Literatur Ich lese gerade

Michiko
Michiko
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von Michiko
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.04.2021, 10:33:46

@Maikel

Ich erinnere mich, dass wir in der Schulzeit die Erzählung "Dubrowski" von Puschkin behandelt haben, vlt. findet sie sich sogar in Deinem Band, den Du gerade liest. Es war eine Liebesgeschichte zur Zeit der Leibeigenschaft und ein Konflikt zwischen Adligen und Bauern im alten Russland.

Ich lese gerade "Mathilde" von Leonhard Frank. Klappentext zum Inhalt:

Ort des Geschehens ist ein Dörfchen in der Schweizer Bergwelt.  Die schöne, empfindsame Mathilde lebt Tag und Nacht in ihren Träumen. Sie heiratet einen Arzt und führt eine unglückliche Ehe. Durch viele Enttäuschungen hindurch bewahrt sie sich dennoch ihre menschliche Wärme und Güte. In dem englischen Gutsbesitzer und Flieger George Weston findet sie schließlich einen Seelenverwandten und ihre große Liebe. Doch gerade als ihr Glück am größten ist, bricht der Zweite Weltkrieg aus. Weston meldet sich sofort zum Dienst. Mathilde und Weston, die einander so nahe waren, werden jäh getrennt.

Der leidenschaftliche Pazifist Leonhard Frank zeigt auf ergreifende Weise, wie zerstörerisch der Krieg sein kann, und erzählt zugleich von der Liebe, die scheinbar unüberwindbare Grenzen überkommen kann. Auch seine Bücher brannten 1933 auf den Scheiterhaufen.

Michiko
Mitglied_6d29e9d
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.04.2021, 10:33:46

Hallo Maikel, genau so erging es mir auch mit Puschkin, vor vielen Jahrenwar es glaube ich " Pique Dame", was ich als erstes las - ich schätze auch seine schreiberische Leichtigkeit, das unterscheidet ihn so wohltuend von Tolstoij und Dostoljewskij, da braucht man entweder ein gutes Namensgedächtnis oder ein Personenverzeichnis, um sich alle Figuren zu merken :-) 

Ich lese gerade von Thornton Wilder den Roman "Die Brücke von San Luis Rey " aus dem Jahre 1927. Ich lese ihn im Original und ich liebe seine klare, schnörkelfreie Sprache, die so ausdrucksstark und doch auch zart und voller Gefühle ist. Die Brücke von San Luis Rey wurde 1927 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Es ist leicht zu verstehen, warum. Dieser kurze Roman (148 Seiten) beginnt mit einer Tragödie:
dem Einsturz einer Hängebrücke aus Seilen im Jahr  1714 in Peru, bei dem fünf Menschen sterben. Bruder Juniper, ein Mönch, der Zeuge ihres Todes ist, überlegt, ob ihr Tod das Ergebnis der göttlichen Vorsehung ist oder Zufall und er versucht herauszufinden, das diese Menschen, ausser dem gemeinsamen Tod, noch verbindet. Bruder Juniper sammelt in den folgenden Jahren Beweise , um zu erklären, warum Gott diese fünf für den vorzeitigen Tod ausgewählt hat. Wilder erzählt dann ihre Lebensgeschichten bis zu dem Moment, als sie die Brücke überquerten.

Die Marquesa de Montemayor ist eine reiche, als hässlich beschriebene, ältere aristokratische Frau, die nur zum Wohl ihres Kindes lebt, eine hochmütige Schönheit namens Clara, die kürzlich geheiratet hat und nach Spanien gezogen ist. Die Marquesa widmet sich dem Schreiben langer, wunderschön meditierter Briefe an Clara und der Durchführung aufwändiger abergläubischer Rituale für sie. Sie findet endlich Frieden von ihrer unerwiderten mütterlichen Liebe zwei Tage bevor sie und ihr Dienstmädchen Pepita die Brücke überqueren.

Esteban ist ein identisches Zwillingswaisenkind, das seinen Bruder Manuel mit einer alles verzehrenden, zielstrebigen, wortlosen Wildheit liebt und tief verwundet ist, als Manuel sich in die schöne, eitle Schauspielerin Camila Perichole verliebt, und am Boden zerstört ist, als Manuel bald darauf stirbt . Am Rande des Selbstmordes willigt Esteban ein, eine lange Reise mit einem von ihm respektierten Kapitän zu unternehmen, doch auf dem Weg nach Lima überquert er die Brücke genau im falschen Moment.

Die letzte Erzählung erzählt von den Abenteuern von Onkel Pio, einem weisen und listigen alten Mann, der den größten Teil seines Lebens der Führung der erstaunlichen Schauspielkarriere von Camila Perichole gewidmet hat. Onkel Pio sieht amüsiert und bestürzt zu, wie Perichole zum Star in Lima wird, eine gewinnbringende Liebesbeziehung mit dem Vizekönig von Peru eingeht und schließlich auf ihre Bühnenkarriere für das Leben einer großen Dame verzichtet. Als Camila Pocken bekommt und ihr schönes Aussehen verliert, zieht sie sie sich mit ihrem kranken kleinen Sohn Don Jaime aufs Land zurück.  Pio überzeugt sie, ihn , den Sohn , zu Don Jaime nach Lima bringen zu lassen, damit er den Jungen als Gentleman erziehen kann. Pio und Don Jaime sterben mit den anderen auf der zum Scheitern verurteilten Brücke.

Im letzten Kapitel kehrt der Roman zu Bruder Juniper zurück, der schließlich sein umfangreiches Buch über die fünf Opfer des Brückenzusammenbruchs fertigstellt: Für seine Bemühungen wird er als Ketzer verurteilt und zusammen mit seinem Buch auf dem zentralen Platz von Lima verbrannt.

Ich lese das Buch jetzt zum dritten Mal, zuletzt las ich es nach dem grossen Brückeneinsturz bei Genua, als man sich wieder einmal fragte, warum die einen sterben mussten und andere überlebten .. 

Alles in allem ein Roman, der den Leser mit großen spirituellen Problemen konfrontiert, denen wir uns alle im realen Leben irgendwann stellen müssen oder uns schon gestellt haben - ich habe dieses Buch bewusst gewählt, um meiner Enkelin, die gerade einige Verluste und Probleme zum ersten Mal im Leben bewältigen muss, eine Hilfe an die Hand zu geben, diese schwere Hürde zu überwinden und habe es ihr an drei Abenden vorgelesen -  zwischendurch wurden viele Erinnerungen und Emotionen freigesetzt, wir beide haben zusammen geweint und uns getröstet und wir sind , glaube ich, beide in einem guten Stadium des seelischen Heilungsprozesses

RE: Ich lese gerade
geschrieben von ehemaliges Mitglied

@Michiko , die Erzählung 'Dubrowski' ist zum Glück in meinem Band von Puschkin enthalten, ausgerechnet diese las ich noch nicht, werde dies aber stantepede nachholen. 😊


Danke für den Tipp bzgl. Leonard Frank, ich kann von ihm sehr "Die Ursache" empfehlen, der Aufbau Verlag bewirbt die Erzählung (ca. 110 Seiten) so:

"Der erfolglose Schriftsteller Anton Seiler kehrt als Erwachsener in die Stadt seiner Kindheit zurück. Er sucht seinen sadistischen Klassenlehrer von damals auf, den er für seine seelische Zerrüttung verantwortlich macht und zur Rechenschaft ziehen möchte. Doch als er seinem Peiniger von einst gegenübertritt, gerät die Situation außer Kontrolle ... "

Ich lernte die Geschichte zuerst in dem gleichnamigen Hörspiel des BR von 1954 kennen, das ich vor ca. 20 Jahren mal aus dem Radio aufnahm.


@Woschi2 , bei Tolstoi und Dostojewski braucht man tatsächlich ein gutes Namensgedächtnis. 😁

Mein Lieblingsbuch von Thornton Wilder ist "Unsere kleine Stadt", die "Brücke von San Luis Rey" las ich noch nicht, kenne aber die Geschichte als solche. Die gleichnamigen Verfilmungen von 1929 und 1944 kenne ich nicht, den Film von 2004 kann ich, trotz Starbesetzung, nicht empfehlen.

Wie wunderschön, dass Literatur Dir und Deiner Enkelin hilft, ich wünsche euch weiterhin alles Gute auf eurem Weg. 😊
 


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olga64
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von olga64

Da ich mich vor einiger Zeit für den Autor Thommie BAyer begeisterte, holte ich mir nun weitere von ihm aus meiner Bücherei.
Gerade lese ich "Das innere Ausland". Eine gut geschriebene Geschichte, an der man dranbleibt. Auch den Titel finde ich interessant, zu interpretieren - denn ich denke, über ein "inneres Ausland" verfügt jedes Individuum, wenn man länger darüber nachdenkt.... Olga

Michiko
Michiko
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von Michiko
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.04.2021, 13:11:10

Guten Morgen in die Leserunde, seit Tagen ist es ungemütlich kalt, teils auch mit Schneeschauern, da ist hier Lesezeit angesagt.

@Maikel

Danke für den Tipp des Büchleins "Die Ursache", habe es mir gerade bestellt, da ich zwar einiges andere aber nicht dieses von Leonhard Frank besitze. Der Roman "Mathilde" ist teils autobiografisch, so beschreibt er zum Beispiel seine Flucht mit drei Mitinternierten aus einem Gefangenenlager in der Bretagne im Jahre 1940.
Im von Walter Janka geleiteten Aufbau-Verlag Berlin erschienen seine gesammelten Werke nach dem 2. WK Anfang der 50er Jahre. Und noch was zur Person Walter Janka. Als Janka später bei der Staatspartei SED in Ungnade fiel und verhaftet wurde, wurde Leonhard Frank als Emissär u.a. von Katia Mann und Hermann Hesse  in Ost-Berlin vorstellig, allerdings vergeblich. 1956 wurde Walter Janka in einem Schauprozess wg. angeblicher Boykotthetze und Anstiftung zur "Konterrevolution" zu 5 Jahren Zuchthaus mit verschärfter Einzelhaft verurteilt. Aufgrund internationaler Proteste wurde er 1960 vorzeitig entlassen.

An der Stelle ein Tipp zu zwei Büchern von Walter Janka, die bei mir im Regal stehen und ich als sehr lesenswert empfinde: "Schwierigkeiten mit der Wahrheit", seine bitteren Erfahrungen mit dem SED-Regime, eine Aufarbeitung und just im Jahre 1989! erschienen. Und auch "Spuren eines Lebens", eine sehr sachlich geschriebene Autobiografie.

Gruss
Michiko

Bias
Bias
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von Bias
"Wie der Mensch seine Welt neu erschaffen hat"

Wieder einmal ein Titel von Ernst Peter Fischer, einem Naturwissenschaftler und Professor für Wissenschaftsgeschichte, den - ich glaube um 2010 herum - erstens Dietrich Schwanitz' Erfolg mit dem Buchtitel "Bildung" erstaunt
und zweitens die Beschränkung von Bildung in diesem Buch auf geisteswissenschaftliches und schöngeistiges geärgert zu haben scheint.
Als ob sich Bildung darauf beschränken ließe, scheint sich der Naturwissenschaftler gedacht
und fürderhin Wissen nebst Talent darauf verwendet haben, physikalisches, chemisches und biologisches Wissen einer geneigten Leserschaft nahezubringen.
Das gelingt dem Professor subjektiv betrachtet mal mehr und mal weniger. Ich lese seine Bücher - angefangen mit "Die andere Bildung" (Antwort auf Schwanitz) gerne, finde sie in Teilen unterhaltsam aber so gut wie immer lehrreich geschrieben.
So geht es mir auch mit dem Buchtitel oben, in welchem Herr Fischer, angefangen in der Antike bis hin in die Neuzeit, darstellt wie sich der Mensch per Forschung und Wissenszugewinn seine Welt erschaffen hat.
Es wäre geprahlt, würde ich behaupten, dass ich alles verstünde. Doch mir und meiner Art zu denken kommt die zugrundeliegende Idee nahe.
Mein Alltag und meine Erlebenswelt könnte sich schließlich völlig anders darstellen, hätten forschender Geist, Phantasie und Zielstrebigkeit zu anderen Ergebnissen geführt als zu jenen Ansichten und technischen Errungenschaften derer wir uns heute so völlig selbstverständlich bedienen.

 

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olga64
olga64
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von olga64

Ich lese immer noch Thommie Bayer (aktuell: "Seltene Affären"). Gefällt mir ebenfalls sehr gut. Der Autor schafft es, authentische Personen beider Geschlechter gut rüberzubringen.
Wenn ich das Buch ausgelesen habe, mache ich doch eine Pause von und mit ihm, weil das neueste Buch von Benedict Wells "Hard Land" schon auf mich wartet. Ich bin sehr an jungen Autoren interessiert, auch wie sie die Zeit und die Welt sehen;deshalb freue ich mich über so junge, erfolgreiche Schriftsteller sehr.

Auch das neueste Buch von Juli Zeh ist nun in meiner Bücherei eingetroffen und - wie zu erwarten - mit grosser Warteliste (bin auf Platz 3).
Gut,d ass es Bücher gibt und gut,dass ich schon von Kindheit an sehr gerne lese - das erleichtert sogar diese lange Seuchenzeit ein wenig, weil man Gründe hat, sich auf etwas zu freuen. Olga

Ladouce46
Ladouce46
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von Ladouce46
Alle außer mir  von Francesca Melandri

Hier arbeitet die Autorin die faschistische koloniale Vergangenheit Italiens in Äthiopien, auf. Gleichzeitig izeigt sie, wie sich in der Vergangenheit liegende Handlungen heute auswirken. Melandri verwendet dafür einen Kniff: Sie lässt die Folgen des Kolonialismus und Rassismus sozusagen in Person vor der Haustür der vermeintlich moralisch sattelfesten Italienerin Illaria stranden. Dort sitzt eines Tages ein äthiopische Flüchtling, dem das Asyl verweigert wird, und sagt: "Ich bin dein Neffe - mein Vater war dein Halbbruder.
Liest sich für meinen Begriff zwar  etwas holperig, aber ist eben auch sehr interessanter Stoff.
LG Ladouce

 
Ladouce46
Ladouce46
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von Ladouce46
als Antwort auf olga64 vom 15.04.2021, 15:09:20

Da sagen Sie etwas, liebe Olga, das Lesen ist ein Geschenk, besonders in solchen Zeiten wie diese.
LG Ladouce
 

olga64
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RE: Ich lese gerade
geschrieben von olga64
als Antwort auf Ladouce46 vom 16.04.2021, 17:18:04

Liebe Ladouce,

dieses Buch hat mir auch gut gefallen und mittlerweile lese ich diese Autorin überaus gerne. LG Olga


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