dem schönen Foto, ist natürlich auch ganz besonders schön. Manchmal tut es doch gut, die ganze Politik links liegen zu lasssen und sich dem schönen Schein hinzugeben.
Und deshalb - was kümmert mich mein Geschwätz von gestern , hier noch eins der Herbstgedichte, dich ich ganz besonders liebe, auch aus der gleichen Epoche:
Verklärter Herbst
Gewaltig endet so das Jahr
mit goldnem Wein und Frucht der Gärten,
rund schweigen Wälder wunderbar
und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.
Es ist der Liebe milde Zeit.
Im Kahn den blauen Fluss hinunter,
wie schön sich Bild an Bildchen reiht –
das geht in Ruh und Schweigen unter.
(Georg Trakl)
Liebe Marina,
dann lass uns doch bei den Gedichten verweilen.
Für mich sind sie Stütze und Zuflucht und Seelennahrung
Grund meiner Verwechslung: ich kann nicht nur Rilke auswendig -
Die Politik muss beobachtet werden und erkämpft, das ist klar.
.
Dann kommt die Musik.
Vielleicht kommen Zeiten, in denen nur während
Bachs Matthäus-Passion Friede herrscht.
Wer weiss es schon?
Clematis
Bachs Matthäuspassion, ein wunderbares Werk, das ich auch schon einige Male mitgesungen habe, genau wie die Johannespassion. Davon stelle ich mal den Text des Schlusschors ein, den möchte ich mal bei meiner Beerdigung hören. Schade, dass man seine eigene Beerdigung nicht miterleben kann, oder?
Ach Herr, laß dein lieb Engelein
am letzten End die Seele mein
in Abrahams Schoß tragen,
den Leib in sein'm Schlafkämmerlein
gar sanft, ohn einge Qual und Pein,
ruhn bis am jüngsten Tage.
Alsdenn vom Tod erwecke mich,
daß meine Augen sehen dich
in aller Freud, o Gottes Sohn,
mein Heiland und Genadenthron,
Herr Jesu Christ, erhöre mich, erhöre mich,
ich will dich preisen ewiglich.
Ich bin zwar nicht mehr fromm, aber wenn ich das höre oder singe, bin ich es immer für einige Minuten, dem Sog dieses Texts und dieser Musik kann ich mich nicht entziehen.
Hier eine wunderbare Aufnahme zum Hören:
ein Meinungsaustausch stattfindet. Ich hab es nicht als unangenehm empfunden.
Alles andere ist Sironas Sache.
(Zitat Clematis)
Um jedes Missverständnis auszuräumen; ich habe zwar diesen Thread zur Verfügung gestellt, fühle mich aber deshalb nicht als Führungskraft verpflichtet. Dieses Forum steht allen Usern frei zur Verfügung die Gedichte lieben und sind für ihre Beiträge und Äußerungen selbst verantwortlich.
LG Sirona
Abreise
So hab ich nun die Stadt verlassen,
Wo ich gelebet lange Zeit;
Ich ziehe rüstig meiner Straßen,
Es gibt mir niemand das Geleit.
Man hat mir nicht den Rock zerrissen
Es wär auch schade für das Kleid!
Noch in die Wange mich gebissen
Vor übergroßem Herzeleid.
Auch keinem hat's den Schlaf vertrieben.
Daß ich am Morgen weitergeh;
Sie konnten's halten nach Belieben,
Von einer aber tut mir's weh.
Ludwig Uhland
Gemäht sind die Felder,
Der Stoppelwind weht.
Hoch droben in Lüften
Mein Drache nun steht,
Die Rippen von Holze,
Der Leib von Papier,
Zwei Ohren, ein Schwänzlein
Sind all seine Zier.
Und ich denk: so drauf liegen
Im sonnigen Strahl,
Ach, wer das doch könnte
Nur ein einziges Mal!
Da guckt ich dem Storch
In das Sommernest dort:
Guten Morgen, Frau Störchin,
Geht die Reise bald fort?
Ich blickt in die Häuser
Zum Schornstein hinein:
O Vater und Mutter,
Wie seid ihr so klein.
Tief unter mir säh ich
Fluss, Hügel und Tal,
Ach, wer das doch könnte,
Nur ein einziges Mal!
Und droben, gehoben
Auf schwindelnder Bahn,
Da fasst ich die Wolken,
Die segelnden an;
Ich ließ mich besuchen
Von Schwalben und Krähn
Und könnte die Lerchen,
Die singenden sehn;
Die Englein belauscht ich
Im himmlischen Saal;
Ach, wer das doch könnte,
Nur ein einziges Mal!
Victor Blüthgen
Waldeinsamkeit
(Hermann Ludwig Allmers)
O zaubergrüne Waldeseinsamkeit,
wo alte, dunkle Fichten stehn und träumen,
wo klare Bächlein über Kiesel schäumen
in tief geheimer Abgeschiedenheit.
Nur Herdenglockenlaut von Zeit zu Zeit,
und leises Säuseln oben in den Bäumen,
dann wieder Schweigen wie in Tempelräumen,
o zaubergrüne Waldeseinsamkeit! -
Hier sinkt des Erdendaseins enge Schranke,
es fühlt das Herz sich göttlicher und reiner,
als könnt es tiefer schauen und verstehen.
Da löst sich manch unsterblicher Gedanke;
woher das kommt, das ahnet selten einer -
es ist des Weltengeistes nahes Wehen.
Mietegäste vier im Haus
hat die alte Buche:
Tief im Keller wohnt die Maus,
nagt am Hungertuche.
Stolz auf seinen roten Rock
und gesparten Samen,
sitzt ein Protz im ersten Stock;
Eichhorn ist sein Namen.
Weiter oben hat der Specht
seine Werkstatt liegen,
hackt und hämmert kunstgerecht,
dass die Späne fliegen.
Auf dem Wipfel im Geäst
pfeift ein winzig kleiner
Musikante froh im Nest.
Miete zahlt nicht einer.
(Rudolf Baumbach 1840-1905)