Literatur Schöne Lyrik

Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna


 
Du bist mein Mond

Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde;
Du sagst, du drehest dich um mich.
Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß ich werde
in meinen Nächten hell durch dich.

Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde;
sie sagen, du veränderst dich.
Allein du änderst nur die Lichtgebärde
und liebst mich unveränderlich.

Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde,
nur mein Erdenschatten hindert dich,
die Liebesfackel stets am Sonnenherde
zu zünden in der Nacht für mich.

Friedrich Rückert
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Roxanna vom 05.08.2017, 13:28:34

Die Abendglocken klangen
Schon duch das stille Tal,
Da sassen wir zusammen
Da droben wohl schon hundertmal          

Und unten war`s so stille
Im Lande weit und breit
Nur über uns die Linde
Rauscht`durch die Einsamkeit

Was gehn die Glocken heute
Als ob ich weinen müsst?
Die Glocken die bedeuten,
Dass meine Lieb` gestorben ist!-

Ich wollt ich lieg begraben,
Und über mir rauscht`weit
Die Linde jeden Abend
Von der alten,schönen Zeit.-

Josef von Eichendorf         ( Satzzeichen + Anordnung übernommen)



 

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna



Ein Nagel saß in einem Stück Holz



Ein Nagel saß in einem Stück Holz.
Der war auf seine Gattin sehr stolz.
Die trug eine goldene Haube
Und war eine Messingschraube.
Sie war etwas locker und etwas verschraubt,
Sowohl in der Liebe, als auch überhaupt.
Sie liebte ein Häkchen und traf sich mit ihm
In einem Astloch. Sie wurden intim.
Kurz, eines Tages entfernten sie sich
Und ließen den armen Nagel im Stich.
Der arme Nagel bog sich vor Schmerz.
Noch niemals hatte sein eisernes Herz
So bittere Leiden gekostet.
Bald war er beinah verrostet.
Da aber kehrte sein früheres Glück,
Die alte Schraube, wieder zurück.
Sie glänzte übers ganze Gesicht.
Ja, alte Liebe, die rostet nicht!

Joachim Ringelnatz


Ringelnatz (eigentlich Hans Gustav Böttcher) hätte heute Geburtstag gehabt (*7.8.1883 , + 17.11.1934)

@umanitad, mit Eichdorff rennst du bei mir offene Türen ein. Ich mag seine Gedichte sehr emoji_grinning.

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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Roxanna vom 07.08.2017, 08:32:04









"Sie steckt` mit der Abendröte
In Flammen rings das Land
Und hat samt Manschetten und Flöte
Den verliebten Tag verbrannt.

Und als nun verglommen die Gründe:
Sie stieg auf die stillen Höhn,
Wie war da rings um die Schlünde
Die Welt so gross und schön.

Waldkönig zog durch die Wälder
Und stiess ins Horn vor Lust,
Da klang über die stillen Felder,
Wovon der Tag nichts gwusst.-

Und wer mich wollt erwerben,
Ein Jäger müsst`s sein zu Ross
Und müsst auf Leben und Sterben
Entführen mich auf sein Schloss

Josef von Eichendorf...(ausgesucht für Roxanna)

 

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 07.08.2017, 09:24:27

                                                     



Sie haben alle müde Münder
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht( wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.

Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Garten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie

Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden, durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.                    Rainer Maria Rilke

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.08.2017, 12:21:02




Waldlied


Im Walde möcht' ich leben
Zur heißen Sommerzeit!
Der Wald, der kann uns geben
Viel Lust und Fröhlichkeit.
In seine kühlen Schatten
Winkt jeder Zweig und Ast;
Das Blümchen auf den Matten
Nickt mir: komm, lieber Gast!
Wie sich die Vögel schwingen
Im hellen Morgenglanz!
Und Hirsch' und Rehe springen
So lustig wie zum Tanz.
Von jedem Zweig und Reise
Hör nur, wie's lieblich schallt!
Sie singen laut und leise:
Kommt, kommt in grünen Wald!

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben


@umanitad, das Gedicht von Rilke kannte ich noch nicht. Es ist sehr schön.


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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied




Vor der Ernte


Nun störet die Ähren im Felde
ein leiser Hauch,
wenn eine sich beugt, so bebet
die andre auch.

Es ist, als ahnten sie alle
der Sichel Schnitt -
die Blumen und fremden Halme
erzittern mit.

Martin Greif
18. 6. 1839 - 1. 4. 1911

 

Milan
Milan
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Milan

  1. Ein Traum ist unser Leben...
    Gedicht von Johann Gottfried Herder

    Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
    Auf Erden hier;
    Wie Schatten auf den Wogen schweben
    Und schwinden wir
    Und messen unsere trägen Schritte
    Nach Raum und Zeit
    Und sind, wir wissen´s nicht, in Mitte
    Der Ewigkeit.

    Johann Gottfried Herder
     

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona



Hund und Katze – Wilh. Busch
 
Miezel, eine schlaue Katze,
Molly, ein begabter Hund,
wohnhaft an demselben Platze,
hassten sich aus Herzensgrund.
 
Schon der Ausdruck ihrer Mienen,
bei gesträubter Haarfrisur,
zeigt es deutlich: Zwischen ihnen
ist von Liebe keine Spur.
 
Doch wenn Miezel in dem Baume,
wo sie meistens hin entwich,
friedlich dasitzt, wie im Traume,
dann ist Molly außer sich.
 
Beide lebten in der Scheune,
die gefüllt mit frischem Heu.
Alle beide hatten Kleine,
Molly zwei und Miezel drei.
 
Einst zur Jagd ging Miezel wieder
auf das Feld. Da geht es bumm.
Der Herr Förster schoss sie nieder,
ihre Lebenszeit ist um.
 
Oh, wie jämmerlich miauen
die drei Kinderchen daheim.
Molly eilt, sie zu beschauen,
und ihr Herz geht aus dem Leim.
 
Und sie trägt sie kurz entschlossen
zu der eignen Lagerstatt,
wo sie nunmehr fünf Genossen
an der Brust zu Gaste hat.
 
Mensch mit traurigem Gesichte,
sprich nicht nur von Leid und Streit.
Selbst in Brehms Naturgeschichte
findet sich Barmherzigkeit.


 

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona


Das Riesenspielzeug
Adelbert von Chamisso (1781 – 1838)

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vorzeiten die Burg der Riesen stand.
Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor,
sie war ganz ohn Begleitung und spielte vor dem Tor
und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein,
neugierig zu erkunden, wie’s unten möchte sein.

Mit wen’gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,
erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald.
Und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
erscheinen ihren Augen gar eine fremde Welt.

Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,
bemerkt sie ein Bauer, der seine Acker baut.
Es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,
es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.

„Ei! Artig Spielzeug!“ ruft sie, „das nehm ich mit nach Haus.“
Sie knieet nieder, breitet behend ihr Tüchlein aus
und feget mit den Händen, was da sich alles regt,
zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt;

Und eilt mit freudgen Sprüngen, ihr wißt, wie Kinder sind,
zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:
„Ei Vater, lieber Vater, ein Spielzeug wunderschön!
So allerliebstes sah ich noch nie auf unseren Höhn.“

Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein,
er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:
„Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freude; laß sehen, was es sei!“

Sie breitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an,
den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann.
Wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
so klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.

Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht:
„Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht!
Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin,
der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn?

Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot,
denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot.
Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!“ -

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vorzeiten die Burg der Riesen stand.
Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.


 


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