Forum Kunst und Literatur Literatur Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!

Literatur Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!

Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Der Lyrikerin Mascha Kaléko (geb. am 7. Juni 1907) zum hundertsten Geburtstag!!
Ein Essay von Marcel Reich-Ranicki:
"Zur Heimat erkor sie sich die Liebe".
(Dieser Titel ist allerdings völlig irreführend...)

S. TIPP!

M.R.-R. zitiert zwar das wichtige Gedicht "Kein Neutöner", aber unvollständig und falsch in der Zeichensetzung. Deshalb hier der ganze Text:

Mascha Kaléko:
KEIN NEUTÖNER

Ich singe, wie der Vogel singt
Beziehungsweise sänge,
Lebt er wie ich, vom Lärm umringt,
Ein Fremder in der Menge.

Gehöre keiner Schule an
Und keiner neuen Richtung,
Bin nur ein armer Großstadtspatz
Im Wald der deutschen Dichtung.

Weiß Gott, ich bin ganz unmodern,
Ich schäme mich zuschanden:
Zwar liest man meine Verse gern,
Doch werden sie - verstanden!
*

Sie ist so wichtig wie Erich Käsnter oder Kurt Tucholsky.
Und lebte bis 1975 - und wurde zeitlebends von den Kritikern und Lehrern und Gemanistik-Professoren der BRD nicht wahrgenommen; sie war die lebende, schlechte (jüdische) Erinnerung.

--
*
Neu zu Mascha Kaléko:

Die Biographie von Jutta Rosenkranz ("Mascha Kaléko 1907 - 1975"; bei dtv); sowie verschiedene Neuausgaben ihrer Gedichte.

Elke Heidenreich hat eine Auswahl aus Kalékos "Liebesgedichten", veröffentlicht (Insel Verlag).

Als Hörbuch gibt es "Interview mit mir selbst" mit Gedicht-Lesungen Kalékos und Erläuterungen von Gisela Zoch-Westphal (Deutsche Grammophon).
*

Zum Link:
Reich-Ranicki, der einiges an Schuld abträgt..
--
elfenbein
Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 03.07.2007, 15:45:53
Bei Kunst- und Künstler-Ringen
sucht man nach schönsten Dingen...:

Und findet:

Mascha Kaléko: Die Bienen

... Politisch sind sie Monarchisten:
Auf Arbeit ziehn nur Zivilisten,
Und was sie sich erhamstert haben,
Kommt in die königlichen Waben
Zum Schmaus für königliche Feste.
Der kleine Mann kriegt nur die Reste.
»Ob sich die Biene nie empört
Und Unabhängigkeit begehrt?«
- Fragt sich Kollege Schmetterling.

Das weiß nur Gott. Und Maeterlinck.

*

Nu - "Gott"? - Na danach fragen die schreib-begierigen The- und A-theisten in anderen Beiträgen.

Doch warum der Maeterlinck?
Wer googelt, hat auch Glück:
Maurice M. (Literaturnobelpreisträger 1911): La vie des abeilles (deutsch: Das Leben der Bienen. 1901; neu: "Das Leben der Bienen". Fischer. Ffm. 1953.
*

So was wünsch ich mir von Dichtern!

--
elfenbein
Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 03.07.2007, 17:04:37
Da sei nix verraten: Wer lesen will und kann, findet es.

--
elfenbein

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enigma
enigma
Mitglied

Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 03.07.2007, 17:07:54
Ich lese ihre Gedichte gerne, immer wieder.

Die Reime muss ich mir mal in einer ruhigen Minute vornehmen.

Und ein Gedicht (natürlich von ihr) lasse ich auch da:

"Als ich zum ersten Male starb,
- ich weiß noch, wie es war.
Ich starb so ganz für mich und still,
Das war zu Hamburg, im April,
Und ich war achtzehn Jahr.

Und als ich starb zum zweiten Mal,
Das Sterben tat so weh.
Gar wenig hinterließ ich dir:
Mein klopfend Herz vor deiner Tür,
Die Fußspur rot im Schnee.

Doch als ich starb zum dritten Mal,
Da schmerzte es nicht sehr.
So altvertraut wie Bett und Brot
Und Kleid und Schuh war mir der Tod.
Nun sterbe ich nicht mehr."

Mascha Kaléko

Noch ein Tipp für eine schöne Seite über sie mit Tagebuch-Eintragungen: - she. Link!


--
enigma
immergruen
immergruen
Mitglied

Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von immergruen
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 03.07.2007, 15:45:53

--
immergruen
Einfach ein weiteres Gedicht der Kaleko, weil sie eine meiner Lieblingsdichterinnen ist:

Angefangene Gedichte
Aus einem aufgehörten Leben

Wer doch den Mut zur Feigheit hätte,
Denn Feigheit nennt man jenen Mut,
Der die zu schwer gewordne Kette
Des Daseins leise von sich tut.

Wer doch den Mut zur Feigheit hätte,
Dem allen aus dem Weg zu gehn
Und unerkannt an fremder Stätte
Allein im Nachtwind zu verwehn.

Es fragt sich nur, geht es nicht drüben weiter?
Dann bleibt man auch im Tod noch Außenseiter.

miriam
miriam
Mitglied

Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von miriam
als Antwort auf immergruen vom 04.07.2007, 16:27:55
Als erstes möchte ich alle die mich von früher kennen, ganz herzlich begrüßen. Auch wenn ich zur Zeit in einem anderen Forum meinen Hauptsitz habe, lese ich ab und an auch hier. Und bei Mascha Kaléko, die ich immer wieder neu entdecke, kann ich nicht widerstehen - möchte als erstes eines ihrer Gedichte hier bringen, vielleicht später auch einiges über sie schreiben - mal sehen.

Aus dem Band Heute ist morgen schon gestern nun das versprochene Gedicht:

Wie man Butter macht

Wer sagt mir wie man Butter macht?
Man muß den Milchrahm schlagen.
Nun hört, was sich in letzter Nacht
Bei Huberts zugetragen.

Zwei Frösche fielen, bumsjuchhe!
In einen tiefen Zuber
Und staken fest, ojemine!
Im Rahmtopf der Frau Huber.

Da schrie der erste Frosch: "O weh!
Ersaufen muß ich in dem Schnee."
Und während er von Milchrahm troff,
Krakelte er nur und ersoff.

Der zweite Frosch hingegen sprach:
"Quark, Quark! So leicht geb ich nicht nach.
Ist erst einmal die Nacht vorbei,
Entrinn ich schon dem weißen Brei."

Er schlug um sich, anstatt zu greinen,
Mit Vorder- und mit Hinterbeinen.
Und weil er hungrig war, so fraß er
Vom leckern Milchrahmfutter.

Und sieh, am andern Morgen saß er
Vergnügt und fett
Und höchst adrett
…Auf einem Berg von Butter!



Liebe Grüße
--
Miriam

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enigma
enigma
Mitglied

Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von enigma
als Antwort auf miriam vom 26.08.2007, 12:08:25
Liebe Miriam,

ich begrüße Dich auch ganz herzlich und freue mich immer, von Dir zu lesen.
Und nun lasse ich noch einmal Mascha zu Wort kommen:

Interview mit mir selbst

Anno Zwounddreißig
Ich bin als Emigrantenkind geboren
In einer kleinen, klatschbeflißnen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat.

Mein meistgesprochnes Wort als Kind war "Nein".
Ich war kein einwandsfreies Mutterglück.
Und denke ich an jene Zeit zurück -
Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.

Im Ersten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
Ich war schon sechs, als ich noch immer dachte,
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.

Zwei Oberlehrer fanden mich begabt,
Weshalb sie mich, zwecks Bildung, bald entfernten.
Doch was wir auf der Hohen Schule lernten,
Ein Volk "Die Arier" ham wir nicht gehabt.

Beim Abgang sprach der Lehrer von den Nöten
Der Jugend und vom ethischen Niveau.
Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten.
Ich aber leider trat nur ins Büro.

Acht Stunden bin ich dienstlich angestellt
Und tue eine schlechtbezahlte Pflicht.
Am Abend schreib ich manchmal ein Gedicht.
Mein Vater meint, das habe noch gefehlt.

Bei schönem Wetter reise ich ein Stück
Per Bleistift auf der bunten Länderkarte.
An stillen Regentagen aber warte
Ich manchmal auf das sogenannte Glück.


Post Scriptum
Anno Fünfundvierzig

Inzwischen bin ich viel zu viel gereist,
Zu Bahn, zu Schiff, bis über den Atlantik.
Doch was mich trieb, war nicht Entdeckergeist,
Und was ich suchte, keineswegs Romantik.

Das war einmal. In einem anderen Leben.
Doch unterdessen, wie die Zeit verrinnt,
Hat sich auch biographisch was ergeben:
Nun hab ich selbst ein Emigrantenkind.

Das lernt das Wörtchen "alien" buchstabieren
Und spricht zur Mutter: "Don't speak German, dear."
Muß knapp acht Jahr alt Diskussionen führen,
Daß er "allright" ist, wenn auch nicht von hier.

Grad wie das Flüchtlingskind beim Rektor May!
Wenn ich mir dies Dacapo so betrachte . . .
Er denkt, was ich in seinem Alter dachte:
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.
--
enigma
Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf enigma vom 27.08.2007, 07:15:41
Gruß an "miarima und "enigma":

Mascha Kaléko:
Die Zeitschrift


1. Der Mitarbeiter.

Er reist. Er reist das ganze Jahr.
Bald ist er hier. Bald da. Bald ist er dort.
Berlin, das kennt er gründlich. Und er war
seit Pfingsten nicht mehr dort.

Er ist ein Freund des l. Rangs.
Entfernung braucht er, denn er ist Chronist.
Er sieht am schärfsten per distance,
weitsichtig, wie er ist.

Mal ist er dort. Mal ist er hier,
Und stets der Weltgeschichte auf der Spur:
mit Underwood und Quartpapier
rund um den Busen der Natur.


2. Der Redakteur

Er sitzt. Er tut das im Büro
Und hat schon Schwielen am Popo.
Der Drucker kommt. Der Umbruch naht.
Die Briefe warten aufs Diktat.

Das Telephon reißt ihn am Ohr.
Der Diener läßt Besuche vor.
Er sitzt und schwitzt wie im Geschäft.
Er liest und schreibt fürs nächste Heft.

Das Fräulein klopft und kommt und spricht:
„X. schickt aus Rom ein Zeitgedicht."
Zur Antwort gibt er, nicht sehr heiter:
"Na ja, die Herren Mitarbeiter."


3. Der Leser

Entweder ist er Abonnent
und tritt in Briefen in Erscheinung,
worin er rundheraus bekennt:
Die Zeitschrift sei ganz seiner Meinung.

Dann gibt es noch den Zufallsleser.
(Es gibt natürlich mehr als einen.)
Der staunt durch beide Brillengläser,
wieso die das denn dazu meinen.

Doch ob gedruckter Intellekt
nun den des Lesens wirklich weckt -
Ich sage das ganz offen:
Das weiß man nicht. Das muß man hoffen.

*

Diese Gedichte habe ich in der berühmten "Weltbühne" gefunden; in der Ausgabe des 24. Jg. 1928. S. 597f. - In einer Kaléko-Ausgabe habe ich den Text nicht gefunden.

--
hubertine
Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 27.08.2007, 09:58:38
Ein Gedicht und eine Frage:

Mascha Kaléko empfahl in einem Gedicht als Nationalgericht:

"Man nehme erstens zirka sieben
Fein abgeschälte rote Rüben:
Dann hacke man den Weißkohl klein,
Tu Zwiebel, Salz und Essig rein.
Mit Hammelfleisch muss das nun kochen,
Auf kleiner Flamme, sieben Wochen.
Jetzt Kaviar und Wodka ran,
Nebst Zimt und frischem Thymian.
Nun schütte man das Ganze aus.
Und isst am besten - außer Haus.“

*

Der Titel dieses Gedichts ...

Borschtsch?

Gulaschki?

Rassolnik?

--
hubertine
miriam
miriam
Mitglied

Re: Mascha Kaléko -. zum Hundertsten!
geschrieben von miriam
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.08.2007, 08:15:50
Na Kunststück, Hubertine, das Buch aus dem du das Gedicht zitierst heisst: "Heute ist morgen schon gestern" - und liegt zur Zeit ständig griffbereit neben meinem PeCe.
Der Titel des Gedichts ist:
Wie wäre es mit einem >>Borschtsch<

Eine kleine Frage - nein eigentlich zwei:

1. meinst du mich mit "miarima"? Falls ja, danke und Gruß zurück - Falls nicht ich gemeint war - grüß ich auch nicht! So!
2. ich dachte es würde ein Thread zu George Tabori geben - und finde diesen nicht. Habe ich da etwas falsch verstanden?

Ich würde gerne etwas über ihm schreiben - so zu sagen Trauerarbeit

Euch allen liebe Grüße
--
Miriam

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