Forum Kunst und Literatur Literatur Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge 1:

Literatur Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge 1:

longtime
longtime
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 16.01.: Georg Heym
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 17.01.2010, 10:26:48
17.01.:

Zum 150. Geburtstag: Anton Tschechow (17.01.1860 -

Vgl. den ZEIT-Aufsatz von Mathias Greffrath:
"Für immer, vielleicht."
- Anton Tschechow ist der Dichter der Enttäuschung und Entzauberung, des Zweifelns und Zauderns. Zum 150. Geburtstag ein Lebensbild des großen russischen Autors



Aus Tschechows Kindheit:

Greffrath:

Nach der Schule standen die Kinder hinter der Theke, um Heringe und Mausefallen zu verkaufen oder die Spezialität des Hauses, das Medikament »Vogelnest«, eine Mischung aus Mineralöl, Strychnin und ätzender Lösung, das als Abtreibungsmittel nachgefragt wurde. Als Pawel Tschechow einmal im Olivenöl eine Ratte fand, war er zu geizig, das Öl wegzukippen, zu faul, es aufzukochen und zu filtern, aber auch zu fromm, gar nichts zu tun. Also ließ er den Popen kommen, der einfach alles segnete. „Tyrannei und Lügen haben unsere Kindheit so verkrüppelt, dass mir schlecht wird, wenn ich mich daran erinnere.“ Eine Passion hatte dieser wehleidige Tyrann allerdings: die Kirchenmusik. Als dem Chor der Hufschmiede, den er dirigierte, die Frauenstimmen ausgingen, rekrutierte er seine Söhne, die sonntagmorgens mit blanken Knien auf kalten Steinen singen mussten; sie sangen so schön, dass man die Eltern Tschechow beneidete. „Und das Resultat? Heute habe ich keine Religion.“

Die Schule wurde für Tschechow und seine Brüder zum Fluchtort. Dort wurde nicht geschlagen, dort lernten sie Kinder mit anderen Eltern kennen.
Der Pope, der den Religionsunterricht gab – „ihm verdanke ich die Kunst, lebendige Worte in elegante Form zu bringen“ –, war ein Kinderfreund, der den Katechismus beiseite legte und von Goethe, Shakespeare und Puschkin erzählte und der die satirischen Zeitschriften aus St. Petersburg abonniert hatte, die einzigen Druckwerke im Zarenreich, in denen freier geschrieben werden durfte. Tschechow hielt bis zu seinem Tod Verbindung mit ihm.

*

Wer mag von seinem Interesse, seinen Erfahrungen mit Tschechow berichten?

nasti
nasti
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 16.01.: Georg Heym
geschrieben von nasti
als Antwort auf longtime vom 17.01.2010, 10:31:14
Anton Pawlowitsch Tschechow

war mein Lieblings Erzählungs Autor in Jugendzeiten. Die russische Literatur ist uns schon in Schule aufgezwungen worden, weiter studierte ich an Philosophischen Fakultät mit Bildende Künste , wo die russische Literatur und die altslawische Linguistik ein Pflicht war.
Weil ich meine Lehrerin Stelle an Gymnasium /bei uns Professorin genannt/ nach 9 Monate hängen ließ und nie wieder praktiziert, ich ging andere WEge, hatte ich Garnichts von der 10 Semester russische Linguistik.
Als so einem „Zwangsheirat“ entsteht manchmal eine gute Heirat. So habe mich inzwischen verliebt in die russische Literatur. Die russische Bildende Künste hab ich an eigenen Initiative durchstudiert, das hat mir sehr viel gebracht. Jetzt muss ich gucken, ob ich hier finde ein Buch von Tschechow.
Danke für die Erinnerung an Tschechow.

Nasti

longtime
longtime
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 18.01.
geschrieben von longtime
als Antwort auf nasti vom 17.01.2010, 11:14:35
Für mögliche Ehrennennungen bieten sich heute an:

Rudyard Kipling

Arno Schmidt

Carl Zuckmayer

Peter Stamm

Anzeige

longtime
longtime
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 18.01.: Carl Zuckmayer
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 18.01.2010, 09:38:53
Ich greife noch mal Carl Zuckmayer heraus:

Ich greife CARL ZUCKMAYER (27.12.1896 - 18.01.1977) heraus:

Die erste Nennung und Ehrung nach 45 C.Z.s erschien 1947 in Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur – 12 Jahre unterdrückt. Hrsg. v. Richard Drews und Alfred Kantorowicz. Ullstein-Kindler Verlag. Berlin. 1947.S.186f.:

Im hessischen Nackenheim geboren, war einer der erfolgreichsten deutschen Dramatiker des Jahrzehnts vor 1933. Sein Volksstück „Der fröhliche Weinberg" (Kleistpreis), später „Der Hauptmann von Köpenick", die Seiltänzerkomödie „Katharina Knie" und „Schinderhannes" machten seinen Namen weithin bekannt. Er schrieb naturhafte Verse und urwüchsige Erzählungen. Abwechselnd in Berlin und bei Salzburg lebend, ging er nach dem Einzug der Deutschen in Österreich über die Schweiz nach den USA, wo er als Farmer lebte. Dort erschienen „The moons ride over" und die Autobiographie „Second Wind".
Sein neuestes Stück „Des Teufels General", die Tragödie eines Mannes, der gegen sein Gewissen handelt, wurde in Zürich im Dezember 1946 unter begeisterter Zustimmung des Publikums uraufgeführt. Von weiteren Büchern sind zu nennen: die Romane „Magdalena von Bozen" und „Herr über Leben und Tod" sowie der Essayband „Pro domo" und seine vor kurzem erschienene Novelle „Der Seelenbräu". Zuckmayer ist jetzt als amerikanischer Theater-Offizier in Deutschland.
– Diese kartonierte Veröffentlichung war die erste Zusammenstellung von „verbotenen und verbrannten AutorInnen“ nach dem Sieg über Nazi-Deutschland.)



*

Eine kleine literarische Kostbarkeit von C.Z.:

Der Schluß seiner 1926 im Europa-Almanach publizierten Novelle „DER PRÄRIEBRAND" zeigt die Besonderheit seiner Epik. Es geht um das Überleben in der Naturkatastrophe:


„Er sah eine blendende, übersinnliche Helle um sich her, doch brauchte er die Augen nicht davor zu schließen, das Schmerzest der Haut, das furchtbare Reißen und Zucken der Nerven war wie ausgelöscht. Ein unbegreifliches, unbeschreibliches Gefühl von Schweben, Fliegen, Emporwirbeln, Hinsinken, Sichtreibenlassen, Sichverlieren rieselte, flutete, wehte durch seinen verdürrten Leib. Der Flug leichter Asche, weißen, schaumigen Staubes im Wind, in den Lüften, im Äther. Wie durch die schärfste Lupe sah er riesengroß und mit glasklaren Konturen die Äste des Buschwerks, die umwehenden, zitternden Gräser, die kleinen Erdbrocken in der' Luft, die schwirrenden Myriaden der Staub- und Rußkörner. Dahinter eine Wand von brausendem Licht, die nach oben immer heller, immer demantner, immer leuchtender, immer himmlischer wurde, als wäre sie nicht die Strahlung verbrennender Erdkörper, sondern ein Sturzbach kosmischen Feuers, herab in die schwere, irdische Finsternis. Der Jäger stand mit hocherhobenen Händen, die dürren Finger gespreizt, wie einer der alten Inkas beim Anbeten der Sonne. Die Minute oder Sekunde, in der ihn die klare Luftwelle unmittelbar vor der Brandung des Flammenmeeres zu verklaren schien, war ihm später wie eine Ewigkeit im Gedächtnis. Wie ein Sturz durch die ewigen Räume aber, Absturz vom Himmel zur Hölle, gräßlichste Zerfetzung und Verzweiflung, was dann kam; tausend glühende Messer ins Gedärm, aber tausend glühende Nadeln in die Haut, glühendes Blei in die Lunge, glühende Lava, Pech und Schwefel übers Haupt. Er mag sich zur Erde geworfen haben, wieder emporgesprungen sein, seine zuckenden, willenlosen Glieder mögen sich in einem irrsinnigen Totentanz verrenkt, verdreht, ihn um seine eigene Achse gewirbelt haben, wie die Trance zu Gott den Leib des tanzenden Derwischs dreht. Vielleicht fand seine Lunge im Übermaß des gepreßten Schmerzes noch einmal Kraft zu einem wilden Verzweiflungsschrei, der sich wie ein trillernder Siegesgesang in die Höhe schraubte. So deutete Black Horse, der junge Sioux, der sich vor dem Brand in die Erde gegraben und die dampfende Haut seines erstochenen Pferdes über sich gebreitet hatte, den Ton, der ihn im letzten Moment heraustrieb, den taumelnden Körper packen, an sich reißen, mit sich in die Erde wühlen und mit dem Gesicht nach unten in den Schutz der blutigen Tierhaut retten ließ.
Im roten Getose des Feuers war ihm nicht bewußt, von welcher Hautfarbe der Mann sei, dessen Sterbegesang er gehört und den er gerettet hatte. Als sich nach einer Viertelstunde unmenschlichster Spannung das Donnern des Präriebrandes verzogen hatte und einer unheimlichen luftlosen Stille wich, hob er den starren, verkrampften Körper des bewußtlosen Jägers heraus und erkannte den alten Florymont, den er als Knabe bei seinem Stamm gesehen hatte. Als der Jäger die verschwollenen, blutunterlaufenen Augen aufschlug, hatten sie einen seltsamen Ausdruck von Fremdheit und Nichtmehrbegreifen. Dann aber schweifte sein Blick ringsum über die verkohlte Prärie,, über den Himmel, über den Horizont, an dem gelbliche Lichter spielten. Er erhob sich langsam, blickte den jungen Indianer lange an und drückte ihm kurz die Hand. Nach wortloser Verständigung, denn ihre Stimmbänder waren wie von Messern zerfetzt, schlugen sie die Richtung nach dem Ausgangspunkt des Brandes ein.“


**

Heute Nacht ein alter Spielfilm mit Curd Jürgens und Maria Schell: „Schinderhannes“:

Heute: "Schinderhannes" im SWR
enigma
enigma
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 18.01.
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 18.01.2010, 09:38:53
Hallo Longtime,

ich wähle mal Peter Stamm., von dem ich bisher allerdings nur ein einziges Buch kenne, und zwar den Erzählband “Blitzeis.
Aber diese Erzählungen haben mich sehr berührt, denn für mein Empfinden lassen sie bei aller Knappheit der Sprache des Schriftstellers oder vielleicht gerade wegen dieser Sprache stets Raum für die Entstehung von eigenen Bildern und Situationen beim Leser, jedenfalls habe ich es so empfunden.
Manche der Geschehnisse schienen zunächst klar zu sein, aber dann tauchte doch manchmal noch die Frage auf, ob meine Einordnung der Handlungsabläufe und der Gefühle der Protagonisten tatsächlich so war, wie es mir zunächst erschienen war oder doch noch anders.
Aber das ist wohl auch Berufeneren als mir passiert.
Hier einige Rezensionen.

Vielleicht ist die Ausdeutbarkeit ja gerade das Schöne bei seinen Geschichten.

Peter Stamm ist ziemlich viel in der Welt herumgereist und hat eine Zeitlang in New York, Paris und Skandinavien gelebt.

1990 kehrte er in die Schweiz zurück und arbeitet seitdem als freier Schriftsteller und Journalist für einige Zeitschriften.
Mehr über sein Leben hier:


Ein Interview mit ihm ist hier nachlesbar:

Da geht es zwar um ein anderes Buch, aber in dem Gespräch teilt er doch einiges über seine Gedanken und Empfindungen mit.

edit:

Danke für die weiteren Infos über Zuckmayer und den alten Film. Den habe ich vor vielen Jahren zwar schon einmal gesehen, aber vielleicht nehme ich ihn auf.


longtime
longtime
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - Nachtrag zu Rudolf Hagelstange
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 18.01.2010, 11:18:52
Ja, auf Peter Stamm hinzuweisen, ist eine feine Sache, denn seine Prosa ist sowohl literarisch anspruchsvoll als auch unterhaltsam.

Zuletzt las ich mit viel Gewinn über moderne Liebesbeziehungen seinen letzten Roman "Sieben Jahre"(August 2009).

Über Stamms Roman "Sieben Jahre

*

Ich trage noch nach:

Im Internet ist wenig zu Rudolf Hagelstange zu finden; deshalb möchte ich hier noch einiges vorstellen:

Erwähnt wird Hagelstanges „Freiheit ist der Odem unseres Lebens“ in folgender Laudatio von Bundesminister a. D. Hans-Dietrich Genscher, der den „Bernhard Wicki Filmpreis“ am 20. Juli 2006 für den Film „Das Leben der Anderen“ von Florian Henckel von Donnersmarck verleihen konnte:

Laudatio auf "Das Leben der Anderen"

Hier ist das ganze Gedicht, ein kunstvolles Sonett:

Rudolf Hagelstange:
Freiheit


Denn Freiheit ist der Odem unseres Lebens,
das Salz der Speise und der Wind im Segel,
der Stolz des Löwen und das Glück der Vögel;
das Recht des Mannes. Und es lebt vergebens,

wer dieses nicht mehr hat: ein freies Lachen,
ein eigen Lied und seines Herzens Glauben.
Sie haben Stummen und sie haben Tauben
nur noch die Scham voraus, und ihr Erwachen

ist Gang ins Joch und Treten in den Schatten.
Und, ach, wie bald ist mit des Freien Rede
auch Haus und Hof und alles, was sie hatten,

verwirkt, verloren, und sie tragen jede
Erniedrigung. Ach, hätten sie erkannt:
Nur Freien bleibt ein freies Vaterland.


Anzeige

enigma
enigma
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - Nachtrag zu Rudolf Hagelstange
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 18.01.2010, 14:58:39
Ja, erstaunlich, von Hagelstange hört man heute nicht mehr viel und jüngere Menschen kennen manchmal nicht einmal mehr seinen Namen.
Ich habe noch ein ziemlich altes Taschenbuch aus der “Fischer Bücherei”, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung des Hoffmann und Campe Verlags.
Das Buch enthält 28 sehr schön erzählte Kurzgeschichten.

Im Klappentext kann man folgendes lesen:


“Zeit zum Lesen sollte man sich nehmen - um ‘Zeit für ein Lächeln ‘ zu gewinnen.
Wenn Hagelstange sich wehmütig und zugleich ironisch an seinen Lehrer ‘Ki’ (natürlich hat er einen gutbürgerlich-deutschen Namen) erinnert, erzählt, wie dieser einen Dialog führt, ‘in dem Anspielungen, Einfälle, Wortwitz zwanglos und scheinbar gewichtlos, wie Seifenblasen, auffunkelten und ausloschen’, so läßt sich das auch von seiner Erzählweise sagen. Und wenn wir weiterlesen von einem, der ‘mit Ironie und Selbstironie zwischen den Klippen der Zeit hindurchsegelt’, so haben wir den ganzen Autor dieses Buches vor uns.
Er erinnert sich gerne - und wir hören belustigt, manchmal auch betroffen zu - an ‘Käuze und Grenzfälle’, an ‘Personen und Sachen’.
Und wenn Hagelstange vom ‘Schiffbruch als Ghostwriter’ berichtet, so wollen wir ihm das gerne glauben, doch Schiffbruch als heiterer Erzähler kann er nicht erleiden."
geschrieben von Klappentext zu "Zeit für ein Lächeln" von Rudolf Hagelstange




Ich lese ihn auch immer noch gerne, vor allem, wenn es um die Schilderung alltäglicher Situationen und zwischenmenschlicher Beziehungen geht.
longtime
longtime
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - Nachtrag zu Rudolf Hagelstange
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 18.01.2010, 18:28:22
Für Hagelstange-Leser:

Erinnerung an einen Lehrer

Ein Gymnasialdirektor, der zeitlebends in der Erinnerung des Schülers und späteren Schriftstellers Rudolf Hagelstange blieb:

Hagelstange erinnert (in „Tränen gelacht. Steckbrief eines Steinbocks“, dtv/List 1513. S. 44f.) an „die Tausende von Schülern, für die er zu jeder Stunde zu sprechen war, denen er zum »Zeugnis der Reife« verholfen hat und die er selbst, die Leier streichelnd, bei einer Abiturfeier in Vers und Reim besungen hat:“

Und Hagelstange zitiert dieses groteske, viele Erfahrungen und Anforderungen der schulischen Fächern und Disziplin zusammenfassende Parodie

Otto Kirchhoff:
[Für meine Schüler]

Wer nie die dritte Kotangente:
auf einen Sinus hat gefällt,
wer die vier alten Elemente
für atomar unteilbar hält,
wer im Gestrüpp der Mutationen
sich von des Paukers Hand verirrt,
nicht weiß, was aus Herrn Mendels Bohnen
in vierter, fünfter Folge wird,
noch immer glaubt, daß fern
In China ein Kaiser herrscht, erhaben mild,
und nicht die alte Messalina
auf zwei, drei Arten mitgekillt,
wem der Hyperbel Qualspiralen
nicht klar sind wie ein Alpenbach,
wer sich in englischen Vokal« n
oder französischen Nasalen
vorzeitig schon die Zunge brach,
wer nicht in heißem Herzen hegte
die Verben, groß und klein auf -mi,
sich nicht bei Shakespeare überlegte
Hamlets »To be or not to be ...«,
wem Cäsars »Gallia est divisa.«
nicht mehr bekannt, weil es geschellt,
wer in Paris die Mona Lisa
für ein Porträt Picassos hält,
wer in der indirekten Rede
das ne nicht richtig übersetzt,
wer Lesbia, Cynthia und jedwede
der schick-antiken Twens nicht schätzt,
Kafka und Benn mit Klopstock koppelt,
den Urfaust für mykenisch hält,
die Zahl der Grazien verdoppelt,
Venus in wollene Tücher pellt -
Dem kann man helfen nicht und raten!
Er hat versungen und vertan.
Ihn schaun als Schützer nicht noch Paten
Athene und die Musen an.
Und nie schmückt seiner Locken Pracht
der Ölzweig, der dem Sieger lacht!

*

Als (überleben habender...) Schüler der alten Penne (des humanistischen Gymnasiums) kann man fast alle Anspielungen verstehen – und wundert sich über den Direx, der so unverfänglich mit diesen klassischen Idealen "umsprang“.

enigma
enigma
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - Nachtrag zu Rudolf Hagelstange
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 18.01.2010, 18:48:39
Haha Longtime,

ja, das ist er natürlich, der Lehrer "Kio" mit dem altbürgerlich-deutschen Namen Otto Kirchhoff.

Hattest Du einen speziellen Bezug zu dieser Schule und dem bewussten "Lehrer Ki" oder ist es "nur" die Kenntnis dieser Zusammenhänge?

Gruß Enigma
longtime
longtime
Mitglied

Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - Nachtrag zu Rudolf Hagelstange
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 18.01.2010, 19:07:37
Liebe enigma:

Es ist nur die lebhafte, teilweise erlittene Erfahrung eines solchen Schulsystems, direkt nach dem Kreig, mit Schulbüchern, in denen die schlimmsten Nazi-Ideologien mal gerade weggelassen war - und ansonsten, mit Unwahrhaftigkeit, Verlogneheit, Disziplin und katholisch-reaktionärer schwarzer Pädagogik wollte man in die nächste militärisch abgesicherte, christlich ausstaffierte Zeitepoche gehen; ohne jede Scham, ohne Erinnerung, was bis 1945 abgelaufen war zur größeren Ehre "Gottes" und des "Deutschen Reiches."

*
*

Vorschlag zum Erinnerungskalender der AutorInnen (für den 19. Januar):

Hoffmann von Fallersleben

Ferdinand Gregorovius

Gustav Meyrink

Edgar Allan Poe

Dr. Owlglass (also: Eulenspiegel; eigentlich Hans Erich Blaich)



Anzeige