Literatur Religiöse Dichtung
Religiöse Dichtung
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Politische, erotische Gedichte - alles haben wir hier schon gesammelt und vorgestellt.
Meine Beobachtung:
Es gibt erstaunlich viel religiöse Lyrik, nicht nur in der Zeit des Barock, auch im Symbolismus oder Expressionismus; auch in der Moderne schreiben viele Poetinnen und Poeten, die an die transzendentale Kraft und Funktion von Sprache in Liebe und Freiheit glauben, egal von wem und wodurch sie seit Jahrtausenden missbraucht wurden in Trost-Spielen und -Spielchen und religiösen Zwangsvorstellungen.
Ich beginne mit einem Rilke-Beispiel:
Rainer Maria Rilke (1875-1926):
Auferstehung
Der Graf vernimmt die Töne,
er sieht einen lichten Riß;
er weckt seine dreizehn Söhne
im Erb-Begräbnis.
Er grüßt seine beiden Frauen
ehrerbietig von weit -;
und alle, voll Vertrauen,
stehn auf zur Ewigkeit
und warten nur noch auf Erich
und Ulriken Dorotheen,
die, sieben- und dreizehnjährig,
(sechzehnhundertzehn)
verstorben sind im Flandern,
um heute vor den andern
unbeirrt herzugehn.
*
Im Sommer 1906 nahm Rilke, der seit seinen persönlichen und dichterischen Anfängen in Prag alle nationalen Auseinandersetzungen und religiösen Gruppenkämpfe und historischen Kirchenkriege interessiert verfolgte, das christliche Grundmotiv der Machtkämpfe und der Weltflucht und Daseinsleugnung und Schmähung und Ausbeutung derer, für die Christus gestorben war, auf in das Zentralmoment der Auferstehung, als des "wahren Lebens" aus dem versprochenen, ewigen, jenseitigen Frieden heraus, also der vorgetäuschten Bildlichkeit, der Illusion, für die geopfert und geschändet, gelogen und getäuscht wurde, vergebens: die Sehnsüchte nach solcher Gerechtigkeit blieben.
Humanistisch mahnte Rilke in dieser lyrischen Szene eine historische Erinnerung an, um der kosmisch-komischen Szene ein geschichtliches Kolorit zu geben, eine Erinnerung für die Zukunft; und die schlimmsten Kriege und christlichen Schweinereien als Inhumanitäten sollten noch geplant und exerziert werden:
1610 starb der beliebte französische König Heinrich IV, der das Blutvergießen der Religionskriege eine kleine Weile unterbinden konnte. Zwei Familienangehörige sind dem Weiterschwelen der Kämpfe in Flandern zum Opfer gefallen.
Hier, im familiär-adeligen Spiel einer inszenierten Offenbarung, läßt Rilke ein göttliches Zeremoniell wie ein Sakrament der "Auferstehung" ablaufen, denn die verstorbenen Söhne und Töchter eines Grafen treten in familiärem Rang, in militärisch geordneter Reihe an, um rechtzeitig in die "Ewigkeit" zu gelangen.
Der "Jüngste Tag" hat den apokalyptischen Schrecken verloren; die komische Szene erinnert eher an ein Familientreffen.
Rilke demaskiert die angeordnete, die geglaubte "Auferstehung" als Spiel unter Herrschern und Kirchenfürsten; als Trostspektakel.
--
elfenbein
Meine Beobachtung:
Es gibt erstaunlich viel religiöse Lyrik, nicht nur in der Zeit des Barock, auch im Symbolismus oder Expressionismus; auch in der Moderne schreiben viele Poetinnen und Poeten, die an die transzendentale Kraft und Funktion von Sprache in Liebe und Freiheit glauben, egal von wem und wodurch sie seit Jahrtausenden missbraucht wurden in Trost-Spielen und -Spielchen und religiösen Zwangsvorstellungen.
Ich beginne mit einem Rilke-Beispiel:
Rainer Maria Rilke (1875-1926):
Auferstehung
Der Graf vernimmt die Töne,
er sieht einen lichten Riß;
er weckt seine dreizehn Söhne
im Erb-Begräbnis.
Er grüßt seine beiden Frauen
ehrerbietig von weit -;
und alle, voll Vertrauen,
stehn auf zur Ewigkeit
und warten nur noch auf Erich
und Ulriken Dorotheen,
die, sieben- und dreizehnjährig,
(sechzehnhundertzehn)
verstorben sind im Flandern,
um heute vor den andern
unbeirrt herzugehn.
*
Im Sommer 1906 nahm Rilke, der seit seinen persönlichen und dichterischen Anfängen in Prag alle nationalen Auseinandersetzungen und religiösen Gruppenkämpfe und historischen Kirchenkriege interessiert verfolgte, das christliche Grundmotiv der Machtkämpfe und der Weltflucht und Daseinsleugnung und Schmähung und Ausbeutung derer, für die Christus gestorben war, auf in das Zentralmoment der Auferstehung, als des "wahren Lebens" aus dem versprochenen, ewigen, jenseitigen Frieden heraus, also der vorgetäuschten Bildlichkeit, der Illusion, für die geopfert und geschändet, gelogen und getäuscht wurde, vergebens: die Sehnsüchte nach solcher Gerechtigkeit blieben.
Humanistisch mahnte Rilke in dieser lyrischen Szene eine historische Erinnerung an, um der kosmisch-komischen Szene ein geschichtliches Kolorit zu geben, eine Erinnerung für die Zukunft; und die schlimmsten Kriege und christlichen Schweinereien als Inhumanitäten sollten noch geplant und exerziert werden:
1610 starb der beliebte französische König Heinrich IV, der das Blutvergießen der Religionskriege eine kleine Weile unterbinden konnte. Zwei Familienangehörige sind dem Weiterschwelen der Kämpfe in Flandern zum Opfer gefallen.
Hier, im familiär-adeligen Spiel einer inszenierten Offenbarung, läßt Rilke ein göttliches Zeremoniell wie ein Sakrament der "Auferstehung" ablaufen, denn die verstorbenen Söhne und Töchter eines Grafen treten in familiärem Rang, in militärisch geordneter Reihe an, um rechtzeitig in die "Ewigkeit" zu gelangen.
Der "Jüngste Tag" hat den apokalyptischen Schrecken verloren; die komische Szene erinnert eher an ein Familientreffen.
Rilke demaskiert die angeordnete, die geglaubte "Auferstehung" als Spiel unter Herrschern und Kirchenfürsten; als Trostspektakel.
--
elfenbein
Zur Erinnerung an Annemarie Schimmel, der genialen Übersetzerin
sei hier folgendes Gedicht vorgestellt :
O Herr, gib meinem Herzen voll Gnade Lebensgeist,
da allem Schmerz geduldig Du Arzneien leihst !
Was wüsst ich armer Sklave, was es zu suchen gilt ?
Der Wissende bist nur du - so gib mir, was du weisst !
O Gott nimm meine Entschuldigung an
und halte nicht fest was ich Böses getan !
O Gott unser Leben ist in den Wind hingewandelt,
wir haben unseren Körper misshandelt
und haben dem Satan zur Freude gehandelt.
O Gott, vor und hinter der Gefahr finde ich keine Wege:
Ergreife meine Hand denn ausser Dir
find ich keine Hege und Pflege !
Da vor Gram unser Sein und Nichtsein sich gleichen -
gib - dass uns Freuden erreichen !
O Gott mir graut vor meinem eigenen schlechten Wesen :
Verzeih mir mit Deinem rechten Wesen !
O Gott in unser Haupt ist Dein Rausch gedrungen,
in unserem Herzen sind Deine Geheimnisse erklungen,
Deine Zeichen tragen wir auf den Zungen.
Wenn wir fragen, fragen wir nach Deinem Wohlgefallen;
wenn wir sagen, so sagen wir Dein Lob vor allen.
O Gott, zerstöre nicht unseres Bekenntnisses
Fundamente und Warten,
und lass` ohne Wasser nicht unserer Hoffnung Garten !
O Gott, streu uns nicht die Asche der Scham
über Haupt und Wangen
und halte uns nicht in unserem Unglück gefangen !
O Gott, wir wählten Deine Liebe in beiden Welten ohne Fragen:
So haben wir das Kleid der Plagen an unserem Leib getragen
und haben das rauhe Gewand um uns geschlagen
und zerrissen den Saum von Glück und Wohlbehagen.
O Gott, Du hast gesagt :
So wie ihr anblickt in der Welt die Grossen und Mächtigen,
so sollt ihr auch anblicken die Armen
und die Derwische, die schmächtigen !
O Gott, Du bist noch gütiger und grossmütiger:
Du blickst im Jenseits auf die Gehorsamen, Demütigen
genau wie auf die Rebellen, die Aufruhrwütigen.
O Gott, wem du das Mal der Liebe eingebrannt,
dessen Scheuer des Seins gabst Du dem Winde
des Nichtseins in die Hand.
O Gott, jeder wird ruiniert durch das, was er nicht besitzt;
ich jedoch durch das was ich besitze.
O Gott, habe ich auch nicht viel Gehorsam in mir,
so habe ich in beiden Welten doch niemand ausser Dir !
O Gott, keine Grenze gibt es für Deine Gnaden -
und Dir zu danken bringt niemals Schaden.
Ein jeglicher, der Dich erkannt,
hat alles ausser Dir verworfen und verbannt.
Was macht mit seiner Seele, der, welcher Dich erkannt ?
Was macht er mit dem Hause, mit Weib und Kindes Band ?
Du schenkst ihm beide Welten nachdem Du ihn verwirrt -
den Du verwirrt - was tut er mit Welten in der Hand ?
Abdallah-i Ansari
von Herat / Afghanistan, lebte von 1006 bis 1089
Übersetzung :
© Annemarie Schimmel
Das Gedicht gefällt mir sehr... es tut einfach gut es zu lesen !
Elfenbein, ich danke dir für das Thema.
Grüsse an dich
--
hydelber
sei hier folgendes Gedicht vorgestellt :
O Herr, gib meinem Herzen voll Gnade Lebensgeist,
da allem Schmerz geduldig Du Arzneien leihst !
Was wüsst ich armer Sklave, was es zu suchen gilt ?
Der Wissende bist nur du - so gib mir, was du weisst !
O Gott nimm meine Entschuldigung an
und halte nicht fest was ich Böses getan !
O Gott unser Leben ist in den Wind hingewandelt,
wir haben unseren Körper misshandelt
und haben dem Satan zur Freude gehandelt.
O Gott, vor und hinter der Gefahr finde ich keine Wege:
Ergreife meine Hand denn ausser Dir
find ich keine Hege und Pflege !
Da vor Gram unser Sein und Nichtsein sich gleichen -
gib - dass uns Freuden erreichen !
O Gott mir graut vor meinem eigenen schlechten Wesen :
Verzeih mir mit Deinem rechten Wesen !
O Gott in unser Haupt ist Dein Rausch gedrungen,
in unserem Herzen sind Deine Geheimnisse erklungen,
Deine Zeichen tragen wir auf den Zungen.
Wenn wir fragen, fragen wir nach Deinem Wohlgefallen;
wenn wir sagen, so sagen wir Dein Lob vor allen.
O Gott, zerstöre nicht unseres Bekenntnisses
Fundamente und Warten,
und lass` ohne Wasser nicht unserer Hoffnung Garten !
O Gott, streu uns nicht die Asche der Scham
über Haupt und Wangen
und halte uns nicht in unserem Unglück gefangen !
O Gott, wir wählten Deine Liebe in beiden Welten ohne Fragen:
So haben wir das Kleid der Plagen an unserem Leib getragen
und haben das rauhe Gewand um uns geschlagen
und zerrissen den Saum von Glück und Wohlbehagen.
O Gott, Du hast gesagt :
So wie ihr anblickt in der Welt die Grossen und Mächtigen,
so sollt ihr auch anblicken die Armen
und die Derwische, die schmächtigen !
O Gott, Du bist noch gütiger und grossmütiger:
Du blickst im Jenseits auf die Gehorsamen, Demütigen
genau wie auf die Rebellen, die Aufruhrwütigen.
O Gott, wem du das Mal der Liebe eingebrannt,
dessen Scheuer des Seins gabst Du dem Winde
des Nichtseins in die Hand.
O Gott, jeder wird ruiniert durch das, was er nicht besitzt;
ich jedoch durch das was ich besitze.
O Gott, habe ich auch nicht viel Gehorsam in mir,
so habe ich in beiden Welten doch niemand ausser Dir !
O Gott, keine Grenze gibt es für Deine Gnaden -
und Dir zu danken bringt niemals Schaden.
Ein jeglicher, der Dich erkannt,
hat alles ausser Dir verworfen und verbannt.
Was macht mit seiner Seele, der, welcher Dich erkannt ?
Was macht er mit dem Hause, mit Weib und Kindes Band ?
Du schenkst ihm beide Welten nachdem Du ihn verwirrt -
den Du verwirrt - was tut er mit Welten in der Hand ?
Abdallah-i Ansari
von Herat / Afghanistan, lebte von 1006 bis 1089
Übersetzung :
© Annemarie Schimmel
Das Gedicht gefällt mir sehr... es tut einfach gut es zu lesen !
Elfenbein, ich danke dir für das Thema.
Grüsse an dich
--
hydelber
Re: Religiöse Dichtung
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Dank für den schönen Text.
Darf ich einladen, einen fremden, aber unseren ursprünglichen Idealen der drei Schriftreligionen Judentum, Christentum und Islam nahes Gedicht kennenzulernen?
Betrachten wir einen solchen "fremden" Text als Geschenk?/!
Abdul Rahman Baba:
Im Namen meines Gottes will ich singen...
(Lied aus Babas "Diwan")
Im Namen meines Gottes will ich singen,
Dessen einer Name "der Höchst Gepriesene" ist.
Er ist der Herrscher über alle Herrscher,
Er ist der König über jeden Fürst.
Kann jemand Sonnen an den Himmel setzen?
Die Sonne setzte Er ans Firmament!
Kann das Gesicht der Sonne man verschleiern?
Sieh, Er hat es in Wolken ganz verhüllt.
Wer kann ein Tröpflein wohl vom Himmel holen?
Er lässt den Frühlingsregen strömen reich!
Wer könnt´ nur einer Mücke Leben geben?
Er gab der ganzen Welt den Lebensgeist.
Wer kann den Steinen Rosenfarbe schenken?
Die Purpurfarbe schenkt' Er dem Rubin!
Wer kann wohl Wasser aus dem Feuer machen?
Aus Sommerglut bracht' Er den Winterschnee.
Wer macht Juwelen aus den Regentropfen?
Er machte daraus die Perlen und Korallen.
Wer könnt' zum Himmel von der Erde steigen?
Die Möglichkeit dazu gab Jesu Er.
Wer könnte sich mit Gott wohl unterreden?
Doch damit hat Er Moses hoch geehrt.
Vor Ihm wirft sich die Erde betend nieder,
Der Himmel beugt sich im Gebet vor Ihm.
Anbetend steht vor Ihm der Baum im Walde.
Ein jedes Gras ist Zunge seines Lobs.
In Seinem Lobpreis sind beständig alle,
Ob´s Engel sind, ob Geister, ob der Mensch.
Sein Lob verkündet jeder Fisch im Wasser,
Im Hain singt jeder Vogel Seinen Preis.
Nicht hat Sein Wissen Ende oder Grenzen -
Sein Wissen ist ein grenzenloses Meer.
Nicht einer ist Ihm ähnlich oder gleichend,
Und Er ist keinem ähnlich oder gleich.
In Ihm gibt es nicht Makel, Mangel, Mindern -
Ganz makellos ist, ohne Mind´rung, Er.
Nichts Seinesgleichen, und nicht Ort noch Stelle -
Ganz ohnegleichen, ohne Ort ist Er.
Niemand hat Ihn erblickt je mit Augen,
Doch ohne Wie und Weil zeigt Er sich klar.
Wer sagt: "Man sieht Ihn nicht!" - man sieht Ihn niemals!
Wer sagt: "Doch, überall!" - da ist Er auch.
Von aller Form ist frei Er und von Richtung,
Und alle Form und Richtung kommt von Ihm.
Von Seinen Tausenden von Eigenschaften
Hab´ ich besungen eine halbe nur!
Quelle:
Der Text ist entnommen aus Annemarie Schimmels Sammlung "Liebe zu dem Einen". Texte aus der mystischen Tradition des indischen Islam. Ausgewählt aus dem Persischen, Arabischen, Urdu und Sindhi.
Übersetzt und eingeleitet von Annemarie Schimmel". Einsiedeln/Zürich 1986. S. 23f.
Zum Dichter:
Abdul Rahman Baba (um 1651 - um 1710) war ein afghanischer Sufi-Dichter, ein Derwisch. Seine in Paschtu geschriebenen Gedichte thematisieren neben ethischen Themen, vor allem Liebe und innere Erlebensprozesse, die wir Mystik nennen.
Es existiert eine reichhaltige Literatur von Sufis bzw. über den Sufismus (islamische Mystik). Die Sufis selber sagen jedoch: "Es gibt viele Bücher über den Sufismus, aber man kann ihn nicht in Büchern finden."
Der mit dem Titel "Baba" geehrte Dichter war wie viele mystische Dichter eher ein "herr"-licher Vermittler des Wortes als ein "männlich" Kämpfender. Er widmete sich seiner geliebten Sprache Paschtu, und der islamischen Sufismus; der Metrik und der Musik, ähnlich wie der sein Vorgänger Mawlana Jallaludin Rumi, genannt Balchi, verfasste auch Rahman Baba keine Lobeshymnen für die weltlichen Herrscher, wie sein Ehrenname es verdeutlicht: "Zeba o Milli Baba": "Vater der Sprache und Nation".
Der Dichter soll ein zurückgezogenes und einsames Leben geführt haben und wurde nach seinem Tod auf einem Friedhof in der Nähe der Stadt Peschawar beigesetzt. Sein Grab wird noch heute von frommen Pilgern besucht; auch finden sich dort, wie es bei islamischen Derwischen üblich ist, oft an seinem Grab Musikanten ein, die religiöse Lieder spielen.
Auf den ersten Blick ist uns dieser angezeigte Text fremd: der Name des Dichters, Abdul Rahman Baba, sagt wohl nur Kennern was; der Titel des Gedichtsbuchs "Divan" ist uns nur über Goethe präsent und die religiösen Vorstellungen der göttlichen Transzendenz scheinen uns irgendwie eigenartig-romantisch, jedenfalls so urtümlich lyrisch, wie unsere Dichter sie im Abendland als Literatur lange vor der Trennung in Vernunftsprache(n) und Poesie "vor der Aufklärung" pflegten.
Angebote:
Arbeitsfragen:
1. Welche Göttlichkeits-Attribute besingt dieser islamische Dichter?
2. Für welche dieser Aussagen können wir Schriftstellen aus dem Schöpfungsverständnis oder aus dem christlichen Gotteslob angeben?
3. Wir können wir uns die eigenartige Rhythmik der Verszeilen, besonders mit der syntaktischen Endstellung der "Er"-Aussagen erklären?
4. Informiere dich über den Sufismus, die mystische Dichtung des Islam.
5. Erkläre, inwiefern das Bilder- und Begriffs-Verbot des jüdischen und islamischen Verständnisses nach den "Zehn Geboten" gewahrt ist.
6. Als "Mittler, als Propheten", werden Mose und Jesus genannt - entgegen der islamisch-arabischen Tradition, in der Mohammed als letzter Gottesbote (der "Gesandte" als "Siegel der Propheten" gilt). Welche Legitimationsprobleme für einen interreligiösen Dialog können sich daraus ergeben?
7. Zur Prophetenfrage: Beziehen Sie folgendes Interview in die Überlegungen ein und kläre das heutige Sufi-Verständnis über die Vermittlung zwischen Gott und Mensch.
"Inneres und Äußeres verbinden. - Der Sufismus führt ins Herz der Religionen. Und ins praktische Leben."
- Fragen an den Leiter des Internationalen Sufi-Ordens Pir Zia Inayat Khan - Ein Interview in: Publik Forum Nr. 10. 25.5.2007. S.58f.
Pir Zia Inayat Khan (*1971) ist Präsident des "Internationalen Sufi-Ordens" und Enkel von dessen Gründer Hazrat Inayat Khan. Er lebt als Sufi-Lehrer in den USA.
Publik-Forum: Müsste diese »planetarische Prophetie« nicht aber in einer globalen Spiritualität verankert sein, die Menschen gemeinsam beten und leben lässt?
Inayat Khan: Die Propheten sind die Gründer der Religionen. Sie stehen alle in einer einzigen Linie. Doch diese Linie ist zu einem bestimmten Zeitpunkt zu ihrem Ende gekommen. Seither sind keine neuen Weltreligionen mehr entstanden, obgleich weiterhin Mystiker, Visionäre und Heilige das Wissen und die Praxis der einzelnen Religionen vertieft haben. Das ursprüngliche Amt der Propheten "die Vermittlung zwischen Gott und Menschen" wurde abgelöst durch die Aufgabe spiritueller Lehre. Sie besteht darin, die Menschen in Resonanz zu bringen mit der göttlichen Führung, die im Inneren wie im Äußeren zu finden ist. Durch solche spirituelle Wegweisung ergeht heute die göttliche Botschaft an die Menschen. Der Sufi-Orden stellt sich in ihren Dienst, indem wir eine spirituelle Begleitung anbieten, um die Fähigkeit zur globalen Zusammenarbeit zu kultivieren und die Sensitivität zu schärfen, die wir brauchen, um mit der geistigen Wirklichkeit in Kontakt zu kommen.
Publik-Forum: Welche Praktiken bieten Sie den Menschen an, um sie in diese Resonanz mit dem Göttlichen zu bringen?
Inayat Khan: Unsere Praktiken sind das Erbe der Sufi-Meister. Sie haben ein Repertoire innerer Übungen entwickelt, die in einem hohen Maße universell sind. Diese Universalität spiegelt die Geschichte des Sufismus. Denn vielleicht mehr als jede andere heilige Tradition hat der Sufismus Einflüsse unterschiedlicher spiritueller Richtungen integriert. In der islamischen Tradition leitet sich der Sufismus direkt vom Propheten Mohammed her, und er kennt Praktiken, die unmittelbar von ihm eingeführt wurden. Aber der Sufismus hat ebenso Elemente der jüdischen und christlichen Tradition aufgenommen. In Persien begegnete ihm die zorastrische Tradition, und in Indien trat er in einen regen wechselseitigen Austausch mit den Yogis.
(...)
Zusammenhang und Fortsetzung des Interviews sind nachzulesen:
http://www.publik-forum.de/f4-cms/tpl/pufo/op/artgrp/art/display.asp?cp=/pufo/op89740/aktuelleausgabe/art20085
Weitere Informationen - im Internet auf Suche zu gehen:
Zum Dichter:
http://de.wikipedia.org/wiki/Abdul_Rahman_Baba
Über den Sufismus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sufismus
Zur Orientalistin, der Übersetzerin Annemarie Schimmel:
http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/schimmel_a.shtml
Zum Paschtu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Paschtunische_Sprache
*
Der ganze Artikel wird als "Literarisches Stichwort Gott - Im Spannungsfeld von Literatur und Theologie. Folge XL" unter dem Titel "Interpretation des Sufi-Gedichts 'Im Namen meines Gottes will ich singen'" - in der Zeitschrift "Religion heute".
--
elfenbein
Darf ich einladen, einen fremden, aber unseren ursprünglichen Idealen der drei Schriftreligionen Judentum, Christentum und Islam nahes Gedicht kennenzulernen?
Betrachten wir einen solchen "fremden" Text als Geschenk?/!
Abdul Rahman Baba:
Im Namen meines Gottes will ich singen...
(Lied aus Babas "Diwan")
Im Namen meines Gottes will ich singen,
Dessen einer Name "der Höchst Gepriesene" ist.
Er ist der Herrscher über alle Herrscher,
Er ist der König über jeden Fürst.
Kann jemand Sonnen an den Himmel setzen?
Die Sonne setzte Er ans Firmament!
Kann das Gesicht der Sonne man verschleiern?
Sieh, Er hat es in Wolken ganz verhüllt.
Wer kann ein Tröpflein wohl vom Himmel holen?
Er lässt den Frühlingsregen strömen reich!
Wer könnt´ nur einer Mücke Leben geben?
Er gab der ganzen Welt den Lebensgeist.
Wer kann den Steinen Rosenfarbe schenken?
Die Purpurfarbe schenkt' Er dem Rubin!
Wer kann wohl Wasser aus dem Feuer machen?
Aus Sommerglut bracht' Er den Winterschnee.
Wer macht Juwelen aus den Regentropfen?
Er machte daraus die Perlen und Korallen.
Wer könnt' zum Himmel von der Erde steigen?
Die Möglichkeit dazu gab Jesu Er.
Wer könnte sich mit Gott wohl unterreden?
Doch damit hat Er Moses hoch geehrt.
Vor Ihm wirft sich die Erde betend nieder,
Der Himmel beugt sich im Gebet vor Ihm.
Anbetend steht vor Ihm der Baum im Walde.
Ein jedes Gras ist Zunge seines Lobs.
In Seinem Lobpreis sind beständig alle,
Ob´s Engel sind, ob Geister, ob der Mensch.
Sein Lob verkündet jeder Fisch im Wasser,
Im Hain singt jeder Vogel Seinen Preis.
Nicht hat Sein Wissen Ende oder Grenzen -
Sein Wissen ist ein grenzenloses Meer.
Nicht einer ist Ihm ähnlich oder gleichend,
Und Er ist keinem ähnlich oder gleich.
In Ihm gibt es nicht Makel, Mangel, Mindern -
Ganz makellos ist, ohne Mind´rung, Er.
Nichts Seinesgleichen, und nicht Ort noch Stelle -
Ganz ohnegleichen, ohne Ort ist Er.
Niemand hat Ihn erblickt je mit Augen,
Doch ohne Wie und Weil zeigt Er sich klar.
Wer sagt: "Man sieht Ihn nicht!" - man sieht Ihn niemals!
Wer sagt: "Doch, überall!" - da ist Er auch.
Von aller Form ist frei Er und von Richtung,
Und alle Form und Richtung kommt von Ihm.
Von Seinen Tausenden von Eigenschaften
Hab´ ich besungen eine halbe nur!
Quelle:
Der Text ist entnommen aus Annemarie Schimmels Sammlung "Liebe zu dem Einen". Texte aus der mystischen Tradition des indischen Islam. Ausgewählt aus dem Persischen, Arabischen, Urdu und Sindhi.
Übersetzt und eingeleitet von Annemarie Schimmel". Einsiedeln/Zürich 1986. S. 23f.
Zum Dichter:
Abdul Rahman Baba (um 1651 - um 1710) war ein afghanischer Sufi-Dichter, ein Derwisch. Seine in Paschtu geschriebenen Gedichte thematisieren neben ethischen Themen, vor allem Liebe und innere Erlebensprozesse, die wir Mystik nennen.
Es existiert eine reichhaltige Literatur von Sufis bzw. über den Sufismus (islamische Mystik). Die Sufis selber sagen jedoch: "Es gibt viele Bücher über den Sufismus, aber man kann ihn nicht in Büchern finden."
Der mit dem Titel "Baba" geehrte Dichter war wie viele mystische Dichter eher ein "herr"-licher Vermittler des Wortes als ein "männlich" Kämpfender. Er widmete sich seiner geliebten Sprache Paschtu, und der islamischen Sufismus; der Metrik und der Musik, ähnlich wie der sein Vorgänger Mawlana Jallaludin Rumi, genannt Balchi, verfasste auch Rahman Baba keine Lobeshymnen für die weltlichen Herrscher, wie sein Ehrenname es verdeutlicht: "Zeba o Milli Baba": "Vater der Sprache und Nation".
Der Dichter soll ein zurückgezogenes und einsames Leben geführt haben und wurde nach seinem Tod auf einem Friedhof in der Nähe der Stadt Peschawar beigesetzt. Sein Grab wird noch heute von frommen Pilgern besucht; auch finden sich dort, wie es bei islamischen Derwischen üblich ist, oft an seinem Grab Musikanten ein, die religiöse Lieder spielen.
Auf den ersten Blick ist uns dieser angezeigte Text fremd: der Name des Dichters, Abdul Rahman Baba, sagt wohl nur Kennern was; der Titel des Gedichtsbuchs "Divan" ist uns nur über Goethe präsent und die religiösen Vorstellungen der göttlichen Transzendenz scheinen uns irgendwie eigenartig-romantisch, jedenfalls so urtümlich lyrisch, wie unsere Dichter sie im Abendland als Literatur lange vor der Trennung in Vernunftsprache(n) und Poesie "vor der Aufklärung" pflegten.
Angebote:
Arbeitsfragen:
1. Welche Göttlichkeits-Attribute besingt dieser islamische Dichter?
2. Für welche dieser Aussagen können wir Schriftstellen aus dem Schöpfungsverständnis oder aus dem christlichen Gotteslob angeben?
3. Wir können wir uns die eigenartige Rhythmik der Verszeilen, besonders mit der syntaktischen Endstellung der "Er"-Aussagen erklären?
4. Informiere dich über den Sufismus, die mystische Dichtung des Islam.
5. Erkläre, inwiefern das Bilder- und Begriffs-Verbot des jüdischen und islamischen Verständnisses nach den "Zehn Geboten" gewahrt ist.
6. Als "Mittler, als Propheten", werden Mose und Jesus genannt - entgegen der islamisch-arabischen Tradition, in der Mohammed als letzter Gottesbote (der "Gesandte" als "Siegel der Propheten" gilt). Welche Legitimationsprobleme für einen interreligiösen Dialog können sich daraus ergeben?
7. Zur Prophetenfrage: Beziehen Sie folgendes Interview in die Überlegungen ein und kläre das heutige Sufi-Verständnis über die Vermittlung zwischen Gott und Mensch.
"Inneres und Äußeres verbinden. - Der Sufismus führt ins Herz der Religionen. Und ins praktische Leben."
- Fragen an den Leiter des Internationalen Sufi-Ordens Pir Zia Inayat Khan - Ein Interview in: Publik Forum Nr. 10. 25.5.2007. S.58f.
Pir Zia Inayat Khan (*1971) ist Präsident des "Internationalen Sufi-Ordens" und Enkel von dessen Gründer Hazrat Inayat Khan. Er lebt als Sufi-Lehrer in den USA.
Publik-Forum: Müsste diese »planetarische Prophetie« nicht aber in einer globalen Spiritualität verankert sein, die Menschen gemeinsam beten und leben lässt?
Inayat Khan: Die Propheten sind die Gründer der Religionen. Sie stehen alle in einer einzigen Linie. Doch diese Linie ist zu einem bestimmten Zeitpunkt zu ihrem Ende gekommen. Seither sind keine neuen Weltreligionen mehr entstanden, obgleich weiterhin Mystiker, Visionäre und Heilige das Wissen und die Praxis der einzelnen Religionen vertieft haben. Das ursprüngliche Amt der Propheten "die Vermittlung zwischen Gott und Menschen" wurde abgelöst durch die Aufgabe spiritueller Lehre. Sie besteht darin, die Menschen in Resonanz zu bringen mit der göttlichen Führung, die im Inneren wie im Äußeren zu finden ist. Durch solche spirituelle Wegweisung ergeht heute die göttliche Botschaft an die Menschen. Der Sufi-Orden stellt sich in ihren Dienst, indem wir eine spirituelle Begleitung anbieten, um die Fähigkeit zur globalen Zusammenarbeit zu kultivieren und die Sensitivität zu schärfen, die wir brauchen, um mit der geistigen Wirklichkeit in Kontakt zu kommen.
Publik-Forum: Welche Praktiken bieten Sie den Menschen an, um sie in diese Resonanz mit dem Göttlichen zu bringen?
Inayat Khan: Unsere Praktiken sind das Erbe der Sufi-Meister. Sie haben ein Repertoire innerer Übungen entwickelt, die in einem hohen Maße universell sind. Diese Universalität spiegelt die Geschichte des Sufismus. Denn vielleicht mehr als jede andere heilige Tradition hat der Sufismus Einflüsse unterschiedlicher spiritueller Richtungen integriert. In der islamischen Tradition leitet sich der Sufismus direkt vom Propheten Mohammed her, und er kennt Praktiken, die unmittelbar von ihm eingeführt wurden. Aber der Sufismus hat ebenso Elemente der jüdischen und christlichen Tradition aufgenommen. In Persien begegnete ihm die zorastrische Tradition, und in Indien trat er in einen regen wechselseitigen Austausch mit den Yogis.
(...)
Zusammenhang und Fortsetzung des Interviews sind nachzulesen:
http://www.publik-forum.de/f4-cms/tpl/pufo/op/artgrp/art/display.asp?cp=/pufo/op89740/aktuelleausgabe/art20085
Weitere Informationen - im Internet auf Suche zu gehen:
Zum Dichter:
http://de.wikipedia.org/wiki/Abdul_Rahman_Baba
Über den Sufismus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sufismus
Zur Orientalistin, der Übersetzerin Annemarie Schimmel:
http://www.bautz.de/bbkl/s/s1/schimmel_a.shtml
Zum Paschtu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Paschtunische_Sprache
*
Der ganze Artikel wird als "Literarisches Stichwort Gott - Im Spannungsfeld von Literatur und Theologie. Folge XL" unter dem Titel "Interpretation des Sufi-Gedichts 'Im Namen meines Gottes will ich singen'" - in der Zeitschrift "Religion heute".
--
elfenbein
Re: Religiöse Dichtung
--
immergruen
Ich würde dem Thema gern ein Gedicht von
Reshad Feild hinzufügen.
Für Daniel
Heute
kamst
du
in mein Leben
Warum?
Ich fragte dich.
Wie ist der Name deines Vaters?
Wie ist der Name deiner Mutter?
Wo kommst du her?
Wo gehst du hin?
Reshad sagt:
Singe auf den Giebeln der Dächer
für die Vögel, die nicht erkannt.
Singe der Luft,
die nicht weiß,
dass die geatmet werden muß.
Singe der Erde,
dass ihrer gedacht wird.
Singe dem Wind,
dass er sich erinnert, dass wir atmen.
Segle im Wasser der Gnade Gottes.
Finde das Feuer
ohne
Zerstörung.
Reshad ist als Autor zweier Bücher in Europa bekannt. "Ich ging den Weg des Derwisch" und "Das Siegel des Derwisch". Auch die Tradition seiner Lehren liegt in den Quellen des Sufismus begründet.
Re: Religiöse Dichtung
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Kurt Marti:
es war eine gute ehe
es war eine gute ehe
sie blieben sich treu
es war eine gute ehe
nicht das geringste geschah
es war eine gute ehe
die stark war wie stahl
es war eine gute ehe
die still war wie stein
es war eine gute ehe
nicht das geringste geschah
es war eine gute ehe
jetzt ist das gefängnis gesprengt
(K.M.: Leichenreden. Nagel & Kimche/Hanser Verlag. München/Wien 2001)
*
Vom Sufismus - zum Ehe-Realismus..., wie es der Pfarrer und Dichter Marti sah?
Martis Text ist auch ein religiöser; weil er aufzeigt, wie sehr die, die sich von Himmelshilfe und Ehe alles erträumen und schwören: "... bis dass der Tod uns scheidet!", auf der Erde allein gelassen werden mit ihren Göttlichkeitswünschen und -phantasien. - Wenn sie es denn aushalten, in einem Gefängnis sich eingefunden zu haben.
Dass hier nicht von Liebe geredet wird, nur von "Ehe" - macht ja die Misere klar, für den, der in und an ihr leidet; und für jeden, der lesen will.
--
elfenbein
es war eine gute ehe
es war eine gute ehe
sie blieben sich treu
es war eine gute ehe
nicht das geringste geschah
es war eine gute ehe
die stark war wie stahl
es war eine gute ehe
die still war wie stein
es war eine gute ehe
nicht das geringste geschah
es war eine gute ehe
jetzt ist das gefängnis gesprengt
(K.M.: Leichenreden. Nagel & Kimche/Hanser Verlag. München/Wien 2001)
*
Vom Sufismus - zum Ehe-Realismus..., wie es der Pfarrer und Dichter Marti sah?
Martis Text ist auch ein religiöser; weil er aufzeigt, wie sehr die, die sich von Himmelshilfe und Ehe alles erträumen und schwören: "... bis dass der Tod uns scheidet!", auf der Erde allein gelassen werden mit ihren Göttlichkeitswünschen und -phantasien. - Wenn sie es denn aushalten, in einem Gefängnis sich eingefunden zu haben.
Dass hier nicht von Liebe geredet wird, nur von "Ehe" - macht ja die Misere klar, für den, der in und an ihr leidet; und für jeden, der lesen will.
--
elfenbein
Hier ein alter Text, der wieder einmal gelesen werden darf !
Das Gebet ist speziell gefärbt für Dichter und Schriftsteller, ein sprachliches Glanzstück.
aus : Friedrich Rückert - Die Makamen des Hariri - Das Vorwort :
So spricht der Scheich, der Preiswürdige, Einzige,
Abu Mohammed Elkasem, Ben Ali, Ben Mohammed, Ben Othman,
Hariri von Basra : ( Gott kühle seine Ruhestätte ! )
*
Gott.
Dir danken wir, wie für jede Habe,
also auch für die Redegabe;
wie für des Hauses Ausgang und Eingang,
so für des Geistes Ausklang und Einklang,
und wie für des Kleides An- und Ablegung,
so für des Sinnes Ein- und Auslegung.
Wir danken Dir, wie für Tränkung und Speisung,
so für Lenkung und Unterweisung,
zu Zweck-Bedenkung und Kunst-Befleißung.
Wir flüchten zu Dir vor des Sprechens Überfluß,
wie vor des Hörens Überdruß;
vor der Worte schädlichem Wucher
und dem Witz, dem Versucher,
wie vor dem Mangel an Sammlung
und der Zunge schmählicher Stammlung
in erleuchteter Versammlung.
Behüt' uns vor unbeholfener Unmündigkeit
und unbesonnener Unbündigkeit,
Zeit und Orts Unkündigkeit;
laß uns vermeiden die Schlappheit und die Steifigkeit,
die Knappheit und die Weitschweifigkeit,
die Leere und die Seichte,
das Überschwere und das Allzuleichte.
Lenke, wie unsern Schritt,
auch unseres Schreibekieles Tritt,
daß er nicht walle die Irrbahn
und nicht falle in Wirrwahn;
laß uns übers Ziel nicht ausschreiten
und im Spiel nicht ausgleiten,
unsere Knoten nicht verschürzen,
unsere Schüsseln nicht verwürzen
und durch Länge unsern Zweck nicht verkürzen,
Lob zu erlangen und Stunden zu kürzen.
Bewahr uns vor denen, die loben,
eh sie unsern Wert erproben,
wie vor denen, die schelten,
eh sie wissen, was wir gelten.
Schütz uns vor der Gönner Überschätzung,
wie vor der Mißgönner Heruntersetzung;
vor der stolpernden Stelze der Stolzen,
wie vor der Witzbolde stumpfen Bolzen.
Und laß uns, ohn' Anstoß und Anstand,
hinwandeln mit Anmut und Anstand
die Bahn, die zu wandeln uns anstand,
mit ruhiger Gelassenheit, ohne Ausgelassenheit,
mit gewandter Fertigkeit, ohne Eilfertigkeit.
Gieb uns Einsicht und Umsicht,
daß wir erreichen die Absicht,
und laß uns auftreten mit Vorsicht,
daß uns zu teil werde Nachsicht.
Gieb, daß wir nicht durch Reden vergiften,
noch Unheil stiften durch Schriften,
durch Worte deinem Wort nicht schaden,
noch Verantwortung uns aufladen.
Doch laß uns trotzen den Vorurteilen
und dem Verurteilen vor dem Urteilen.
Laß uns treiben mit Verstand
Prosaspiel und Vers-Tand,
und handhaben sauber
den erlaubten Redezauber.
Unsrer Dichtung Schmuck sei die Wahrheit
unser Ausdruck die Klarheit,
und die Begeisterung die Treibefeder
unsrer Schreibefeder !
... weiterlesen bitte über DIESEN Link :
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=2278&kapitel=3&cHash=28ebf34c6bmaka002
Friedrich Rückert, 16. Mai 1788 - 31.Januar 1866
war ein wortgewandter Übersetzer aus aller Herren Sprachen.
Seine Werke bleiben uns zauberhaft, weil die deutsche Sprache so vielfarbig sein kann.
Die Makamen sind ausserordentliche Wort-Schöpfungen - "Gott-Schalk" könnte zutreffen.
Sie sind keine religiöse Dichtung sondern die Dichtungen eines Religiösen.
Meine Lieblingsmakamen sind :
Der Schulmeister von Hims, das Testament, die Grabrede, die Bettlerhochzeit !
Link unten : Inhaltsverzeichnis zu Makamen des Hariri
Viel Spass beim lesen !
Es grüsst euch
--
hydelber
Das Gebet ist speziell gefärbt für Dichter und Schriftsteller, ein sprachliches Glanzstück.
aus : Friedrich Rückert - Die Makamen des Hariri - Das Vorwort :
So spricht der Scheich, der Preiswürdige, Einzige,
Abu Mohammed Elkasem, Ben Ali, Ben Mohammed, Ben Othman,
Hariri von Basra : ( Gott kühle seine Ruhestätte ! )
*
Gott.
Dir danken wir, wie für jede Habe,
also auch für die Redegabe;
wie für des Hauses Ausgang und Eingang,
so für des Geistes Ausklang und Einklang,
und wie für des Kleides An- und Ablegung,
so für des Sinnes Ein- und Auslegung.
Wir danken Dir, wie für Tränkung und Speisung,
so für Lenkung und Unterweisung,
zu Zweck-Bedenkung und Kunst-Befleißung.
Wir flüchten zu Dir vor des Sprechens Überfluß,
wie vor des Hörens Überdruß;
vor der Worte schädlichem Wucher
und dem Witz, dem Versucher,
wie vor dem Mangel an Sammlung
und der Zunge schmählicher Stammlung
in erleuchteter Versammlung.
Behüt' uns vor unbeholfener Unmündigkeit
und unbesonnener Unbündigkeit,
Zeit und Orts Unkündigkeit;
laß uns vermeiden die Schlappheit und die Steifigkeit,
die Knappheit und die Weitschweifigkeit,
die Leere und die Seichte,
das Überschwere und das Allzuleichte.
Lenke, wie unsern Schritt,
auch unseres Schreibekieles Tritt,
daß er nicht walle die Irrbahn
und nicht falle in Wirrwahn;
laß uns übers Ziel nicht ausschreiten
und im Spiel nicht ausgleiten,
unsere Knoten nicht verschürzen,
unsere Schüsseln nicht verwürzen
und durch Länge unsern Zweck nicht verkürzen,
Lob zu erlangen und Stunden zu kürzen.
Bewahr uns vor denen, die loben,
eh sie unsern Wert erproben,
wie vor denen, die schelten,
eh sie wissen, was wir gelten.
Schütz uns vor der Gönner Überschätzung,
wie vor der Mißgönner Heruntersetzung;
vor der stolpernden Stelze der Stolzen,
wie vor der Witzbolde stumpfen Bolzen.
Und laß uns, ohn' Anstoß und Anstand,
hinwandeln mit Anmut und Anstand
die Bahn, die zu wandeln uns anstand,
mit ruhiger Gelassenheit, ohne Ausgelassenheit,
mit gewandter Fertigkeit, ohne Eilfertigkeit.
Gieb uns Einsicht und Umsicht,
daß wir erreichen die Absicht,
und laß uns auftreten mit Vorsicht,
daß uns zu teil werde Nachsicht.
Gieb, daß wir nicht durch Reden vergiften,
noch Unheil stiften durch Schriften,
durch Worte deinem Wort nicht schaden,
noch Verantwortung uns aufladen.
Doch laß uns trotzen den Vorurteilen
und dem Verurteilen vor dem Urteilen.
Laß uns treiben mit Verstand
Prosaspiel und Vers-Tand,
und handhaben sauber
den erlaubten Redezauber.
Unsrer Dichtung Schmuck sei die Wahrheit
unser Ausdruck die Klarheit,
und die Begeisterung die Treibefeder
unsrer Schreibefeder !
... weiterlesen bitte über DIESEN Link :
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=2278&kapitel=3&cHash=28ebf34c6bmaka002
Friedrich Rückert, 16. Mai 1788 - 31.Januar 1866
war ein wortgewandter Übersetzer aus aller Herren Sprachen.
Seine Werke bleiben uns zauberhaft, weil die deutsche Sprache so vielfarbig sein kann.
Die Makamen sind ausserordentliche Wort-Schöpfungen - "Gott-Schalk" könnte zutreffen.
Sie sind keine religiöse Dichtung sondern die Dichtungen eines Religiösen.
Meine Lieblingsmakamen sind :
Der Schulmeister von Hims, das Testament, die Grabrede, die Bettlerhochzeit !
Link unten : Inhaltsverzeichnis zu Makamen des Hariri
Viel Spass beim lesen !
Es grüsst euch
--
hydelber
Interessantes Thema.
Da lasse ich auch noch etwas da:
Ein Leben nach dem Tode
Glauben Sie fragte man mich
An ein Leben nach dem Tode
Und ich antwortete: ja
Aber dann wußte ich
Keine Auskunft zu geben
Wie das aussehen sollte
Wie ich selber
Aussehen sollte
Dort
Ich wußte nur eines
Keine Hierarchie
Von Heiligen auf goldenen Stühlen sitzend
Kein Niedersturz
Verdammter Seelen
Nur
Nur Liebe frei gewordene
Niemals aufgezehrte
Mich überflutend
Kein Schutzmantel starr aus Gold
Mit Edelsteinen besetzt
Ein spinnwebenleichtes Gewand
Ein Hauch
Mir um die Schultern
Liebkosung schöne Bewegung
Wie einst von thyrrhenischen Welten
Wie von Worten die hin und her
Wortfetzen
Komm du komm
Schmerzweb mit Tränen besetzt
Berg- und Tal-Fahrt
Und deine Hand
Wieder in meiner
So lagen wir lasest du vor
Schlief ich ein
Wachte auf
Schlief ein
Wache auf
Deine Stimme empfängt mich
Entläßt mich und immer
So fort
Mehr also fragen die Frager
Erwarten Sie nicht nach dem Tode?
Und ich antworte
Weniger nicht.
Marie Luise Kaschnitz
--
enigma
Da lasse ich auch noch etwas da:
Ein Leben nach dem Tode
Glauben Sie fragte man mich
An ein Leben nach dem Tode
Und ich antwortete: ja
Aber dann wußte ich
Keine Auskunft zu geben
Wie das aussehen sollte
Wie ich selber
Aussehen sollte
Dort
Ich wußte nur eines
Keine Hierarchie
Von Heiligen auf goldenen Stühlen sitzend
Kein Niedersturz
Verdammter Seelen
Nur
Nur Liebe frei gewordene
Niemals aufgezehrte
Mich überflutend
Kein Schutzmantel starr aus Gold
Mit Edelsteinen besetzt
Ein spinnwebenleichtes Gewand
Ein Hauch
Mir um die Schultern
Liebkosung schöne Bewegung
Wie einst von thyrrhenischen Welten
Wie von Worten die hin und her
Wortfetzen
Komm du komm
Schmerzweb mit Tränen besetzt
Berg- und Tal-Fahrt
Und deine Hand
Wieder in meiner
So lagen wir lasest du vor
Schlief ich ein
Wachte auf
Schlief ein
Wache auf
Deine Stimme empfängt mich
Entläßt mich und immer
So fort
Mehr also fragen die Frager
Erwarten Sie nicht nach dem Tode?
Und ich antworte
Weniger nicht.
Marie Luise Kaschnitz
--
enigma
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immergruen
Ich bin bei einem moderneren Autoren fündig geworden. Er heißt Drutmar Cremer und ist ein Laacher Benediktiner.
Du mußt singen
Nicht weinen
darfst du -
Du mußt singen
nach Wüstensand
und Dorngeweb
am Bettelstab
mit ausgestreckter leerer Hand
wenn auch dein Herz
betaut mit Tränen
sich fragend unter Schatten dreht
wenn auch dein Atem notbedrängt
fast hauchlos
auf das Morgen hofft
Nicht weine
darfst du -
Du mußt singen
In Brunnentiefe
lebt Erinnerung -
Die Nacht zerfällt
in leisem Morgenrot
auf schwerem Stein
nach Angst und Traum
Und hüftenlahm
siehst du
die Leiter
im Erdenfeuer himmelan
Nich weinen darfst du
Du mußt singen -
Du wirst
gesegnet
seinen Namen schaun
Hallo immergruen,
ich bin auch wieder fündig geworden:
Heute ein Gedicht von Ulrich Schaffer, das m.E. zum Thema passt.
Schaffer, Literaturwissenschaftler, Lehrer, Schriftsteller und Fotograf, lebt seit Jahren mit seiner Familie in British Columbia.
Mehr über Ulrich Schaffer - she. Linktipp!
Er hat mir schon vor Jahren per E-Mail die Erlaubnis erteilt, einzelne Gedichte von ihm in einem Forum einzustellen.
Ulrich Schaffer
sonntagmorgens
den dunkleren anzug
und die dezentere krawatte
keine hosenträger
bibel und gesangbuch
in schwarz gebunden
als erkennungszeichen für jeden:
hier geht ein christ
schuhe zum spiegeln poliert
die stellung der hautfalten
ergibt ein lächeln
heute ist sonntag
in der rechten tasche den ärger über den bruder
in der linken das nachtragen und vorwerfen
auf der zunge das spitze wort parat
und in den augen die kälte
die den anderen leicht abwimmelt
wie kannst du da unseren eingang und ausgang
segnen
herr jesus?
--
enigma
ich bin auch wieder fündig geworden:
Heute ein Gedicht von Ulrich Schaffer, das m.E. zum Thema passt.
Schaffer, Literaturwissenschaftler, Lehrer, Schriftsteller und Fotograf, lebt seit Jahren mit seiner Familie in British Columbia.
Mehr über Ulrich Schaffer - she. Linktipp!
Er hat mir schon vor Jahren per E-Mail die Erlaubnis erteilt, einzelne Gedichte von ihm in einem Forum einzustellen.
Ulrich Schaffer
sonntagmorgens
den dunkleren anzug
und die dezentere krawatte
keine hosenträger
bibel und gesangbuch
in schwarz gebunden
als erkennungszeichen für jeden:
hier geht ein christ
schuhe zum spiegeln poliert
die stellung der hautfalten
ergibt ein lächeln
heute ist sonntag
in der rechten tasche den ärger über den bruder
in der linken das nachtragen und vorwerfen
auf der zunge das spitze wort parat
und in den augen die kälte
die den anderen leicht abwimmelt
wie kannst du da unseren eingang und ausgang
segnen
herr jesus?
--
enigma
--
immergruen
Ob alle Autoren ihren Werken ein religiöses Empfinden zugrunde legen,weiß ich nicht. Manchmal ist es auch eine Art von Ausweglosigkeit, Hilflosigkeit und Leere,die Verse wie die folgenden entstehen lassen könnten:
Erbarme dich
Herr,
meiner Leere
Schenk mir
das Wort
das eine Welt
erschafft
Wenn du
nicht da bist
ist alles blind
ich sehe
diese Blindheit
mit nackten Augen
Rose Ausländer