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Literatur Religiöse Dichtung

pilli
pilli
Mitglied

Re: Religiöse Dichtung
geschrieben von pilli
als Antwort auf hydelber vom 19.07.2007, 10:49:28
Solo le pido a Dios

Ich bitte nur Gott,
dass der Schmerz mich nicht gleichgültig lässt,
dass das austrocknende Sterben mich nicht leer und allein
trifft, ohne dass ich das Notwendige tun konnte.

Solo le pido a Dios

Ich bitte nur Gott,
dass die Ungerechtigkeit mich nicht gleichgültig lässt,
dass sie mich nicht auf die andere Wange schlagen,
nachdem die Kralle mich glücklicherweise nur kratzte.

Solo le pido a Dios

Ich bitte nur Gott,
dass der Krieg mich nicht gleichgültig lässt,
dieses Monster, das mit starken Tritten,
die ganze arme Unschuld der Leute zerstört.

Solo le pido a Dios

Ich bitte nur Gott,
dass der Betrug mich nicht gleichgültig lässt,
falls der Verrat mehr erreicht als die Vielen,
und dass diese Vielen nicht so leicht vergessen.

Solo le pido a Dios

Ich bitte nur Gott,
dass die Zukunft mich nicht gleichgültig lässt,
und diejenigen aufgibt, die marschieren müssen,
um eine andere Kultur zu leben.

Solo le pido a Dios

Ich bitte nur Gott,
dass der Krieg mich nicht gleichgültig lässt,
dieses Monster, das mit starken Tritten,
die ganze arme Unschuld der Leute zerstört.
(León Gieco geb. 1973)

--
pilli

Re: Religiöse Dichtung
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf pilli vom 20.07.2007, 09:57:23
Hans Magnus Enzensberger:

Der Geist des Vaters


An manchen Abenden sitzt er da,
wie früher, leicht gebückt,
summend am Tisch
unter der eisernen Lampe.
Die Tuschfeder schürft
über das Millimeterpapier.
Ruhig zieht sie, unbeirrt,
ihre schwarze Spur.
Manchmal hört er mir zu,
den schneeweißen Kopf geneigt,
lächelt abwesend, zeichnet weiter
an seinem wunderbaren Plan,
den ich nicht begreifen kann,
den er niemals vollenden wird.
Ich höre ihn summen.

(HME.: Kiosk. Neue Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.)
*

Wer sich über diesen Vater, genauer: den "Geist des Vaters" informieren will, der nicht nur ein privater, zufälliger Papa, sondern ein geistiger und ein literarischer ist, findet bei dradio.de Hilfe:

--
elfenbein
enigma
enigma
Mitglied

Re: Religiöse Dichtung
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 20.07.2007, 10:26:23
Und hier zeigt sich wieder ein anderer Gott:

Werner Bergengruen
Die letzte Epiphanie
1944:

Ich hatte dies Land in mein Herz genommen,
ich habe ihm Boten um Boten gesandt.
In vielen Gestalten bin ich gekommen.
Ihr aber habt mich in keiner erkannt.
Ich klopfte bei Nacht, ein bleicher Hebräer,
ein Flüchtling, gejagt, mit zerrissenen Schuh‘n.
Ihr riefet dem Schergen, ihr winktet dem Späher
und meintet noch, Gott einen Dienst zu tun.
Ich kam als zitternde, geistesgeschwächte
Greisin mit stummen Angstgeschrei.
Ihr aber spracht vom Zukunftsgeschlechte
und nur meine Asche gabt ihr frei.
Verwaister Knabe auf östlichen Flächen,
ich fiel euch zu Füßen und flehte um Brot.
Ihr aber scheutet ein künftiges Rächen,
ihr zucktet die Achseln und gabt mir den Tod.
Ich kam, ein Gefangener, als Tagelöhner,
verschleppt und verkauft, von der Peitsche zerfetzt.
Ihr wandtet den Blick von dem struppigen Fröner.
Nun komm ich als Richter. Erkennt ihr mich jetzt?


--
enigma

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hydelber
hydelber
Mitglied

Re: Religiöse Dichtung
geschrieben von hydelber
als Antwort auf enigma vom 23.07.2007, 14:50:24
An die es betrifft :

Den Herrschern und Richtern

Aufrief der höchste Gott und Richter
die ird'schen Götter zu Gericht:
»Wie lang noch schont ihr Bösewichter -
wie lang noch straft ihr Unrecht nicht ?

Ihr sollt dem Recht Genüge leisten,
nicht auf der Mächt'gen Grösse sehn,
ihr sollt die Witwen und Verwaisten
nicht lassen hilflos untergehn !
Ihr sollt, die schuldlos leiden, retten,
ihr sollt dem Unglück Schutz verleihn,
ihr sollt die Armut von den Ketten,
die Schwachen von Gewalt befrein !«

Sie hören nicht ! Sie sind geblendet!
Bestechung hat den Blick umwebt,
indes im Frevel, der nie endet,
der Himmel und die Erde bebt.
Wie Götter mächtig, ungebunden,
so dünktet ihr einst, Fürsten, mich -
doch hält euch Leidenschaft umwunden,
und sterblich seid ihr, so wie ich!

Ihr müsset welken und verwehen,
wie ein verwelktes Blatt verweht,
ihr werdet sterben und vergehen
wie euer letzter Knecht vergeht!
O Gott, den stets die Frommen suchten -
steh auf, und hör ihr flehend Schrein !
Komm, richte, strafe die Verruchten,
und sei der Erden Herr allein !


von Gavriil Dershavin, 1743-1816

Übersetzt von Wilhelm Wolfsohn

--

hydelber
Christian Fürchtegott Gellert/L. van Beethoven
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf hydelber vom 23.07.2007, 22:33:44
Die Ehre Gottes aus der Natur

Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,
ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.
Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere;
vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort!

Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?
Wer führt die Sonn' aus ihrem Zelt?
Sie kommt und leuchtet und lacht uns von ferne
und läuft den Weg gleich als ein Held.

Vernimm's und siehe die Wunder der Werke,
die die Natur dir aufgestellt!
Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke
dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?

Kannst du der Wesen unzählbare Heere,
den kleinsten Staub fühllos beschaun?
Durch wen ist alles? O gib ihm die Ehre!
"Mir", ruft der Herr, "sollst du vertraun.

Mein ist die Kraft, mein ist Himmel und Erde,
an meinen Werken kennst du mich.
Ich bin's und werde sein, der ich sein werde,
dein Gott und Vater ewiglich.

Ich bin dein Schöpfer, bin Weisheit und Güte,
ein Gott der Ordnung und dein Heil.
Ich bin's. Mich liebe von ganzem Gemüte
und nimm an meiner Gnade teil."

Christian Fürchtegott Gellert
(vertont von Ludwig van Beethoven)



Novalis
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 10.07.2007, 10:32:01
Ich sehe dich in tausend Bildern

Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.

Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.

Novalis (1772-1801)

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J. W. Goethe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 23.07.2007, 23:50:57
Wenn im Unendlichen dasselbe
Sich wiederholend ewig fließt,
Das tausendfältige Gewölbe
Sich kräftig ineinander schließt,
Strömt Lebenslust aus allen Dingen,
Dem kleinsten wie dem größten Stern,
Und alles Drängen, alles Ringen
Ist ewige Ruh in Gott dem Herrn.

-- J. W. Goethe --
Hans Thoma
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2007, 00:00:31
Ich komm', weiß nit woher,
ich bin und weiß nit wer,
ich leb', weiß nit wie lang,
ich sterb' und weiß nit wann,
ich fahr', weiß nit wohin:
Mich wundert's, dass ich fröhlich bin.

Da mir mein Sein so unbekannt,
geb' ich es ganz in Gottes Hand, -
Die führt es wohl, so her wie hin:
Mich wundert's, wenn ich noch traurig bin.

-- Hans Thoma --
Re: Religiöse Dichtung
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf enigma vom 23.07.2007, 14:50:24
Neben diesem Bergengruen-Gedicht, das übrigens auch die Erika Mann , die sehr kritisch gegen Deutsche war, die nicht emigriert waren zwischn 1933 und 45, gelten ließ, gibt es vielleicht noch fünf Dichter im damaligen Deutschland, die geistig-kritisch die Zeit beschrieben haben und sich nicht anpassten, sondern wirkliche Menschen in der "innren Emigration" waren; eine Bezeichnung, die nach 45 von vielen heuchlerisch in Anspruch genommen wurde.

Zu sochen edelen Geistern gehörten Reinhold Schneider, Dietrich Bonhoeffer, Ernst Wiechert u.a.

Hier will ich an E.W. erinnern; auch wenn dieser Text kein Gedicht ist und er nicht namentlich von Gott spricht:

Ernst W i e c h e r t (Lehrer, Dichter, Widerständler; 1887 - 1950) schrieb über seinen KZ-Aufenthalt:

(...) In dieser Stunde erkannte er [=Johannes; E.W. meint sich selber mit diesem Namen] mit einer unbeirrbaren Sicherheit, daß dieses Reich zerfallen würde, nicht in einem Jahr und vielleicht nicht in zehn Jahren, aber in einem menschlichen Zeitraum. So zerfallen und zerbrechen, daß keine Spur von ihm bleiben würde. Ausgebrannt wie ein Geschwür, und nur die grauenhafte Narbe würde zurückbleiben. Es gab keine Kultur, die auf Menschenblut sich aufbauen ließ. Staaten konnte man auf Blut oder Gewalt bauen, aber Staaten waren nur Kartenhäuser vor dem Wind der Ewigkeit. Was blieb, das stifteten die anderen. Nicht die Henker und Mörder. Nicht einmal die Feldherren. Und diese anderen vergossen kein Blut, außer daß sie ihr eigenes in das unsterbliche Werk verströmten. Noch war der Geist nicht ausgestorben in der Welt, die Liebe, die Schönheit. Noch waren sie da, wenn auch geschändet und geschlagen. Und einmal würden sie sich wieder aufheben aus dem Staube mit ihrem schmerzlichen Kinderlächeln und ihr leuchtendes Banner wieder aufrichten über den Schädelstätten der Völker.

Am Abend sprach er mit Josef über diesen Tag - Josef hatte er nun schon gefunden. »Du mußt nichts sehen und nichts hören«, sagte dieser in seiner stillen Art. »Du mußt durchgehen durch alles wie ein Stein, und erst später ... Ja, erst später ... «
»Wer hier mitleidet«, sagte er nach einer Weile, »zerbricht!«

Es dämmerte schon, als Johannes noch einmal den Raum zwischen den Baracken verließ, wo sie ihre freie Abendstunde zubrachten. Er hatte nur eine Minute zu gehen, bis er unter der Eiche stand, von der man sagte, daß ihr Schatten schon auf Goethe und Charlotte von Stein gefallen sei. Sie stand neben einer der Lagerstraßen, und hier nun war die einzige Stelle, von der man weit in das Land hinuntersehen konnte. Der Mond hing über den waldigen Hügeln, und die letzten Töne des Lagerlebens erstarben.
Er sah noch eine Weile hinaus, so allein, als sei er der letzte Mensch auf dieser Erde, und er versuchte, sich aller der Verse zu erinnern, die er von dem wußte, der vor hundertfünfzig Jahren hier gestanden haben mochte. Es war nichts verlorengegangen von dem großen Leben, und auch wenn er mit fünfzig Jahren an eine Galeere geschmiedet worden wäre, würde nichts verlorengegangen sein.
»Edel, hilfreich und gut ... « Nein, nicht einmal dies war untergegangen, solange ein einziger Mensch es vor sich hin sprach und es zu bewahren versuchte bis in seine letzte Stunde hinein. (...)
(Auszug aus Wiecherts Aufzeichungen über seinen zweimonatigen KZ-Aufenthalt in Buchenwald im Jahre 1938: "Der Totenwald. Ein Bericht". München 2001. Ullstein-TB 24038. S. 86f.)

--
elfenbein
Medea
Medea
Mitglied

Re: Religiöse Dichtung
geschrieben von Medea
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2007, 07:15:52
Mein blaues Klavier

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
und kenne doch keine Note.

Es steht im Dunkel der Kellertür,
seitdem die Welt verrohte.

Es spielen Sternenhände vier
- die Mondfrau sang im Boote -
nun tanzen die Ratten im Geklirr.

Zerbrochen ist die Klaviartür ...
ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir
- ich aß vom bitteren Brote -
mir lebend schon die Himmelstür -
auch wider dem Verbote.

(Else Lasker-Schüler)


Medea.



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