Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_Moser
Heinrich Heine an Moses Moser , Verdammtes Hamburg, d. 14. Dez. 1825
Theurer Moser! Lieber gebenedeiter Mensch!
Da sitz ich nun auf der Abcstraße, müde vom zwecklosen Herumlaufen, fühlen und denken, und draußen Nacht und Nebel und höllischer Spektakel, und groß und klein läuft herum nach den Buden, um Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Im Grunde ist es hübsch, daß die Hamburger schon ein halbes Jahr im voraus dran denken, wie sie sich zu Weihnacht beschenken wollen. Auch du, lieber Moser, sollst dich über meine Knickrigkeit nicht beklagen können, und da ich just nicht bey Casse bin und dir auch kein ordinäres Spielzeug kaufen will, so will ich dir etwas ganz apartes zum Weihnacht schenken, nemlich das Versprechen: daß ich mich vor der Hand noch nicht todtschießen will.
Wenn du wüßtest, was jetzt in mir vorgeht, so würdest du einsehen, daß dieses Versprechen wirklich ein großes Geschenk ist, und du würdest nicht lachen, wie du es jetzt thust, sondern du würdest so ernsthaft aussehen, wie ich in diesem Augenblick aussehe...
Lebe wohl, schreib mir bald Antwort, und sey überzeugt, daß ich dich liebe und sehr verdrießlich bin.
War es die Perspektivlosigkeit, die Ratlosigkeit, die Heine veranlasste einen solchen Brief zu schreiben? Von Versen und Theaterstücken konnte er sich nicht ernähren, und manche Berufe waren nur für Christen erlaubt. Um als Jurist zu arbeiten, musste man protestantisch sein. Er ließ sich später christlich taufen und aus Harry wurde Christian Johann Heinrich = Heinrich Heine.
Glaubenszeugnis von Heinrich Heine
Der Dichter Heinrich Heine kehrte, so berichtet er, lange schwer krank im Bett liegend, vor seinem Tod zum “persönlichen Gott” zurück. Im Nachwort zum Gedichtband ‚Romanzero‘ schreibt Heine, der acht Jahre wegen einer Lähmungserkrankung in Paris im Bett liegen musste, 1851, also viereinhalb Jahre vor seinem Tod, folgendes (gekürzt):
“Ich hatte damals noch etwas Fleisch und Heidentum an mir, und ich war noch nicht zu dem spiritualistischen Skelette abgemagert, das jetzt seiner gänzlichen Auflösung entgegenharrt. Aber existiere ich wirklich noch? Mein Leib ist so sehr in die Krümpe gegangen, daß schier nichts übrig geblieben als die Stimme. So hätte ich denn mein Gewissen erleichtert. Wenn man auf dem Sterbebette liegt, wird man sehr empfindsam und weichselig, und möchte Frieden machen mit Gott und der Welt. Ich gestehe es, ich habe Manchen gekratzt, Manchen gebissen, und war kein Lamm.
Seit ich selbst der Barmherzigkeit Gottes bedürftig, habe ich allen meinen Feinden Amnestie erteilt. Ja, wie mit der Kreatur, habe ich auch mit dem Schöpfer Frieden gemacht, zum größten Ärgernis meiner aufgeklärten Freunde, die mir Vorwürfe machten über dieses Zurückfallen in den alten Aberglauben, wie sie meine Heimkehr zu Gott zu nennen beliebten. Andere, in ihrer Intoleranz, äußerten sich noch herber.
Der gesamte hohe Klerus des Atheismus hat sein Anathema über mich ausgesprochen, und es gibt fanatische Pfaffen des Unglaubens, die mich gerne auf die Folter spannten, damit ich meine Ketzereien bekenne. Zum Glück stehen ihnen keine andern Folterinstrumente zu Gebote als ihre Schriften. Aber ich will auch ohne Tortur alles bekennen. Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott, wie der verlorene Sohn, nachdem ich lange Zeit bei den Hegelianern die Schweine gehütet. War es die Misère, die mich zurücktrieb? Vielleicht ein minder miserabler Grund. Das himmlische Heimweh überfiel mich und trieb mich fort durch Wälder und Schluchten, über die schwindlichsten Bergpfade der Dialektik. Auf meinem Wege fand ich den Gott der Pantheisten, aber ich konnte ihn nicht gebrauchen.
Wenn man nun einen Gott begehrt, der zu helfen vermag – und das ist doch die Hauptsache – so muß man auch seine Persönlichkeit, seine Außerweltlichkeit und seine heiligen Attribute, die Allgüte, die Allweisheit, die Allgerechtigkeit u.s.w. annehmen. Die Unsterblichkeit der Seele, unsre Fortdauer nach dem Tode, wird uns alsdann gleichsam mit in den Kauf gegeben, wie der schöne Markknochen, den der Fleischer, wenn er mit seinen Kunden zufrieden ist, ihnen unentgeltlich in den Korb schiebt.
Ich habe vom Gott der Pantheisten geredet, aber ich kann nicht umhin zu bemerken, daß er im Grunde gar kein Gott ist, so wie überhaupt die Pantheisten eigentlich nur verschämte Atheisten sind, die sich weniger vor der Sache als vor dem Schatten, den sie an die Wand wirft, vor dem Namen, fürchten. Auch haben die meisten in Deutschland während der Restaurationszeit mit dem lieben Gotte dieselbe funfzehnjährige Komödie gespielt, welche hier in Frankreich die konstitutionellen Royalisten, die größtenteils im Herzen Republikaner waren, mit dem Königtume spielten. In derselben Weise tauchte in Deutschland die Ansicht auf, daß man wählen müsse zwischen der Religion und der Philosophie, zwischen dem geoffenbarten Dogma des Glaubens und der letzten Konsequenz des Denkens, zwischen dem absoluten Bibelgott und dem Atheismus.
In der Theologie hingegen muß ich mich des Rückschreitens beschuldigen, indem ich, was ich bereits oben gestanden, zu dem alten Aberglauben, zu einem persönlichen Gotte, zurückkehrte. Das läßt sich nun einmal nicht vertuschen, wie es mancher aufgeklärte und wohlmeinende Freund versuchte. Ausdrücklich widersprechen muß ich jedoch dem Gerüchte, als hätten mich meine Rückschritte bis zur Schwelle irgend einer Kirche oder gar in ihren Schoß geführt. Nein, meine religiösen Überzeugungen und Ansichten sind frei geblieben von jeder Kirchlichkeit; kein Glockenklang hat mich verlockt, keine Altarkerze hat mich geblendet. Ich habe mit keiner Symbolik gespielt und meiner Vernunft nicht ganz entsagt. Ich habe nichts abgeschworen, nicht einmal meine alten Heidengötter, von denen ich mich zwar abgewendet, aber scheidend in Liebe und Freundschaft. Es war im Mai 1848, an dem Tage, wo ich zum letzten Male ausging, als ich Abschied nahm von den holden Idolen, die ich angebetet in den Zeiten meines Glücks. Nur mit Mühe schleppte ich mich bis zum Louvre, und ich brach fast zusammen, als ich in den erhabenen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göttin der Schönheit, Unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen lag ich lange, und ich weinte so heftig, daß sich dessen ein Stein erbarmen mußte. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos, als wollte sie sagen: siehst du denn nicht, daß ich keine Arme habe und also nicht helfen kann?”
ich möchte mich bei Dir ganz herzlich für die Briefe bedanken!
Das will ich erklären:
Briefe sind so tief innere Geständnisse, dass ich nicht spontan
etwas dazu schreiben kann.
Oft lese ich sie erst abends, bevor ich schlafen gehe, und nehme
sie tief in mich auf.
Deshalb nur erst meinen Herzensdank, ohne weitere Kommentare.
Ich denke, dass Du das verstehst.
lieben Gruß
Clematis
Sonntagmorgen
Liebe @Clematis
So ein schöner Thread.
Leider las ich ihn erst vor ein paar Tagen und habe ihn vergessen zu abonnieren.
Mir wird dazu wohl nicht so viel einfallen reinzuschreiben, aber mitlesen.
Ich bin dankbar, dass es diese Möglichkeit dazu gibt.
Einen wunderbaren Tag wünscht Lorena
ich habe volles Verständnis dafür dass man nicht zu jedem Beitrag etwas schreiben kann. Denke aber dass Heines Worte auch Deine Zustimmung finden, denn um glauben zu können braucht man keine Institutionen. 😋 Außerdem sind seine Worte kein oberflächliches Reden sondern es bedarf auch des Nachdenkens.
💗-liche Grüße
Sirona
Im Gegensatz zu seinem Bruder Dietrich wurde Klaus während seiner Haft entsetzlich gefoltert. Wenige Tage vor seinem Tod hat Klaus Bonhoeffer auf einem Zettel eine kleine Notiz hinterlassen, die gefunden und überliefert wurde, in der er schreibt:
„Ich fürchte mich nicht vor dem Erhängtwerden, aber ich möchte diese Gesichter nie mehr sehen... dieses Maß an Verkommenheit... Ich möchte überhaupt lieber sterben, als diese Gesichter nochmal zu sehen. Ich habe den Teufel gesehen, das werde ich nicht los.“
Kurz vor seiner Hinrichtung schrieb er seinen Kindern einen bewegenden Abschiedsbrief. Wegen der Länge setze ich lediglich einige Auszüge ein:
Meine lieben Kinder!
Ich werde nicht mehr lange leben und will nun von Euch Abschied nehmen. Das wird mir sehr schwer; denn ich habe jeden von Euch so sehr lieb und Ihr habt mir immer nur Freude gemacht. Ich werde nun nicht mehr sehen, wie Ihr heranwachst und selbständige Menschen werdet. Ich bin aber ganz zuversichtlich, daß Ihr an Mamas Hand den rechten Weg geht und dann auch von Verwandten und Freunden Rat und Beistand finden werdet. Liebe Kinder, ich habe viel gesehen und noch mehr erlebt. Meine väterlichen Erfahrungen können Euch aber nicht mehr leiten. Ich möchte Euch deshalb noch einiges sagen, was für Euer Leben wichtig ist, wenn Euch auch manches erst später aufgehen wird.....
......nach Anerkennung streben macht Euch unfrei, wenn Ihr sie nicht mit Anmut auch entbehren könnt, und das gelingt nicht jedem. Hört nicht auf billigen Beifall. Die Menschen, die Euch sonst begegnen, nehmt, wie sie sind. Stoßt Euch nicht gleich an dem, was fremd ist oder Euch mißfällt und schaut auf die guten Seiten. Dann seid Ihr nicht nur gerechter, sondern bewahrt euch selbst vor Engherzigkeit. Im Garten wachsen viele Blumen. Die Tulpe blüht schön, aber duftet nicht, und die Rose hat ihre Dornen. Ein offenes Auge aber freut sich am unscheinbaren Grün. So entdeckt man bei den Menschen meist verborgene und erfreuliche Seiten, wenn man sich erst einmal in sie hineinversetzt. Wer nur mit sich beschäftigt ist, hat dafür keinen Sinn. Glaubt mir aber, liebe Kinder, das Leben erschließt sich euch erst dann im kleinen Kreise und im Großen, wenn Ihr nicht nur an Euch, sondern auch an die andern denkt .......
....... Die Zeiten des Grauens, der Zerstörung und des Sterbens, in denen Ihr, liebe Kinder, aufwachst, führen den Menschen die Vergänglichkeit alles Irdischen vor Augen; denn alle Herrlichkeit des Menschen ist wie des Grases Blume.....
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Der ganze Abschiedsbrief ist in dem Buch „Emmi Bonhoeffer – Bewegende Zeugnisse eines mutigen Lebens“ aufgezeichnet.
Stefan Zweig - Bildquelle: Wiki - copy frei
Stefan Zweig an Richard Beer-Hofmann
The Wyndham Hotel, New York 11. Juli 1940
Mein lieber verehrter Richard Beer-Hofmann,
wie haben wir um Sie gebangt, und wie glücklich war ich, Sie hier geborgen zu wissen, freilich, ich weiß es, in jeder Stunde der Gütigen gedenkend, die sonst Sie überallhin mit ihrer Sorge begleitet. Aber selig die Toten in dieser Zeit – ich bin so tief erschüttert, weil ich mehr Europäer als Österreicher war und der Sieg, der zeitweilige, der Gewalt mich für immer heimatlos macht.
Ich bin mit meiner kleinen Klugheit so wie von Österreich rechtzeitig von England fort, alles hinter mir lassend, was Besitz war, und sogar das halbfertige Manuscript eines Buches, an dem ich seit Jahren arbeite, und irre jetzt mit einem Transitvisum, hier eingelassen und fortgetrieben, nach Südamerica zu Vorlesereisen, die ich nicht mag. Werde ich je zurückkehren können? Werde ich es dürfen, werde ich es wollen?
Aber ich frage schon nicht mehr, ich lasse mich treiben, nur von einem Gedanken beseelt, nicht diesen braunen Burschen in die Hände zu fallen – dies die einzige Furcht, die ich im Leben noch habe, die andern sind verlernt.
Ich hatte mich schon ganz zurückgezogen, auf Umgang verzichtend und nur jenes Umgangs mit Büchern und meinem Garten froh, nun heißt es weiter ahasverisch wandern, und als einzige Arbeit erzähle ich mir (und später andern) mein Leben, das eines Europäers und Juden in dieser Zeit.
Ich hoffe, wenn man mir es erlaubt, auf der Rückreise in America wieder etwas zu bleiben, Sie im Spätherbst zu sehen in alter Liebe, Treue und Verbundenheit!
Ihr Stefan Zweig
ich lese die Briefe von Stefan Zweig und Klaus Bonhoeffer und
bekomm einen Knödel in den Hals.
Gerade mal wieder mit Thomas Mann beschäftigt, bin ich noch
ganz drin in dieser argen, entsetzlichen Zeit.
Und wenn ich die Jahreszahlen der Briefe lese, denke ich
immer, was für ein ahnungsloses Kind ich war und heiter
ins Leben marschierte!
DAS ist manchmal kaum auszuhalten!
Und ich weiß gar nicht, wie es aufzuhalten ist.
WAs geschieht denn konkret, wenn ein Jude auf der
Straße verprügelt wird.
Es kommt einmal in den Nachrichten und fertig!
Ich will es jetzt nicht zerreden, bin eigentlich hoffnungsvoll
auf kommende Zeit, wenn immer wieder viel davon
gelesen wird.
Aber wenn ich manche Typen anschaue, ist wohl mit lesen
und informieren auch nichts drin.
Hab Dank für neues Wissen, liebe @Sirona.
Damit es nicht so arg trist ist, ein Blümle
Liebe Grüsse
Clematis
Ich habe mit im italienischen TV gestern die Preisverleihung des Goldenen Löwen in Venedig angeschaut, den unter anderem der Regisseur, Autor und Schauspieler Roberto Benigni (Das Leben ist schön) erhielt. In seiner Dankesrede richtete er sich vor allem an seine Frau, die Schauspielerin Nicoletta Braschi, die beiden sind seit 40 Jahren ein Paar - und es war eine so schöne Liebeserklärung, die eigentlich in Stein gemeißelt gehört .. Ich habe sie einmal übersetzt, denn irgendwie gehört sie hierher ,,
An dieser Stelle möchte ich Nicoletta Braschi, die sich hier im Saal befindet, einen Gedanken widmen.
Wir machen seit 40 Jahren alles zusammen und ich kenne nur eine Möglichkeit, die Zeit zu messen: mit dir oder ohne dich. Wir teilen diesen Löwen, ich nehme das Hinterteil, damit ich dir meine Freude zeigen kann, meine Freude, indem ich ihn beim Schwanz packen und durch die Luft wedeln werde - und du nimmst den Rest; vor allem gehören dir die Flügel, denn wenn ich in meiner Arbeit manchmal die Flucht ergriffen habe, dann ist es dir zu verdanken, deinem Talent, deinem Mysterium, deinem Charme, deiner Schönheit, deiner Weiblichkeit, der Tatsache, eine Frau zu sein.
Eine Frau zu sein ist ein Mysterium, das wir Männer nicht verstehen. Groucho Marx hatte Recht, als er sagte: „Männer sind Frauen, die es nicht geschafft haben“. Und das ist die Wahrheit. Ich könnte nicht wie du sein, Nicoletta. Wenn immer ich etwas Schönes und Gutes in meinem Leben geschafft habe, dann nur, weil es immer von deinem Licht durchquert wurde. Unsere war eine Liebe auf den ersten Blick, das ewig leuchtet- "