Literatur Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge 1:
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II: 8. - 10. Januar: 10.01.: Gabriela...
geschrieben von longtime
10.01:
Gabriela Mistral (7.04.1889 - 10.01.1957)
Sie hieß eigentlich Lucila Godoy Alcayaga und war eine chilenische Dichterin und Diplomatin.
Im Jahr 1945 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Das chilenische Volk verehrt noch heute Gabriela Mistral als seine große Dichterin:
Gabriela Mistral:
Winzig klein war meine Mutter
Wie der Pfefferminzstrauch, das Gras.
Kaum warf sie Schatten auf die Dinge, kaum.
Die Erde liebte sie,
Weil sie ihr leicht war,
Weil sie ihr zulächelte
Im Glück wie im Leid
*
(Man findet kaum Gedichte in deutscher Sprache. – Wer hilft?)
*
Angaben zur Dichtung und zum Leben:
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/gabriela-mistral
Zwei weitere Gedichte der Mistral:
http://turmsegler.net/tag/gabriela-mistral
Gabriela Mistral (7.04.1889 - 10.01.1957)
Sie hieß eigentlich Lucila Godoy Alcayaga und war eine chilenische Dichterin und Diplomatin.
Im Jahr 1945 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Das chilenische Volk verehrt noch heute Gabriela Mistral als seine große Dichterin:
Gabriela Mistral:
Winzig klein war meine Mutter
Wie der Pfefferminzstrauch, das Gras.
Kaum warf sie Schatten auf die Dinge, kaum.
Die Erde liebte sie,
Weil sie ihr leicht war,
Weil sie ihr zulächelte
Im Glück wie im Leid
*
(Man findet kaum Gedichte in deutscher Sprache. – Wer hilft?)
*
Angaben zur Dichtung und zum Leben:
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/gabriela-mistral
Zwei weitere Gedichte der Mistral:
http://turmsegler.net/tag/gabriela-mistral
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II: 8. - 10. Januar: 10.01.: Gabriela...
geschrieben von longtime
Noch zwei Gedichte der Mistral:
"Ballade"
und
"Preß nicht meine Hände"
"Ballade"
und
"Preß nicht meine Hände"
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II: 8. - 10. Januar: 10.01.: Gabriela...
geschrieben von enigma
Da ist das Gedicht “Die Welt” in “Miss Marples Poesiealbum”, ) zu finden
hier:
Allerdings ist für mich das schönste Gedicht von Mistral, jedenfalls von denen, die ich kenne, eines mit dem Titel “Scham”.
Das Gedicht war vor Jahren unter “Liebeslyrik” auch im Internet zu finden. Ich hatte es mir seinerzeit gespeichert.
Unter dieser Adresse war das Gedicht heute nicht mehr zu finden.
Ich konnte es allerdings an ganz anderer Stelle entdecken, und zwar in einer Abhandlung “Beten in säkularer Zeit” von Fulbert Steffensky, dem ehemaligen Benediktinermönch, der konvertierte und später der Ehemann von Dorothee Sölle wurde - Linktipp!
Da geht es um dieses Liebesgedicht mit einem Gottesbezug.
Und hier nun der Text des Gedichts:
Scham
Wenn du mich anblickst, werd` ich schön,
schön wie das Riedgras unterm Tau.
Wenn ich zum Fluß hinuntersteige,
erkennt das hohe Schilf mein sel`ges
Angesicht nicht mehr.
Ich schäme mich des tristen Munds,
der Stimme, der zerriss`nen, meiner
rauhen Knie.
Jetzt, da du mich, herbeigeeilt, betrachtest,
fand ich mich arm, fühlt` ich mich bloß.
Am Wege trafst du keinen Stein,
der nackter wäre in der Morgenröte
als ich, die Frau, auf die du deinen Blick geworfen,
da du sie singen hörtest.
Ich werde schweigen. Keiner soll mein Glück
erschaun, der durch das Flachland
schreitet,
den Glanz auf meiner plumpen Stirn nicht einer sehen,
das Zittern nicht von meiner Hand...
Die Nacht ist da. Aufs Riedgras fällt der Tau.
Senk lange deinen Blick auf mich. Umhüll mich zärtlich durch dein Wort.
Schon morgen wird, wenn sie zum Fluß hinuntersteigt,
die du geküßt, von Schönheit strahlen.
Gabriela Mistral
Gruß
hier:
Allerdings ist für mich das schönste Gedicht von Mistral, jedenfalls von denen, die ich kenne, eines mit dem Titel “Scham”.
Das Gedicht war vor Jahren unter “Liebeslyrik” auch im Internet zu finden. Ich hatte es mir seinerzeit gespeichert.
Unter dieser Adresse war das Gedicht heute nicht mehr zu finden.
Ich konnte es allerdings an ganz anderer Stelle entdecken, und zwar in einer Abhandlung “Beten in säkularer Zeit” von Fulbert Steffensky, dem ehemaligen Benediktinermönch, der konvertierte und später der Ehemann von Dorothee Sölle wurde - Linktipp!
Da geht es um dieses Liebesgedicht mit einem Gottesbezug.
Und hier nun der Text des Gedichts:
Scham
Wenn du mich anblickst, werd` ich schön,
schön wie das Riedgras unterm Tau.
Wenn ich zum Fluß hinuntersteige,
erkennt das hohe Schilf mein sel`ges
Angesicht nicht mehr.
Ich schäme mich des tristen Munds,
der Stimme, der zerriss`nen, meiner
rauhen Knie.
Jetzt, da du mich, herbeigeeilt, betrachtest,
fand ich mich arm, fühlt` ich mich bloß.
Am Wege trafst du keinen Stein,
der nackter wäre in der Morgenröte
als ich, die Frau, auf die du deinen Blick geworfen,
da du sie singen hörtest.
Ich werde schweigen. Keiner soll mein Glück
erschaun, der durch das Flachland
schreitet,
den Glanz auf meiner plumpen Stirn nicht einer sehen,
das Zittern nicht von meiner Hand...
Die Nacht ist da. Aufs Riedgras fällt der Tau.
Senk lange deinen Blick auf mich. Umhüll mich zärtlich durch dein Wort.
Schon morgen wird, wenn sie zum Fluß hinuntersteigt,
die du geküßt, von Schönheit strahlen.
Gabriela Mistral
Gruß
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge 2: 8. - 10. Januar
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Hallo Literaturfreunde,
hier kann alles über Annette von Droste-Hülshoff nachgelesen werden:
Biografie
Zitat:
Wenn die Kinder klein sind, treten sie uns in den Schoß, und wenn sie groß sind, ins Herz.
Annette von Droste-Hülshoff
lg
spatzl
hier kann alles über Annette von Droste-Hülshoff nachgelesen werden:
Biografie
Zitat:
Wenn die Kinder klein sind, treten sie uns in den Schoß, und wenn sie groß sind, ins Herz.
Annette von Droste-Hülshoff
lg
spatzl
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 10.01..: Annette von Droste-Hülshoff
geschrieben von longtime
Zum 10. Januar:
„.. es kocht die Ruhr.“
Nein, das ist nicht ein Kochseminar, das ist auch kein Hoch-Kultur-Event mit präsidialer Begeisterung und Hochstimmung von Ruhristen - das ist die Feststellung eines revolutionären Vorgangs im Ruhrtal; balladesk recherchiert und gereimt und mit heimlicher Sympathie festgehalten von einer adeligen Dame – allerdings vor gut anderthalb Jahrhunderten:
Annette von Droste Hülshoffs Großgedicht:
Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Cöln
I
Der Anger dampft, es kocht die Ruhr,
Im scharfen Ost die Halme pfeifen,
Da trabt es sachte durch die Flur,
Da taucht es auf wie Nebelstreifen,
Da nieder rauscht es in den Fluß,
Und stemmend gen der Wellen Guß
Es fliegt der Bug, die Hufe greifen.
Ein Schnauben noch, ein Satz, und frei
Das Roß schwingt seine nassen Flanken,
Und wieder ein, und wieder zwei,
Bis fünfundzwanzig stehn wie Schranken:
Voran, voran durch Held und Wald,
Und wo sich wüst das Dickicht ballt,
Da brechen knisternd sie die Ranken.
Am Eichenstamm, im Überwind,
Um einen Ast den Arm geschlungen,
Der Isenburger steht und sinnt
Und naget an Erinnerungen.
Ob er vernimmt, was durchs Gezweig
Ihm Rinkerad, der Ritter bleich,
Raunt leise wie mit Vögelzungen?
»Graf«, flüstert es, »Graf haltet dicht,
Mich dünkt, als woll es Euch betören;
Bei Christi Blute, laßt uns nicht
Heim wie gepeitschte Hunde kehren!
Wer hat gefesselt Eure Hand,
Den freien Stegreif Euch verrannt?« –
Der Isenburg scheint nicht zu hören.
»Graf«, flüstert es, »wer war der Mann,
Dem zu dem Kreuz die Rose passte?
Wer machte Euren Schwäher dann
In seinem eignen Land zum Gaste?
Und, Graf, wer höhnte Euer Recht,
Wer stempelt Euch zum Pfaffenknecht?« –
Der Isenburg biegt an dem Aste.
»Und wer, wer hat Euch zuerkannt,
Im härnen Sünderhemd zu stehen,
Die Schandekerz in Eurer Hand,
Und alte Vetteln anzuflehen
Um Kyrie und Litanei!?« –
Da krachend bricht der Ast entzwei
Und wirbelt in des Sturmes Wehen.
Spricht Isenburg: »Mein guter Fant,
Und meinst du denn ich sei begraben?
O laß mich nur in meiner Hand –
Doch ruhig, still, ich höre traben!«
Sie stehen lauschend, vorgebeugt;
Durch das Gezweig der Helmbusch steigt
Und flattert drüber gleich dem Raben.
II
Wie dämmerschaurig ist der Wald
An neblichten Novembertagen,
Wie wunderlich die Wildnis hallt
Von Astgestöhn und Windesklagen!
»Horch, Knabe, war das Waffenklang?« –
»Nein, gnädger Herr! ein Vogel sang,
Von Sturmesflügeln hergetragen.« –
Fort trabt der mächtige Prälat,
Der kühne Erzbischof von Cöllen,
Er, den der Kaiser sich zum Rat
Und Reichsverweser mochte stellen,
Die ehrne Hand der Klerisei, –
Zwei Edelknaben, Reisger zwei,
Und noch drei Äbte als Gesellen.
Gelassen trabt er fort, im Traum
Von eines Wunderdomes Schöne,
Auf seines Rosses Hals den Zaum,
Er streicht ihm sanft die dichte Mähne,
Die Windesodem senkt und schwellt; –
Es schaudert, wenn ein Tropfen fällt
Von Ast und Laub, des Nebels Träne.
Schon schwindelnd steigt das Kirchenschiff,
Schon bilden sich die krausen Zacken –
Da, horch, ein Pfiff und hui, ein Griff,
Ein Helmbusch hier, ein Arm im Nacken!
Wie Schwarzwildrudel bricht's heran,
Die Äbte fliehn wie Spreu, und dann
Mit Reisigen sich Reisge packen.
Ha, schnöder Strauß! zwei gegen zehn!
Doch hat der Fürst sich losgerungen,
Er peitscht sein Tier und mit Gestöhn
Hat's übern Hohlweg sich geschwungen;
Die Gerte pfeift – »Weh, Rinkerad!« –
Vom Rosse gleitet der Prälat
Und ist ins Dickicht dann gedrungen.
»Hussah, hussah, erschlagt den Hund,
Den stolzen Hund!« und eine Meute
Fährt's in den Wald, es schließt ein Rund,
Dann vor – und rückwärts und zur Seite;
Die Zweige krachen – ha es naht –
Am Buchenstamm steht der Prälat
Wie ein gestellter Eber heute.
Er blickt verzweifelnd auf sein Schwert,
Er löst die kurze breite Klinge,
Dann prüfend untern Mantel fährt
Die Linke nach dem Panzerringe;
Und nun wohlan, er ist bereit,
Ja männlich focht der Priester heut,
Sein Streich war eine Flammenschwinge.
Das schwirrt und klingelt durch den Wald,
Die Blätter stäuben von den Eichen,
Und über Arm und Schädel bald
Blutrote Rinnen tröpfeln, schleichen;
Entwaffnet der Prälat noch ringt,
Der starke Mann, da zischend dringt
Ein falscher Dolch ihm in die Weichen.
Ruft Isenburg: »Es ist genug,
Es ist zuviel!« und greift die Zügel;
Noch sah er wie ein Knecht ihn schlug,
Und riß den Wicht am Haar vom Bügel.
»Es ist zuviel, hinweg, geschwind!«
Fort sind sie, und ein Wirbelwind
Fegt ihnen nach wie Eulenflügel. – –
Des Sturmes Odem ist vertauscht,
Die Tropfen glänzen an dem Laube,
Und über Blutes Lachen lauscht
Aus hohem Loch des Spechtes Haube;
Was knistert nieder von der Höh
Und schleppt sich wie ein krankes Reh?
Ach armer Knabe, wunde Taube!
»Mein gnädiger, mein lieber Herr,
So mußten dich die Mörder packen?
Mein frommer, o mein Heiliger!«
Das Tüchlein zerrt er sich vom Nacken,
Er drückt es auf die Wunde dort,
Und hier und drüben, immerfort,
Ach, Wund an Wund und blutge Zacken!
»Ho, hollah ho!« – dann beugt er sich
Und späht, ob noch der Odem rege;
War's nicht als wenn ein Seufzer schlich,
Als wenn ein Finger sich bewege? –
»Ho, hollah ho!« – »Halloh, hoho!«
Schallt's wiederum, des war er froh:
»Sind unsre Reuter allewege!«
III
Zu Cöln am Rheine kniet ein Weib
Am Rabensteine unterm Rade,
Und überm Rade liegt ein Leib,
An dem sich weiden Kräh und Made;
Zerbrochen ist sein Wappenschild,
Mit Trümmern seine Burg gefüllt,
Die Seele steht bei Gottes Gnade.
Den Leib des Fürsten hüllt der Rauch
Von Ampeln und von Weihrauchschwelen –
Um seinen qualmt der Moderhauch
Und Hagel peitscht der Rippen Höhlen;
Im Dome steigt ein Trauerchor,
Und ein Tedeum stieg empor
Bei seiner Qual aus tausend Kehlen.
Und wenn das Rad der Bürger sieht,
Dann läßt er rasch sein Rößlein traben,
Doch eine bleiche Frau die kniet,
Und scheucht mit ihrem Tuch die Raben:
Um sie mied er die Schlinge nicht,
Er war ihr Held, er war ihr Licht –
Und ach, der Vater ihrer Knaben!
*
Anmerkung:
Zu dem Kreuz und Rose:
Die "Rose" meint das Wappen von Schloss Berg, dessen Besitz Engelbert dem Bruder von Isenburgs Gemahlin vorenthielt.
*
Und wie sieht die historische Wahrheit um diesen Erzbischof aus?
Hier kann man sich informieren:
„.. es kocht die Ruhr.“
Nein, das ist nicht ein Kochseminar, das ist auch kein Hoch-Kultur-Event mit präsidialer Begeisterung und Hochstimmung von Ruhristen - das ist die Feststellung eines revolutionären Vorgangs im Ruhrtal; balladesk recherchiert und gereimt und mit heimlicher Sympathie festgehalten von einer adeligen Dame – allerdings vor gut anderthalb Jahrhunderten:
Annette von Droste Hülshoffs Großgedicht:
Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Cöln
I
Der Anger dampft, es kocht die Ruhr,
Im scharfen Ost die Halme pfeifen,
Da trabt es sachte durch die Flur,
Da taucht es auf wie Nebelstreifen,
Da nieder rauscht es in den Fluß,
Und stemmend gen der Wellen Guß
Es fliegt der Bug, die Hufe greifen.
Ein Schnauben noch, ein Satz, und frei
Das Roß schwingt seine nassen Flanken,
Und wieder ein, und wieder zwei,
Bis fünfundzwanzig stehn wie Schranken:
Voran, voran durch Held und Wald,
Und wo sich wüst das Dickicht ballt,
Da brechen knisternd sie die Ranken.
Am Eichenstamm, im Überwind,
Um einen Ast den Arm geschlungen,
Der Isenburger steht und sinnt
Und naget an Erinnerungen.
Ob er vernimmt, was durchs Gezweig
Ihm Rinkerad, der Ritter bleich,
Raunt leise wie mit Vögelzungen?
»Graf«, flüstert es, »Graf haltet dicht,
Mich dünkt, als woll es Euch betören;
Bei Christi Blute, laßt uns nicht
Heim wie gepeitschte Hunde kehren!
Wer hat gefesselt Eure Hand,
Den freien Stegreif Euch verrannt?« –
Der Isenburg scheint nicht zu hören.
»Graf«, flüstert es, »wer war der Mann,
Dem zu dem Kreuz die Rose passte?
Wer machte Euren Schwäher dann
In seinem eignen Land zum Gaste?
Und, Graf, wer höhnte Euer Recht,
Wer stempelt Euch zum Pfaffenknecht?« –
Der Isenburg biegt an dem Aste.
»Und wer, wer hat Euch zuerkannt,
Im härnen Sünderhemd zu stehen,
Die Schandekerz in Eurer Hand,
Und alte Vetteln anzuflehen
Um Kyrie und Litanei!?« –
Da krachend bricht der Ast entzwei
Und wirbelt in des Sturmes Wehen.
Spricht Isenburg: »Mein guter Fant,
Und meinst du denn ich sei begraben?
O laß mich nur in meiner Hand –
Doch ruhig, still, ich höre traben!«
Sie stehen lauschend, vorgebeugt;
Durch das Gezweig der Helmbusch steigt
Und flattert drüber gleich dem Raben.
II
Wie dämmerschaurig ist der Wald
An neblichten Novembertagen,
Wie wunderlich die Wildnis hallt
Von Astgestöhn und Windesklagen!
»Horch, Knabe, war das Waffenklang?« –
»Nein, gnädger Herr! ein Vogel sang,
Von Sturmesflügeln hergetragen.« –
Fort trabt der mächtige Prälat,
Der kühne Erzbischof von Cöllen,
Er, den der Kaiser sich zum Rat
Und Reichsverweser mochte stellen,
Die ehrne Hand der Klerisei, –
Zwei Edelknaben, Reisger zwei,
Und noch drei Äbte als Gesellen.
Gelassen trabt er fort, im Traum
Von eines Wunderdomes Schöne,
Auf seines Rosses Hals den Zaum,
Er streicht ihm sanft die dichte Mähne,
Die Windesodem senkt und schwellt; –
Es schaudert, wenn ein Tropfen fällt
Von Ast und Laub, des Nebels Träne.
Schon schwindelnd steigt das Kirchenschiff,
Schon bilden sich die krausen Zacken –
Da, horch, ein Pfiff und hui, ein Griff,
Ein Helmbusch hier, ein Arm im Nacken!
Wie Schwarzwildrudel bricht's heran,
Die Äbte fliehn wie Spreu, und dann
Mit Reisigen sich Reisge packen.
Ha, schnöder Strauß! zwei gegen zehn!
Doch hat der Fürst sich losgerungen,
Er peitscht sein Tier und mit Gestöhn
Hat's übern Hohlweg sich geschwungen;
Die Gerte pfeift – »Weh, Rinkerad!« –
Vom Rosse gleitet der Prälat
Und ist ins Dickicht dann gedrungen.
»Hussah, hussah, erschlagt den Hund,
Den stolzen Hund!« und eine Meute
Fährt's in den Wald, es schließt ein Rund,
Dann vor – und rückwärts und zur Seite;
Die Zweige krachen – ha es naht –
Am Buchenstamm steht der Prälat
Wie ein gestellter Eber heute.
Er blickt verzweifelnd auf sein Schwert,
Er löst die kurze breite Klinge,
Dann prüfend untern Mantel fährt
Die Linke nach dem Panzerringe;
Und nun wohlan, er ist bereit,
Ja männlich focht der Priester heut,
Sein Streich war eine Flammenschwinge.
Das schwirrt und klingelt durch den Wald,
Die Blätter stäuben von den Eichen,
Und über Arm und Schädel bald
Blutrote Rinnen tröpfeln, schleichen;
Entwaffnet der Prälat noch ringt,
Der starke Mann, da zischend dringt
Ein falscher Dolch ihm in die Weichen.
Ruft Isenburg: »Es ist genug,
Es ist zuviel!« und greift die Zügel;
Noch sah er wie ein Knecht ihn schlug,
Und riß den Wicht am Haar vom Bügel.
»Es ist zuviel, hinweg, geschwind!«
Fort sind sie, und ein Wirbelwind
Fegt ihnen nach wie Eulenflügel. – –
Des Sturmes Odem ist vertauscht,
Die Tropfen glänzen an dem Laube,
Und über Blutes Lachen lauscht
Aus hohem Loch des Spechtes Haube;
Was knistert nieder von der Höh
Und schleppt sich wie ein krankes Reh?
Ach armer Knabe, wunde Taube!
»Mein gnädiger, mein lieber Herr,
So mußten dich die Mörder packen?
Mein frommer, o mein Heiliger!«
Das Tüchlein zerrt er sich vom Nacken,
Er drückt es auf die Wunde dort,
Und hier und drüben, immerfort,
Ach, Wund an Wund und blutge Zacken!
»Ho, hollah ho!« – dann beugt er sich
Und späht, ob noch der Odem rege;
War's nicht als wenn ein Seufzer schlich,
Als wenn ein Finger sich bewege? –
»Ho, hollah ho!« – »Halloh, hoho!«
Schallt's wiederum, des war er froh:
»Sind unsre Reuter allewege!«
III
Zu Cöln am Rheine kniet ein Weib
Am Rabensteine unterm Rade,
Und überm Rade liegt ein Leib,
An dem sich weiden Kräh und Made;
Zerbrochen ist sein Wappenschild,
Mit Trümmern seine Burg gefüllt,
Die Seele steht bei Gottes Gnade.
Den Leib des Fürsten hüllt der Rauch
Von Ampeln und von Weihrauchschwelen –
Um seinen qualmt der Moderhauch
Und Hagel peitscht der Rippen Höhlen;
Im Dome steigt ein Trauerchor,
Und ein Tedeum stieg empor
Bei seiner Qual aus tausend Kehlen.
Und wenn das Rad der Bürger sieht,
Dann läßt er rasch sein Rößlein traben,
Doch eine bleiche Frau die kniet,
Und scheucht mit ihrem Tuch die Raben:
Um sie mied er die Schlinge nicht,
Er war ihr Held, er war ihr Licht –
Und ach, der Vater ihrer Knaben!
*
Anmerkung:
Zu dem Kreuz und Rose:
Die "Rose" meint das Wappen von Schloss Berg, dessen Besitz Engelbert dem Bruder von Isenburgs Gemahlin vorenthielt.
*
Und wie sieht die historische Wahrheit um diesen Erzbischof aus?
Hier kann man sich informieren:
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 14.01.: Rudolf Hagelstangeette von...
geschrieben von longtime
Rudolf Hagelstange hätte heute Geburtstag, er wäre 98 Jahre alt geworden.
Er, anfangs Journalist, dann Lyriker, Erzähler, Essayist und Reiseschriftsteller - wurde am 14.01.1912 in Nordhausen geboren und verstarb am 5.08.1984 in Hanau.
Seit 1936 erhielt er eine journalistische Ausbildung an der "Nordhäuser Zeitung" und arbeitete als Feuilletonredakteur, im Zweiten Weltkrieg war er als Kriegsberichterstatter und Redakteur von Soldatenzeitungen eingesetzt.
Der 1944 begonnene und 1946 erschienene Sonettzyklus "Venezianisches Credo" wurde zur meistverbreiteten Gedichtsammlung der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Seine beiden Romane "Spielball der Götter" (1959) und "Altherrensommer" (1969) hatten zeitweiligen Erfolg und sind heute fast vergessen.
Hagelstange bekannte sich zur christlich-humanistischen Tradition und war engagierter Teilnehmer im westdeutschen Kulturbetrieb.
Noch heute wichtig erscheinen mir seine frühen Balladen und religiösen Gedichte mit internationalen Themen, die ich für einen BLOG kommentiert habe, der aber nicht freigeschaltet ist.
Er, anfangs Journalist, dann Lyriker, Erzähler, Essayist und Reiseschriftsteller - wurde am 14.01.1912 in Nordhausen geboren und verstarb am 5.08.1984 in Hanau.
Seit 1936 erhielt er eine journalistische Ausbildung an der "Nordhäuser Zeitung" und arbeitete als Feuilletonredakteur, im Zweiten Weltkrieg war er als Kriegsberichterstatter und Redakteur von Soldatenzeitungen eingesetzt.
Der 1944 begonnene und 1946 erschienene Sonettzyklus "Venezianisches Credo" wurde zur meistverbreiteten Gedichtsammlung der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Seine beiden Romane "Spielball der Götter" (1959) und "Altherrensommer" (1969) hatten zeitweiligen Erfolg und sind heute fast vergessen.
Hagelstange bekannte sich zur christlich-humanistischen Tradition und war engagierter Teilnehmer im westdeutschen Kulturbetrieb.
Noch heute wichtig erscheinen mir seine frühen Balladen und religiösen Gedichte mit internationalen Themen, die ich für einen BLOG kommentiert habe, der aber nicht freigeschaltet ist.
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 14.01.: Rudolf Hagelstangeette...
geschrieben von longtime
Da es mit den BLOGS hier im ST nicht klappt, stelle ich wenigstens ein besonderes Gedicht von Hagelstange zu einer Erinnerung ein:
Rudolf Hagelstange:
Bei den schwarzen Baptisten
In Charlottesville
in Virginia
traf ich bei den schwarzen Baptisten
seit längerer Zeit die freundlichsten Christen.
An der Kirchentür sah ich schon einen warten
auf mich und mußte eine der Karten
ausfüllen: Name, Adresse, Herkunftsland -
und was noch sonst auf der Karte stand.
Dann brachte ein Mädchen im schneeweißen Kleid
mich an einen Platz, nicht weit
von der (gewissermaßen) Bühne,
im Halbkreis geschwungen, vorn ein Podest;
dahinter, erhöht wie auf einer Tribüne,
drei Reihen des Chors, der eben erschien,
bald gefolgt von Reverend Green.
Erst sang der Chor; dann die Gemeinde.
Dann grüßte der schwarze Herr Grün seine Freunde
und betete einfach und ohne Buch,
wie ihm die Worte von Herzen fielen.
Und sie lauschten gesammelt der leisen Rede -
er sprach ja für jeden und jede.
Sie sangen, und dann fing der Gottesmann
zu predigen an.
Er sprach von der Liebe, dem göttlichen Licht,
das in unser menschliches Dunkel bricht.
Er sprach nicht wie ein Gerechter zu Sündern.
Er sprach wie ein Vater zu Kindern.
Er sprach von dem Lichte der Sonne und dann
von dem künstlichen Licht: wie die Mutter das Öl
auf die Lampe gegossen, und wie man dann
das Gas erfunden, die Elektrizität
und das Neon-Licht. - »Aber meiner Seel-«,
rief er da, »was der Mensch auch kann -,
da ist noch ein lang-langer Weg zu gehn,
bis sie ein Licht erfinden werden, das
so hell wie die Sonne ist und so schön!«
Und sie nickten sich zu
und strahlten ihn an:
Right, Sir! That's true!
Und dann
sprach der Reverend von dem inneren Licht,
das eben nur
aus den Augen bricht -
eine Spur,
aber Räume, viele Räume der Welt
mit einem Strahle erhellt.
Und sie nickten ihm zu
und lächelten weise.
Und sagten: Oh, Yes!
Aber leise.
»Hingegen! gibt es auch Leute, die hängen
ihre Lampen nach draußen - jawohl - und drängen
andern ein Licht auf, doch ist da kein Schimmer
von Licht in ihrem eigenen Zimmer!«
Und der Reverend nahm die Lampe zur Hand,
die da vor ihm stand,
und hielt sie tief seitlich:
So! Seht hier? So!
Und da lachten sie gar
und nickten sich zu
und waren, so froh,
daß dieser so trübe Fall nun so klar
von dem Beispiel der Lampe und
Reverend Greens Mund
abzulesen war.
Oh, Yes. That is true!
Und dann rühmte der schwarze Herr Grün
die Blumen, die an der Sonne erblühn
wie alle die guten und stillen Taten,
die uns im Lichte der Liebe geraten,
und wie sie die ändern zum Leuchten bringen
und uns aber mit ihrem Lichte durchdringen.
Und dann sang er seinen Sonnengesang
Und hob seine Arme und sagte Dank
für die doppelte Sonne, die jeden durchglüht,
der sie nur sieht.
Und es sprangen die Worte wie glühende Brocken
von seinem Munde. Bald sprach er schnell;
dann geriet er ins Stocken
und suchte nach dem treffenden Wort.
Und hatte er’s, warf er es ihnen zu.
Und sie fingen es auf.
Oder riefen’s ihm zu
Und sagten: Oh, Yes.
Und: That's right, Sir. That's true!
Dann klappte er seine Bibel zu.
Und sprach für alle ein kurzes Gebet,
schon von den Klängen der Orgel umweht.
Und dann sangen sie ihre Sehnsucht aus
nach Zions goldenem Zukunftshaus.
Zum Schlusse aber sprach Reverend Green:
Es sitzen mit euch zu meinen Füßen
zwei weiße Gäste. Wir wollen sie grüßen ...
Es fiel zunächst ein weiblicher Name.
Ich sah mich um. Da stand eine Dame,
grundgütig lächelnd. Das Wohltun selbst.
Die Sonne fiel ein, und im ihrem Glanz
sah sie aus wie die Schwerster vom Heiligen Franz.
Und dann fiel der meine. Da staunten sie
über den Mister aus Germany.
Das war kaum zu glauben: Ja, schaut nur, schaut!
Hat der einen weiten Kirchweg daher!
3000 Meilen allein übers Meer ...
Und sie nickten mir zu
und lächelten weise
und sagten leise:
God bless You ...
Und ich schämte mich
meiner weißen Haut.
*
Angaben zum Text:
Diese Ballade stammt aus Hagelstanges US-Reisebericht „Der schielende Löwe. Oder: How do you like America?“, erschienen 1977; hier entnommen der Taschenbuchausgbe bei dtv 1353. S. 46.
Rudolf Hagelstange:
Bei den schwarzen Baptisten
In Charlottesville
in Virginia
traf ich bei den schwarzen Baptisten
seit längerer Zeit die freundlichsten Christen.
An der Kirchentür sah ich schon einen warten
auf mich und mußte eine der Karten
ausfüllen: Name, Adresse, Herkunftsland -
und was noch sonst auf der Karte stand.
Dann brachte ein Mädchen im schneeweißen Kleid
mich an einen Platz, nicht weit
von der (gewissermaßen) Bühne,
im Halbkreis geschwungen, vorn ein Podest;
dahinter, erhöht wie auf einer Tribüne,
drei Reihen des Chors, der eben erschien,
bald gefolgt von Reverend Green.
Erst sang der Chor; dann die Gemeinde.
Dann grüßte der schwarze Herr Grün seine Freunde
und betete einfach und ohne Buch,
wie ihm die Worte von Herzen fielen.
Und sie lauschten gesammelt der leisen Rede -
er sprach ja für jeden und jede.
Sie sangen, und dann fing der Gottesmann
zu predigen an.
Er sprach von der Liebe, dem göttlichen Licht,
das in unser menschliches Dunkel bricht.
Er sprach nicht wie ein Gerechter zu Sündern.
Er sprach wie ein Vater zu Kindern.
Er sprach von dem Lichte der Sonne und dann
von dem künstlichen Licht: wie die Mutter das Öl
auf die Lampe gegossen, und wie man dann
das Gas erfunden, die Elektrizität
und das Neon-Licht. - »Aber meiner Seel-«,
rief er da, »was der Mensch auch kann -,
da ist noch ein lang-langer Weg zu gehn,
bis sie ein Licht erfinden werden, das
so hell wie die Sonne ist und so schön!«
Und sie nickten sich zu
und strahlten ihn an:
Right, Sir! That's true!
Und dann
sprach der Reverend von dem inneren Licht,
das eben nur
aus den Augen bricht -
eine Spur,
aber Räume, viele Räume der Welt
mit einem Strahle erhellt.
Und sie nickten ihm zu
und lächelten weise.
Und sagten: Oh, Yes!
Aber leise.
»Hingegen! gibt es auch Leute, die hängen
ihre Lampen nach draußen - jawohl - und drängen
andern ein Licht auf, doch ist da kein Schimmer
von Licht in ihrem eigenen Zimmer!«
Und der Reverend nahm die Lampe zur Hand,
die da vor ihm stand,
und hielt sie tief seitlich:
So! Seht hier? So!
Und da lachten sie gar
und nickten sich zu
und waren, so froh,
daß dieser so trübe Fall nun so klar
von dem Beispiel der Lampe und
Reverend Greens Mund
abzulesen war.
Oh, Yes. That is true!
Und dann rühmte der schwarze Herr Grün
die Blumen, die an der Sonne erblühn
wie alle die guten und stillen Taten,
die uns im Lichte der Liebe geraten,
und wie sie die ändern zum Leuchten bringen
und uns aber mit ihrem Lichte durchdringen.
Und dann sang er seinen Sonnengesang
Und hob seine Arme und sagte Dank
für die doppelte Sonne, die jeden durchglüht,
der sie nur sieht.
Und es sprangen die Worte wie glühende Brocken
von seinem Munde. Bald sprach er schnell;
dann geriet er ins Stocken
und suchte nach dem treffenden Wort.
Und hatte er’s, warf er es ihnen zu.
Und sie fingen es auf.
Oder riefen’s ihm zu
Und sagten: Oh, Yes.
Und: That's right, Sir. That's true!
Dann klappte er seine Bibel zu.
Und sprach für alle ein kurzes Gebet,
schon von den Klängen der Orgel umweht.
Und dann sangen sie ihre Sehnsucht aus
nach Zions goldenem Zukunftshaus.
Zum Schlusse aber sprach Reverend Green:
Es sitzen mit euch zu meinen Füßen
zwei weiße Gäste. Wir wollen sie grüßen ...
Es fiel zunächst ein weiblicher Name.
Ich sah mich um. Da stand eine Dame,
grundgütig lächelnd. Das Wohltun selbst.
Die Sonne fiel ein, und im ihrem Glanz
sah sie aus wie die Schwerster vom Heiligen Franz.
Und dann fiel der meine. Da staunten sie
über den Mister aus Germany.
Das war kaum zu glauben: Ja, schaut nur, schaut!
Hat der einen weiten Kirchweg daher!
3000 Meilen allein übers Meer ...
Und sie nickten mir zu
und lächelten weise
und sagten leise:
God bless You ...
Und ich schämte mich
meiner weißen Haut.
*
Angaben zum Text:
Diese Ballade stammt aus Hagelstanges US-Reisebericht „Der schielende Löwe. Oder: How do you like America?“, erschienen 1977; hier entnommen der Taschenbuchausgbe bei dtv 1353. S. 46.
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 15.01.: Grillparzerngeette...
geschrieben von longtime
Literaturkalender für den 15.01.:
Franz Grillparzer
Ossip Mandelstam
Franz Fühmann
*
Ich wähle aus:
Franz (Seraphicus) Grillparzer (15.1.1791 - 21.1.1872)
Neben den klassischen, heute nicht mehr gelesenen und nicht mehr aufgeführten Dramen gibt es politisch-kritische Texte, Gedichte und Aphorismen von Grillparzer:
Für heute: einige Aphorismen über Bildung von Grillparzer:
Die Ungebildeten haben das Unglück, das Schwere nicht zu verstehen, dagegen verstehen die Gebildeten häufig das Leichte nicht, was ein noch viel größeres Unglück ist.
Der Ungebildete sieht überall nur einzelnes, der Halbgebildete die Regel, der Gebildete die Ausnahme.
In gewissen Ländern scheint man der Meinung: drei Esel machten zusammen einen gescheiten Menschen aus. Das ist aber grundfalsch. Mehrere Esel in concreto geben den Esel in abstracto, und das ist ein furchtbares Tier.
Durchbildung ist ein sehr gutes neues Wort und zeigt an, daß ein Mensch so von Bildung durchdrungen ist, daß, nach Austreibung alles Natürlichen, er sich als ein ausgespritztes anatomisches Präparat darstellt.
[Meine Ergänzung: „Durchbildung“ ist ein Wort, das im Umgangsprachlicen nicht geläufig ist; Duden-Rechtschreibung bietet es aber: „Durch|bil|dung, die; -: das Durchbilden; das Durchgebildetsein“ (meint: „vollständig ausbilden“.]
Den Berlinern merkt man ewig an, daß ihre Bildung von Franzosen und Juden ihren Anfang genommen hat.
Jede poetische Feuersbrunst bringt, wie jede wirkliche, ihren eigenen Wind mit sich, der die Flammen nicht selten weiter trägt, als man anfangs vermuten konnte.
Seit man nicht mehr in die Kirche geht, ist das Theater der einzige öffentliche Gottesdienst, sowie die Literatur die Privatandacht.
Diese Schriftsteller, die nur über anderes sprechen, Schmarotzerpflanzen.
Dilettanten genießen das Werk, Professoren zugleich den Meister.
*
Franz Grillparzer
Ossip Mandelstam
Franz Fühmann
*
Ich wähle aus:
Franz (Seraphicus) Grillparzer (15.1.1791 - 21.1.1872)
Neben den klassischen, heute nicht mehr gelesenen und nicht mehr aufgeführten Dramen gibt es politisch-kritische Texte, Gedichte und Aphorismen von Grillparzer:
Für heute: einige Aphorismen über Bildung von Grillparzer:
Die Ungebildeten haben das Unglück, das Schwere nicht zu verstehen, dagegen verstehen die Gebildeten häufig das Leichte nicht, was ein noch viel größeres Unglück ist.
Der Ungebildete sieht überall nur einzelnes, der Halbgebildete die Regel, der Gebildete die Ausnahme.
In gewissen Ländern scheint man der Meinung: drei Esel machten zusammen einen gescheiten Menschen aus. Das ist aber grundfalsch. Mehrere Esel in concreto geben den Esel in abstracto, und das ist ein furchtbares Tier.
Durchbildung ist ein sehr gutes neues Wort und zeigt an, daß ein Mensch so von Bildung durchdrungen ist, daß, nach Austreibung alles Natürlichen, er sich als ein ausgespritztes anatomisches Präparat darstellt.
[Meine Ergänzung: „Durchbildung“ ist ein Wort, das im Umgangsprachlicen nicht geläufig ist; Duden-Rechtschreibung bietet es aber: „Durch|bil|dung, die; -: das Durchbilden; das Durchgebildetsein“ (meint: „vollständig ausbilden“.]
Den Berlinern merkt man ewig an, daß ihre Bildung von Franzosen und Juden ihren Anfang genommen hat.
Jede poetische Feuersbrunst bringt, wie jede wirkliche, ihren eigenen Wind mit sich, der die Flammen nicht selten weiter trägt, als man anfangs vermuten konnte.
Seit man nicht mehr in die Kirche geht, ist das Theater der einzige öffentliche Gottesdienst, sowie die Literatur die Privatandacht.
Diese Schriftsteller, die nur über anderes sprechen, Schmarotzerpflanzen.
Dilettanten genießen das Werk, Professoren zugleich den Meister.
*
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 16.01.: Georg Heym
geschrieben von longtime
16.01.
Hinweise auf Persönlichkeiten:
Georg Heym
Susan Sontag
Inger Christensen
*
Ich wähle aus:
Georg Heym (30.10.1887 -16. 01.1912):
Die Bienen fallen in den dünnen Röcken
Oktober 1911
Die Bienen fallen in den dünnen Röcken
Im Rauhreif tot aus den verblaßten Lüften
Die nicht mehr kehren rückwärts zu den Stöcken.
Die Blumen hängen auf den braunen Stielen
An einem Morgen plötzlich leer von Düften,
Die bald im Staub der rauhen Winde sielen.
Die langen Kähne, die das Jahr verschlafen,
Mit schlaffem Wimpel hängend in der Schwäche,
Sind eingebracht im winterlichen Hafen.
Die Menschen aber, die vergessen werden,
Hat Winter weit zerstreut in kahler Fläche
Und bläst sie flüchtig über dunkle Erden.
*
(Aus der Sammlung "Der Himmel. Trauerspiel". 1911)
*
Zum angegeben Datum „Oktober 1911“ weiß ich nur, dass Heym, dem väterlichen Wunsch entsprechend, Jura studierte. Nach Semestern in Würzburg und Jena setzte er das Studium in Berlin fort und bestand dort 1911 die erste juristische Staatsprüfung. Den Beruf verfolgte er nicht weiter.
Die in seinem, kurzen Leben angebotenen persönlichen, elterlichen und politisch-gesellschaftlichen Lebensbedingungen konnte er nicht akzeptieren, weil er sie als machtorientiert, militaristisch; als inhuman und verlogen durchschaute und menschliche Ideale als Lebensziel nicht aufgeben wollte.
Seine Schwermut und Kritik wurden beispielhaft für den deutschen Expressionismus.
Biografischer Überblick
Werk-Überblick:
http://gutenberg.spiegel.de/index.php?id=19&autorid=273
Hinweise auf Persönlichkeiten:
Georg Heym
Susan Sontag
Inger Christensen
*
Ich wähle aus:
Georg Heym (30.10.1887 -16. 01.1912):
Die Bienen fallen in den dünnen Röcken
Oktober 1911
Die Bienen fallen in den dünnen Röcken
Im Rauhreif tot aus den verblaßten Lüften
Die nicht mehr kehren rückwärts zu den Stöcken.
Die Blumen hängen auf den braunen Stielen
An einem Morgen plötzlich leer von Düften,
Die bald im Staub der rauhen Winde sielen.
Die langen Kähne, die das Jahr verschlafen,
Mit schlaffem Wimpel hängend in der Schwäche,
Sind eingebracht im winterlichen Hafen.
Die Menschen aber, die vergessen werden,
Hat Winter weit zerstreut in kahler Fläche
Und bläst sie flüchtig über dunkle Erden.
*
(Aus der Sammlung "Der Himmel. Trauerspiel". 1911)
*
Zum angegeben Datum „Oktober 1911“ weiß ich nur, dass Heym, dem väterlichen Wunsch entsprechend, Jura studierte. Nach Semestern in Würzburg und Jena setzte er das Studium in Berlin fort und bestand dort 1911 die erste juristische Staatsprüfung. Den Beruf verfolgte er nicht weiter.
Die in seinem, kurzen Leben angebotenen persönlichen, elterlichen und politisch-gesellschaftlichen Lebensbedingungen konnte er nicht akzeptieren, weil er sie als machtorientiert, militaristisch; als inhuman und verlogen durchschaute und menschliche Ideale als Lebensziel nicht aufgeben wollte.
Seine Schwermut und Kritik wurden beispielhaft für den deutschen Expressionismus.
Biografischer Überblick
Werk-Überblick:
http://gutenberg.spiegel.de/index.php?id=19&autorid=273
Re: Literatur-Kalender fuer das Jahr 2010 - Januar-Folge II. - 16.01.: Georg Heym
geschrieben von longtime