Literatur Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute an: ...
Erinnerung an Levin Schücking (6.9.1814 - 31.8.1883):
Als Sproß eines westfälischen Patriziergeschlechts wuchs er im fürstbischöflichen Jagdschloss Clemenswerth (Emsland) auf.
Bekannt wurde er nach dem Jurastudium als junger Freund von Annette von Droste-Hülshoff; die Trennung von ihr wurde zum Skandal. 1843-45 Redakteur der Augsburger »Allgemeinen Zeitung«, 1845-52 Feuilletonchef der »Kölnischen Zeitung«.
Als biedermeierlicher Reisejournalist berichtete er 1846 aus Paris, 1847/48 aus Rom und Neapel. Seit 1852 lebte er als freier Schriftsteller auf seinem Gut in Sassenberg, ab 1857 zeitweise im nahen Münster, nach 1874 in den Wintermonaten in Rom.
Nach dem Tod und dem allmählich wachsenden Ruhm der Droste befassste sich Levin Schücking mit der Dichterin.
1893 wurde eine Sammlung von Briefen beider veröffentlicht.
Aus der Einleitung:
„Der Öffentlichkeit werden hiermit die von Annette von Droste-Hülshoff an Levin Schücking geschriebenen Briefe übergeben, die sich in seinem Nachlasse vorfanden. Leider haben sich von seinen eigenen an die Dichterin gerichteten nur einzelne und auch diese nicht immer vollständig erhalten. So sind es vor allem die mit der mikroskopisch kleinen Schrift Annettens bedeckten Blätter, denen wir den Einblick in ein Freundschaftsverhältnis verdanken, das nicht nur für das Schaffen der Dichterin die höchste Bedeutung gewann, sondern das auch eine Kraft der Empfindung, einen Reichtum des Gemüts in sich barg, wie sie der moderne Mensch in seiner Unrast und Zersplitterung nur schwer nachzufühlen vermag.
Annette von Droste war um viele Jahre älter als ihr junger Freund. In einem nach ihrem Tode in Memoriam geschriebenen Büchlein
- [Ergänzung: L. Schücking, Annette von Droste. Ein Lebensbild. Hannover 1862; ²1871] -
sowie in seinen »Lebenserinnerungen« berichtet Levin Schücking von seinem ersten Besuche, den er im Jahre 1830 als Münsterscher Gymnasiast der Freundin seiner Mutter machte. Erst acht Jahre später, als er seine juristischen Studien beendet hatte und in die Heimat zurückgekehrt war, trat er Annetten näher. Ein reger persönlicher Verkehr entspann sich. Allwöchentlich am Dienstage wanderte er um die Nachmittagszeit hinaus nach dem ungefähr eine Stunde westlich von Münster gelegnen kleinen Edelhofe Rüschhaus, wo die Dichterin lebte. Der Weg führte zuerst über Ackerkämpe und Heidestrecken, dann durch ein Gehölz. Dort stand eine alte Bank, bis zu der ihm Annette gewöhnlich entgegenging.
Einmal in jeder Woche, am Samstage, brachte auch die alte Botenfrau dem jungen Freunde einen Brief, ein Paket mit durchgelesenen Büchern und nahm eine neue Sendung mit hinaus. Auch Arbeiten der beiden wurden zwischen Münster und Rüschhaus hin- und hergesandt; aus gemeinsamen Neigungen und Interessen erwuchs gemeinsames Schaffen. Für das damals von Levin Schücking herausgegebene »Malerische und romantische Westfalen« dichtete Annette von Droste die meisten ihrer herrlichen Balladen. Für dasselbe Werk beschrieb sie auch einzelne ihr besonders bekannte und vertraute Landschafts- und Ortsszenerien, und der kleinen Schrift, in der Levin Schücking für die Vollendung des Kölner Doms eintrat, fügte sie den Meister Gerhard von Köln ein.
Unterdessen hatte das Verhältnis zwischen ihnen eine Vertiefung erfahren, die ihm von da an seinen charakteristischen Zug verlieh. Annette erfuhr von einer Liebesneigung ihres Freundes zu einer anmutigen jungen Frau. Nach ihrer ganzen Lebensanschauung, ihrer hohen Auffassung der Ehe mußte sie diese Neigung als eine schwere sittliche Gefahr für ihn betrachten. Ihrem Einflusse gelang es denn auch, die beiden jungen Menschen allmählich in die Bahn einer gehaltenen, reinen Freundschaftsempfindung hinüberzuführen. Dabei hatte sie zum erstenmale den mütterlichen Ton angeschlagen, der fortan in ihrem Verkehr weiterklang, und ein Spiel der Natur trug dazu bei, die mütterliche Beraterin ihrem jungen Genossen besonders teuer zu machen: sie glich im Äußern sehr seiner verstorbenen Mutter.
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longtime
Als Sproß eines westfälischen Patriziergeschlechts wuchs er im fürstbischöflichen Jagdschloss Clemenswerth (Emsland) auf.
Bekannt wurde er nach dem Jurastudium als junger Freund von Annette von Droste-Hülshoff; die Trennung von ihr wurde zum Skandal. 1843-45 Redakteur der Augsburger »Allgemeinen Zeitung«, 1845-52 Feuilletonchef der »Kölnischen Zeitung«.
Als biedermeierlicher Reisejournalist berichtete er 1846 aus Paris, 1847/48 aus Rom und Neapel. Seit 1852 lebte er als freier Schriftsteller auf seinem Gut in Sassenberg, ab 1857 zeitweise im nahen Münster, nach 1874 in den Wintermonaten in Rom.
Nach dem Tod und dem allmählich wachsenden Ruhm der Droste befassste sich Levin Schücking mit der Dichterin.
1893 wurde eine Sammlung von Briefen beider veröffentlicht.
Aus der Einleitung:
„Der Öffentlichkeit werden hiermit die von Annette von Droste-Hülshoff an Levin Schücking geschriebenen Briefe übergeben, die sich in seinem Nachlasse vorfanden. Leider haben sich von seinen eigenen an die Dichterin gerichteten nur einzelne und auch diese nicht immer vollständig erhalten. So sind es vor allem die mit der mikroskopisch kleinen Schrift Annettens bedeckten Blätter, denen wir den Einblick in ein Freundschaftsverhältnis verdanken, das nicht nur für das Schaffen der Dichterin die höchste Bedeutung gewann, sondern das auch eine Kraft der Empfindung, einen Reichtum des Gemüts in sich barg, wie sie der moderne Mensch in seiner Unrast und Zersplitterung nur schwer nachzufühlen vermag.
Annette von Droste war um viele Jahre älter als ihr junger Freund. In einem nach ihrem Tode in Memoriam geschriebenen Büchlein
- [Ergänzung: L. Schücking, Annette von Droste. Ein Lebensbild. Hannover 1862; ²1871] -
sowie in seinen »Lebenserinnerungen« berichtet Levin Schücking von seinem ersten Besuche, den er im Jahre 1830 als Münsterscher Gymnasiast der Freundin seiner Mutter machte. Erst acht Jahre später, als er seine juristischen Studien beendet hatte und in die Heimat zurückgekehrt war, trat er Annetten näher. Ein reger persönlicher Verkehr entspann sich. Allwöchentlich am Dienstage wanderte er um die Nachmittagszeit hinaus nach dem ungefähr eine Stunde westlich von Münster gelegnen kleinen Edelhofe Rüschhaus, wo die Dichterin lebte. Der Weg führte zuerst über Ackerkämpe und Heidestrecken, dann durch ein Gehölz. Dort stand eine alte Bank, bis zu der ihm Annette gewöhnlich entgegenging.
Einmal in jeder Woche, am Samstage, brachte auch die alte Botenfrau dem jungen Freunde einen Brief, ein Paket mit durchgelesenen Büchern und nahm eine neue Sendung mit hinaus. Auch Arbeiten der beiden wurden zwischen Münster und Rüschhaus hin- und hergesandt; aus gemeinsamen Neigungen und Interessen erwuchs gemeinsames Schaffen. Für das damals von Levin Schücking herausgegebene »Malerische und romantische Westfalen« dichtete Annette von Droste die meisten ihrer herrlichen Balladen. Für dasselbe Werk beschrieb sie auch einzelne ihr besonders bekannte und vertraute Landschafts- und Ortsszenerien, und der kleinen Schrift, in der Levin Schücking für die Vollendung des Kölner Doms eintrat, fügte sie den Meister Gerhard von Köln ein.
Unterdessen hatte das Verhältnis zwischen ihnen eine Vertiefung erfahren, die ihm von da an seinen charakteristischen Zug verlieh. Annette erfuhr von einer Liebesneigung ihres Freundes zu einer anmutigen jungen Frau. Nach ihrer ganzen Lebensanschauung, ihrer hohen Auffassung der Ehe mußte sie diese Neigung als eine schwere sittliche Gefahr für ihn betrachten. Ihrem Einflusse gelang es denn auch, die beiden jungen Menschen allmählich in die Bahn einer gehaltenen, reinen Freundschaftsempfindung hinüberzuführen. Dabei hatte sie zum erstenmale den mütterlichen Ton angeschlagen, der fortan in ihrem Verkehr weiterklang, und ein Spiel der Natur trug dazu bei, die mütterliche Beraterin ihrem jungen Genossen besonders teuer zu machen: sie glich im Äußern sehr seiner verstorbenen Mutter.
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longtime
An manchen Tagen gibt es kaum eine Gelegenheit für einen sinnvollen und wichtigen literarischen Gedenktag (zumal ich eher die deutschen AutorInnen bevorzuge).
Am 6.9. nenne ich hier noch Felix Salten (eigentlich Siegmund Salzmann) (6.9.1869 - 8.10.1945).
Salten ist für ein Buch weltberühmt geworden, aber nicht reich geworden: „Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ (1923) - und für eins berüchtigt für alle Zeiten: für die Josefine Mutzenbacher: „Josefine Mutzenbacher, die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt (1906).
Josefine Mutzenbacher ist der Name einer vermutlich fiktiven Wiener Prostituierten, die ihr eigenes, überwiegend erotisches Leben erzählt. Diese Memoiren sind in kleiner Auflage in Wien bei dem ungenannten Erotika-Verleger Fritz Freund auf Subskriptionsbasis erschienen, um die damalige Zensur zu umgehen.
Öffentlich wurden er und Arthur Schnitzler - von der Kritik hochgelobt oder moralisch verdammt - als Autoren „gehandelt“.
Schnitzler hat dem widersprochen. – Salten sich dazu nie geäußert.
Das Buch enthält starke, drastische Passagen über Missbrauch des pubertierenden Mädchens durch Vater, Hausgenossen und Geistlichkeit.
Rechtlich gesehen steht das Buch auf der Liste der jugendgefährdenden Schriften, es wird als „Kinderpornografie“ eingestuft, das letzte Oberverwaltungsgericht, das sich mit dem Fall beschäftigte, stellte fest, dass die vorgenommene, negative Verbots-Abwägung in Abgrenzung zur Kunstfreiheit nicht zu beanstanden sei. Eine Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wurde vom Bundesverwaltungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Taschenbuch gibt es als rororo:
Die "jugendgefährdende" Mutzenbacher:
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longtime
Am 6.9. nenne ich hier noch Felix Salten (eigentlich Siegmund Salzmann) (6.9.1869 - 8.10.1945).
Salten ist für ein Buch weltberühmt geworden, aber nicht reich geworden: „Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ (1923) - und für eins berüchtigt für alle Zeiten: für die Josefine Mutzenbacher: „Josefine Mutzenbacher, die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt (1906).
Josefine Mutzenbacher ist der Name einer vermutlich fiktiven Wiener Prostituierten, die ihr eigenes, überwiegend erotisches Leben erzählt. Diese Memoiren sind in kleiner Auflage in Wien bei dem ungenannten Erotika-Verleger Fritz Freund auf Subskriptionsbasis erschienen, um die damalige Zensur zu umgehen.
Öffentlich wurden er und Arthur Schnitzler - von der Kritik hochgelobt oder moralisch verdammt - als Autoren „gehandelt“.
Schnitzler hat dem widersprochen. – Salten sich dazu nie geäußert.
Das Buch enthält starke, drastische Passagen über Missbrauch des pubertierenden Mädchens durch Vater, Hausgenossen und Geistlichkeit.
Rechtlich gesehen steht das Buch auf der Liste der jugendgefährdenden Schriften, es wird als „Kinderpornografie“ eingestuft, das letzte Oberverwaltungsgericht, das sich mit dem Fall beschäftigte, stellte fest, dass die vorgenommene, negative Verbots-Abwägung in Abgrenzung zur Kunstfreiheit nicht zu beanstanden sei. Eine Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wurde vom Bundesverwaltungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Taschenbuch gibt es als rororo:
Die "jugendgefährdende" Mutzenbacher:
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longtime
Literarischer Hinweis auf:
Helga M. Novak (8.09.1935 in Berlin-Köpenick) - eine deutsche Autorin, die durch Heirat isländische Staatsbürgerin wurde...
... die in den endlosen Kiefernwäldern, der Seen- und Heidelandschaft südlich der Kaschubei ihre Kindheit verbrachte, die für die geborene Berlinerin zur Seelenlandschaft wurde:
»wo ich jetzt bin, ist meine Kindheit gewesen auf dem
Sander – zwischen Urstromtal und Endmoräne hier hat die
Erde ein dickes Fell – aus Sand
ausgerüstet mit einem falschen Paß und meinem echten
Lachen habe ich mein Gesicht wiedergefunden
hier versickert jede Tränenflut hat die Eiszeit sich aus-
geweint.«
(Aus: Helga M. Novak: Silvatica. Gedichte. 1997)
*
„Die bescheidenste der großen deutschen Dichterinnen feierte [2005] ihren 70. Geburtstag. Wer sie nicht kennt, sollte die Gunst der Stunde nutzen. Einen hervorragenden Einstieg bietet der von Michael Lentz komponierte und kommentierte Auswahlband ihrer Lyrik. Schmucklos schreibt sie und doch zart. Und immer menschenfreundlich.«
(Meike Fessmann. In: Süddeutsche Zeitung; über den Sammelband “... wo ich jetzt bin. Gedichte. 2005)
*
Über ihr reiches, aber nicht erfolgreiches Werk:
Über die Novak (bei Wiki)
*
So wird Helga M. Novak von ihrem jetzigen Verlag präsentiert:
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longtime
Helga M. Novak (8.09.1935 in Berlin-Köpenick) - eine deutsche Autorin, die durch Heirat isländische Staatsbürgerin wurde...
... die in den endlosen Kiefernwäldern, der Seen- und Heidelandschaft südlich der Kaschubei ihre Kindheit verbrachte, die für die geborene Berlinerin zur Seelenlandschaft wurde:
»wo ich jetzt bin, ist meine Kindheit gewesen auf dem
Sander – zwischen Urstromtal und Endmoräne hier hat die
Erde ein dickes Fell – aus Sand
ausgerüstet mit einem falschen Paß und meinem echten
Lachen habe ich mein Gesicht wiedergefunden
hier versickert jede Tränenflut hat die Eiszeit sich aus-
geweint.«
(Aus: Helga M. Novak: Silvatica. Gedichte. 1997)
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„Die bescheidenste der großen deutschen Dichterinnen feierte [2005] ihren 70. Geburtstag. Wer sie nicht kennt, sollte die Gunst der Stunde nutzen. Einen hervorragenden Einstieg bietet der von Michael Lentz komponierte und kommentierte Auswahlband ihrer Lyrik. Schmucklos schreibt sie und doch zart. Und immer menschenfreundlich.«
(Meike Fessmann. In: Süddeutsche Zeitung; über den Sammelband “... wo ich jetzt bin. Gedichte. 2005)
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Über ihr reiches, aber nicht erfolgreiches Werk:
Über die Novak (bei Wiki)
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So wird Helga M. Novak von ihrem jetzigen Verlag präsentiert:
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longtime
Franz Werfels Geburtstag:
Am 10.09.1890 in Prag geboren, starb er erfolgs- und standesgemäß am 26.08.1945 in Beverly Hills (Kalifornien).
Er gehörte zu den vielen wichtigen deutsch-böhmischen Schriftsteller; und gilt als einer Großen des Expressionismus.
In den Jahren von 1920 bis 1930 waren seine erzählenden und theatralischen Bücher Bestseller. Wichtiger für ihn selbst und die Nachwelt ist seine Lyrik.
(Beispiele folgen spsäter)
Werfel und Alma Mahler:
Zuvor lebte Werfel zwei Jahrzehnte lang in Wien und schloss hier Freundschaft mit Alma Mahler, der Witwe Gustav Mahlers und der Ehefrau von Walter Gropius.
Unter Almas Einfluss zog er sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück, ging aber oft auf Reisen, so z. B. nach Breitenstein am Semmering, Santa Margherita Ligure und nach Venedig. Während einer Nahostreise Ende der zwanziger Jahre traf er in einem Waisenhaus in Syrien Überlebende des Völkermordes an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges.
Diese Begegnungen inspirierten ihn zu seinem wichtigsten Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“, in dem das Schicksal von etwa 5000 Armeniern geschildert wird, die sich vor den Jungtürken auf den Berg Musa Dagh geflüchtet haben.
1918 brachte Alma seinen Sohn Martin Carl Johannes zur Welt, der 1919 verstarb. Am 7. August 1929 heiratete Werfel Alma Mahler, die von Walter Gropius geschieden worden war. Sie war eine „Frau von gewaltigem Kunstverstand und Kunstinstinkt. Wenn sie von jemandes Talent überzeugt war, ließ sie für dessen Inhaber – mit einer oft an Brutalität grenzenden Energie – gar keinen anderen Weg mehr offen als den der Erfüllung.“
So beeinflusste sie auch Franz Werfel an. Am Höhepunkt seiner amerikanischen Bestsellererfolge sagte er zu seinem Freund Friedrich Torberg: „Wenn ich die Alma nicht getroffen hätte – ich hätte noch hundert Gedichte geschrieben und wäre selig verkommen...“
Laut Torberg hatte Werfel „oft und oft davon gesprochen, wie unvorstellbar ein Leben ohne Alma für ihn gewesen wäre.“
Einige Angaben nach wiki; s. TIPP:
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longtime
Am 10.09.1890 in Prag geboren, starb er erfolgs- und standesgemäß am 26.08.1945 in Beverly Hills (Kalifornien).
Er gehörte zu den vielen wichtigen deutsch-böhmischen Schriftsteller; und gilt als einer Großen des Expressionismus.
In den Jahren von 1920 bis 1930 waren seine erzählenden und theatralischen Bücher Bestseller. Wichtiger für ihn selbst und die Nachwelt ist seine Lyrik.
(Beispiele folgen spsäter)
Werfel und Alma Mahler:
Zuvor lebte Werfel zwei Jahrzehnte lang in Wien und schloss hier Freundschaft mit Alma Mahler, der Witwe Gustav Mahlers und der Ehefrau von Walter Gropius.
Unter Almas Einfluss zog er sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück, ging aber oft auf Reisen, so z. B. nach Breitenstein am Semmering, Santa Margherita Ligure und nach Venedig. Während einer Nahostreise Ende der zwanziger Jahre traf er in einem Waisenhaus in Syrien Überlebende des Völkermordes an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges.
Diese Begegnungen inspirierten ihn zu seinem wichtigsten Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“, in dem das Schicksal von etwa 5000 Armeniern geschildert wird, die sich vor den Jungtürken auf den Berg Musa Dagh geflüchtet haben.
1918 brachte Alma seinen Sohn Martin Carl Johannes zur Welt, der 1919 verstarb. Am 7. August 1929 heiratete Werfel Alma Mahler, die von Walter Gropius geschieden worden war. Sie war eine „Frau von gewaltigem Kunstverstand und Kunstinstinkt. Wenn sie von jemandes Talent überzeugt war, ließ sie für dessen Inhaber – mit einer oft an Brutalität grenzenden Energie – gar keinen anderen Weg mehr offen als den der Erfüllung.“
So beeinflusste sie auch Franz Werfel an. Am Höhepunkt seiner amerikanischen Bestsellererfolge sagte er zu seinem Freund Friedrich Torberg: „Wenn ich die Alma nicht getroffen hätte – ich hätte noch hundert Gedichte geschrieben und wäre selig verkommen...“
Laut Torberg hatte Werfel „oft und oft davon gesprochen, wie unvorstellbar ein Leben ohne Alma für ihn gewesen wäre.“
Einige Angaben nach wiki; s. TIPP:
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longtime
Hallo Longtime,
es wäre schön, etwas von Dir über Franz Werfel zu lesen, der heute Geburtstag hat.
johanna
es wäre schön, etwas von Dir über Franz Werfel zu lesen, der heute Geburtstag hat.
johanna
Ein Gedicht Werfels:
Franz Werfel: Der rechte Weg
(Traum)
Ich bin in eine große Stadt gekommen.
Vom Riesenbahnhof trat den Weg ich an,
Besah Museen und Plätze, habe dann
Behaglich eine Rundfahrt unternommen.
Den Straßenstrom bin ich herabgeschwommen
Und badete im Tag, der reizend rann.
Da! Schon so spät!? Ich fahre aus dem Bann.
Herrgott, mein Zug! Die Stadt ist grell erglommen.
Verwandelt alles! Tausend Auto jagen,
Und keines hält. Zweideutige Auskunft nur
Im Ohr durchkeuch´ ich das Verkehrs-Gewirre.
Der Bahnhof?! Wo?! Gespenstisch stummt mein Fragen.
Die Straßen blitzen endlos, Schnur um Schnur,
Und alle führen, alle, in die Irre.
(Veröffentlicht: 1911)
*
Das Lebens-, ja Überlebensthema „Stadt/Land“ war ja epochenmäßig durch die kulturelle und siedlungspolitische Entwicklung vorgegeben.
Dich, was wie ein Schreibfehler klingt, war früher normaler Ausdruck „Tausend Auto“ – denn „Auto“ wurde als Abkürzung für „Automobile“ verstanden.
So wurde das Sonett ohne Lebensdaten und ohne Entstehungszeit vorgestellt, sozusagen für „alle zukünftige Zeit“.
Aber diese individuelle, nicht kollektive oder schlicht-psycho-logische Textgattung „Traum“ wurde ohne Angaben der Lebenszusammenhänge geleistet.
*
Für mich – dann wäre es eine eigene Lebensarbeit - ist der Text nur annähernd, jedenfalls biografisch und zivilisationskritisch zu erfassen, wenn man z. B. diese Reflexionen von Werfel hinzugefügt hätte, aus „Realismus und Innerlichkeit“ (1931); in der der Dichter eine idealutopische Poetologie entwarf.
Dort forderte Werfel: »Die Aufgabe der Kunst ist es, der Welt Gottes ein Gleichnis des Menschen entgegenzustellen«.
Mehr noch: musische und religiöse Dispositionen weist Werfel dem Menschen auch gegen ihre häufige oder politisch-militärische Verleugnung als eine ontologische Grundstruktur zu; nur sie vermögen »schöpferische Innerlichkeit« als Widerspruch gegen die Todesbedrohungen hervorbringen (in: »Realismus und Innerlichkeit« [1931]).
In diesem Gedicht findet sich aber keine „gottlose“ Stadt-Welt; lediglich ihre sachlich-vielgestaltige Form der absoluten Offenheit und der verwirrend vielen Wege führt hier zu dem subjektiven Erlebnis und der Erkenntnis, dass „alle“, (wiederholt:) „alle“ Straßen, Wege und Fahrten „in die Irre“ führen.
Innen- und Umwelt sind hier eher kafkaesk intendiert; sehr untypisch - als es sonst das Gläubig-Christliche bei F.W. in seinen Gedichten ausmacht.
Darin liegt das Alptraumhaft-Groteske – das eine private oder eine kollektiv-politische Reaktion des Dichter sein (auf den Faschismus z. B. in Europa, dem er entfliehen musste).
Das Gedicht hat keine eindeutige Intention – und als Rätselaufgabe ist solch ein schwieriger Text in Leistungsüberprüfung (wie es in einer vorgegebenen Abituraufgabe verlangt wurde) ziemlich unsinnig.
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longtime
Franz Werfel: Der rechte Weg
(Traum)
Ich bin in eine große Stadt gekommen.
Vom Riesenbahnhof trat den Weg ich an,
Besah Museen und Plätze, habe dann
Behaglich eine Rundfahrt unternommen.
Den Straßenstrom bin ich herabgeschwommen
Und badete im Tag, der reizend rann.
Da! Schon so spät!? Ich fahre aus dem Bann.
Herrgott, mein Zug! Die Stadt ist grell erglommen.
Verwandelt alles! Tausend Auto jagen,
Und keines hält. Zweideutige Auskunft nur
Im Ohr durchkeuch´ ich das Verkehrs-Gewirre.
Der Bahnhof?! Wo?! Gespenstisch stummt mein Fragen.
Die Straßen blitzen endlos, Schnur um Schnur,
Und alle führen, alle, in die Irre.
(Veröffentlicht: 1911)
*
Das Lebens-, ja Überlebensthema „Stadt/Land“ war ja epochenmäßig durch die kulturelle und siedlungspolitische Entwicklung vorgegeben.
Dich, was wie ein Schreibfehler klingt, war früher normaler Ausdruck „Tausend Auto“ – denn „Auto“ wurde als Abkürzung für „Automobile“ verstanden.
So wurde das Sonett ohne Lebensdaten und ohne Entstehungszeit vorgestellt, sozusagen für „alle zukünftige Zeit“.
Aber diese individuelle, nicht kollektive oder schlicht-psycho-logische Textgattung „Traum“ wurde ohne Angaben der Lebenszusammenhänge geleistet.
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Für mich – dann wäre es eine eigene Lebensarbeit - ist der Text nur annähernd, jedenfalls biografisch und zivilisationskritisch zu erfassen, wenn man z. B. diese Reflexionen von Werfel hinzugefügt hätte, aus „Realismus und Innerlichkeit“ (1931); in der der Dichter eine idealutopische Poetologie entwarf.
Dort forderte Werfel: »Die Aufgabe der Kunst ist es, der Welt Gottes ein Gleichnis des Menschen entgegenzustellen«.
Mehr noch: musische und religiöse Dispositionen weist Werfel dem Menschen auch gegen ihre häufige oder politisch-militärische Verleugnung als eine ontologische Grundstruktur zu; nur sie vermögen »schöpferische Innerlichkeit« als Widerspruch gegen die Todesbedrohungen hervorbringen (in: »Realismus und Innerlichkeit« [1931]).
In diesem Gedicht findet sich aber keine „gottlose“ Stadt-Welt; lediglich ihre sachlich-vielgestaltige Form der absoluten Offenheit und der verwirrend vielen Wege führt hier zu dem subjektiven Erlebnis und der Erkenntnis, dass „alle“, (wiederholt:) „alle“ Straßen, Wege und Fahrten „in die Irre“ führen.
Innen- und Umwelt sind hier eher kafkaesk intendiert; sehr untypisch - als es sonst das Gläubig-Christliche bei F.W. in seinen Gedichten ausmacht.
Darin liegt das Alptraumhaft-Groteske – das eine private oder eine kollektiv-politische Reaktion des Dichter sein (auf den Faschismus z. B. in Europa, dem er entfliehen musste).
Das Gedicht hat keine eindeutige Intention – und als Rätselaufgabe ist solch ein schwieriger Text in Leistungsüberprüfung (wie es in einer vorgegebenen Abituraufgabe verlangt wurde) ziemlich unsinnig.
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longtime
Ja, danke für die Anregung, Johanna - ich habe deine Bitte erst jetzt gelesen, als ich schon eine kleine Werfel-Huldigung einstellte.
Noch ein für mich als Vater und Großvater wichtiges Gedicht:
Franz Werfel:
Elternlied:
Kinder laufen fort.
Langher kann's noch garnicht sein,
Kamen sie zur Tür herein,
Saßen zwistiglich vereint
Alle um den Tisch.
Kinder laufen fort.
Und es ist schon lange her.
Schlechtes Zeugnis kommt nicht mehr.
Stunden Ärgers, Stunden schwer:
Scharlach, Diphterie!
Kinder laufen fort.
Söhne hangen Weibern an.
Töchter haben ihren Mann.
Briefe kommen, dann und wann,
Nur auf einen Sprung.
Kinder laufen fort.
Etwas nehmen sie doch mit.
Wir sind ärmer, sie sind quitt,
Und die Uhr geht Schritt für Schritt
Um den leeren Tisch.
*
(Aus: Das lyrische Werk. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1967)
*
Wer mag: Eine Interpretation findet sich im „Lyrischen Kalender“:
--
longtime
Noch ein für mich als Vater und Großvater wichtiges Gedicht:
Franz Werfel:
Elternlied:
Kinder laufen fort.
Langher kann's noch garnicht sein,
Kamen sie zur Tür herein,
Saßen zwistiglich vereint
Alle um den Tisch.
Kinder laufen fort.
Und es ist schon lange her.
Schlechtes Zeugnis kommt nicht mehr.
Stunden Ärgers, Stunden schwer:
Scharlach, Diphterie!
Kinder laufen fort.
Söhne hangen Weibern an.
Töchter haben ihren Mann.
Briefe kommen, dann und wann,
Nur auf einen Sprung.
Kinder laufen fort.
Etwas nehmen sie doch mit.
Wir sind ärmer, sie sind quitt,
Und die Uhr geht Schritt für Schritt
Um den leeren Tisch.
*
(Aus: Das lyrische Werk. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1967)
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Wer mag: Eine Interpretation findet sich im „Lyrischen Kalender“:
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longtime
und mit diesem Gedicht hat Werfel alles auf den Punkt gebracht. Danke Longtime!
--
johanna
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johanna
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 11.9 an Ulrich Bärker (einem Mann aus dem Volk)
geschrieben von longtime
Ulrich Bräker (auch: Brägger), schweizerischer, deutschsprachiger Autor (22.12.1735 - 11.9.1798), genannt „Der arme Mann aus dem Toggenburg“.
Als Bauer, als Garnhändler, als sich selber aufklärender Leser und Zeitgenosse; als gepresster Soldat, der auch Spießrutenlaufen musste, als Schlachtteilnehmer, als Deserteur – von seinen „Ebenteuern“ berichtet er selber in Aufzeichnungen.
Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass mit ihm ein Mensch aus der abhängigen, ausgebeuteten sozialen Kasse, wir würden heute sagen: Prekariat, zu Wort kommt, dessen eigene, selbsterlebte Aufzeichnungen einmalig in der Literatur und Geschichte sind.
*
Leben und Werk bei wiki: s. Lesetipp:
*
Aus Bräkers Soldatenzeit:
Kapital LVI.
Das heißt - wo nicht mit Ehren gefochten - doch glücklich entronnen
Ich schlich also zuerst mit langsamem Marsch ein wenig auf diese linke Seite, die Reben durch. Noch eilten etliche Preussen bey mir vorbey: «Komm', komm', Bruder»! sagten sie: «Viktoria»! Ich rispostirte kein Wort, that nur ein wenig blessirt, und gieng immer noch allgemach fort, freylich mit Furcht und Zittern. Sobald ich mich indessen so weit entfernt hatte, daß mich niemand mehr sehen mochte, verdoppelte - verdrey- vier- fünf- sechsfachte ich meine Schritte, blickte rechts und links wie ein Jäger, sah noch von Weitem - zum letzten Mal in meinem Leben - morden und todtschlagen; strich dann in vollem Galopp ein Gehölze vorbey, das voll todter Husaren, Panduren und Pferde lag; rannte Eines Rennens gerade dem Fluß nach herunter, und stand jetzt an einem Tobel. Jenseits desselben kamen so eben auch etliche Kaiserliche Soldaten angestochen, die sich gleichfalls aus der Schlacht weggestohlen hatten, und schlugen, als sie mich so daherlaufen sahen, zum drittenmal auf mich an, ungeachtet ich immer das Gewehr streckte, und ihnen mit dem Hut den gewohnten Wink gab. Doch brannten sie niemals los. Ich faßte also den Entschluß, gerad' auf sie zuzulaufen. Hätt' ich einen andern Weg genommen, würden sie, wie ich nachwerts erfuhr, unfehlbar auf mich gefeuert haben. Ihr H... dacht' ich, hättet ihr euer Courage bey Lowositz gezeigt! Als ich nun zu ihnen kam, und mich als Deserteur angab, nahmen sie mir das Gewehr ab, unterm Versprechen, mir's nachwerts schon wieder zuzustellen. Aber der, welcher sich dessen impatronirt hatte, verlor sich bald darauf, und nahm das Füsil mit sich. Nun so sey's! Alsdann führten sie mich ins nächste Dorf, Scheniseck (es mochte eine starke Stunde unter Lowositz seyn). Hier war eine Fahrt über das Wasser, aber ein einziger Kahn zum Transporte. Da gab's ein Zettermordiogeschrey von Männern, Weibern und Kindern. Jedes wollte zuerst in dem Teich seyn, aus Furcht vor den Preussen; denn alles glaubte sie schon auf der Haube zu haben. Auch ich war keiner von den letzten, der mitten unter eine Schaar von Weibern hineinsprang. Wo nicht der Fährmann etliche derselben hinausgeworfen, hätten wir alle ersaufen müssen. Jenseits des Flusses stand eine Panduren-Hauptwache. Meine Begleiter führten mich auf dieselbe zu, und diese rothen Schnurrbärte begegneten mir auf's manierlichste; gaben mir, ungeachtet ich sie und sie mich kein Wort verstuhnden, noch Toback und Branntwein, und Geleit bis auf Leutmeritz, glaub' ich, wo ich, unter lauter Stockböhmen übernachtete, und freylich nicht wußte ob ich da mein Haupt sicher zur Ruhe legen konnte - aber - und dieß war das Beßte - von dem Tumult des Tags noch einen so vertaumelten Kopf hatte, daß dieser Kapitalpunkt mir am allermindesten betrug. Morgens darauf (2. Okt.) gieng ich mit einem Transport ins Kaiserliche Hauptlager nach Budin ab. Hier traf ich bey 200. andrer Preußischer Deserteurs an, von denen so zu reden jeder seinen eigenen Weg, und sein Tempo in Obacht genommen hatte; neben andern auch unsern Bachmann. Wie sprangen wir beyde hoch auf vor Entzücken, uns so unerwartet wieder in Freyheit zu sehn! Da gieng's an ein Erzählen und Jubilieren, als wenn wir schon zu Haus hinterm Ofen sässen. Einzig hieß es bisweilen: Ach! wäre nur auch der Schärer von Weil bey uns! Wo mag der doch geblieben seyn? Wir hatten die Erlaubniß, alles im Lager zu besichtigen. Offiziers und Soldaten stuhnden dann bey Haufen um uns her, denen wir mehr erzählen sollten, als uns bekannt war. Etliche indessen wußten Winds genug zu machen, und, ihren dießmaligen Wirthen zu schmeicheln, zur Verkleinerung der Preussen hundert Lügen auszuhecken. Da gab's denn auch unter den Kaiserlichen manchen Erzprahler; und der kleinste Zwerge rühmte sich, wer weiß wie manchen Brandenburger - auf seiner eignen Flucht in die Flucht geschlagen zu haben. Drauf führte man uns zu etwa 50. Mann Gefangener von der Preussischen Cavallerie; ein erbärmlich Specktackel! Da war kaum einer von Wunden oder Beulen lär ausgegangen; etliche über's ganze Gesicht heruntergehauen, andre ins Genick, andre über die Ohren, über die Schultern, die Schenkel u. s. f. Da war alles ein Aechzen und Wehklagen! Wie priesen uns diese armen Wichte selig, einem ähnlichen Schicksal so glücklich entronnen zu seyn; und wie dankten wir selber Gott dafür! Wir mußten im Lager übernachten, und bekamen jeder seinen Duckaten Reisgeld. Dann schickte man uns mit einem Cavallerietransport, es waren unser an die 200., auf ein Böhmisches Dorf, wo wir, nach einem kurzen Schlummer, folgenden Tags auf Prag abgiengen. Dort vertheilten wir uns, und bekamen Pässe, je zu 6. 10. bis 12. hoch welche einen Weg giengen; denn wir waren ein wunderseltsames Gemengsel von Schweitzern, Schwaben, Saxen, Bayern, Tyrolern, Welschen, Franzosen, Polacken und Türken. Einen solchen Paß bekamen unser 6. zusammen bis Regenspurg. In Prag selber war indessen ebenfalls ein Zittern und Beben vor den Preussen, ohne seinesgleichen. Man hatte dort den Ausgang der Schlacht bey Lowositz bereits vernommen, und glaubte nun den Sieger schon vor den Thoren zu sehn. Auch da stuhnden ganze Truppen Soldaten und Bürger um uns her, denen wir sagen sollten, was der Preuß' im Sinn habe? Einige von uns trösteten diese neugierigen Haasen; andre hingegen hatten noch ihre Freude daran, sie dapfer zu schrecken, und sagten ihnen: Der Feind werde späthstens in vier Tagen anlangen, und sey ergrimmt wie der Teufel. Dann schlugen viele die Händ' überm Kopf zusammen; Weiber und Kinder wälzten sich gar heulend im Koth herum.“
Zitiert aus:
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=233&kapitel=1#gb_found
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longtime
Als Bauer, als Garnhändler, als sich selber aufklärender Leser und Zeitgenosse; als gepresster Soldat, der auch Spießrutenlaufen musste, als Schlachtteilnehmer, als Deserteur – von seinen „Ebenteuern“ berichtet er selber in Aufzeichnungen.
Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass mit ihm ein Mensch aus der abhängigen, ausgebeuteten sozialen Kasse, wir würden heute sagen: Prekariat, zu Wort kommt, dessen eigene, selbsterlebte Aufzeichnungen einmalig in der Literatur und Geschichte sind.
*
Leben und Werk bei wiki: s. Lesetipp:
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Aus Bräkers Soldatenzeit:
Kapital LVI.
Das heißt - wo nicht mit Ehren gefochten - doch glücklich entronnen
Ich schlich also zuerst mit langsamem Marsch ein wenig auf diese linke Seite, die Reben durch. Noch eilten etliche Preussen bey mir vorbey: «Komm', komm', Bruder»! sagten sie: «Viktoria»! Ich rispostirte kein Wort, that nur ein wenig blessirt, und gieng immer noch allgemach fort, freylich mit Furcht und Zittern. Sobald ich mich indessen so weit entfernt hatte, daß mich niemand mehr sehen mochte, verdoppelte - verdrey- vier- fünf- sechsfachte ich meine Schritte, blickte rechts und links wie ein Jäger, sah noch von Weitem - zum letzten Mal in meinem Leben - morden und todtschlagen; strich dann in vollem Galopp ein Gehölze vorbey, das voll todter Husaren, Panduren und Pferde lag; rannte Eines Rennens gerade dem Fluß nach herunter, und stand jetzt an einem Tobel. Jenseits desselben kamen so eben auch etliche Kaiserliche Soldaten angestochen, die sich gleichfalls aus der Schlacht weggestohlen hatten, und schlugen, als sie mich so daherlaufen sahen, zum drittenmal auf mich an, ungeachtet ich immer das Gewehr streckte, und ihnen mit dem Hut den gewohnten Wink gab. Doch brannten sie niemals los. Ich faßte also den Entschluß, gerad' auf sie zuzulaufen. Hätt' ich einen andern Weg genommen, würden sie, wie ich nachwerts erfuhr, unfehlbar auf mich gefeuert haben. Ihr H... dacht' ich, hättet ihr euer Courage bey Lowositz gezeigt! Als ich nun zu ihnen kam, und mich als Deserteur angab, nahmen sie mir das Gewehr ab, unterm Versprechen, mir's nachwerts schon wieder zuzustellen. Aber der, welcher sich dessen impatronirt hatte, verlor sich bald darauf, und nahm das Füsil mit sich. Nun so sey's! Alsdann führten sie mich ins nächste Dorf, Scheniseck (es mochte eine starke Stunde unter Lowositz seyn). Hier war eine Fahrt über das Wasser, aber ein einziger Kahn zum Transporte. Da gab's ein Zettermordiogeschrey von Männern, Weibern und Kindern. Jedes wollte zuerst in dem Teich seyn, aus Furcht vor den Preussen; denn alles glaubte sie schon auf der Haube zu haben. Auch ich war keiner von den letzten, der mitten unter eine Schaar von Weibern hineinsprang. Wo nicht der Fährmann etliche derselben hinausgeworfen, hätten wir alle ersaufen müssen. Jenseits des Flusses stand eine Panduren-Hauptwache. Meine Begleiter führten mich auf dieselbe zu, und diese rothen Schnurrbärte begegneten mir auf's manierlichste; gaben mir, ungeachtet ich sie und sie mich kein Wort verstuhnden, noch Toback und Branntwein, und Geleit bis auf Leutmeritz, glaub' ich, wo ich, unter lauter Stockböhmen übernachtete, und freylich nicht wußte ob ich da mein Haupt sicher zur Ruhe legen konnte - aber - und dieß war das Beßte - von dem Tumult des Tags noch einen so vertaumelten Kopf hatte, daß dieser Kapitalpunkt mir am allermindesten betrug. Morgens darauf (2. Okt.) gieng ich mit einem Transport ins Kaiserliche Hauptlager nach Budin ab. Hier traf ich bey 200. andrer Preußischer Deserteurs an, von denen so zu reden jeder seinen eigenen Weg, und sein Tempo in Obacht genommen hatte; neben andern auch unsern Bachmann. Wie sprangen wir beyde hoch auf vor Entzücken, uns so unerwartet wieder in Freyheit zu sehn! Da gieng's an ein Erzählen und Jubilieren, als wenn wir schon zu Haus hinterm Ofen sässen. Einzig hieß es bisweilen: Ach! wäre nur auch der Schärer von Weil bey uns! Wo mag der doch geblieben seyn? Wir hatten die Erlaubniß, alles im Lager zu besichtigen. Offiziers und Soldaten stuhnden dann bey Haufen um uns her, denen wir mehr erzählen sollten, als uns bekannt war. Etliche indessen wußten Winds genug zu machen, und, ihren dießmaligen Wirthen zu schmeicheln, zur Verkleinerung der Preussen hundert Lügen auszuhecken. Da gab's denn auch unter den Kaiserlichen manchen Erzprahler; und der kleinste Zwerge rühmte sich, wer weiß wie manchen Brandenburger - auf seiner eignen Flucht in die Flucht geschlagen zu haben. Drauf führte man uns zu etwa 50. Mann Gefangener von der Preussischen Cavallerie; ein erbärmlich Specktackel! Da war kaum einer von Wunden oder Beulen lär ausgegangen; etliche über's ganze Gesicht heruntergehauen, andre ins Genick, andre über die Ohren, über die Schultern, die Schenkel u. s. f. Da war alles ein Aechzen und Wehklagen! Wie priesen uns diese armen Wichte selig, einem ähnlichen Schicksal so glücklich entronnen zu seyn; und wie dankten wir selber Gott dafür! Wir mußten im Lager übernachten, und bekamen jeder seinen Duckaten Reisgeld. Dann schickte man uns mit einem Cavallerietransport, es waren unser an die 200., auf ein Böhmisches Dorf, wo wir, nach einem kurzen Schlummer, folgenden Tags auf Prag abgiengen. Dort vertheilten wir uns, und bekamen Pässe, je zu 6. 10. bis 12. hoch welche einen Weg giengen; denn wir waren ein wunderseltsames Gemengsel von Schweitzern, Schwaben, Saxen, Bayern, Tyrolern, Welschen, Franzosen, Polacken und Türken. Einen solchen Paß bekamen unser 6. zusammen bis Regenspurg. In Prag selber war indessen ebenfalls ein Zittern und Beben vor den Preussen, ohne seinesgleichen. Man hatte dort den Ausgang der Schlacht bey Lowositz bereits vernommen, und glaubte nun den Sieger schon vor den Thoren zu sehn. Auch da stuhnden ganze Truppen Soldaten und Bürger um uns her, denen wir sagen sollten, was der Preuß' im Sinn habe? Einige von uns trösteten diese neugierigen Haasen; andre hingegen hatten noch ihre Freude daran, sie dapfer zu schrecken, und sagten ihnen: Der Feind werde späthstens in vier Tagen anlangen, und sey ergrimmt wie der Teufel. Dann schlugen viele die Händ' überm Kopf zusammen; Weiber und Kinder wälzten sich gar heulend im Koth herum.“
Zitiert aus:
http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=233&kapitel=1#gb_found
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longtime
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 12.9. an Heinrich Lersch
geschrieben von longtime
Viele werden sich von der Volksschule oder vom Gruppensingen her an ihn erinnern:
Heinrich Lersch, ein deutscher Arbeiterdichter (12.9.1889-18.6.1936):
Er lernte von seinem Vater das Handwerk des Kesselschmieds; dann ging Lersch auf Wanderschaft und arbeitete in verschiedenen deutschen Städten. Ab 1914 Kriegsteilnehmer; ab 1916 aber wegen einer Verletzung für dienstuntauglich erklärt. Die Kesselschmiede seines Vaters führte er noch bis 1924 und gab sie danach wegen eines Lungenleidens auf.
Heinrich Lersch:
Herbst
Gärtner, laß die Blätter liegen,
Die jetzt über die Erde rollen
Und die müde von der Reise
Sich zur Ruhe legen wollen.
Wie sie gelb und braun geworden-
Und der Reif an ihrem Rande-
Ruhn sie, tote Sommervögel,
Auf dem dunkelroten Sande.
Sieh, sie wollen deinem rauhen
Besen sich nur ungern fügen;
Du vermagst des Winters Nahen
Doch nicht recht hinwegzulügen.
*
Problematisch, zeitverhaftet sind auch nationalistische Texte von ihm:
Heinrich Lersch:
Der Fahneneid
Herz, aufglühe dein Blut!
Brüder, nun laßt uns schwören,
daß wir dem Vater gehören,
in dessen sicheren Händen
unser Geschick, das Schicksal der Deutschen ruht.
Was unser Spruch auch schwört,
Wir schwören dem eigenen Leben,
Daß wir nur wiedergeben
Was unsern Vätern, den Helden,
Die es erstritten, was allen Deutschen gehört.
Deutschland, dem wir geweiht
Die Arbeit unserer Hände;
An deines Schicksals Wende
Stehn wir erhobener Seele
Und weihen uns dir voll Dankbarkeit.
Treue, glüh unverzehrt!
Treue, die mit uns geboren,
Treue, von der nichts verloren,
Wenn auch unsere ewige Seele,
Zur ewigen Heimat kehrt.
--
longtime
Heinrich Lersch, ein deutscher Arbeiterdichter (12.9.1889-18.6.1936):
Er lernte von seinem Vater das Handwerk des Kesselschmieds; dann ging Lersch auf Wanderschaft und arbeitete in verschiedenen deutschen Städten. Ab 1914 Kriegsteilnehmer; ab 1916 aber wegen einer Verletzung für dienstuntauglich erklärt. Die Kesselschmiede seines Vaters führte er noch bis 1924 und gab sie danach wegen eines Lungenleidens auf.
Heinrich Lersch:
Herbst
Gärtner, laß die Blätter liegen,
Die jetzt über die Erde rollen
Und die müde von der Reise
Sich zur Ruhe legen wollen.
Wie sie gelb und braun geworden-
Und der Reif an ihrem Rande-
Ruhn sie, tote Sommervögel,
Auf dem dunkelroten Sande.
Sieh, sie wollen deinem rauhen
Besen sich nur ungern fügen;
Du vermagst des Winters Nahen
Doch nicht recht hinwegzulügen.
*
Problematisch, zeitverhaftet sind auch nationalistische Texte von ihm:
Heinrich Lersch:
Der Fahneneid
Herz, aufglühe dein Blut!
Brüder, nun laßt uns schwören,
daß wir dem Vater gehören,
in dessen sicheren Händen
unser Geschick, das Schicksal der Deutschen ruht.
Was unser Spruch auch schwört,
Wir schwören dem eigenen Leben,
Daß wir nur wiedergeben
Was unsern Vätern, den Helden,
Die es erstritten, was allen Deutschen gehört.
Deutschland, dem wir geweiht
Die Arbeit unserer Hände;
An deines Schicksals Wende
Stehn wir erhobener Seele
Und weihen uns dir voll Dankbarkeit.
Treue, glüh unverzehrt!
Treue, die mit uns geboren,
Treue, von der nichts verloren,
Wenn auch unsere ewige Seele,
Zur ewigen Heimat kehrt.
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longtime