Literatur Ich lese gerade
Nachdem ich "die Orangen des Präsidenten" von Abbas Khider gelesen habe, in dem es um die Verhältnisse im Irak zu Zeiten des 1. und 2. Golfkrieges geht. Der Protagonist wird inhaftiert und erlebt die Hölle.
Es ist ziemlich heftig, daher musste nun etwas anderes her.
So griff ich zu dem neuen Buch von T.C. Boyle, mit dem er gerade durch Deutschland tourt,
"Blue Skies". Sein Stil ist wieder gewöhnungsbefürftig, sehr flüssig, aber es wird jedes Teilchen bis aufs I-Tüpfelchen beschrieben. Na ja, aber er ist wirklich ein Meister seines Fachs. Das Schmunzeln kommt nicht zu kurz. So ist von allem etwas dabei.
"Der Planet stirbt, siehst du das nicht?", wirft Cooper seiner Mutter vor, die ihre Küche gehorsam auf frittierte Heuschrecken umstellt. Heftige Diskussionen gibt es auch mit Schwester Cat. Sie hat sich als Haustier einen Tigerpython namens Willie angeschafft, die sie sich wie ein glitzerndes Juwel um die Schultern hängt. Die Frage nach dem Verhältnis zur Umwelt geht wie ein Riss durch die Familie, bis eines Nachts Willie aus dem Terrarium verschwindet. Mit „Blue Skies“ hat T.C. Boyle den ultimativen Roman über den Alltag in unseren Zeiten geschrieben. Unheimlich, witzig und prophetisch. "
LG Ladouce
DAnke Ladouce. T.C. Boyle gehörte lange zu meinen Lieblings-Autoren. Als er sich noch den so wichtigen Themen wie Einwanderung widmete.
Er hat das Genre geändert - versagt sich aber den wirklichen Wichtigkeiten nicht und das schätze ich an ihm.LG Olga
Heute morgen, auf unserem zu dieser Zeit noch angenehm kühlen, Balkon sitzend, zuende gelesen:
Robert Seethaler: Das Café ohne Namen. Claassen-Verlag, Berlin 2023
Was für ein toller Roman!
Erzählt wird die Geschichte eines "einfachen Mannes", Tagelöhner, Anfang 30, der Mitte der 1960er ein Café gründet, dem er aber keinen Namen gibt, weil ihm kein passender einfällt. Also heißt es fortan "Café ohne Namen".
Schnell finden sich Gäste ein, die rund um dem Marktplatz leben oder arbeiten, an welchem sich auch das Café befindet. Es sind einfache Menschen, schräge Typen, leicht verrückte Außenseiter mit ihren Alltagsnöten, Alltagsfreuden, Sorgen, Hoffnungen und Lebenskatastrophen.
Ähnlich wie schon in seinem ausgezeichneten Buch "Das Feld", in dem Seethaler die Geschichten der Menschen, die in den Gräbern des Friedhofs ("Das Feld"!) liegen, miteinander verwebt, macht er das auch in dem "Café".
Das Buch ist spannend, traurig, absurd, durchaus auch mal humorvoll, vor allem aber zutiefst menschlich. Wie schon in dem Roman "Das Feld" (2018), "Der Trafikant" (2012) und dem Kurzroman "Ein ganzes Leben" (2014) zeigt sich Seethaler hier wieder als großer Menschenerzähler und Philanthrop. Den Schauspieler Seethaler, wird man in 50 Jahren vergessen haben; den Autor Seethaler wird man gewiss auch dann noch lesen.
Eine begeisterte Empfehlung vom
Waldler
Ich kann dieser Empfehlung nur zustimmen.
Die Bücher von Seethaler haben mir bisher alle gefallen.
Adoma, die vielleicht eines noch einmal liest (oder sich vorlesen lässt ;-) )
Ich lese von Kristina Hauff "Unter Wasser Nacht". Ich hatte etwas schwierig Zugang zu diesem Buch, aber mittlerweile kann ich es gerne empfehlen: eine spannende Geschichte aus diversen familiären Bereichen mit Tiefgang. Olga
Das hört sich vielversprechend an. Ich kenne bisher nichts von Herrn Seethaler, werde das aber demnächst ändern.
Ich lese gerade ein Sachbuch:
Bernhard Weßling: Was für ein Zufall !
Über Unvorhersehbarkeit, Komplexität und das Wesen der Zeit
Verlag: Springer Vieweg
Mein Interesse an der Frage Zufall oder Vorhersehbarkeit
wurde geweckt durch den Vortrag hier im ST am Freitag, den 3. 3. 2023
von Prof. Dr. Michael Butter (Universität Tübingen) über
"Verschwörungstheorien: Formen - Funktionen - Folgen".
Verständlich und spannend!
Allegra
Nachdem ich die Romane "1793" und "1794" von Niklas Natt och Dag gelesen haben, habe ich mich nun durch den 3. Band der Trilogie "1795" gekämpft. Dieser Band ist der Abschluss dieser außergewöhnlichen Reihe. Er ist intensiv, sprachgewaltig, düster, aber zersplittert sich in Nebengeschichten, wo ich keinen Zusammenhang zur Kernhandlung der drei Bände feststellen konnte. Winge und Cardell verfolgen Tycho Ceton, der ein widerliches Theaterstück inszeniert. Es ist eine zermürbende, nervenaufreibende und besessene Jagd, und sie wird sie bis ans bittere Ende führen. Der Autor spielt wieder gekonnt mit der vielschichtigen Handlung, das Szenario ist atmosphärisch, bedrohlich, und man verliert sich in dieser dunklen, beeindruckenden Welt, die er erzeugt. Man hat, wie in den zwei Bänden vorher, selbst das Gefühl im stinkenden Morast der Stadt der damaligen Zeit durchzuwaten. Die unruhigen Zeiten und Zustände im Stockholm des 18. Jh. sind kaum nachzuvollziehen, bilden aber den Rahmen und viele handelnde politische Persönlichkeiten sind authentisch. Cardell stirbt und Winge endet in Danviken, im Tollhaus.
Ich fand es sehr spannend geschrieben, aber nicht jeder mag diese "rustikale" Art.
Michiko
Guten Abend, Wilfried,
ich glaube, Du wirst es nicht bereuen. Falls ich einen Tipp geben darf? Fang mit "Ein ganzes Leben" an...
Eine angenehmste Lektüre wünscht
DW
@Der-Waldler
Ich bin deiner Empfehlung nicht gefolgt, weil Ein ganzes Leben gerade ausgeliehen war. Stattdessen habe ich Das Feld gelesen.
Das Feld ist ein Teil des Friedhofs der fiktiven Kleinstadt Paulstadt. 29 der hier begrabenen ehemaligen Bewohner des Städtchens erzählen in ebensovielen Kapiteln aus ihrem Leben – als Tote und aus der Sicht von Toten (wie der Autor sie sich vorstellt). Erzählerisch sind die Kapitel nicht gleichwertig; einige hätte ich mir straffer oder sprachlich konziser gewünscht. Die Berichte ergänzen einander teilweise und ergeben ein ziemlich realistisches Bild des sehr alltäglichen Lebens in dieser Stadt zu Lebzeiten der Erzähler.
Eigentlich hätte ich das Buch lieber nicht gelesen, weil es von Anfang an ein schales, ungutes Gefühl in mir geweckt hat. Aber es hat einen Sog, der mich nicht mehr losließ, was wohl daran liegt, daß es das Leben so schildert, wie es tatsächlich ist, in all seiner Zufälligkeit, Ausweglosigkeit und Banalität. Und da es Tote sind, die erzählen, vermittelt es außerdem noch ein sehr starkes Gefühl von der Unausweichlichkeit der Vergänglichkeit und der Unwiederbringlichkeit des Vergangenen. Bei mir vielleicht noch dadurch verstärkt, daß ich ja selbst vermutlich nicht mehr allzu weit vom Grab entfernt bin und Erinnerungen und die Vergangenheit einen immer größeren Raum in meinem Denken einnehmen. Und das ganze Buch atmet Einsamkeit: ausnahmslos alle Protagonisten sind einsame Menschen. Bei mir hat das Buch vor allem Traurigkeit ausgelöst. Lesenswert ist es aber trotzdem, oder gerade deshalb: weil es wahrhaft ist.
Noch ein Lesetipp: 1955, also 11 Jahre vor der Geburt von Robert Seethaler, erschien das Buch Pedro Páramo von Juan Rulfo. Darin reden, abgesehen vom Ich-Erzähler, ebenfalls nur Tote, und zwar die ehemaligen Einwohner eines kleinen mexikanischen Dorfes. Ich habe das Buch in den 80er Jahren gelesen und war hingerissen. Pedro Páramo wird als einer der überragenden Romane der lateinamerikanischen Literatur gehandelt und ist es auch.