Literatur Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute an: ...
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 7.8. - z.B. an Alexander Blok
geschrieben von longtime
Russland - dist du der Länder liebstes mir.
Ja, der Lyriker Blok ist allen Lesens wert!
Alexander Blok:
(Ohne Titel)
(Übersetzung von Johannes von Guenther)
Schamlos zu sündigen und begierig,
Unzählig oft, nachtein, tagaus;
Mit einem Kopf, vom Rausch noch schwierig,
Zu schleichen sich ins Gotteshaus.
Dreimal sich neigen, tief, verschwiegen,
Und siebenmal bekreuzigen gar,
Auf vollgespucktem Boden liegen,
Berührend ihn mit Stirn und Haar.
Den Kupfergroschen opfern müssen;
Dreimal und siebenmal danach
Die elenden Beschläge küssen
Am Heiligenbilde altersschwach.
Zu Haus dann um den gleichen Groschen
jemand betrügen mit Genuß;
Den Köter, hungrig und verdroschen,
Fortstoßen, rülpsend, mit dem Fuß.
Beim Lämpchen der Ikone schließlich
Tee schlürfen vor dem Rechenbrett,
Kupons abschlecken fast verdrießlich
Aus dem dickbäugigen Büfett.
Und dann auf weichem Flaumenpfühle
In Schlaf zu fallen, schwer, ein Tier...
Allein auch so, mein Rußland, fühle,
Bist du der Länder liebstes mir.
(In: J. v. G.: Heilig-unheiliges Rußland. Düsseldorf: Droste. 1960. S. 11f.)
*
Alexander Blok:
Schamlos sündigen
(Gesang, übersetzt von Henry Schumann
Schamlos sündigen, grenzenlos,
das Maß der Tage und Nächte vergessen;
und dann, den Kopf vom Trunk noch heikel,
sich von der Seite in den Gottestempel pressen.
Sich dreimal tief verbeugen,
sich siebenmal bekreuzigen,
heimlich mit der glühenden Stirn
das bespiene Estrich berühren.
Den Kupfergroschen opfern fürs Gewissen.
Dreimal und siebenmal nach Brauch
das arme Talmi der Ikone küssen,
von Mündern abgenutzt und blind vom Hauch.
Um dann beim Heimgang einen Armen
um eben diesen Groschen zu betrügen;
den Bettelblick des Hundes ohne Erbarmen,
noch schluckend, mit dem Fußtritt zu quittieren.
Und bei dem Lämpchen der Ikone,
Tee trinkend, sich dem Geld vermählen;
und über einer bauchigen Kommode
Kupons mit feuchtem Daumen zählen.
Und sich in Daunenpfühle fallen lassen,
im schweren Schlaf umherzusielen ...
Auch so, mein Rußland, kann ich dich nicht hassen.
Auch so bist du von allen Ländern mir das liebste.
1914. Deutsch von Henry Schumann
(Aus: Solang es dich, mein Russland, gibt. Russische Lyrik. Leipzig 1967: Reclam 350. S. 84f.)
--
longtime
Ja, der Lyriker Blok ist allen Lesens wert!
Alexander Blok:
(Ohne Titel)
(Übersetzung von Johannes von Guenther)
Schamlos zu sündigen und begierig,
Unzählig oft, nachtein, tagaus;
Mit einem Kopf, vom Rausch noch schwierig,
Zu schleichen sich ins Gotteshaus.
Dreimal sich neigen, tief, verschwiegen,
Und siebenmal bekreuzigen gar,
Auf vollgespucktem Boden liegen,
Berührend ihn mit Stirn und Haar.
Den Kupfergroschen opfern müssen;
Dreimal und siebenmal danach
Die elenden Beschläge küssen
Am Heiligenbilde altersschwach.
Zu Haus dann um den gleichen Groschen
jemand betrügen mit Genuß;
Den Köter, hungrig und verdroschen,
Fortstoßen, rülpsend, mit dem Fuß.
Beim Lämpchen der Ikone schließlich
Tee schlürfen vor dem Rechenbrett,
Kupons abschlecken fast verdrießlich
Aus dem dickbäugigen Büfett.
Und dann auf weichem Flaumenpfühle
In Schlaf zu fallen, schwer, ein Tier...
Allein auch so, mein Rußland, fühle,
Bist du der Länder liebstes mir.
(In: J. v. G.: Heilig-unheiliges Rußland. Düsseldorf: Droste. 1960. S. 11f.)
*
Alexander Blok:
Schamlos sündigen
(Gesang, übersetzt von Henry Schumann
Schamlos sündigen, grenzenlos,
das Maß der Tage und Nächte vergessen;
und dann, den Kopf vom Trunk noch heikel,
sich von der Seite in den Gottestempel pressen.
Sich dreimal tief verbeugen,
sich siebenmal bekreuzigen,
heimlich mit der glühenden Stirn
das bespiene Estrich berühren.
Den Kupfergroschen opfern fürs Gewissen.
Dreimal und siebenmal nach Brauch
das arme Talmi der Ikone küssen,
von Mündern abgenutzt und blind vom Hauch.
Um dann beim Heimgang einen Armen
um eben diesen Groschen zu betrügen;
den Bettelblick des Hundes ohne Erbarmen,
noch schluckend, mit dem Fußtritt zu quittieren.
Und bei dem Lämpchen der Ikone,
Tee trinkend, sich dem Geld vermählen;
und über einer bauchigen Kommode
Kupons mit feuchtem Daumen zählen.
Und sich in Daunenpfühle fallen lassen,
im schweren Schlaf umherzusielen ...
Auch so, mein Rußland, kann ich dich nicht hassen.
Auch so bist du von allen Ländern mir das liebste.
1914. Deutsch von Henry Schumann
(Aus: Solang es dich, mein Russland, gibt. Russische Lyrik. Leipzig 1967: Reclam 350. S. 84f.)
--
longtime
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 7.8. - z.B. an Alexander Blok
geschrieben von welling
Hallo Enigma,
er, der Berggeist, hat mich eher behütet, unfrei war ich nicht. (oder vielleicht doch ein bisschen besessen?) Als ich einmal morgens gegen fünf, "als das Dämmerlicht tagte", losging und im Laufe des Vormittags am Gipfelkreuz bei 2800 m stand, glaubte ich in der Tat, "Ewigkeit zu schauen". Dein Text von Alexander Blok trifft da einiges. Ich dachte dort oben u.a. auch an meinen alten Bergkameraden, er war ein Urgestein des Pinzgaus im Salzburger Land. Seine letzte Tour vor seinem Tod haben wir beide auf eben diesen Berg gemacht. Einige Monate darauf ist er gestorben, ich konnte ihn vorher noch einmal im Altenheim besuchen, er hat sich über den Besuch gefreut, mich aber nicht mehr gekannt. Das war besonders erschütternd.
Auf der Rückfahrt habe ich wieder mal einige herrliche Gebiete der neuen Bundesländer besucht. Da ich am 28. August wohl nicht in Weimar sein werde, war ich also auch dort. )
Gruß
welling
Inzwischen habe ich vieles gelesen, was ihr alle hier zusammengetragen habe, es ist beeindruckend. Danke dafür!
er, der Berggeist, hat mich eher behütet, unfrei war ich nicht. (oder vielleicht doch ein bisschen besessen?) Als ich einmal morgens gegen fünf, "als das Dämmerlicht tagte", losging und im Laufe des Vormittags am Gipfelkreuz bei 2800 m stand, glaubte ich in der Tat, "Ewigkeit zu schauen". Dein Text von Alexander Blok trifft da einiges. Ich dachte dort oben u.a. auch an meinen alten Bergkameraden, er war ein Urgestein des Pinzgaus im Salzburger Land. Seine letzte Tour vor seinem Tod haben wir beide auf eben diesen Berg gemacht. Einige Monate darauf ist er gestorben, ich konnte ihn vorher noch einmal im Altenheim besuchen, er hat sich über den Besuch gefreut, mich aber nicht mehr gekannt. Das war besonders erschütternd.
Auf der Rückfahrt habe ich wieder mal einige herrliche Gebiete der neuen Bundesländer besucht. Da ich am 28. August wohl nicht in Weimar sein werde, war ich also auch dort. )
Gruß
welling
Inzwischen habe ich vieles gelesen, was ihr alle hier zusammengetragen habe, es ist beeindruckend. Danke dafür!
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am7.8. - z.B. an Joachim Ringelnatz
Ganz kurz nochmals zurück zu Joachim Ringelnatz - um hier zwei meiner Lieblingsgedichte zu erwähnen (ich habe bei Ringelnatz besonders viele davon...):
Die Schnupftabaksdose
Es war eine Schnupftabaksdose
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzt aus Nußbaumholz
Und darauf war sie natürlich stolz.
Da kam ein Holzwurm gekrochen
Der hatte Nußbaum gerochen
Die Dose erzählte ihm lang und breit
Vom Friedrich dem Großen und seiner Zeit
Sie nannte den alten Fritz generös
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann:
"Was geht mich Friedrich der Große an!"
Heimatlose
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
"Wo ist das Meer?"
Liebe Grüße
Miriam
Die Schnupftabaksdose
Es war eine Schnupftabaksdose
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzt aus Nußbaumholz
Und darauf war sie natürlich stolz.
Da kam ein Holzwurm gekrochen
Der hatte Nußbaum gerochen
Die Dose erzählte ihm lang und breit
Vom Friedrich dem Großen und seiner Zeit
Sie nannte den alten Fritz generös
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann:
"Was geht mich Friedrich der Große an!"
Heimatlose
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
"Wo ist das Meer?"
Liebe Grüße
Miriam
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 7.8. - z.B. an Alexander Blok
geschrieben von cecile
Da wir mit Alexandr Blok schon bei der russischen Literatur sind , erlaube ich mir einen kleinen Schlenker in die Theaterszene:
Am 7. August 1938 starb Konstantin Sergejewitsch Stanislawski, der russische Schauspieler und Regisseur, der mit seinem berühmten "Stanislawski-System" wohl so manchen Darsteller zur Verzweiflung brachte
K.S.Stanislawski
Und ein ganz kurzes Ringelnatz-Gedicht möchte ich auch noch hinzufügen:
Es waren zwei Schweinekarbonaden,
Die kehrten zurück in den Fleischerladen.
Und sagten, so ganz von oben hin:
"Meneh tékel ûpharsin"
Gruß
--
cecile
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 7.8. - z.B. an Sara Teasdale
geschrieben von enigma
Heute denke ich an die amerikanische Lyrikerin Sara Teasdale, die am 8. August 1884 in St. Louis geboren wurde.
Heute wäre ihr 125. Geburtstag.
Sara Teasdale gehörte bis zu ihrem Freitod 1933 zu den bekanntesten Lyrikerinnen der USA.
Sie war eine Freundin von Amy Lowell.
Und sie war auch die Erste, die 1918 den Columbia Poetry Prize erhielt, den späteren Pulitzer-Preis.
Sara Teasdale wird als schüchternes, hochsensibles und kränkliches Kind geschildert.
Ihr literarisches Vorbild war Christina Rossetti.
Mit 23 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband.
Durch Harriet Monroe lernte Frau Teasdale den Literaten Vachel Lindsay kennen und lieben.
Lindsay erwiderte ihre Gefühle, jedoch entschied sie sich für eine konventionelle Ehe und heiratete einen Kaufmann, von dem sie sich jedoch wieder scheiden ließ.
1932 begang Lindsay Selbstmord, was Sara Teasdale tief erschütterte.
Nach einer eigenen schweren Erkrankung wählte sie Anfang 1933 ebenfalls den Freitod durch eine Überdosis Schlaftabletten.
Infos entnommen dem Lebenslauf in FemBio - she. Linktipp!
Leider kenne ich nur Gedichte im Originaltext und habe keine deutschen Übersetzungen von ihr.
Zwei Gedichte stelle ich also auf Englisch ein. Vielleicht gefallen sie ja jemandem.
The Kiss
I hoped that he would love me,
And he has kissed my mouth,
But I am like a stricken bird
That cannot reach the south.
For though I know he loves me,
To-night my heart is sad;
His kiss was not so wonderful
As all the dreams I had.
Sara Teasdale
Moonlight
It will not hurt me when I am old,
A running tide where moonlight burned
Will not sting me like silver snakes;
The years will make me sad and cold,
It is the happy heart that breaks.
The heart asks more than life can give,
When that is learned, then all is learned;
The waves break fold on jewelled fold,
But beauty itself is fugitive,
It will not hurt me when I am old.
Sara Teasdale
Gruß
--
enigma
Heute wäre ihr 125. Geburtstag.
Sara Teasdale gehörte bis zu ihrem Freitod 1933 zu den bekanntesten Lyrikerinnen der USA.
Sie war eine Freundin von Amy Lowell.
Und sie war auch die Erste, die 1918 den Columbia Poetry Prize erhielt, den späteren Pulitzer-Preis.
Sara Teasdale wird als schüchternes, hochsensibles und kränkliches Kind geschildert.
Ihr literarisches Vorbild war Christina Rossetti.
Mit 23 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband.
Durch Harriet Monroe lernte Frau Teasdale den Literaten Vachel Lindsay kennen und lieben.
Lindsay erwiderte ihre Gefühle, jedoch entschied sie sich für eine konventionelle Ehe und heiratete einen Kaufmann, von dem sie sich jedoch wieder scheiden ließ.
1932 begang Lindsay Selbstmord, was Sara Teasdale tief erschütterte.
Nach einer eigenen schweren Erkrankung wählte sie Anfang 1933 ebenfalls den Freitod durch eine Überdosis Schlaftabletten.
Infos entnommen dem Lebenslauf in FemBio - she. Linktipp!
Leider kenne ich nur Gedichte im Originaltext und habe keine deutschen Übersetzungen von ihr.
Zwei Gedichte stelle ich also auf Englisch ein. Vielleicht gefallen sie ja jemandem.
The Kiss
I hoped that he would love me,
And he has kissed my mouth,
But I am like a stricken bird
That cannot reach the south.
For though I know he loves me,
To-night my heart is sad;
His kiss was not so wonderful
As all the dreams I had.
Sara Teasdale
Moonlight
It will not hurt me when I am old,
A running tide where moonlight burned
Will not sting me like silver snakes;
The years will make me sad and cold,
It is the happy heart that breaks.
The heart asks more than life can give,
When that is learned, then all is learned;
The waves break fold on jewelled fold,
But beauty itself is fugitive,
It will not hurt me when I am old.
Sara Teasdale
Gruß
--
enigma
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 8.8. - z.B. an Birgit Vanderbeke
geschrieben von longtime
Schönen Sonntag:
Ich verweise hier pauschal für den 8.8. auf Birgit Vanderbeke!
--
longtime
Ich verweise hier pauschal für den 8.8. auf Birgit Vanderbeke!
--
longtime
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 9.8.. - z.B. an Ulrich Plenzdorf
geschrieben von welling
Ulrich Plenzdorf
(* 26. Oktober 1934 in Berlin; † 9. August 2007 bei Berlin)
Textprobe aus "Die neuen Leiden des jungen W."
"Der Sand knirschte, aber ich wollte nur folgendes loswerden: Wie wohl ist mir's, daß mein Herz die simple harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen. Natürlich hatte ich das von diesem Werther! Ich glaube, ich hatte an dem Tag so viel Charme wie nie.
Charlie sagte bloß: Du Spinner!
Bis dahin hatte sie das noch nie gesagt. Sie war immer auf die Palme gegangen, wenn ich mit diesem Werther kam. Ich wollte sofort meine Chance nutzen und meinen Kopf wieder bei ihr unterbringen, und es hätte garantiert auch geklappt, wenn mir in dem Moment nicht dieses blöde Werther-Heft aus dem Hemd gerutscht wär. Ich hatte mir angewöhnt, es immer im Hemd zu haben, ich wußte eigentlich selbst nicht, warum.
Charlie hatte es sofort in der Hand. Sie blätterte drin, ohne zu lesen. Ich sah ziemlich alt aus. Ich wäre mir reichlich blöd vorgekommen, wenn sie alles mitgekriegt hätte. Sie fragte, was das ist. Ich nuschelte: Klopapier. Eine Sekunde später hatte ich das Ding wieder. Ich steckte es weg. Schätzungsweise zitterte mir leicht die Hand dabei. Seit dem Tag ließ ich es in der Laube, Leute. Danach wollte ich wieder weitermachen mit Charmantsein und dem, bloß da kam die Kindergartenchefin in den Auslauf getobt. Ich dachte erst, sie hat vielleicht was gegen meine geschätzte Anwesenheit. Aber sie sah mich gar nicht. Sie sah nur Charlie an, irgendwie komisch.
Sie sagte: Mach Schluß für heute. Ich mach weiter für dich.
Charlie verstand überhaupt nichts.
Die Chefin: Dieter ist da.
Charlie wurde käseweiß, dann knallrot. Dann sah sie mich wie einen Schwerverbrecher an oder was, und dann fegte sie ab.
Ich sah nicht mehr durch.
Die Chefin erklärte mir: Dieter ist ihr Verlobter."
(zitiert aus: Ulrich Plenzdorf, Die neuen Leiden des jungen W., Suhrkamp Verlag, Ffm 1973, S. 69ff.)
welling
(* 26. Oktober 1934 in Berlin; † 9. August 2007 bei Berlin)
Textprobe aus "Die neuen Leiden des jungen W."
"Der Sand knirschte, aber ich wollte nur folgendes loswerden: Wie wohl ist mir's, daß mein Herz die simple harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen. Natürlich hatte ich das von diesem Werther! Ich glaube, ich hatte an dem Tag so viel Charme wie nie.
Charlie sagte bloß: Du Spinner!
Bis dahin hatte sie das noch nie gesagt. Sie war immer auf die Palme gegangen, wenn ich mit diesem Werther kam. Ich wollte sofort meine Chance nutzen und meinen Kopf wieder bei ihr unterbringen, und es hätte garantiert auch geklappt, wenn mir in dem Moment nicht dieses blöde Werther-Heft aus dem Hemd gerutscht wär. Ich hatte mir angewöhnt, es immer im Hemd zu haben, ich wußte eigentlich selbst nicht, warum.
Charlie hatte es sofort in der Hand. Sie blätterte drin, ohne zu lesen. Ich sah ziemlich alt aus. Ich wäre mir reichlich blöd vorgekommen, wenn sie alles mitgekriegt hätte. Sie fragte, was das ist. Ich nuschelte: Klopapier. Eine Sekunde später hatte ich das Ding wieder. Ich steckte es weg. Schätzungsweise zitterte mir leicht die Hand dabei. Seit dem Tag ließ ich es in der Laube, Leute. Danach wollte ich wieder weitermachen mit Charmantsein und dem, bloß da kam die Kindergartenchefin in den Auslauf getobt. Ich dachte erst, sie hat vielleicht was gegen meine geschätzte Anwesenheit. Aber sie sah mich gar nicht. Sie sah nur Charlie an, irgendwie komisch.
Sie sagte: Mach Schluß für heute. Ich mach weiter für dich.
Charlie verstand überhaupt nichts.
Die Chefin: Dieter ist da.
Charlie wurde käseweiß, dann knallrot. Dann sah sie mich wie einen Schwerverbrecher an oder was, und dann fegte sie ab.
Ich sah nicht mehr durch.
Die Chefin erklärte mir: Dieter ist ihr Verlobter."
(zitiert aus: Ulrich Plenzdorf, Die neuen Leiden des jungen W., Suhrkamp Verlag, Ffm 1973, S. 69ff.)
welling
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 9.8.. - z.B. an den Widerstandskämpfer Adam von Trott zu Solz
geschrieben von longtime
Friedrich Adam von Trott zu Solz (* 9.08.1909-26.08.1944) war ein deutscher Jurist, Diplomat und einer der bedeutendsten Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.
Er war der „Außenminister“ des Kreisauer Kreises.
In der Ausstellung „In der Wahrheit leben“ in der Gedenkstätte in Kreisau (Krzyzowa) wird heute auch an Adam von Trott erinnert.
Eine neue Biografie, die inder neuen ZEIT besprochen wird (aber noch nicht online zugänglich ist):
Benigna von Krusenstjern:
»daß es Sinn hat zu sterben - gelebt zu haben«
Adam von Trott zu Solz 1909 - 1944. Biographie. Wallstein-Verlag Göttingen 2009. 608 Seiten, 34,90 Euro
Verlagstext: Benigna von Krusenstjern hat sich über lange Zeit sehr intensiv mit Adam von Trotts Lebenszeugnissen beschäftigt. Sie ist im Zuge ihrer Recherchearbeit auf zahlreiche neue Quellen gestoßen und hat diese z.T. völlig neu gewichtet. Es gelingt ihr durch sprachliche Präzision ein Bild Adam von Trotts zu zeichnen, das Konturen hat und ihn nicht auf einen hohen Sockel stellt. Mit diesem Buch darf man wohl zu Recht die noch ausstehende grundlegende Biographie erwarten.
--
longtime
Er war der „Außenminister“ des Kreisauer Kreises.
In der Ausstellung „In der Wahrheit leben“ in der Gedenkstätte in Kreisau (Krzyzowa) wird heute auch an Adam von Trott erinnert.
Eine neue Biografie, die inder neuen ZEIT besprochen wird (aber noch nicht online zugänglich ist):
Benigna von Krusenstjern:
»daß es Sinn hat zu sterben - gelebt zu haben«
Adam von Trott zu Solz 1909 - 1944. Biographie. Wallstein-Verlag Göttingen 2009. 608 Seiten, 34,90 Euro
Verlagstext: Benigna von Krusenstjern hat sich über lange Zeit sehr intensiv mit Adam von Trotts Lebenszeugnissen beschäftigt. Sie ist im Zuge ihrer Recherchearbeit auf zahlreiche neue Quellen gestoßen und hat diese z.T. völlig neu gewichtet. Es gelingt ihr durch sprachliche Präzision ein Bild Adam von Trotts zu zeichnen, das Konturen hat und ihn nicht auf einen hohen Sockel stellt. Mit diesem Buch darf man wohl zu Recht die noch ausstehende grundlegende Biographie erwarten.
--
longtime
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 9.8.. - z.B. an May Ayim
geschrieben von enigma
Hallo Welling und Longtime,
danke für die interessanten Beiträge, vor allem für die Textprobe aus “Die neuen Leiden des jungen W.” und die vielen Details zu Friedrich Adam von Trott zu Solz, u..a. auch zu der neuen Biografie von Benigna von Krusenstjern.
Ich möchte auch jemanden einstellen, um die Erinnerung wachzuhalten und erinnere an May Ayim, die am 9. August 1996 aus dem Leben schied.
May war die Tochter eines Ghanaers und einer Deutschen, wurde am 3. Mai 1960 in Hamburg geboren und wuchs im Heim und einer Pflegefamilie in Nordrhein-Westfalen auf.
Sie studierte später Pädagogik, machte eine Ausbildung zur Logopädin und arbeitete als Lehrbeauftragte an mehreren Hochschulen.
In Vorträgen und auch in ihren Gedichten wandte sie sich immer gegen rassistische Diskriminierung.
May Ayim erkrankte schwer. Als sie die Diagnose „Multiple Sklerose“ erhielt, stürzte sie sich am 9. August 1996 von einem Hochhaus in den Tod.
Schon vor Jahren habe ich eine Seite des Abschieds von May Ayim gefunden.
Dort ist auch ihr bekanntes Gedicht „grenzenlos und unverschämt
ein gedicht gegen die deutsche sch-einheit“ abgedruckt,
hier zu lesen:
Wer möchte, kann ja die Seite mit dem Gedicht lesen. Wegen der mir nicht bekannten Urheberrechte traue ich mich nicht, die zwei von ihr stammenden Gedichte hier direkt einzustellen.
Gruß
--
enigma
danke für die interessanten Beiträge, vor allem für die Textprobe aus “Die neuen Leiden des jungen W.” und die vielen Details zu Friedrich Adam von Trott zu Solz, u..a. auch zu der neuen Biografie von Benigna von Krusenstjern.
Ich möchte auch jemanden einstellen, um die Erinnerung wachzuhalten und erinnere an May Ayim, die am 9. August 1996 aus dem Leben schied.
May war die Tochter eines Ghanaers und einer Deutschen, wurde am 3. Mai 1960 in Hamburg geboren und wuchs im Heim und einer Pflegefamilie in Nordrhein-Westfalen auf.
Sie studierte später Pädagogik, machte eine Ausbildung zur Logopädin und arbeitete als Lehrbeauftragte an mehreren Hochschulen.
In Vorträgen und auch in ihren Gedichten wandte sie sich immer gegen rassistische Diskriminierung.
May Ayim erkrankte schwer. Als sie die Diagnose „Multiple Sklerose“ erhielt, stürzte sie sich am 9. August 1996 von einem Hochhaus in den Tod.
Schon vor Jahren habe ich eine Seite des Abschieds von May Ayim gefunden.
Dort ist auch ihr bekanntes Gedicht „grenzenlos und unverschämt
ein gedicht gegen die deutsche sch-einheit“ abgedruckt,
hier zu lesen:
Wer möchte, kann ja die Seite mit dem Gedicht lesen. Wegen der mir nicht bekannten Urheberrechte traue ich mich nicht, die zwei von ihr stammenden Gedichte hier direkt einzustellen.
Gruß
--
enigma
Re: Neue Folge: Literaturliebhaber denken heute - am 9.8.. - z.B. an May Ayim
geschrieben von longtime
Hallo schönen Sonntag!
Danke an die MitspielerInnen!
May Ayim - eine schöne, wichtige Anregung!
*
Ich wollte noch einen Künstler ergänzen, dessen Zeichungen mit den prägnanten Texten einzigartig sind:
Gedenktag für Zille:
Heinrich Rudolf Zille (10.01.1858 in Radeburg bei Dresden - 09. 08.1929 in Berlin) war ein Grafiker, Lithograf, Maler, Zeichner und Fotograf.
Das Eiserne Kreuz
Die Trockenwohner (die auch in Romanen bei Th. Fontane auftreten) wollen einziehen:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zille_Trockenwohner.JPG[/img]
Zilles „Hurengespräche“:
[i]Schule:
http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Zille,+Heinrich:+Hurengespr%C3%A4che,+Lutschliese[/img]
[i]Lutschliese, eine von den porträtierten Frauen:
Olga, Pauline, Rosa, Alma, Pinselfrieda, Bollenguste oder Minna.
--
longtime
Danke an die MitspielerInnen!
May Ayim - eine schöne, wichtige Anregung!
*
Ich wollte noch einen Künstler ergänzen, dessen Zeichungen mit den prägnanten Texten einzigartig sind:
Gedenktag für Zille:
Heinrich Rudolf Zille (10.01.1858 in Radeburg bei Dresden - 09. 08.1929 in Berlin) war ein Grafiker, Lithograf, Maler, Zeichner und Fotograf.
Das Eiserne Kreuz
Die Trockenwohner (die auch in Romanen bei Th. Fontane auftreten) wollen einziehen:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zille_Trockenwohner.JPG[/img]
Zilles „Hurengespräche“:
[i]Schule:
http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Zille,+Heinrich:+Hurengespr%C3%A4che,+Lutschliese[/img]
[i]Lutschliese, eine von den porträtierten Frauen:
Olga, Pauline, Rosa, Alma, Pinselfrieda, Bollenguste oder Minna.
--
longtime