Literatur Schöne Lyrik
Frühling
(Th. Fontane 1819 - 1898)
Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh;
„er kam, er kam ja immer noch“,
die Bäume nicken sich’s zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuss auf Schuss;
im Garten der alte Apfelbaum,
er sträubt sich, aber er muß.
Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei,
es bangt und sorgt: „Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.“
O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag’s auch du.
Man muss den Dingen
die eigene stille, ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt werden kann;
alles ist austragen -
und dann gebären.
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit.
Man muss Geduld haben
für das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher,
die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Frage lebt,
lebt man allmählich, ohne es zu merken,
eines fernen Tages in die Antwort hinein.
(Rainer Maria Rilke)
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Die Kapelle
Droben stehet die Kapelle,
schauet still ins Tal hinab.
Drunten singt bei Wies' und Quelle,
froh und hell der Hirtenknab'.
Traurig tönt das Glöcklein nieder,
schauerlich der Leichenchor,
stille sind die frohen Lieder,
und der Knabe lauscht empor.
Droben bringt man sie zu Grabe,
die sich freuten in dem Tal.
Hirtenknabe, Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.
Ludwig Uhland
Clematis
Abendlich tönet Gesang ferner Glocken,
lächelnd versinkt voll Frühling ein Tag.
Über das eigene Lied scheu erschrocken,
verstummte die Amsel mitten im Schlag.
Und in dem Regen, der nun begann,
fing leise die Erde zu atmen an.
Wolfgang Borchert
20. Mai 1921 - 20. November 1947
lächelnd versinkt voll Frühling ein Tag.
Über das eigene Lied scheu erschrocken,
verstummte die Amsel mitten im Schlag.
Und in dem Regen, der nun begann,
fing leise die Erde zu atmen an.
Wolfgang Borchert
20. Mai 1921 - 20. November 1947
Walpurgisnacht
(Th. Storm)
Am Kreuzweg weint die verlassene Maid,
sie weint um verlassene Liebe.
Die klagt den fliegenden Wolken ihr Leid,
ruft Himmel und Hölle zu Hülfe.
Da stürmt es heran durch die finstere Nacht,
die Eiche zittert, die Fichte kracht,
es flattern so krächzend die Raben.
Am Kreuzweg feiert der Böse sein Fest,
mit Sang und Klang und Reigen,
die Eule rafft sich vom heimlichen Nest
und lädt viel luftige Gäste.
Die stürzen sich durch die Lüfte heran,
geschmückt mit Distel und Drachenzahn,
und grüßen den harrenden Meister.
Und über die Heide weit und breit
erschallt es im wilden Getümmel.
"Wer bist du, du schöne, du lustige Maid?
Juchheisa, Walpurgis ist kommen!
Was zauderst du, Hexchen, komm, springe mit ein,
sollst heute des Meisters Liebste sein,
du schöne, du lustige Dirne!"
Der Nachtwind peitscht die tolle Schar
im Kreis um die weinende Dirne,
da packt sie der Meister am goldenen Haar
und schwingt sie im sausenden Reigen,
und wie im Zwielicht der Auerhahn schreit,
da hat der Teufel die Dirne gefreit
und hat sie nimmer gelassen.
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Alles neu macht der Mai,
macht die Seele frisch und frei!
Lasst das Haus, kommt hinaus
windet einen Strauß!
Rings erglänzet Sonnenschein,
duftend pranget Flur und Hain;
Vogelsang, Hörnerklang
Tönt den Wald entlang.
Wir durchzhiehen Saaten grün,
Haine, die ergötzend blühn,
Waldespracht neu gemacht,
nach des Winters Nacht.
Dort im Schatten an dem Quell
rieselnd munter, silberhell,
Klein und Groß ruht im Moos,
wie im weichen Schoß.
Hier und dort, fort und fort,
wo wir ziehen Ort für Ort,
alles freut sich der Zeit,
die verjüngt, erneut.
Widerschein der Schöpfung blüht,
uns erneuernd im Gemüt.
Alles neu, frisch und frei
macht der holde Mai.
Hermann Adam von Kamp
1796-1867
Clematis
Es pfeift der Wind. Was pfeift er wohl?
Eine tolle, närrische Weise.
Er pfeift auf einem Schlüssel hohl,
bald gellend und bald leise.
Die Nacht weint ihm den Takt dazu
mit schweren Regentropfen,
die an der Fenster schwarze Ruh'
ohn' End' eintönig klopfen.
Es pfeift der Wind, es stöhnt und gellt,
und die Hunde heulen im Hofe. –
Er pfeift auf diese ganze Welt,
der große Philosophe.
Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Bei diesem Gedicht mußte ich an Hermann Hesses Verse denken.
Es pfeift der Wind. Was pfeift er wohl?
Eine tolle, närrische Weise.
Er pfeift auf einem Schlüssel hohl,
bald gellend und bald leise.
Die Nacht weint ihm den Takt dazu
mit schweren Regentropfen,
die an der Fenster schwarze Ruh'
ohn' End' eintönig klopfen.
Es pfeift der Wind, es stöhnt und gellt,
und die Hunde heulen im Hofe. –
Er pfeift auf diese ganze Welt,
der große Philosophe.Christian Morgenstern (1871 - 1914)
http://www.joergalbrecht.de/es/deutschedichter.de/werk.asp?ID=178
Bild und Text laden zum Wandern ein. Dann werde ich mal meine Stiefel schnüren.
Alles neu macht der Mai,
macht die Seele frisch und frei!
Lasst das Haus, kommt hinaus
windet einen Strauß!
Rings erglänzet Sonnenschein,
duftend pranget Flur und Hain;
Vogelsang, Hörnerklang
Tönt den Wald entlang.
Wir durchzhiehen Saaten grün,
Haine, die ergötzend blühn,
Waldespracht neu gemacht,
nach des Winters Nacht.
Dort im Schatten an dem Quell
rieselnd munter, silberhell,
Klein und Groß ruht im Moos,
wie im weichen Schoß.
Hier und dort, fort und fort,
wo wir ziehen Ort für Ort,
alles freut sich der Zeit,
die verjüngt, erneut.
Widerschein der Schöpfung blüht,
uns erneuernd im Gemüt.
Alles neu, frisch und frei
macht der holde Mai.
Hermann Adam von Kamp
1796-1867
Clematis
Wie oft wurde dieses Lied zu Beginn des Monats Mai früher bei Wanderungen geschmettert. War eine schöne Zeit.
Allegra, ein sehr schönes Gedicht von Borchert. Vor Jahren sah ich eine Schüleraufführung von "Draußen vor der Tür" die mich unsagbar beeindruckt hat. Der arme Mensch kam todkrank aus der Gefangenschaft und starb kurz nach seiner Befreiung.Abendlich tönet Gesang ferner Glocken,
lächelnd versinkt voll Frühling ein Tag.
Über das eigene Lied scheu erschrocken,
verstummte die Amsel mitten im Schlag.
Und in dem Regen, der nun begann,
fing leise die Erde zu atmen an.
Wolfgang Borchert
20. Mai 1921 - 20. November 1947