Literatur Schöne Lyrik
Ganz still zuweilen
Ganz still, zuweilen wie ein Traum
klingt in dir auf ein fernes Lied.
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will.
Und wie ein Traum ganz leis und still
verklingt es wieder, wie es kam.
Wie plötzlich mitten im Gewühl
der Straße, mitten oft im Winter
ein Hauch von Rosen dich umweht.
Oder dann und wann ein Bild
aus längst vergessenen Kindertagen
mit fragenden Augen vor dir steht.
Ganz still und leise, wie ein Traum,
du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will,
und wie ein Traum ganz leis und still
verblaßt es wieder, wie es kam.
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Hab Sonne im Herzen
Nach der Melodie: Der Mai ist gekommen.
Hab Sonne im Herzen,
ob's stürmt oder schneit,
ob der Himmel voll Wolken,
die Erde voll Streit!
Hab Sonne im Herzen,
dann komme, was mag!
das leuchtet voll Licht dir
den dunkelsten Tag!
Hab ein Lied auf den Lippen,
mit fröhlichem Klang
und macht auch des Alltags
Gedränge dich bang!
Hab ein Lied auf den Lippen,
dann komme, was mag!
das hilft dir verwinden
den einsamsten Tag!
Hab ein Wort auch für Andre
in Sorg und in Pein
und sag, was dich selber
so frohgemut läßt sein:
Hab ein Lied auf den Lippen,
verlier nie den Mut,
hab Sonne im Herzen,
und Alles wird gut!
Cäsar Flaischlen
12. 5. 1864 - 16. 10. 1920
Clematis
Mutterns Hände
Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm -
un jewischt und jenäht
un jemacht und jedreht ...
alles mit deine Hände.
Hast de Milch zujedeckt,
uns Bonbongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragen -
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält ...
alles mit deine Hände.
Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal
auch n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht,
Wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben ...
alles mit deine Hände.
Heiß warn se un kalt.
Nu sind se alt.
Nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir
und streicheln deine Hände.
Wunderliches Wort...
Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!
Sie zu halten, wäre das Problem.
Denn, wen ängstigt's nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem? -
Sieh, der Tag verlangsamt sich, entgegen
jenem Raum, der ihn nach Abend nimmt:
Aufsteh'n wurde Steh'n, und Steh'n wird Legen,
und das willig Liegende verschwimmt -
Berge ruhn, von Sternen überprächtigt; -
aber auch in ihnen flimmert Zeit.
Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt
obdachlos die Unvergänglichkeit.
Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!
Sie zu halten, wäre das Problem.
Denn, wen ängstigt's nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich Sein in alledem? -
Sieh, der Tag verlangsamt sich, entgegen
jenem Raum, der ihn nach Abend nimmt:
Aufsteh'n wurde Steh'n, und Steh'n wird Legen,
und das willig Liegende verschwimmt -
Berge ruhn, von Sternen überprächtigt; -
aber auch in ihnen flimmert Zeit.
Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt
obdachlos die Unvergänglichkeit.
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Nicht alle Schmerzen sind heilbar
Ricarda Huch (1864 - 1947)
Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
sich tiefer und tiefer ins Herz hinein.
Und während Tage und Jahre verstreichen,
werden sie Stein.
Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
bis in den Traum.
Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
da blüht nichts mehr.
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Der Nachtigall Pfingstgesang
Zu Pfingsten sang die Nachtigall
nachdem sie Tau getrunken;
die Rose hob beim hellen Schall
das Haupt, das ihr gesunken!
O kommt ihr alle, trinkt und speist,
ihr Frühlingsfestgenossen,
weil übers ird'sche Mal der Geist
des Herrn ist ausgegossen.
Die Himmelsjünger groß und klein
sind von der Kraft durchdrungen,
man hört sie reden insgeheim
zu wunderbaren Zungen.
Und da ist kein Zung' am Baum,
kein Blatt ist da so kleines,
es redet auch mit drein im Traum
als sei's voll süßen Weines.
Oh, ihr Apostel gehet aus
und predigt allen Landen,
mit Säuselluft und Sturmesbraus
von dem, der ist erstanden!
Legt aus sein Evangelium,
auf Frühlingsau'n geschrieben,
dass er uns lieben will darum,
wenn wir einander lieben.
Wer liebend sich ans nächste hält
und will nur das gewinnen,
umfasst darin die ganze Welt,
und Gott ist mitten drinnen!
Friedrich Rückert
1788-1866
Clematis
Neuer Frühling
Die schönen Augen der Frühlingsnacht,
Sie schauen so tröstend nieder:
Hat dich die Liebe so kleinlich gemacht,
Die Liebe, sie hebt dich wieder.
Auf grüner Linde sitzt und singt
Die süße Philomele;
Wie mir das Lied zur Seele dringt,
So dehnt sich wieder die Seele.
Sie schauen so tröstend nieder:
Hat dich die Liebe so kleinlich gemacht,
Die Liebe, sie hebt dich wieder.
Auf grüner Linde sitzt und singt
Die süße Philomele;
Wie mir das Lied zur Seele dringt,
So dehnt sich wieder die Seele.
Heinrich Heine
Friedrich Rückert schätze ich sehr, liebe @Clematis. Das Gedicht von Ricarda Huch, liebe @Sirona ist sehr bewegend.
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Mignon
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin
möcht' ich mit dir, o mein Geliebter ziehn.
Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind getan?
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin
möcht' ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg;
in Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin
geht unser Weg! O Vater, lass uns ziehn!
Johann Wolfgang von Goethe
28. 8. 1749 - 22. 3. 1832
Clematis
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Das Rosen-Innere
Wo ist zu diesem Innen
ein Außen? Auf welches Weh
legt man solches Linnen?
Welche Himmel spiegeln sich drinnen
in dem Binnensee
dieser offenen Rosen,
dieser sorglosen, sieh:
wie sie lose im Losen
liegen, als könnte nie
eine zitternde Hand sie verschütten.
Sie können sich selber kaum
halten; viele ließen
sich überfüllen und fließen
über von Innenraum
in die Tage, die immer
voller und voller sich schließen,
bis der ganze Sommer ein Zimmer
wird, ein Zimmer in einem Traum.
Rainer Maria Rilke
Clematis
wünscht eine duftende Sommerzeit
Nachtglocken
(Gisela Seidel)
Die Glocken klingen in der Ferne,
sie läuten schon den Sonntag aus;
am Himmel stehen erste Sterne,
die Stille zieht in Stadt und Haus.
Der Lampen Licht fällt durch die Scheiben,
wirft Schatten auf die leeren Straßen,
und es beginnt das bunte Treiben
im fahlen Mondlicht zu verblassen.
Wo Tag war, herrscht nun Dunkelheit;
der Wind, er schaukelt sanft die Welt,
Gott hat für unsre Schlafenszeit
die Uhren langsamer gestellt.
Die Englein singen Wiegenlieder,
Du hörst sie, wenn’s ganz stille ist;
sie schwingen sanft zu uns hernieder,
damit das Dunkel heller ist.
Zu Gisela Seidel:
Leider habe ich keine Daten zum Jahrgang ermitteln können. Von der Autorin besitze ich das Buch
"Schiller - Erinnerungen", auch in diesem Buch konnte ich keine weiteren Informationen über G. Seidel erfahren.
Ich hoffe dass ich mit dem hier vorgestellten Gedicht das Copyright nicht verletzt habe.
Das Gedicht fand ich zum Tagesausklang sehr passend und wollte es an die hier Lesenden weitergeben.
Liebe Grüße
Sirona
"Schiller - Erinnerungen", auch in diesem Buch konnte ich keine weiteren Informationen über G. Seidel erfahren.
Ich hoffe dass ich mit dem hier vorgestellten Gedicht das Copyright nicht verletzt habe.
Das Gedicht fand ich zum Tagesausklang sehr passend und wollte es an die hier Lesenden weitergeben.
Liebe Grüße
Sirona