Forum Kunst und Literatur Literatur Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge 1:

Literatur Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge 1:

longtime
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 27. 01. David Friedrich Strauß
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 27.01.2010, 11:43:48
Ich biete hier an:
D.F. Strauss als Satiriker.


Ich halte diese beiden Texte für satirisch; nicht nur wegen des allgemein polemisch-kritischen Inhalts. Ich glaube, dass diese Texte irgendwie im Umkreis Vischers ad hoc oder ad festum geschreiben wurden. Und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.


DAVID FRIEDRICH STRAUSS AN UNBEKANNT

Eigenhändiger Brief. Heilbronn, 25. Februar 1844.

Hochzuverehrender Herr Professor! Euer Hochwohlgeboren haben Sich durch Ihre poetische Mustersammlung ein bleibendes Verdienst um die Jugend erworben. Über Reichhaltigkeit, passende Auswahl und correcten Druck herrscht nur Eine Stimme; nur haben mehrere Leser, deren Überzeugung ist, daß alle Jugendbildung auf Gottesfurcht gebaut sein müsse, mit Betrübnis bemerkt, daß Sie der religiösen Poesie gar kein Fach eingeräumt haben. Überzeugt, daß Sie bei einer etwanigen 2ten Auflage diesem Mangel gerne abhelfen werden, habe ich keine Mühe gescheut, ein Gedicht zu Stande zu bringen, das zur Ausfüllung jener Rubrik geeignet wäre, und bin so frei, dasselbe angebogen zu übersenden. Der ich . . .
E. Hochwohlgeboren ergebenster D. F. Strauß, religiöser Dichter.

*
Erklärende Anmerkung:
Auf der Rückseite des Briefes steht: „Der relig. Dichter bittet um Schubart und von Platen Band 2 nebst der verhängnisvollen Gabel."

DAVID FRIEDRICH STRAUSS:
DIE KIRCHE


„Als Du, noch halb ein Kind, mit bleichen Wangen,
Den zarten Leib bedeckt mit rauhem Kleide,
Des Herren Lämmer führtest auf die Weide,
Da wär' auch ich Dir liebend nachgegangen.

Und wie Du dann im vollen Jugendprangen
Das härme Gewand vertauscht mit Seide,
Den Schäferstab mit fürstlichem Geschmeide:
Mit welcher Brunst wär' ich an Dir gehangen.

Selbst der Matrone war mein Dienst gewiß.
Doch nun - o daß ich's nicht gesehen hätte! -
Seit Du einhergehst mit geschminkten Wangen,

Gestopftem Busen, Hintern von Paris,
Seit Christi Braut geworden zur Kokette:
Ist mir so Liebe wie Respect vergangen.“

(Dieses Gedicht war dem vorstehenden sarkastischen Brief beigefügt.)
*
(Aus: Eduard Mörike und seine Freunde. Eine Ausstellung aus der Mörike-Sammlung Dr. Fritz Kauffmann. Stuttgart 1965. S. 178f.)

longtime
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II.: am 28. Januar
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 27.01.2010, 16:24:32
Namen für literarische Erinnerungen heute, am 28. Januar:

Karl Emil Franzos

Adalbert Stifter

Hermann Kesten

Astrid Lindgren

Joseph Brodsky

Astrid Lindgren



*

Wer hat noch andere literarische Tipps?
longtime
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II.: am 28. Januar: Karl Emil Fanzos
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 28.01.2010, 10:32:53
Karl Emil Franzos (1848-1904):

österreichischer Schriftsteller, Wiederentdecker und Herausgeber der Werke Georg Büchners. Seine Erzählungen und Romane reflektieren die Welt des osteuropäischen Judentums und die Spannungen, denen er als Jude und Deutscher in der Bukowina, in Polen und im Deutschen Reich ausgesetzt war.


Hier ein Text von einem Dichter aus dem fernen Land, dem “Zwischeneuropa“, das wir den unbekannten Osten nennen, der heutigen Ukraine:

KARL EMIL FRANZOS:
Frühling in Podolien


Es ist ein trauriges Land, das Land Podolien, auch der Frühling kommt spät in die Ebene. Aber weil er rechter fröhlicher Tröster ist, so verklärt und überglänzt er dann auch vor Allem, was seines Trostes am Meisten bedürftig ist: die öde, braune Haide, welche nun des weißen, glitzernden Wintermantels beraubt ist und wieder vor Gott in ihrer entsetzlichen Leere ausgestreckt liegt - »wie eine Bettlerhand«. Er aber löst ihr die Lappen des alten Gewandes von den Schultern und umhüllt sie mit jungem Grün und Haideblumen und erheitert ihre Armuth durch bunte Falter und Lerchensang. Schier rührend liegt der Frühling auf der podolischen Haide; es ist, als schmiege sich ein Lächeln der Freude um ein verhärmtes Antlitz.

Und dann macht er sich auf und hält seinen Einzug ins Städtlein. Am Eingange des Ortes, rechts und links der Straße, neigt er seinen Zauberstab gegen die beiden großen, streng geschiedenen Stätten der Todten, daß hinter ihm her der Flieder knospt und sich in dichten Blüthenzweigen wiegt, so über den kleinen Holzkreuzen, wie über den Grabsteinen mit den krausen hebräischen Zeichen. Dann geht er durch die Straßen und neigt seinen Stab gegen die Fenster und Thüren und sie öffnen sich weit. Und dann gegen die Herzen der Menschen und sie öffnen sich auch und werden fröhlich. Der Frühling ist allgütig - er vergißt auch derer nicht, die selbst Gott vergessen zu haben scheint; selbst in die düsteren, engen, dumpfigen Gäßchen der Judenstadt dringt sein Hauch. Und die ,Armseligen, welche dort wohnen, empfinden und grüßen ihn, so gut sie eben können - in ihrer Art. Freilich! lebendigen Natursinn haben sie nicht; der ist herausgequält worden aus dem Gemüthe dieses Volkes. Wer ruhelos über die Erde gehetzt wird, der kann nicht sehen, wie schön die Erde ist!

Doch - derlei übt ja der allgütige Frühling auch anderwärts. Was aber Barnow betrifft, so thut er hier doch ein apartes großes Wunder: er trocknet das gewaltige Kothmeer, in welchem sonst - ihres Spiegels nicht unwerth - die schmutzigen Häuser und Menschen von Barnow ihr Bild erschauen können; er macht die Straßen wieder gangbar und sogar den Ringplatz, der durch sechs Monate jedes Jahres das schlichte Städtchen in ein interessantes Klein-Venedig verwandelt. Nur ein Pfützlein in der Mitte bleibt allewig bestehen, und das ist gut und weise, wie Alles in der Natur denn was thäten sonst die Schweine von Barnow?!
Aber dies aparte Wunder übt auch aparte Wirkung: es rührt sogar das harte Herz der hohen Obrigkeit und sie erwiedert regelmäßig das eine Wunder durch ein anderes. Alljährlich einmal werden nämlich - meist in den ersten Junitagen, eben nachdem der Frühling mit der Pfütze leidlich fertig geworden - die Straßen von Barnow gekehrt. Aber nicht aus schnöder, weltlicher Neigung zur Reinlichkeit geschieht dies, sondern um des heiligen Glaubens willen, und darum werden auch nicht alle Straßen gekehrt, sondern nur diejenigen, durch welche die Fronleichnams Prozession zieht. Ihr Weg aber geht regelmäßig von der Pfarrkirche quer über den Ringplatz, dann durch einige Gäßchen und über die Sered-Brücke zum Altar im Schlosse des allen Starosten, von da zum Kloster der Dominikaner und dann auf kürzestem Wege wieder zur Pfarrkirche, weil da schon gewöhnlich die Mittagssonne glühend niederbrennt. Was jedoch die Reinigung dieses Straßenzuges anbelangt, so wacht zwar über der gesammten Ausführung eine und dieselbe Amtsperson, der starke Arm der Gerechtigkeit. der k. k. Amtsdiener Herr Janko Czupka, aber selbige bringt zwei verschiedene Methoden hierbei zur Anwendung. Und zwar je nachdem es sich um christliche oder jüdische Gassen handelt.
In ersteren erscheint Herr Janko Dienstags vor Frohnleichnam, am frühen Morgen, in Begleitung einiger mit Besen bewaffneter Damen und Herren, welche verschiedener Späße wegen im k. k. Bezirksgerichte freie Kost und Wohnung genießen. Diesen Vagabunden imponirt Janko dreifach: durch seine persönliche Würde, dann durch eine alte verrostete Vogelflinte, welche er sich vom Meßner ausgeliehen und endlich durch jenen Säbel, mit dem er nach seiner eigenen Erzählung einst als Feldwebel an Stelle Radetzky's die k. k. Armee in der lombardischen Ebene zum Siege geführt. So lange fern von jeder Kneipe gekehrt wird, harrt er aus, aber in der Nähe eines solchen Ortes der Labe schmilzt sein Herz und er hält eine Rede. »Ihr Lumpen«, sagt er, »ich habe mit dem Wirthe dort zu reden. Aber durch das Fenster wende ich keinen Blick von Euch, und wer davonläuft, wird niedergeschossen, so wahr ich der Herr Janko Czupka bin. Denn diese Flinte hier trifft auf dreitausend Schritte und bei klarem Wetter auf viertausend. Unser guter Kaiser Ferdinand hat sie mir geschenkt, wie ich einst mit ihm bei Wien Bären gejagt habe. Also, ihr Lumpen, wer nicht todtgeschossen werden will, wird weiter kehren.« Und damit geht Janko in die Schänke und trinkt dort ruhsam sein Gläschen Schnaps. Aber das ist auch nur so eine Redensart - Janko trinkt immer mehrere große Gläser.
Am Mittwoch aber veranlaßt Janko nach einer ganz andern Methode die Reinigung der jüdischen Gassen. Da geht er von Haus zu Haus und hält an die kaftanbekleideten, lockengeschmückten Pater familias einfach nur eine Rede. »Dummer Moschko«, sagt er, »Du wirst die Gasse vor Deinem Hause blank kehren und für jeden Strohhalm, der liegen bleibt, zahlst Du einen Gulden Strafe, so wahr ich der Herr Janko Czupka bin. Denn warum? Weil Du so ein verfluchter Jude bist. Und warum kehren? Weil morgen das heilige Frohnleichnamfest ist. Und dann, dummer Moschko, laß Dir noch rathen, wehe Euch, wenn Ihr wahrend der Prozession auf der Gasse seid - wir schlagen Euch ein Bischen todt.«

Aber letztere Drohung ist überflüssig. Keinem Juden in Barnow kommt es zu Sinne, vor seine Thüre zu treten, während der feierliche Zug vorüberwandelt. Denn tausend Schrecken gehen zu dieser Stunde durch die Seele dieser armen geknechteten Menschen, nicht etwa blos der Schreck vor dem Todtgeschlagenwerden. Auch diese Menschen wissen ja, daß wir in einer lichteren Zeit leben; heute würde sie der Pöbel höchstens zu Krüppeln schlagen! Und (las auch nicht ohne Folgen; der k. k. Bezirksrichter würde, obwohl er ein Pole ist, die Untersuchung einleiten und nach drei Monaten, weil er ein Pole ist, ohne Resultat einstellen.

Aus: Vom Don zur Donau. Neue Culturbilder aus "Halb-Asien", Zweiter Band. Leipzig 1877. S. 179-184. Neu in: Stefan Simonek und Alois Woldan (Hrsg.): Europa erlesen. Galizien. Klagenfurt und Celovec. Wieser Verlag. S. 159ff.

*

Franzos wurde geb. 1848 in Czortkow, in Galizien, dem deutschsprachigen, österreichischen Land in „Zwischeneuropa“: Schulzeit in Czernowitz, seine Studienzeit in Wien; journalistsiche Wadnerjahre in Europa; 1887 Übersiedlung nach Berlin.

Sein wichtigstes Werk ist der Roman „Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten“. Ein Roman, den er zu Lebzeiten nicht zu veröffentlichen wagte: zu diffizil waren die Lebensverhältnisse der jüdischen Protagonisten in der Bukowina, als dass man sie an die literarische und die politische Öffentlichkeit bringen konnte.

Den „Pojaz“ - was Spaßmacher heißt, gibt es mittlerweile unter der URL., s. Linktipp:



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longtime
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II.: am 28. Januar: Karl Emil Fanzos
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 29.01.2010, 11:07:13
Den wichtigsten Artikel über Karl Emil Franzos vergaß ich:
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. am 29. Januar:
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 29.01.2010, 11:08:38
29.01.:


Tipps für literarische Erinnerungen:


Ernst Moritz Arndt

Johann Gottlieb Fichte

Johann Gottfried Seume

Anton Tschechow

Herman Bang



Wer macht (noch) mit?
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. am 30. Januar:
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 29.01.2010, 11:12:35
30. Januar:

Adelbert von Chamisso (1781-1838)


Vom Pythagoräischen Lehrsatz

Die Wahrheit, sie besteht in Ewigkeit,
Wenn erst die blöde Welt ihr Licht erkannt;
Der Lehrsatz, nach Pythagoras benannt,
Gilt heute, wie er galt zu seiner Zeit.

Ein Opfer hat Pythagoras geweiht
Den Göttern, die den Lichtstrahl ihm gesandt;
Es thaten kund, geschlachtet und verbrannt,
Einhundert Ochsen seine Dankbarkeit.

Die Ochsen seit dem Tage, wenn sie wittern,
Daß eine neue Wahrheit sich enthülle,
Erheben ein unendliches Gebrülle;

Pythagoras erfüllt sie mit Entsetzen;
Und machtlos, sich dem Licht zu widersetzen,
Verschließen sie die Augen und erzittern.
*

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longtime
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. am 31.01.:
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 31.01.2010, 08:34:52
Vorschläge für den
31. Januar:


Marie Luise Kaschnitz

Kurt Marti
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. am 31.01.: Kaschnitz
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 31.01.2010, 08:36:42
Marie Luise Kaschnitz (31.01.1901 -10.10.1974)

Romane, Erzählungen -
hier aber Gedichte z.B.:

Gedichte der Kaschnitz:
longtime
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Folge II.: am 1. Februar
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 31.01.2010, 11:00:57
Vorschläge für den

1. Februar:


Otto Julius Bierbaum

Hugo von Hofmannsthal

Langston Hughes

Günter Eich

Birger Sellin
clara
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Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. am 30. Januar:
geschrieben von clara
als Antwort auf longtime vom 31.01.2010, 08:34:52
Dass Chamisso so humorvoll war, wusste ich nicht!
Hier noch ein Foto von seiner Grabstätte in Berlin- Kreuzberg dicht bei der von E.T.A. Hoffmann:




Clara

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