Literatur Kleine Geschichte der Ukraine Andreas Kappeler
In diesem in der achten Auflage 2022 erschienenen Sachbuch analysiert der Schweizer Historiker Andreas Kappeler die Geschichte der Ukraine in den letzten 1000 Jahren unter Einbezie-hung von Aspekten der Geschichte anderer Völker (Russen, Polen, Deutsche, Krimtataren, Mon-golen u.a.) und der jüdischen Elemente der Ukraine. Kappeler stellt deutlich die gemeinsamen kulturellen und politischen Ursprünge Russlands und der Ukraine heraus und es gelingt ihm, die komplizierte Abfolge von Fremdherrschaft (Polen, Litauen, Mongolen, Russland, Österreich-Ungarn) und Teilungen des ukrainischen Siedlungsge-biets anschaulich und fundiert zu erfassen. Die Entwicklung einer ukrainischen Staatsnation, die vor allem in den letzten Jahrzehnten sich weniger auf sprachliche Aspekte begründete, wird vom Autor trotz der rela-tiv knappen Analyse der ukrainischen Geschichte in den letzten 10 Jahren im Wesentlichen gut dargestellt, wobei immer wieder das Bemühen Kappelers um eine differenzierte Wiedergabe der Beziehungen zwi-schen Ukrainern und Nichtukrainern erkennbar ist. Kappeler verschweigt auch keine moralisch und völker-rechtlich negativen Aspekte der ukrainischen Geschichte (z. B. Judenpogrome und nationalistische und faschistische Fehlentwicklungen) und widmet sich konsequent der Dekonstruktion ukrainischer und russi-scher historischer Mythen, die heute noch von beiden Seiten politisch instrumentalisiert werden. Die Rolle Banderas (II. Weltkrieg) als nationalistische historische Figur zwischen Widerstand gegen Fremdherrschaft und Faschismus müsste aller-dings klarer herausgearbeitet werden. Die politische Entwicklung der Ukraine in den letzten 30 Jahren erscheint Kappeler trotz vieler Rückschläge als ein beschwerlicher Weg in Rich-tung Demokratie und europäischer Integration. Die Lektüre dieses Buchs erfordert trotz des Bemühens des Autors um eine klare Strukturierung, zusam-menfassende Bilanzen und Anschaulichkeit oft ein hohes Maß an Konzentration. Zu bemängeln ist trotz eines ausführlichen Literaturverzeichnisses die fehlende deutliche Verbindung bzw. Markierung von Zitaten und Fakten im laufenden Text. Die Kritik in manchen anderen Rezensionen (einseitige proukrainische Perspektive) kann ich nicht nachvollziehen, weil Kappeler viele historische Fakten differenziert analysiert. Dass er dabei Meinungen vertritt, die man auch diskutieren kann, kann man ihm nicht vorwerfen. Schade ist natürlich, dass die jüngere Geschichte(Ukraine-Krieg) in diesem Buch nicht erfasst wird. Insgesamt ist dieses Sachbuch ein sehr lesenswertes und auf fundiertem Wissen begründetes Sachbuch zur ukrainischen Geschichte.